Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 13.09.2007

LArbG Mainz: ordentliche kündigung, arbeitsgericht, rückfall, vergleich, zukunft, behinderung, konsum, befristung, beendigung, abhängigkeit

LAG
Mainz
13.09.2007
4 Sa 35/07
Alkoholkrankheit und Kündigung
Aktenzeichen:
4 Sa 35/07
2 Ca 486/06
ArbG Ludwigshafen
Entscheidung vom 13.09.2007
Tenor:
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 30.08.2006 - AZ: 2
Ca 486/06 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision an das Bundesarbeitsgericht wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung der Beklagten, bei der der Kläger
seit 04.06.1973 als gewerblicher Mitarbeiter in der Kocherei der Baumwollbleicherei im Werk K beschäftigt
ist. Die Kündigung vom 09.02.2006 (Bl. 5 d. A.) wird von der Beklagten darauf gestützt, dass der Kläger
nach früheren alkoholbedingten Ausfallzeiten erneut am 22.12.2005 und dann wieder am 20.01.2006 im
Betrieb alkoholisiert angetroffen worden sei.
Von einer wiederholenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes sowie des erstinstanzlichen
Parteivorbringens wird abgesehen und auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils Bezug
genommen, § 69 Abs. 2 ArbGG.
Der Kläger hat beantragt:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 09.02.2006 zum 30.09.2006
nicht beendet ist.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat im angefochtenen Urteil die Klage in der Begründung abgewiesen,
dass zum einen die fehlende Zustimmung des Versorgungsamtes die Kündigung deshalb nicht
unwirksam werden lasse, weil der Kläger den Grad der Behinderung nicht innerhalb der Dreiwochenfrist
der Beklagten mitgeteilt habe und zum anderen sei die Kündigung sozial gerechtfertigt.
Die Beklagte sei berechtigt gewesen eine personenbedingte Kündigung zu erklären, weil der Kläger
aufgrund seiner Alkoholabhängigkeit die Voraussetzungen erfülle, die die von der Rechtsprechung an die
Wirksamkeit einer personenbedingten Kündigung im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG, der unstreitig
Anwendung findet, stelle. Beim Kläger sei bezogen auf den Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung
damit zu rechnen, dass er auch in Zukunft wegen seiner Alkoholabhängigkeit arbeitsunfähig krank
ausfalle bzw. Leistungseinschränkung aufweisen werde. Die Beklagte habe den Kläger veranlasst im
Jahre 2002 eine Rehabilitationsmaßnahme zur Entziehung durchzuführen. Die Beklagte habe deshalb
eine negative Prognose im Hinblick auf die künftige Gesundheitsentwicklung des Klägers treffen dürfen,
weil er am 20.01.2006 einen Rückfall erlitten habe. Der Kläger sei zu Beginn der Schicht stark
alkoholisiert gewesen und habe zugegeben eine Flasche Bier getrunken zu haben. Allein dieser Rückfall
lege nahe, dass sich auch in Zukunft an der Alkoholkrankheit und damit mit den einhergehenden
Ausfällen zu rechnen sei.
Auch eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen auf Seiten der Beklagten sei
gegeben, weil der Kläger auf seinem bisherigen Arbeitsplatz, der Gefahren für die Arbeitskollegen und für
den Kläger selbst mit sich bringe, nicht mehr einsetzbar sei. Der Kläger arbeite in einer Höhe von drei
Metern und müsse mit Drähten und Bänden gesicherte Stoffballen entsichern und dann durch eine
verschließbare Öffnung von einem Meter Durchmesser in den Kocher befüllen. Diese gefährliche Tätigkeit
verlange, dass der Mitarbeiter in nüchternem Zustand am Arbeitsplatz erscheine.
