Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 01.12.2010
LArbG Mainz: ordentliche kündigung, wichtiger grund, strafbare handlung, kündigungsfrist, schule, gewaltanwendung, wand, verdachtskündigung, arbeitsgericht, interessenabwägung
LAG
Mainz
01.12.2010
8 Sa 400/10
Unwirksamkeit einer Verdachtskündigung
Aktenzeichen:
8 Sa 400/10
4 Ca 3211/09
ArbG Koblenz
Entscheidung vom 01.12.2010
Tenor:
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 16.6.2010, Az.: 4 Ca
3211/10 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.
Die am 02.06.1967 geborene Klägerin war bei dem Beklagten seit dem 19.01.2004 als Gruppenleiterin in
einer Tagesförderstätte beschäftigt. Dort war sie bereits zuvor seit dem 01.09.1992 in der selben Funktion
bei dem W für die Diözese V tätig. Diese Vorbeschäftigungszeit wurde vom Beklagten
vereinbarungsgemäß auf das vorliegende Arbeitsverhältnis angerechnet. Auf dieses finden aufgrund
einzelvertraglicher Vereinbarung die Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen
W (AVR W) in ihrer jeweils geltenden Fassung Anwendung. Bei den in der Tagesförderstätte, in der die
Klägerin arbeitet, betreuten Menschen handelt es sich durchweg um Menschen mit schwersten geistigen
Behinderungen.
Gegenüber dem Abteilungsleiter der Abteilung "Behindertenhilfen, Arbeiten und Fördern" des Beklagten
äußerte sich eine ehemalige Mitarbeiterin dahingehend, dass die Klägerin den schwerbehinderten Tobias
U zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt im Jahr 2009 mit dem Unterarm an der Kehle gegen die
Wand gedrückt habe und dass die Klägerin diesen Schwerbehinderten "voller Wut" aus dem
Gruppenraum "geschleift" habe. Auch eine weitere ehemalige Mitarbeiterin erklärt gegenüber dem
Abteilungsleiter, die Klägerin habe den Schwerbehinderten aus dem Gruppenraum "geschleift". Diese
Mitarbeiterin äußerte darüber hinaus gegenüber dem Abteilungsleiter, dass die Klägerin "in der Regel" vor
8.00 Uhr Dienstbeginn ihre Zeit erfasst (gestempelt) habe und danach - ohne dies bei der Zeiterfassung
zu berücksichtigen - ihren Sohn zur Schule gebracht habe.
Mit Schreiben vom 01.12.2009 wurde die Klägerin vom Beklagten zu diesen Vorwürfen angehört und
aufgefordert, bis spätestens 06.12.2009 hierzu Stellung zu nehmen. Mit Schreiben vom 04.12.2009 erklärt
die Klägerin, dass sie die Vorwürfe entschieden zurückweise und für ein klärendes Gespräch gerne zur
Verfügung stehe.
Nach Durchführung weiterer Ermittlungen erklärte der Beklagte mit Schreiben vom 16.12.2009 eine
"außerordentliche fristlose Verdachtskündigung" des Arbeitsverhältnisses. Gegen diese Kündigung richtet
sich die von der Klägerin am 23.12.2009 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage.
Die Klägerin hat beantragt:
1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die
außerordentliche fristlose Verdachtskündigung vom 16. Dezember 2009 beendet ist.
2. Hilfsweise für den Fall des Obsiegens hinsichtlich des Antrages zu 1.:
Der Beklagte wird verurteilt, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des
Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Gruppenleiterin in der
Tagesförderstätte Wirges zu beschäftigen.
Der Beklagte hat beantragt:
Die Klage abzuweisen.
Von einer weitergehenden (wiederholenden) Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes
wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Insoweit wird Bezug genommen auf den Tatbestand des
Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 16.06.2010 (Bl. 216 - 226 d.A.).
Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 16.06.2010 stattgegeben. Zur Darstellung der
maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 13 - 22 dieses Urteils (= Bl. 227 - 236 d.A.)
verwiesen.
Gegen das ihm am 13.07.2010 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 02.08.2010 Berufung eingelegt und
diese am 08.09.2010 begründet.
