Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 13.11.2007
LArbG Mainz: treu und glauben, abmahnung, kündigungsfrist, geschäftsführer, gespräch, arbeitsgericht, bahn, zugang, interessenabwägung, treuepflicht
LAG
Mainz
13.11.2007
3 Sa 964/06
Gestörtes Vertrauensverhältnis
Aktenzeichen:
3 Sa 964/06
2 Ca 773/06
ArbG Mainz
Entscheidung vom 13.11.2008
Tenor:
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 12.10.2006 - 2 Ca 773/06
- abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
III. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 802,00 EUR festgesetzt.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der am 22.03.1958 geborene Kläger ist seit dem 01.04.1999 bei der Beklagten beschäftigt gewesen. Das
Schreiben der Beklagten vom 23.03.2006 (Bl. 36 d.A.) beantwortete der Kläger mit dem Anwaltsschreiben
vom 27.03.2006 (Bl. 35 d.A.). Mit dem Schreiben vom 30.03.2006 (Bl. 5 d.A.), dem Kläger am 31.03.2006
zugegangen, kündigte die Beklagte dem Kläger (in erster Linie) fristlos.
Zur näheren Darstellung (insbesondere) des (erstinstanzlichen) Sach- und Streitstandes im übrigen wird
gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts vom
12.10.2006 - 2 Ca 773/06 - (dort S. 2 ff. = Bl. 137 ff. d.A.). Nach näherer Maßgabe seines Urteilstenors hat
das Arbeitsgericht (sinngemäß) festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht (bereits) mit dem
31.03.2006 aufgelöst worden ist, sondern erst mit Ablauf des 31.05.2006.
Gegen das ihr am 04.12.2006 zugestellte Urteil vom 12.10.2006 (nebst Berichtigungsbeschluss vom
24.11.2006) hat die Beklagte am 13.12.2006 - und erneut am 02.01.2007 - Berufung eingelegt und diese
am 19.02.2007 - innerhalb verlängerter Berufungsbegründungsfrist (s. dazu den Verlängerungsbeschluss
vom 15.01.2007, Bl. 172 d.A.) - begründet. Zwecks Darstellung aller Einzelheiten der
Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 19.02.2007 (Bl. 186 ff. d.A.) verwiesen.
Dort beanstandet die Beklagte u.a. (s. B. II. 2. h) bb) der Berufungsbegründung, dort S. 24 f. = Bl. 209 f.
d.A.), dass das Arbeitsgericht die Aussage des Klägers gegenüber dem Zeugen A. nicht angemessen
gewürdigt habe, wonach der Kläger noch 150 Karten für die Kartbahn habe und jemanden suche, um
diese kaputt zu fahren (vgl. dazu den Vortrag der Beklagten auf S. 3 des Schriftsatzes vom 07.06.2006 dort
diese kaputt zu fahren (vgl. dazu den Vortrag der Beklagten auf S. 3 des Schriftsatzes vom 07.06.2006 dort
unter 2. (= Bl. 33 d.A.)).
Die Beklagte ergänzt dazu:
"dass nach Kenntnis der Beklagten dem Zeugen A. dies 3 oder 4 Tage vor dem Zugang der Kündigung an
den Kläger gesagt wurde und der Geschäftsführer der Beklagten dies unmittelbar vor dem Ausspruch der
Kündigung erfahren hatte. Da in jedem Fall die Kündigung innerhalb von einer Frist von 2 Wochen nach
Erlangung der Kenntnis durch den Zeugen A. erfolgte, kann die Frist durch die Beklagte nicht
überschritten worden sein".
Die Beklagte entnimmt den in das Wissen der Zeugen A. und B. gestellten Äußerungen des Klägers, dass
der Kläger stark mit seiner Ehefrau (C. E., der Klägerin des Verfahrens - 2 Ca 737/06 - = 3 Sa 975/06 -)
sympathisiere und dass daher davon auszugehen gewesen sei, dass der Kläger alles unternehmen
würde, um sie (C. E.) vor zivilrechtlichen und strafrechtlichen Maßnahmen zu schützen, also auch
Beweisvereitelungen vornehmen würde. Daher habe neben dem Grund einer versuchten Anstiftung zur
Beschädigung von Sachen des Arbeitgebers auch wegen der Verdeckungsgefahr ein Kündigungsgrund
bestanden. Die Beklagte entnimmt den (von ihr) geschilderten Äußerungen (des Klägers) gegenüber den
Zeugen A. und B. außerdem, dass der Kläger es in Betracht ziehe, die Beklagte weiterhin aktiv zu
schädigen. Weiter stützt die Beklagte die Kündigung auf die von ihr behauptete Beteiligung des Klägers
an den (von der Beklagte ebenfalls behaupteten) Unterschlagungen der Ehefrau des Klägers, der C. E..