Die Beklagte habe auch ausreichend dargelegt, in welchem Umfange sie seit Jahre Entgeltfortzahlung
leiste und habe mehrere Gespräche mit dem Kläger geführt, ihn zur Teilnahme an den Sitzungen der
Selbsthilfegruppe Blaues Kreuz bewegt, wobei sie die Kontrolle durch Vorlage der Bescheinigungen
gefordert habe. Zudem habe die Beklagte dem Kläger nach der Kündigung vom 26.07.2005 eine
Wiedereinstellungszusage gegeben, so dass sie auch ihrer Fürsorgepflicht in ausreichendem Maße
nachgekommen sei.
Nach Zustellung des Urteils am 18.12.2006 ist die Berufung am 12.01.2007 eingelegt und mit Schreiben
vom 05.03.2007 innerhalb verlängerter Frist im Wesentlichen damit begründet worden,
dass der Kläger schwerbehindert sei und die Beklagte sich nicht darauf berufen könne, dass die
prognostizierten Fehlzeiten zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen geführt
hätten. Zudem habe der Kläger dem Alkohol endgültig abgeschworen und nehme nunmehr ernsthaft an
den Sitzungen des Blauen Kreuzes teil und die Beklagte hätte dem Kläger die Chance zu einer
Entziehungskur einräumen müssen.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und nach den in der Schlussverhandlung erster Instanz gestellten
Anträgen des Berufungsklägers zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die arbeitsgerichtliche Entscheidung im Wesentlichen damit, dass der Kläger im Zeitpunkt
des Ausspruchs der Kündigung über einen Zeitraum von sechs Jahren in erheblichem Umfange
krankheitsbedingt an seinem Arbeitsplatz gefehlt habe und dabei in drei Jahren über 50 % der Arbeitszeit.
Die betriebsübliche Fehlquote liege durchschnittlich bei 8 %.
Die Behauptung im Schreiben vom 02.03.2007, dass der Kläger nunmehr endgültig dem Alkohol
abgeschworen habe, lasse eine andere Bewertung deshalb nicht zu, weil es auf den Zeitpunkt des
Zugangs der Kündigungserklärung ankomme. Zu diesem Zeitpunkt seien die Voraussetzungen erfüllt
gewesen, um eine personenbedingte Kündigung zu erklären, zumal der Sonderkündigungsschutz als
Schwerbehinderter deshalb nicht zu berücksichtigen sei, weil der Kläger ihn nicht rechtzeitig geltend
gemacht habe.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf den Inhalt der
Schriftsätze nebst deren Anlagen, die im Berufungsverfahren zur Akte gereicht wurden und Gegenstand
der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, aber deshalb nicht begründet, weil
das Arbeitsgericht die Kündigungsschutzklage zu Recht abgewiesen hat.
Zu Recht ist das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass die Mitteilung, der Kläger habe einen Grad der
Behinderung von 50 deshalb nicht zu seinen Gunsten berücksichtigt werden kann, weil er diesen
Bescheid erst mit Schreiben vom 22.05.2006 vorgelegt habe, obwohl ihm der Bescheid bereits am
08.03.2006 erteilt worden ist. Auch die Berufungskammer schließt sich der Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichtes diesbezüglich an, so dass der Kläger verpflichtet gewesen wäre, drei Wochen
nach Erhalt der Bescheinigung dem Arbeitgeber davon Mitteilung zu machen, dass er nunmehr den
besonderen Schutz des Schwerbehinderten für sich in Anspruch nehmen kann.
Darüber hinaus ist das Arbeitsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen erfüllt
sind, die nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes für krankheitsbedingte Kündigungen,
deren Unterfall einer auf Alkoholabhängigkeit gestützte Kündigung ist, zu fordern sind.
Unter richtiger Darstellung der Voraussetzungen, die die höchstrichterliche Rechtsprechung aufstellt,
kommt das Arbeitsgericht zu dem Ergebnis, dass die Kündigung als krankheitsbedingte personenbedingte
Kündigung gerechtfertigt ist.
Der Kläger weist erhebliche Fehlzeiten in der Vergangenheit auf, wobei er sich nicht auf ein einfaches
Bestreiten der im einzelnen aufgelisteten Fehlzeiten beschränken kann, da es sich dabei um Umstände
handelt, die in sein Wissen gestellt sind.