Der Beklagte macht im Wesentlichen geltend, die Entscheidung des Arbeitsgerichts beruhe auf einer
unzulässigen Beweisantizipation. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts habe das Vorliegen eines
dringenden Verdachts gegen die Klägerin, den schwerbehinderten Tobias U körperlich misshandelt zu
haben, nicht verneint werden können. Unzutreffend sei auch die Ansicht des Arbeitsgerichts, der Vorwurf
bzw. Verdacht des Arbeitszeitbetruges sei "zeitlich pauschal" und eine Vernehmung der diesbezüglich
benannten Zeuginnen stelle eine unzulässige Ausforschung dar. Er - der Beklagte - habe vielmehr
diesbezüglich konkrete Tatsachen vorgetragen, nämlich, dass die Klägerin in der Regel (also von
montags bis freitags, mindestens seit Juli 2006) morgens vor acht Uhr eingestempelt habe, danach jedoch
ihren Sohn zur Schule gebracht habe, ohne dafür auszustempeln. Das Arbeitsgericht sei gehalten
gewesen, über diese streitige Behauptung Beweis zu erheben.
Zur Darstellung aller Einzelheiten des Vorbringens des Beklagten im Berufungsverfahren wird auf dessen
Berufungsbegründungsschrift vom 06.09.2010 (Bl. 271 - 279 d.A.) Bezug genommen.
Der Beklagte beantragt,
das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 13.10.2010 (Bl.
288 - 290 d.A.) auf den Bezug genommen wird.
Entscheidungsgründe:
I.
hiernach insgesamt zulässige Rechtsmittel ist jedoch nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat der Klage
vielmehr zu Recht stattgegeben.
1.
streitbefangene außerordentliche Kündigung nicht aufgelöst worden. Die Kündigung erweist sich in
Ermangelung eines wichtigen Grundes i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB als unwirksam.
Ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB ist nach der gesetzlichen Definition gegeben, wenn
Tatsachen vorliegen, die es dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles
und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile unzumutbar machen, das Arbeitsverhältnis für
die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des
Arbeitsverhältnisses fortzusetzen. Es ist daher zunächst zu prüfen, ob einer bestimmter Sachverhalt - ohne
die besonderen Umstände des Einzelfalles - (überhaupt) geeignet ist, einen wichtigen Grund zu bilden.
Sodann ist zu untersuchen, ob unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter
Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die konkrete Kündigung gerechtfertigt ist, d.h. ob es dem
Kündigenden unzumutbar geworden ist, das Arbeitsverhältnis bis zu dem gemäß § 626 Abs. 1 BGB
relevanten Zeitpunkt fortzusetzen.
Da die Klägerin im Zeitpunkt der Kündigung das 40. Lebensjahr vollendet und eine Beschäftigungszeit
von über 15 Jahren bei der Beklagten aufzuweisen hatte, ist sie nach § 14 Abs. 5 der aufgrund
einzelvertraglicher Vereinbarung auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden Richtlinien für Arbeitsverträge in
den Einrichtungen des Deutschen Wes (AVR) ordentlich unkündbar. Ist die ordentliche Kündigung - wie
vorliegend - tariflich ausgeschlossen, so ist im Rahmen der Interessenabwägung bei einer vom
Arbeitgeber erklärten außerordentlichen Kündigung nicht auf die Dauer einer fiktiven Kündigungsfrist,
sondern auf die tatsächliche künftige Vertragsbindung abzustellen. Allerdings kann einem tariflich
unkündbaren Arbeitnehmer außerordentlich fristlos nur dann gekündigt werden, wenn dem Arbeitgeber
die Weiterbeschäftigung nicht einmal bis zum Ablauf der fiktiven Frist zur ordentlichen Beendigung des
Arbeitsverhältnisses zumutbar ist (BAG v. 15.11.2001 - 2 AZR 605/00 - AP Nr. 175 zu § 626 BGB).
