Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 10.02.2011

LArbG Mainz: abfindung, altersrente, treu und glauben, beendigung, vertragsklausel, feststellungsklage, behinderung, abschlag, arbeitsgericht, leistungsklage

LAG
Mainz
10.02.2011
10 Sa 529/10
Diskriminierung wegen des Alters und wegen der Behinderung - Altersteilzeit - Abfindung
Aktenzeichen:
10 Sa 529/10
5 Ca 367/10
ArbG Koblenz
- AK Neuwied -
Entscheidung vom 10.02.2011
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz - Auswärtige
Kammern Neuwied - vom 27. Juli 2010, Az.: 5 Ca 367/10, abgeändert und die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Zahlung einer Abfindung.
Der am 30.08.1948 geborene Kläger ist seit dem 01.01.1963 Arbeitnehmer der Beklagten, einem
Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie. Am 01.08.2006 schlossen die Parteien einen
Altersteilzeitarbeitsvertrag für die Zeit vom 01.01.2007 bis zum 31.08.2011 (Bl. 11-17 d.A.). Die
regelmäßige Wochenarbeitszeit des Klägers wurde auf 17,5 Stunden reduziert und im Blockmodell
geleistet. Die Arbeitsphase war in der Zeit vom 01.01.2007 bis zum 30.04.2009; die Freistellungsphase
begann am 01.05.2009 und soll bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses am 31.08.2011 dauern. Im
vorformulierten Vertrag ist - soweit vorliegend von Interesse - folgendes geregelt:
„Zwischen […] wird auf der Grundlage des Tarifvertrages zum Bruttoaufstockungsmodell Altersteilzeit vom
29.09.2004 (TV BA), des Tarifvertrages zur Beschäftigungsbrücke in der Fassung vom 31.03.2000 (TV BB)
und des Tarifvertrages zur Altersteilzeit in der Fassung vom 23.11.2004 (TV ATZ) folgender
Altersteilzeitarbeitsvertrag geschlossen:
§ 10 - Abfindung
Herr C. erhält am Ende des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses für den Verlust seines Arbeitsplatzes (soweit
kein vorzeitiges Ende der Altersteilzeit - also ein Störfall - eintritt) eine nach § 6 TV BB vorgesehene
Abfindung in Höhe von 230,08 EURO x 24 Monaten, entspricht 5.521,92 EURO.
…“
Im Tarifvertrag zur Beschäftigungsbrücke (TV BB) vom 31.03.2000 heißt es auszugsweise:
§ 6 Abfindung
Der Arbeitnehmer erhält am Ende des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses für den Verlust seines
Arbeitsplatzes eine Abfindung.
Die Abfindung errechnet sich aus einem Betrag, der mit der Zahl der vollen Kalendermonate - höchstens
mit 48 Kalendermonaten - multipliziert wird, die zwischen der Beendigung des Altersteilzeitverhältnisses
und dem Zeitpunkt, an dem der Arbeitnehmer Anspruch auf ungeminderte Altersrente gehabt hätte
(spätestens dem Zeitpunkt der Vollendung des 65. Lebensjahres), liegen.
Der Betrag beträgt 450,00 DM (230,08 EUR)/ Monat für vor der Altersteilzeit in Vollzeit Beschäftigte.
…“
Der Kläger wurde auf seinen Antrag mit Bescheid vom 15.01.2009 rückwirkend zum 01.02.2008 als
Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 70 anerkannt. Er kann deshalb mit
Vollendung seines 63. Lebensjahres ab 01.09.2011 eine gesetzliche Altersrente ohne Abschläge
beanspruchen. Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 14.01.2010 mit, sein Anspruch auf die
Abfindung sei entfallen, weil aufgrund seiner Anerkennung als Schwerbehinderter keine Rentennachteile
eintreten.