Auch die betrieblichen Beeinträchtigungen hat das Arbeitsgericht zu Recht in der Tatsache gesehen, dass
der Kläger, in der Vergangenheit sehr häufig nicht einsetzbar gewesen ist und darüber hinaus bei der
gefährlichen Tätigkeit auch erhöhten Gefahren ausgesetzt ist, die die Beklagte nicht auf Dauer
hinzunehmen gezwungen ist. Die unstreitig vom Kläger durchzuführende Tätigkeit ist mit einem
Gefahrenpotenzial verbunden, welches jederzeit zu einem schwerwiegenden Unfall führen kann, was sich
insbesondere dadurch verstärkt, dass der Kläger wieder Ende 2005 Anfang 2006 alkoholbedingte
Ausfallerscheinungen gezeigt hat.
Auch die negative Zukunftsprognose, was die künftigen Fehlzeiten des Arbeitnehmers anlangt, hat das
Arbeitsgericht richtig abgehandelt, weil ein Arbeitnehmer, der an Alkoholabhängigkeit leidet, jeden
Konsum von Alkohol meiden muss, um einen Rückfall zu verhindern. Der Kläger hat im Zeitraum 01. bis
17.02.2006 eine Entgiftungsmaßnahme hinter sich gebracht, was belegt, dass es einen Rückfall bei ihm
gegeben hat, der, da die Entgiftungsmaßnahme keine dauerhafte Lösung mit sich bringt, Anlass gibt
anzunehmen, dass mit weiteren Ausfällen zu rechnen ist.
Auch bei der Interessensabwägung ist zugunsten der Beklagten ausschlaggebend, dass sie von sich aus
den Kläger im Jahr 2002 dazu bewegte, eine langfristige Entziehungsmaßnahme anzutreten, um ihm die
Chance zu geben, von seiner Abhängigkeit geheilt zu werden. Die vom Kläger vertretene Ansicht, dass
diese Haltung der Beklagten erneut nach dem Rückfall im Jahr 2006 gefordert werden muss, geht deshalb
fehl, weil der Kläger bereits eine derartige Maßnahme durchgeführt hat, die eigentlich zu einer
endgültigen Heilung führen soll. Die Berufungskammer sieht in dem Vergleich, den die Verfahren in
einem früheren Kündigungsschutzverfahren am 05.10.2005 geschlossen haben, keine Vereinbarung, die
die vorliegende Kündigung ausschließt. Die Parteien haben zwar vereinbart, dass das Arbeitsverhältnis
am 28.02.2007 seine Beendigung finden wird. Diese Regelung stellt keine Befristung dar, die
grundsätzlich eine ordentliche Kündigung des Arbeitgebers ausschließt, sondern lediglich eine
Verlängerung der ursprünglichen Kündigungsfrist um ein Jahr, indem dem Kläger eine Bewährungsfrist
eingeräumt werden sollte. Mit diesem Vergleich wird auch nicht der krankheitsbedingte personenbedingte
Kündigungsgrund auf eine verhaltensbedingte Ebene gehoben, wofür Ziffer 2 des Vergleiches sprechen
könnte, sondern der anerkennenswerte Versuch unternommen, einen Leidensdruck auf den Kläger
auszuüben, der ihm helfen soll, mit seiner Sucht fertig zu werden. Die Beteuerung des Klägers, dass er
nunmehr von seiner Alkoholsucht befreit sei, bleibt deshalb zu Recht unberücksichtigt, weil diese
Erklärung erst für einen Zeitraum gilt, der weit nach Zugang der hier streitgegenständlichen Kündigung
liegt.
Die Entscheidung des Arbeitsgerichtes ist zutreffend, weswegen die Berufung des Klägers mit der
Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen ist.
Eine gesetzlich begründbare Veranlassung, die Revision zuzulassen, besteht angesichts der Vorgaben in
§ 72 Abs. 2 ArbGG nicht.
Der Kläger wird darauf hingewiesen, dass die Nichtzulassung der Revision selbst-
ständig durch Beschwerde angefochten werden kann, § 72 a ArbGG.