Es ist allgemein anerkannt, dass der Verdacht, der Arbeitnehmer könne eine strafbare Handlung zu
Lasten des Arbeitgebers oder eine schwerwiegende Pflichtverletzung begangen haben, geeignet sein
kann, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung zu bilden. Entscheidend ist, dass es
gerade der Verdacht ist, der das zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen des
Arbeitgebers in die Redlichkeit des Arbeitnehmers zerstört oder zu einer unerträglichen Belastung des
Arbeitsverhältnisses geführt hat. Die Verdachtsmomente und die Verfehlungen, deren der Arbeitnehmer
verdächtigt wird, müssen so schwerwiegend sein, dass dem Dienstberechtigten die Fortsetzung des
Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Der Verdacht muss objektiv durch Tatsachen
begründet sein, die so beschaffen sind, dass sie einen verständigen und gerecht abwägenden
Arbeitgeber zum Ausspruch der Kündigung veranlassen können. Der Verdacht muss darüber hinaus
dringend sein, d.h. es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass der gekündigte
Arbeitnehmer die Straftat oder die Pflichtverletzung begangen hat. Der Arbeitgeber muss alle zumutbaren
Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen haben. Er ist insbesondere verpflichtet,
den verdächtigen Arbeitnehmer anzuhören, um ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
Bei Anwendung dieser Grundsätze erweist sich die von der Beklagten vorliegend ausgesprochene
Verdachtskündigung als unwirksam.
a)
Klägerin habe den schwerbehinderten Tobias U zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt im Jahr 2009
mit dem Unterarm an der Kehle gegen die Wand gedrückt und habe ihn auch - wohl bei anderer
Gelegenheit - "voller Wut" aus dem Gruppenraum "geschleift", so bezieht sich dieser Verdacht nicht auf
eine derart schwerwiegende Verfehlung, die es dem Beklagten unter Berücksichtigung aller Umstände
des Einzelfalles unzumutbar machen würde, das Arbeitsverhältnis zumindest noch bis zum Ablauf der
ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen.
Diesbezüglich ist zunächst festzustellen, dass der Sachvortrag der Beklagten keine Anhaltspunkte dafür
bietet, dass sich die Klägerin einer Misshandlung von Schutzbefohlenen nach § 225 StGB strafbar
gemacht hat. Die Anwendung dieser Norm erfordert das Quälen oder das rohe Misshandeln eines
Schutzbefohlenen. Quälen i.S.v. § 225 StGB bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich
wiederholender Schmerzen oder Leiden. Eine rohe Misshandlung liegt vor, wenn der Täter einem
anderen die Körperverletzung aus gefühlloser Gesinnung zufügt (Eschelbach, in: Beck'scher Online-
Kommentar, § 225 StGB Rz. 16 ff m.w.N.). In Ansehung des vom Beklagten nur sehr knapp dargestellten
Fehlverhaltens der Klägerin ("mit dem Unterarm an der Kehle gegen die Wand gedrückt", "aus dem
Gruppenraum geschleift") kann nicht davon ausgegangen werden, dass eines der beiden
Tatbestandsmerkmale (Quälen, rohes Misshandeln) i.S.v. § 225 StGB erfüllt ist.
Allerdings ist nicht zu verkennt, dass die Anwendung körperlicher Gewalt gegenüber einem zu
betreuenden, geistig schwer behinderten Menschen eine Verfehlung darstellt, die - je nach den
Umständen des Einzelfalles, wobei insbesondere das Maß und die Intensität der Gewaltanwendung von
Bedeutung sind - den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung rechtfertigen kann.
Vorliegend lässt sich dem Sachvortrag des Beklagten nicht entnehmen, dass die Klägerin verdächtig ist,
gegenüber dem schwerbehinderten Tobias U ein erhebliches Maß an Gewalt angewendet zu haben. So
ist weder vorgetragen noch ersichtlich, wie lange und insbesondere wie fest sie den Behinderten mit dem
Unterarm an der Kehle an die Wand gedrückt haben soll. Entsprechendes gilt hinsichtlich des Vorwurfs,
den schwerbehinderten U "voller Wut" aus dem Gruppenraum "geschleift" zu haben. Insoweit fehl es
bereits an einer Darlegung, wie lange und wie weit das behauptete "Schleifen" stattgefunden haben soll,
sowie an der Darlegung der diesbezüglich maßgebenden Umstände (lag der Schwerbehinderte auf dem
Boden? Wie wurde er von der Klägerin angepackt?), aus denen sich das konkrete Maß der
Gewaltanwendung ableiten ließe.