Nach vergeblicher außergerichtlicher Geltendmachung erhob der Kläger am 26.02.2010 eine
Feststellungsklage und führte aus, es sei ihm nicht zumutbar, bis zum 01.09.2011 zu warten, um
anschließend Leistungsklage zu erheben. Wenn ihm die Beklagte keine Abfindung zugesagt hätte, hätte
er keinen Altersteilzeitvertrag abgeschlossen. Er habe seiner Ehefrau versprochen, die Abfindung für eine
Kreuzfahrt zu verwenden. Niemals hätte er der Reduzierung seines Vollzeit-Nettolohns von € 2.236,00 auf
ein Teilzeitnettoentgelt von € 1.984,00 zugestimmt, wenn am Ende nicht wenigstens die ausgerechnete
Abfindung als „Belohnung“ für den Einkommensverlust gestanden hätte.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
festzustellen, dass er seinen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung in Höhe von € 5.521,92 nach § 10
des Arbeitsvertrages für verblockte Altersteilzeit vom 01.08.2006 nicht deshalb verliert, weil er mit Wirkung
vom 01.02.2008 vom Amt für Soziale Angelegenheiten Koblenz als schwerbehinderter Mensch anerkannt
worden ist und deshalb mit Vollendung des 63. Lebensjahres Altersrente ohne Abschlag beantragen
könnte.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 27.07.2010 der Klage stattgegeben und zur Begründung -
zusammengefasst - ausgeführt, der Kläger verliere seinen Abfindungsanspruch nicht deshalb, weil er mit
Vollendung des 63. Lebensjahres eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen ohne Abschlag
beantragen könne. § 10 des Altersteilzeitvertrages enthalte die konstitutive Zusage einer Abfindung in
Höhe von € 5.521,92 am Ende des Arbeitsverhältnisses. Die Vertragsklausel enthalte widersprüchliche
Formulierungen. Einerseits solle der Kläger "eine nach § 6 TV BB vorgesehene Abfindung" erhalten.
Diese Formulierung könne so verstanden werden, dass kein vertraglicher Abfindungsanspruch begründet
werden solle, wenn gemäß § 6 TV BB kein tariflicher Anspruch bestehe. Für diese Auslegung spreche
auch die Aufnahme der Berechnungsformel aus § 6 TV BB in die Vertragsklausel. Andererseits sei die
Höhe der Abfindung genau beziffert worden. Den bezifferten Anspruch stelle die Klausel ausschließlich
unter die Bedingung, dass kein vorzeitiges Ende der Altersteilzeit eintrete. Einen Hinweis darauf, dass
auch bei anderen Fallgestaltungen keine Abfindung zur Auszahlung komme, enthalte die Klausel nicht.
Daneben spreche auch die Verwendung des unbestimmten Artikels („eine“ nach § 6 TV BB vorgesehene
Abfindung) für eine konstitutive Regelung. Bei einer deklaratorischen Verweisung wäre die Verwendung
des bestimmten Artikels zu erwarten gewesen. § 6 TV BB enthalte keine Auswahlmöglichkeiten, sondern
nur eine einzige Berechnungsformel. Es könne dahinstehen, ob schon die Anwendung der §§ 133, 157
BGB zu einer Auslegung der Vertragsklausel im Sinne des Klägers führe. Da sich eine solche Auslegung
zumindest vertreten lasse, sei der Anwendungsbereich des § 305 c Abs. 2 BGB eröffnet. Demgemäß sei
der für den Kläger günstigeren Auslegung der Vorrang zu geben, derzufolge § 10 des
Altersteilzeitarbeitsvertrages konstitutiv einen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung in Höhe von
€ 5.521,92 begründe. Wegen der Einzelheiten der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts wird auf
Seite 6 bis 9 des Urteils vom 27.07.2010 (= Bl. 74-76 d.A.) verwiesen.
Das genannte Urteil ist der Beklagten am 07.09.2010 zugestellt worden. Sie hat mit am 30.09.2010 beim
Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 05.11.2010
eingegangenem Schriftsatz begründet.
