Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 29.03.2006

LArbG Mainz: ordentliche kündigung, arbeitsgericht, dienstleistung, schüler, rechtfertigung, arbeitsorganisation, abhängigkeit, eingliederung, lehrauftrag, gebäude

LAG
Mainz
29.03.2006
10 Sa 875/05
Darlegungslast hinsichtlich der Anzahl der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer
Aktenzeichen:
10 Sa 875/05
7 Ca 1048/05
ArbG Kaiserslautern
Entscheidung vom 29.03.2006
Tenor:
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 27.09.2005, Az.: 7
Ca 1048/05, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten im vorliegenden Berufungsverfahren noch über die Wirksamkeit einer ordentlichen
Kündigung.
Der Kläger war bei dem Beklagten seit 1991 als Musiklehrer beschäftigt. Der Beklagte erteilte dem Kläger
mit Schreiben vom 30.05.2005 eine Abmahnung und kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom
29.06.2005 fristlos sowie vorsorglich auch ordentlich zum 31.12.2005. Mit seiner am 21.06.2005 beim
Arbeitsgericht eingereichten Klage hat der Kläger zunächst die Entfernung des Abmahnungsschreibens
aus seiner Personalakte begehrt und mit klageerweiterndem Schriftsatz vom 14.07.2005
Kündigungsschutzklage hinsichtlich der ihm mit Schreiben vom 29.06.2005 ausgesprochenen
Kündigung(en) erhoben.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 27.09.2005 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht
durch die außerordentliche Kündigung vom 29.06.2005 aufgelöst worden ist. Im Übrigen hat das
Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Soweit das Arbeitsgericht die gegen die vorsorglich
ausgesprochene ordentliche Kündigung gerichtete Klage abgewiesen hat, hat es in den
Entscheidungsgründen seines Urteils im Wesentlichen ausgeführt, die streitbefangene ordentliche
Kündigung sei nicht auf ihre soziale Rechtfertigung hin zu überprüfen, da der Beklagte - dies war
zwischen den Parteien in erster Instanz unstreitig - in der Regel nicht mehr als fünf Arbeitnehmer
ausschließlich der Auszubildenden beschäftige, sodass sich die ordentliche Kündigung in Ermangelung
sonstiger Unwirksamkeitsgründe als rechtswirksam erweise.
Gegen das ihm am 29.09.2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 28.10.2005 Berufung eingelegt und
diese innerhalb der ihm mit Beschluss vom 25.11.2005 verlängerte Berufungsbegründungsfrist am
27.12.2005 begründet.
Der Kläger trägt im Wesentlichen vor, der Beklagte beschäftige zwei Vollzeitkräfte sowie zwei weitere
Arbeitnehmer, die ebenso wie er - der Kläger - lediglich eine "halbe Stelle" (19,25 Stunden pro Woche)
inne hätten. Darüber hinaus sei noch ein Herr O., der zwar bei der Volkshochschule E. beschäftigt sei,
aber zugleich als stellvertretender Musikschulleiter fungiere, im zeitlichen Umfang einer Halbtagsstelle
beim Beklagten als Arbeitnehmer zu berücksichtigen. Zwar ergebe sich bei Berücksichtigung all dieser
Personen noch nicht, dass der Beklagte mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftige. Es sei jedoch zu
berücksichtigen, dass für den Beklagten ca. 70 Honorarkräfte tätig seien, von denen ein Teil lediglich "den
Namen zur Verfügung stelle", ohne hingegen die Schüler des Beklagten selbst zu unterrichten. Eine
vertragliche Beziehung der tatsächlich Unterrichtenden zum Beklagten bestehe nicht. Nachdem folglich
bereits aus diesem Personenkreis eine Vielzahl von Musiklehrern eine abhängige Tätigkeit ausübe, liege
die Zahl der Arbeitnehmer des Beklagten deutlich über der für die Anwendung des
Kündungsschutzgesetzes erforderlichen Anzahl. Der Beklagte behandele seine Honorarkräfte auch wie
fest angestellte Lehrkräfte. So erteile er z. B. Weisungen dahingehend, wie musikalische Früherziehung
stattzufinden habe und halte seine Honorarkräfte dazu an, bei verschiedenen Veranstaltungen
mitzuwirken. Darüber hinaus seien Mitarbeiter der Kreisverwaltung E. dem Beklagten als Arbeitnehmer
zuzurechnen. Dies ergebe sich u. a. daraus, dass die Dezernentin der Kreisverwaltung E. bestimmte
Arbeitsleistungen erbringe, die zumindest auch den Beklagten beträfen.