Da somit nicht von einem hohen Maß der Gewaltanwendung durch die Klägerin ausgegangen werden
kann, wirkt es sich jedenfalls im Rahmen der Interessenabwägung zum Nachteil des Beklagten aus, dass
er die Klägerin vor Kündigungsausspruch nicht (erfolglos) abgemahnt hat. Nach näherer Maßgabe der
höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. dazu die Nachweise bei Müller-Glöge, in: Erfurter Kommentar
zum Arbeitsrecht, § 626 BGB Rz. 24 ff) folgt aus dem im Rahmen des § 626 BGB geltenden
Verhältnismäßigkeitsprinzip die Notwendigkeit der Abmahnung (vgl. auch § 314 Abs. 2 BGB). Aus dem im
Kündigungsrecht weiter geltenden Prognoseprinzip lässt sich die Notwendigkeit der Abmahnung
ebenfalls herleiten. Der Zweck der Kündigung ist - jedenfalls nach herrschender Meinung - nicht eine
Sanktion für eine begangene Vertragspflichtverletzung, sondern die Vermeidung des Risikos weiterer
(erheblicher) Pflichtverletzungen. Es geht um die Verwirklichung der Vertragspflichten in der Zukunft. Erst
wenn sie nicht mehr erwartet werden kann, erscheint die einseitige Lösung vom Vertrag als gerechtfertigt.
Vorliegend hat der Beklagte die Kündigung wegen des Verdachts eines Verhaltens der Klägerin erklärt,
welches steuerbar ist. Bei einem steuerbaren Verhalten besteht grundsätzlich das
Abmahnungserfordernis (BAG v. 04.06.1997 - 2 AZR 526/96), d.h. wenn also mittels Abmahnung eine
Verhaltensänderung bewirkt und eine Wiederherstellung des Vertrauens erwartet werden kann. Davon,
dass im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs mit einer Verhaltensänderung der Klägerin bezüglich der
Verfehlung, der sie nach Behauptung des Beklagten verdächtig ist, zu rechnen war, ist vorliegend
auszugehen. Darüber hinaus ist im Rahmen der Interessenabwägung zu Gunsten der Klägerin deren
lange Betriebszugehörigkeit seit September 1992 zu berücksichtigen. Zwar ist nicht zu verkennen, dass
der Beklagte jegliche Gewaltanwendung in der von ihm betriebenen Förderstätte schlechthin nicht dulden
kann. Gleichwohl überwiegt bei Abwägung der vorgenannten Umstände das Interesse der Klägerin, das
Arbeitsverhältnis jedenfalls noch bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen, die sich
gemäß §§ 14 Abs. 2 AVR auf 6 Monate zum Quartalsende beliefe, gegenüber dem Interesse des
Beklagten an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
b)
vermag den Ausspruch der streitbefangenen Kündigung ebenfalls nicht zu rechtfertigen. Insoweit fehlt es
bereits an einem dringenden Verdacht, d.h. an einer hohen Wahrscheinlichkeit der behaupteten
Pflichtverletzung.
Nach Behauptung der Beklagten hat sich eine weitere Mitarbeiterin dahingehend geäußert, die Klägerin
habe "in der Regel" morgens vor 8.00 Uhr eingestempelt und erst danach ihren Sohn zur Schule gebracht,
ohne dies bei der Zeiterfassung zu berücksichtigen. Die betreffende Behauptung bezieht sich auf einen
Zeitraum von mehreren Jahren, ohne dass der Beklagte einen einzigen konkreten Tag benennen konnte,
an dem die Klägerin eines solchen Fehlverhaltens verdächtig ist.