Sie ist der Ansicht, der Kläger könne aufgrund der Regelung in § 6 TV BB bei seinem Ausscheiden keine
Abfindung beanspruchen. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts enthalte § 10 des
Altersteilzeitarbeitsvertrages lediglich einen deklaratorischen Hinweis auf § 6 TV BB. Das Arbeitsgericht
habe zu Unrecht die Feststellung getroffen, dass zwei Auslegungen der Regelung in § 10 des Vertrages
rechtlich vertretbar seien. Bei der Verweisung auf § 6 TV BB handele es sich gewissermaßen um eine
„Rechtsgrundverweisung“. Eine Abfindung solle nur dann gezahlt werden, wenn dies in § 6 TV BB
„vorgesehen“ sei. Die Frage, ob im vorliegenden Fall eine Abfindung nach § 6 TV BB vorgesehen sei,
lasse keine zwei Antworten zu. Die verwendete Rechenformel sei sogar klarstellend in die Vertragsklausel
aufgenommen worden. Die Abfindung aus § 6 TV BB diene ausschließlich dazu, den Nachteil von
Rentenabschlägen auszugleichen, der beim schwerbehinderten Kläger nicht eintrete. Wegen weiterer
Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 05.11.2010 (Bl. 97-
103 d. A.) Bezug genommen.
Die Beklagte beantragt zweitinstanzlich,
das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz - Auswärtige Kammern Neuwied - vom 27.07.2010, Az.: 5 Ca
367/10, abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderung vom 03.12.2010
(Bl. 120 -123 d.A.) und seines Schriftsatzes vom 27.12.2010 (Bl. 124-125 d.A.), auf die Bezug genommen
wird, als zutreffend. Die offensichtlich unglücklich formulierte Klausel in § 10 des Altersteilzeitvertrages
lasse mehrere Interpretationen zu. Die Zweifel bei der Auslegung gingen nach § 305 c Abs. 2 BGB zu
Lasten der Beklagten. Im Vertrag fehle eine klare und für jedermann verständliche Formulierung, dass er
keine Abfindung erhalten soll, wenn er infolge Schwerbehinderung eine Rente ohne Abschläge beziehen
könne. Es sei nicht einsehbar, dass die Beklagte wirtschaftlich von seiner Schwerbehinderung profitiere.
Im Übrigen werde er wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert. Wäre er nicht schwerbehindert,
erhielte er die Abfindung bei seinem Ausscheiden. Nach der Rechtsprechung des EuGH im Urteil vom
12.10.2010 (Az.: C-499/08) sei eine Vereinbarung jedenfalls dann diskriminierend, wenn einem
Arbeitnehmer eine Abfindung vorenthalten werde, weil er eine ungekürzte Rente in Anspruch nehmen
könne. Wenn er nach seinem Ausscheiden bei der Beklagten von seinem Recht Gebrauch mache, sich
einen neuen Job zu suchen, könne er nicht auf eine Abfindung zurückgreifen. Die Altersteilzeitregelung
dürfe nicht so verstanden werden, dass er sich nach seinem Ausscheiden bei der Beklagten nicht um eine
neue Arbeit bemühen wolle, um seine berufliche Laufbahn fortzusetzen.
Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I.
§§ 517, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist somit zulässig.
II.
verpflichtet, dem Kläger bei Beendigung des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses am 31.08.2011 eine
Abfindung in Höhe von € 5.521,92 brutto zu zahlen. Das angefochtene Urteil des Arbeitsgerichts ist
deshalb abzuändern und die Klage abzuweisen.