Der Kläger beantragt,
das erstinstanzliche Urteil abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch
durch die ordentliche Kündigung vom 29.06.2005 nicht aufgelöst worden ist.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte verteidigt das mit der Berufung angefochtene Urteil und macht im Wesentlichen gelten, er
beschäftige regelmäßig lediglich eine Vollzeitkraft und zwei Teilzeitkräfte. Die als Musiklehrer
eingesetzten Honorarkräfte seien nicht als Arbeitnehmer, sondern vielmehr als freie Mitarbeiter tätig.
Von einer weitergehenden Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen.
Insoweit wird Bezug genommen auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils sowie auf die von den
Parteien im Berufungsverfahren zu den Akten gereichten Schriftsätze, die Gegenstand der mündlichen
Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das
hiernach insgesamt zulässige Rechtsmittel hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat
die gegen die vorsorglich ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 29.06.2005 gerichtete Klage zu
Recht abgewiesen.
Die gegen die ordentliche Kündigung gerichtete Kündigungsschutzklage ist nicht begründet. Das
Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch diese Kündigung aufgelöst worden. Die Kündigung ist nicht auf
ihre soziale Rechtfertigung i. S. von § 1 Abs. 1, 2 KSchG hin zu überprüfen, da diese Vorschrift gemäß §
23 Abs. 1 S. 2 KSchG auf das Arbeitsverhältnis der Parteien keine Anwendung findet. Der Kläger hat
nämlich nicht dargetan, dass der Beklagte in der Regel mehr als fünf Arbeitnehmer ausschließlich der
Auszubildenden beschäftigt.
Im Kündigungsschutzprozess trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen
der betrieblichen Voraussetzungen für die Geltung des Kündigungsschutzgesetzes (BAG v. 04.07.1957 - 2
AZR 86/55; v. 09.09.1982 - 2 AZR 253/80; v. 18.01.1990 - 2 AZR 355/89; v. 15.03.2001 - 2 AZR 151/00).
Ein solcher Vortrag gehört grundsätzlich zur Begründung der Klage. Dabei dürfen allerdings keine
unzumutbar strengen Anforderungen an die Darlegungslast des Arbeitnehmers gestellt werden. Der
Arbeitnehmer genügt seiner Darlegungslast regelmäßig bereits dann, wenn er die für eine entsprechende
Arbeitnehmerzahl sprechenden Tatsachen schlüssig darlegt (BAG v. 24.02.2005 - 2 AZR 373/03). Im
Streitfall hat der Kläger die für die Geltung des Kündigungsschutzgesetzes erforderliche Anzahl der beim
Beklagten regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer nicht schlüssig dargetan. Soweit er zunächst geltend
macht, der Beklagte beschäftige außer ihm (als Teilzeitkraft) zwei Arbeitnehmer in Vollzeit sowie weitere
drei Arbeitnehmer in Teilzeit, so räumt er diesbezüglich selbst ein, dass damit gemäß § 23 Abs. 1 S. 4
KSchG die erforderliche Anzahl von Arbeitnehmern nicht erreicht wird. Hinsichtlich der von dem Beklagten
als sogenannte Honorarkräfte beschäftigten Musiklehrer liegen keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür
vor, dass deren Beschäftigungsverhältnisse als Arbeitsverhältnisse rechtlich zu qualifizieren sind.
Vielmehr ist in Ermangelung eines ausreichenden Sachvortrages des Klägers davon auszugehen, dass
die Honorarkräfte - entsprechend dem Vorbringen des Beklagten - als freie Mitarbeiter beschäftigt werden.
Ein Arbeitsverhältnis unterscheidet sich von dem Rechtsverhältnis eines freien Mitarbeiters (Dienstvertrag)
durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit, in der sich der zur Dienstleistung Verpflichtete jeweils
befindet. Arbeitnehmer ist danach derjenige Mitarbeiter, der seine Dienstleistung im Rahmen einer von
Dritten bestimmten Arbeitsorganisation erbringt. Insoweit enthält § 84 Abs. 1 S. 2 HGB ein typisches
Abgrenzungsmerkmal. Nach dieser Bestimmung ist selbständig, wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit
gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Unselbständig und deshalb persönlich abhängig ist
dagegen der Mitarbeiter, dem dies nicht möglich ist. Dessen Eingliederung in die fremde
Arbeitsorganisation zeigt sich insbesondere darin, dass er einem Weisungsrecht des Arbeitgebers
unterliegt. Dieses Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen.