Die pauschale Formulierung "in der Regel" erweist sich jedoch insbesondere auch deshalb als
unsubstantiiert, weil sich aus den vom Beklagten bereits erstinstanzlich zu den Akten gereichten
Auswertungen der elektronischen Zeiterfassung seit Juli 2006 ergibt, dass die Klägerin an einer sehr
erheblichen Anzahl von Arbeitstagen erst nach Schulbeginn (dieser war unstreitig um 7.45 Uhr)
eingestempelt hat. Darüber hinaus liegt es auf der Hand, dass sich die Klägerin auch während der
Schulferien nicht in der behaupteten Weise verhalten haben kann. Das Vorbringen, die Klägerin sei
verdächtig, "in der Regel" die betreffende Pflichtverletzung begangen zu haben, erweist sich von daher als
völlig unsubstantiiert.
Letztlich kann auch die Behauptung der Beklagten, die Klägerin habe freitags vormittags die bereits um
7.00 Uhr beginnenden Teamsitzungen verlassen, um ihren Sohn zur Schule zu fahren, den Ausspruch der
streitbefangenen Kündigung nicht rechtfertigen. Die Klägerin hat hierzu vorgetragen, sie habe sich freitags
gegen 7.45 Uhr auf den Weg gemacht, um für das nachfolgende gemeinsame Frühstück Brötchen zu
holen und dabei ihren Sohn an der Grundschule vorbeigebracht, die auf dem direkten Weg zwischen
Arbeitsplatz und Bäckerei liege, wobei sie die betreffenden Zeiten als "Dienstgang" gestempelt habe.
Dieses Vorbringen steht in Einklang mit dem Inhalt der von der Beklagten vorgelegten elektronischen
Zeiterfassungslisten, aus denen sich ergibt, dass die Klägerin an einer Vielzahl von Freitagen früh
vormittags, noch vor 8.00 Uhr, einen sog. Dienstgang eingestempelt hat. Die seitens der Klägerin
behauptete Verfahrensweise wird seitens des Beklagten nicht als vertragswidrig gerügt. Der Beklagte
bestreitet vielmehr lediglich, das betreffende Vorbringen der Klägerin, was sich jedoch im Hinblick auf die
ihm obliegende Darlegungs- und Beweislast als unzureichend erweist.
c)
ordentlichen Kündigung zu wahrenden Auslauffrist liegen nicht vor.
Eine solche Kündigung ist nicht ausgesprochen worden. Die Annahme einer solchen Kündigung kommt
nur im Wege der Umdeutung in Betracht. Eine Umdeutung einer außerordentlichen fristlosen Kündigung
in eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist setzt jedoch voraus, dass ein
Mitbestimmungsverfahren nach den für ordentliche Kündigungen geltenden Vorschriften durchgeführt
worden ist (BAG v. 18.10.2000 - 2 AZR 627/99 - EzA § 626 BGB Krankheit Nr. 3; BAG v. 15.11.2001 - 2
AZR 605/00 - EzA § 626 BGB Nr. 192). Vorliegend wurde die Mitarbeitervertretung ausweislich des vom
Beklagten vorgelegten Anhörungsschreibens vom 11.12.2009 (Bl. 101 f. d.A.) nur zu einer
außerordentlichen fristlosen Kündigung beteiligt. Bezüglich einer solchen Kündigung muss die
Mitarbeitervertretung gemäß § 31 der Mitarbeitervertretungsordnung der W(MAVO) etwaige
Einwendungen innerhalb von 3 Tagen geltend machen, andernfalls die Kündigung als nicht beanstandet
gilt. Bei einer ordentlichen Kündigung steht der Mitarbeitervertretung nach § 30 Abs. 2 MAVO insoweit
eine Frist von einer Woche zu. Diese Wochenfrist hat der Beklagte vorliegend nicht eingehalten. Vielmehr
hat er die Mitarbeitervertretung mit Schreiben vom 11.12.2009 angehört und bereits mit Schreiben vom
16.12.2009 die außerordentliche Kündigung ausgesprochen, ohne dass sich die Mitarbeitervertretung vor
Kündigung geäußert hat. Ein Mitbestimmungsverfahren nach der für eine ordentliche Kündigung
maßgeblichen Vorschrift hat somit nicht stattgefunden.
2.
Da der Kündigungsschutzklage stattzugeben war, hat die Klägerin einen Anspruch auf tatsächliche
Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens.
III.
zurückzuweisen.
Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien
keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde
anzufechten (§ 72 a ArbGG), wird hingewiesen.