1.
zulässig. Auf Klagen, mit denen eine Partei eine künftige Leistung begehrt, ist der Grundsatz des Vorrangs
der Leistungsklage vor der Feststellungsklage nicht anwendbar. Gegenüber Klagen nach §§ 257 bis 259
ZPO ist ein Feststellungsantrag nicht subsidiär; der Kläger kann zwischen einer Feststellungsklage und
einer Klage auf zukünftige Leistung frei wählen (vgl. BAG Urteil vom 21.09.2010 - 9 AZR 515/09 - Rn. 19 -
Juris; BAG Urteil vom 20.01.2004 - 9 AZR 43/03 - Rn. 35 - AP Nr. 65 zu § 242 Betriebliche Übung; jeweils
m.w.N.).
Der Kläger begehrt die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, ihm bei Beendigung des
Arbeitsverhältnisses am 31.08.2011 eine Abfindung in Höhe von € 5.521,92 brutto zu zahlen, obwohl er
nach Vollendung seines 63. Lebensjahres ab dem 01.09.2011 eine Altersrente für schwerbehinderte
Menschen ohne Abschlag beanspruchen kann. Der Kläger konnte zwischen einer Klage nach § 257 ZPO
und einer Feststellungsklage wählen. Da die Beklagte den Anspruch bestreitet, besteht die Besorgnis der
Leistungsverweigerung zum kalendermäßig bestimmten Fälligkeitszeitpunkt.
2.
63. Lebensjahres bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31.08.2011 keinen Anspruch auf Zahlung
einer Abfindung in Höhe von € 5.521,92 brutto.
Ein Abfindungsanspruch folgt nicht aus § 6 TV BB. Dabei kann dahinstehen, ob der Kläger überhaupt
Mitglied der Industriegewerkschaft Metall ist, was er nicht vorgetragen hat. Die erstinstanzlichen
Ausführungen des Klägers zu den Intensionen der IG Metall zum Abschluss des Tarifvertrages zur
Beschäftigungsbrücke in der Metall- und Elektroindustrie Rheinland-Pfalz sind unerheblich. Die tarifliche
Abfindung wäre nach § 6 TV BB mit null Euro zu bemessen. Nach § 6 Abs. 2 TV BB errechnet sich die
Abfindung aus einem Betrag, der mit der Zahl der vollen Kalendermonate - höchstens mit
48 Kalendermonaten - multipliziert wird, die zwischen der Beendigung des Altersteilzeitverhältnisses und
dem Zeitpunkt, an dem der Arbeitnehmer Anspruch auf ungeminderte Altersrente gehabt hätte (spätestens
dem Zeitpunkt der Vollendung des 65. Lebensjahres), liegen. Im vorliegenden Fall liegen zwischen der
Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31.08.2011 und dem Zeitpunkt, an dem der Kläger eine
ungeminderte Rente beanspruchen kann, null Monate. Der Kläger hat einen Anspruch auf eine
ungeminderte Altersrente für schwerbehinderte Menschen. Er erleidet bei einem Renteneintritt mit
63 Jahren keine materiellen Nachteile durch - dauerhafte - Rentenabschläge in Höhe von 7,2 Prozent
(24 Monate x 0,3 Prozent für jeden Monat vorzeitigen Rentenbezugs). Dies hat den völligen Wegfall des
tariflichen Anspruchs auf Zahlung einer Abfindung zur Folge.
3.
des Altersteilzeitarbeitsvertrages ist das Arbeitsgericht zu Unrecht davon ausgegangen, dass dem Kläger
auch dann eine Abfindung zusteht, wenn er bei seinem Ausscheiden mit Vollendung des
63. Lebensjahres eine Altersrente ohne Abschläge beanspruchen kann. Die Parteien haben in § 10 des
Altersteilzeitarbeitsvertrages vom 01.08.2006 keine vertragliche Grundlage für die Zahlung einer
Abfindung in Höhe von € 5.521,92 brutto - unabhängig vom Vorliegen der tariflichen Voraussetzungen -
geschaffen.
Aus Sicht der Berufungskammer sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Beklagte dem
Kläger über die in § 6 TV BB geregelte Abfindung hinaus, eine übertarifliche Abfindung gewähren wollte.
Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die Beklagte das Vertragsmuster „Arbeitsvertrag für
verblockte Altersteilzeit“ für eine Vielzahl von Altersteilzeitarbeitsverträgen entworfen und zum Zwecke des
Vertragsabschlusses lediglich mit den für den Kläger einschlägigen Daten ergänzt hat.
Nach §§ 133, 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie die Parteien sie nach Treu und Glauben unter
Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mussten. Dabei ist vom Wortlaut auszugehen. Zur Ermittlung
des wirklichen Willens der Parteien sind aber auch die außerhalb der Vereinbarung liegenden Umstände
einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen. Vorformulierte
Arbeitsvertragsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so
auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der
normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des
durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind (BAG Urteil vom 18.11.2009
- 4 AZR 514/08 - Rn. 24 - NZA 2010, 170, m.w.N.).
Unter Anwendung dieser Auslegungsgrundsätze auf den vorliegenden Fall hat die Beklagte dem Kläger
weder ausdrücklich noch konkludent zugesagt, eine Abfindung zu zahlen, die nicht in § 6 TV BB
vorgesehen ist.
Das folgt bereits aus dem Wortlaut des Altersteilzeitarbeitsvertrages. Ausweislich der Präambel haben die
Parteien den Vertrag auf der Grundlage mehrerer Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie, nämlich
des Tarifvertrages zum Bruttoaufstockungsmodell Altersteilzeit vom 29.09.2004 (TV BA), des
Tarifvertrages zur Beschäftigungsbrücke in der Fassung vom 31.03.2000 (TV BB) und des Tarifvertrages
zur Altersteilzeit in der Fassung vom 23.11.2004 (TV ATZ) geschlossen. § 6 TV BB sieht - wie bereits
ausgeführt - im vorliegenden Fall keine Abfindung vor.
§ 10 des Altersteilzeitvertrages enthält nur einen deklaratorischen Hinweis auf die Regelungen des § 6
TV BB. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts ist der Wortlaut des § 10 eindeutig. § 305 c Abs. 2 BGB
greift deshalb nicht. Die Norm kommt dann zur Anwendung, wenn die Auslegung einer einzelnen Klausel
in Allgemeinen Geschäftsbedingungen mindestens zwei Ergebnisse als vertretbar erscheinen lässt und
keines den klaren Vorzug verdient. Die objektive Auslegung führt vorliegend nicht zu einem
mehrdeutigen, sondern zu einem klaren Ergebnis. Nach Ausschöpfung aller Auslegungsmethoden
bleiben keine ernsthaften Zweifel mehr. § 10 des Altersteilzeitarbeitsvertrages nimmt ausdrücklich Bezug
auf § 6 TV BB. Das Bezugnahmeobjekt ist ausdrücklich gekennzeichnet. In § 10 heißt es ausdrücklich:
„Herr C. erhält […] eine nach § 6 TV BB vorgesehene Abfindung.“ Aus dieser Formulierung folgt, dass dem
Kläger am Ende des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses eine Abfindung gezahlt werden soll, die der
tariflichen Regelung in § 6 TV BB entspricht. Der Kläger musste davon ausgehen, dass ihm die Beklagte
nur die Leistungen gewähren wollte, zu denen sie tarifvertraglich verpflichtet war, zumal in der Präambel
des Vertrages die maßgebenden Tarifverträge ausdrücklich aufgeführt worden sind.