Diese Grundsätze gelten auch für Unterrichtstätigkeit. Entscheidend ist danach, wie intensiv die Lehrkraft
in den Unterrichtsbetrieb eingebunden ist und in welchem Umfang sie den Unterrichtsinhalt, die Art und
Weise seiner Erteilung, ihre Arbeitszeit und die sonstigen Umstände der Dienstleistung mitgestalten kann.
Musikschullehrer können auch als freie Mitarbeiter beschäftigt werden. Arbeitnehmer sind sie nur dann,
wenn die Parteien dies vereinbart haben oder im Einzelfall festzustellende Umstände hinzutreten, aus
denen sich ergibt, dass der für das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses erforderliche Grad der
persönlichen Abhängigkeit gegeben ist (vgl. zum Ganzen: BAG v. 24.06.1992 - 5 AZR 384/91, m. w. N.).
Bei Anwendung dieser Grundsätze kann nicht davon ausgegangen werden, dass es sich bei den
zwischen dem Beklagten und den von ihm als Honorarkräfte beschäftigten Musiklehrern um
Arbeitsverhältnisse handelt. Die Honorarkräfte werden unstreitig auf Grundlage des von dem Beklagten
vorgelegten Mustervertrages (Bl. 118 bis 120 d. A.) der die Überschrift "Lehrauftrag" trägt, für den
Beklagten tätig. Dieser Vertrag enthält keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die betreffenden Musiklehrer
einem für die Annahme eines Arbeitsverhältnisses erforderlichen Weisungsrecht des Beklagten
unterliegen. Abgesehen davon, dass nach § 2 des Vertrages gerade kein Arbeitsverhältnis zwischen dem
Beklagten und der Honorarkraft begründet werden soll, ist der Musiklehrer gemäß § 6 des Vertrages
hinsichtlich der didaktischen und methodischen Gestaltung des Unterrichts frei. Er entscheidet auch
ausweislich des § 3 selbst über Unterrichtsort- bzw. gebäude. Anhaltspunkte dafür, dass der Musiklehrer
hinsichtlich der zeitlichen Lage der einzelnen Unterrichtsstunden einem Weisungsrecht des Beklagten
unterliegt, lassen sich dem Vertragswerk nicht entnehmen. Nach § 6 des Vertrages ist er lediglich
verpflichtet, die mit dem Schüler vereinbarten Unterrichtszeiten einzuhalten. Auch ansonsten lassen sich
dem Mustervertrag keinerlei Regelungen entnehmen, aus denen sich das Bestehen eines nennenswerten
Weisungsrechts des Beklagten hinsichtlich Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit ableiten
ließe. Der Kläger hat auch nicht dargetan, dass die praktische Durchführung der betreffenden
Lehraufträge von den getroffenen schriftlichen Vereinbarungen in einem solchen Maß abweicht, dass die
Annahme eines Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt wäre. Soweit sich der Kläger diesbezüglich darauf
beruft, der Beklagte halte die als Honorarkraft beschäftigten Musiklehrer dazu an, an verschiedenen
musikalischen Veranstaltungen teilzunehmen, so lässt sich hieraus das Bestehen eines Weisungsrechts
des Beklagten nicht ableiten. Insbesondere ist nicht ersichtlich, aufgrund welcher Umstände die
Honorarkraft zur Teilnahme an den betreffenden Veranstaltungen aufgrund einseitiger Anordnung des
Beklagten verpflichtet sein soll.
Soweit der Kläger geltend macht, für den Beklagten seien darüber hinaus auch Personen tätig, die mit
diesem nicht in vertraglichen Beziehungen stünden, so lässt sich auch hieraus für das Bestehen weiterer
Arbeitsverhältnisse nichts ableiten. Der Kläger behauptet diesbezüglich lediglich pauschal, die
betreffenden Personen unterlägen einem Weisungsrecht des Beklagten, ohne indessen diese
Behauptung in irgendeiner Weise zu substantiieren.
Entgegen der Ansicht des Klägers sind auch nicht einzelne Mitarbeiter der Kreisverwaltung E. dem
Beklagten als Arbeitnehmer zuzurechnen. Dies wäre allenfalls dann möglich, wenn der Beklagte
zusammen mit der Kreisverwaltung E. einen gemeinsamen Betrieb führen würde. Hierfür hat jedoch
weder der insoweit darlegungsbelastete Kläger ausreichende Tatsachen vorgetragen, noch sind
(ansonsten) Umstände ersichtlich, welche die Annahme eines gemeinsamen Betriebes rechtfertigen
könnten.
Nach alledem war die Berufung des Klägers mit der sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge
zurückzuweisen.
Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien
keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde
anzufechten (§ 72 a ArbGG), wird hingewiesen.