Im Berufungsverfahren (einschließlich des Verfahrens über das Ablehnungsgesuch der Beklagten vom
01.06.2007) äußert sich die Beklagte weiter mit den folgenden Schriftsätzen, auf deren Inhalt jeweils
verwiesen wird:
vom 19.03.2007 (Bl. 259 ff. d.A.),
vom 01.06.2007 (Bl. 315 ff. d.A.),
vom 16.07.2007 (Bl. 358 ff. d.A.),
vom 03.09.2007 (Bl. 390 d.A.).
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des am 12.10.2006 verkündeten und am 04.12.2006 zugestellten Urteils des
Arbeitsgerichts Mainz - 2 Ca 773/06 - die Klage insgesamt abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts nach näherer Maßgabe seiner Ausführungen in der
Berufungsbeantwortung vom 28.03.2007 (Bl. 296 ff. d.A.), worauf verwiesen wird. Der Kläger vertritt u.a.
die Auffassung, dass die Beklagte letztlich keinen konkreten, substantiierten und einer Beweiserhebung
zugänglichen Sachverhalt vorgebracht habe, welcher das Vorliegen von wichtigen Gründen zum
Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung rechtfertigen würde.
Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes im übrigen wird auf den weiteren Akteninhalt Bezug
genommen.
Die Berufungskammer hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschuss vom 13.11.2007 - 3 Ca 964/06 -
durch Vernehmung der Zeugen A. und B..
Die Zeugenaussagen sind festgehalten in der Sitzungsniederschrift vom 13.11.2007, dort S. 3 ff. (= Bl. 395
ff. d.A.: A.) und S. 6 ff. (= Bl. 398 ff. d.A.: B.). Hierauf wird zwecks Darstellung des Inhalts der
Beweisaufnahme verwiesen.
Entscheidungsgründe:
I.
hiernach zulässige Berufung ist begründet. Die Berufung führt zur Klageabweisung insgesamt.
II.
Feststellungsbegehren in vollem Umfang als unbegründet. Die außerordentliche Kündigung hat das
Arbeitsverhältnis der Parteien mit ihrem Zugang, d. h. am 31.03.2006, fristlos aufgelöst.
1.
hätte die Beklagte gemäß § 622 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB eine Kündigungsfrist von 2 Monaten zum Ende
eines Kalendermonats, - hier also bis zum 31.05.2006, einhalten müssen. Dies ist der Beklagten unter den
gegebenen Umständen unzumutbar im Sinne des Gesetzes (§ 626 Abs. 1 BGB) gewesen. Aufgrund
seiner Äußerung gegenüber dem Zeugen A. (- sinngemäß dahingehend, dass er "dem H. einen
reindrücken" wolle, … "er suche noch jemanden, der die Bahn und Karts kaputtfahren würde" -) hat der
Kläger der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen
Kündigungsfrist unzumutbar gemacht.
Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne
Einhaltung einer Kündigungsfrist (nur) dann gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer
dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der
Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der
Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden
kann. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung, der die Berufungskammer folgt, ist insoweit zunächst
zu fragen, ob objektive Tatsachen vorliegen, die an sich geeignet sind, die Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses unzumutbar zu machen. Kündigungsgrund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB kann
dabei jeder Sachverhalt sein, der objektiv das Arbeitsverhältnis mit dem Gewicht eines wichtigen Grundes
belastet. Die Äußerungen, die der Kläger gegenüber dem Zeugen A. gemacht hat, stellen einen
Sachverhalt dar, der an sich geeignet ist, das Arbeitsverhältnis in diesem Sinne zu belasten. Liegt - wie
hier - eine rechtswidrige Verletzung einer Vertragspflicht vor, dann setzt die außerordentliche Kündigung
aus wichtigem Grund außerdem ein schuldhaftes, vorwerfbares Verhalten des Arbeitnehmers voraus.
Auch diese Voraussetzung ist erfüllt.
2.
Treuepflicht (Loyalitätspflicht) des Arbeitnehmers den Arbeitgeber zur außerordentlichen Kündigung -
unter Umständen auch ohne vorherige Abmahnung - berechtigen. Soweit dies nach Treu und Glauben
billigerweise (§ 242 BGB) von ihm verlangt werden kann, hat der Arbeitnehmer während des
Arbeitsverhältnisses alles zu unterlassen, was dem Arbeitgeber oder dem Betrieb abträglich ist. In
ähnlichem Umfang muss er sich auch - über seine eigentliche Arbeitsverpflichtung gemäß § 611 Abs. 1
BGB hinaus - im Rahmen des § 241 Abs. 2 BGB für den Arbeitgeber und den Betrieb einsetzen.