Zwar erschöpft sich die Vertragsklausel nicht nur darin, dass sich die Beklagte zur Zahlung der „nach § 6
TV BB vorgesehene Abfindung“ verpflichtet hat; sie enthält vielmehr auch die Berechnung „in Höhe von
230,08 EURO x 24 Monaten, entspricht 5.521,92 EURO.“ Aus dieser Berechnung kann ohne Verletzung
der Auslegungsgrundsätze der §§ 133, 157 BGB jedoch nicht gefolgert werden, die Beklagte habe dem
Kläger die „nach § 6 TV BB vorgesehene Abfindung“ unabhängig vom Vorliegen der tariflichen
Voraussetzungen zugestanden. Die Beklagte hat den in § 6 TV BB geregelten Betrag von € 230,08 pro
Monat mit der Anzahl der Kalendermonate multipliziert, die zwischen der Beendigung des
Arbeitsverhältnisses am 31.08.2011 und der Vollendung des 65. Lebensjahres des Klägers (am
30.08.2013) liegen. Dies sind 24 Monate, so dass sich ein Betrag von € 5.521,92 errechnet. Wenn die
Beklagte die tarifvertragliche Rechenformel in § 10 des Altersteilzeitvertrages aufgenommen hat, konnte
der Kläger nicht davon ausgehen, dass ihm die Beklagte auch dann eine Abfindung gewähren will, wenn
er keine Rentenabschläge hinzunehmen hat.
4.
Behinderung oder seines Alters dar, dass er nach Beendigung des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses am
31.08.2011 von der Beklagten keine Abfindung beanspruchen kann.
Die Abfindung dient im vorliegenden Fall dazu, den Nachteil abzumildern, den nichtbehinderte Menschen
des Geburtsjahrgangs des Klägers bei einem Renteneintritt vor Vollendung des 65. Lebensjahres
hinnehmen müssen. Der schwerbehinderte Kläger erleidet - wie bereits ausgeführt - keine
Rentennachteile, weil sich seine gesetzliche Altersrente nicht um Abschläge von 7,2 Prozent vermindert.
Wenn der Kläger darauf hinweist, er habe seit 1963 beanstandungsfrei für die Beklagte „geschuftet“,
verkennt er, dass die Abfindung nach § 6 TV BB bzw. § 10 des Altersteilzeitarbeitsvertrages kein
zusätzliches Entgelt für die in der Vergangenheit geleistete (und bezahlte) Arbeit darstellt, sondern die
Nachteile mildern soll, die Arbeitnehmern dadurch entstehen, dass sie bereits vor dem Erreichen der
jeweiligen Regelaltersgrenze eine vorgezogene Altersrente in Anspruch nehmen. Derartige Nachteile hat
der Kläger nicht. Seine Ausführungen, zum „Überleben der Verrentung“ und den wirtschaftlichen Vorteilen
für seine Erben, liegen neben der Sache. Der Ausschluss einer Abfindung wegen der Möglichkeit des
Bezugs einer ungeminderten Altersrente ist nicht deshalb unwirksam, weil niemand vorhersehen kann,
wann der Rentner stirbt (und aus Sicht des Klägers bei einem frühen Tod eine Abfindung vorteilhafter
wäre als eine Rente ohne Abschläge). Die Tarifvertragsparteien können im Rahmen der Zwecksetzung
ihrer Abfindungsregelung typisieren und an die Berechtigung zum Bezug einer vorgezogenen Altersrente
anknüpfen, ohne im Einzelfall eine Günstigkeitsprognose anstellen zu müssen. Die Ausführungen des
Klägers beruhen im Übrigen auch auf einer Verkennung der rentenversicherungsrechtlichen
Auswirkungen von Rentenabschlägen. Die Rentenabschläge von 7,2 Prozent, die nichtbehinderte
Menschen bei einem Renteneintritt mit 63 statt mit 65 hinzunehmen haben, mindern nicht nur die
Altersrente des Arbeitnehmers (und zwar lebenslang), sondern auch die Hinterbliebenenrente. Eine
ausreichende Versorgung des Klägers durch die gesetzliche Altersrente ist im Altersteilzeitverhältnis der
Parteien dadurch gewährleistet, dass die Beklagte, obwohl der Kläger seit dem 01.01.2007 nur noch
50 Prozent seiner bisherigen Arbeitszeit tätig ist, 95 Prozent der bisherigen Rentenbeiträge zahlt. Eine
nennenswerte Renteneinbuße als Folge der halbierten Arbeitszeit hat der Kläger nicht.
Auch der Hinweis des Klägers auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 12.10.2010 (Az.: C-
499/08) rechtfertigt keine andere Beurteilung der Rechtslage. Die zitierte Entscheidung zu einer
dänischen Entlassungsabfindung in der Rechtssache Andersen ist nicht einschlägig. Der dortige Kläger
war bei seiner Entlassung 63 Jahre alt; er wollte nicht in den Ruhestand treten, sondern seine berufliche
Laufbahn weiterverfolgen. Die Entlassungsabfindung wurde ihm mit der Begründung abgelehnt, dass er
eine Altersrente aus einem betrieblichen Rentensystem beziehen könne. Die Abfindung hatte das Ziel,
Arbeitnehmern, die über eine lange Betriebszugehörigkeit bei demselben Arbeitgeber verfügen, den
Übergang in eine neue Beschäftigung zu erleichtern. Ein solcher Fall ist hier nicht gegeben. Die
Abfindung nach § 6 TV BB hat eindeutig nicht das Ziel, den Übergang in eine neue Beschäftigung zu
überbrücken. Der Kläger wollte bei Vertragsschluss am Ende des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses in den
Ruhestand treten, auch wenn er nach Veröffentlichung der Entscheidung des EuGH - in wenig
überzeugender Weise - nunmehr behauptet, er würde sich nach seinem Ausscheiden bei der Beklagten
nicht nur „rein theoretisch“, einen „neuen Job“ suchen wollen. Nach § 1 Abs. 1 AltTZG soll durch
Altersteilzeitarbeit älteren Arbeitnehmern ein gleitender Übergang vom Erwerbsleben in die Altersrente
ermöglicht werden. Von dieser Möglichkeit hat der Kläger durch Abschluss des Altersteilzeitvertrages am
01.08.2006 Gebrauch gemacht. Sein Sinneswandel, sich nunmehr doch „dem Trend entsprechend“ um
eine neue Arbeit zu bemühen, anstatt eine abschlagfreie Altersrente aus der gesetzlichen
Rentenversicherung zu beziehen, ist unbeachtlich.
5.
prozessualer Vortrag letztlich darauf hinausläuft, dass er sich am Altersteilzeitvertrag nicht (mehr)
festhalten lassen will, wenn ihm keine Abfindung gewährt wird, hat der Kläger eine Anfechtungserklärung
im Sinne des § 143 Abs. 1 BGB nicht abgeben. Sein erstinstanzlicher Vortrag er hätte „niemals“ einen
Altersteilzeitvertrag abgeschlossen, wenn ihm die Beklagte keine Abfindung als „Belohnung“ für die
Reduzierung seines Vollzeitnetto zugesagt hätte, stellt keine Anfechtungserklärung dar. Dies hat der
Prozessbevollmächtigte des Klägers im Rahmen der Erörterung in der mündlichen Verhandlung vor der
Berufungskammer so bestätigt. Der behauptete Irrtum wäre auch unbeachtlich. Das Motiv des Klägers für
den Abschluss des Altersteilzeitvertrages, die Abfindung für eine Kreuzfahrt mit seiner Ehefrau zu
verwenden, könnte eine Anfechtung nicht begründen. Ohne dass es darauf ankäme, nimmt die
Berufungskammer dem Kläger auch nicht ab, dass er den Altersteilzeitvertrag ausschließlich wegen der
erwarteten Abfindung von € 5.521,92 geschlossen hat, und sich keine weiteren Vorteile aus der
Vereinbarung versprach.
III.
Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die
Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht. Der Rechtssache ist insbesondere keine
grundsätzliche Bedeutung beizumessen.