Erhebliche Verletzungen dieser Treuepflicht - und daraus resultierender arbeitsvertraglicher
Nebenpflichten - können zur außerordentlichen Kündigung führen.
3.
gemäß § 241 Abs. 2 BGB verstoßen. Er hat dem Zeugen A. gegenüber unverhohlen kundgetan, dem
Geschäftsführer und dem Betrieb der Beklagten Schaden zufügen zu wollen. Aufgrund der durchgeführten
Beweisaufnahme (Vernehmung des Zeugen A.) ist die Berufungskammer davon überzeugt, dass der
Kläger wenige Tage vor Zugang der Kündigung vom 30.03.2006 sich gegenüber dem Zeugen A. (etwa)
wie folgt geäußert hat:
Er wolle "dem H. einen reindrücken", - er habe noch 150 Karten für die Bahn. Er suche noch jemanden,
der die Bahn und Karts kaputtfahren würde.
Die Berufungskammer hält den Zeugen A. aufgrund des Aussageverhaltens des Zeugen und aufgrund
des von dem Zeugen gewonnenen persönlichen Eindrucks für glaubwürdig. Die Zeugenaussage ist
glaubhaft und ohne wesentliche innere Widersprüche. Da die Berufungskammer gemäß § 286 Abs. 1 ZPO
von der Richtigkeit der Zeugenaussage überzeugt ist, wird sie dem vorliegenden Urteil zugrunde gelegt.
Weder der Umstand, dass der Zeuge zeitweise für die Beklagte gearbeitet hat, noch sonstige Umstände
rechtfertigen hier die Annahme, dass der Zeuge vor Gericht falsch ausgesagt hat.
b)
Klägers mit dem Zeugen fand in der Zeit zwischen dem 19.03.2006 und dem 30.03.2006 fest. Soweit der
Zeuge bekundet hat, der Kläger habe damals geäußert, dass H. (E.), also der Geschäftsführer der
Beklagten, ihn und seine Frau "rausgeschmissen habe", kann daraus nicht abgeleitet werden, dass sich
das Gespräch in den Räumen der Bowlingbahn erst nach Ausspruch der hier streitgegenständlichen
Kündigung ereignet hätte. Mit "rausgeschmissen" meinte der Kläger erkennbar das Geschehen vom
19.03.2006 als ihm - nach seiner Darstellung auf Seite 2 des Schriftsatzes vom 05.07.2006 (= Bl. 38 d.A.) -
bereits mündlich gekündigt und Hausverbot erteilt worden war (- dieses Hausverbot wird auch im
Schreiben der Beklagten vom 23.03.2006, Bl. 36 d.A., erwähnt; in ähnlicher Weise hat auch die C. E. in
ihrer Klageschrift vom 27.03.2006 [- 2 Ca 737/06 -], dort S. 2 [= Bl. 2 jener Akte], behauptet, dass ihr vor der
schriftlichen Kündigung vom 23.03.2006 bereits am 19.03.2006 mündlich gekündigt worden sei).
Aufgrund der weiteren Bekundungen des Zeugen ist die Berufungskammer davon überzeugt, dass das
Gespräch des Klägers mit dem Zeugen am Samstag, dem 25.03.2006, stattgefunden hat. Daraus ergibt
sich, dass die Beklagte die 2-wöchige Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten hat.
Dies gilt selbst dann, wenn die Beklagte, vertreten durch ihren Geschäftsführer, erst nach dem
30.03./31.03.2006 von dem Kündigungssachverhalt, von dem der Zeuge A. berichtet hat, Kenntnis erlangt
haben sollte. Allgemeinen Grundsätzen entsprechend durfte die Beklagte dann diesen
Kündigungssachverhalt "nachschieben". Es ist anerkanntes Recht, dass in einem Fall der vorliegenden
Art dem Nachschieben erst später bekanntgewordener Gründe nicht unter Berufung auf die Frist des §
626 Abs. 2 BGB begegnet werden kann. Der Kündigende ist nicht verpflichtet, binnen dieser
Erklärungsfrist von 2 Wochen den ihm nun bekannten Grund nachzuschieben.
c)
geeignet ist, die außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Die gemäß § 626 Abs. 1 BGB weiter
durchzuführende Interessenabwägung führt nicht zum Erfolg des Kündigungsschutzantrages. Das
Interesse der Beklagten an der fristlosen Beendigung des Arbeitsverhältnisses überwiegt das
Bestandsschutzinteresse des Klägers auch dann, wenn man die zugunsten des Klägers sprechenden
Umstände, wie insbesondere Lebensalter und Dauer der Betriebszugehörigkeit, in die Abwägung
einbezieht. Der Kläger hat durch seine Äußerung gegenüber dem Zeugen A. die für die Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses unbedingt notwendige Vertrauensgrundlage irreparabel zerstört. Die Äußerung
belegt eindeutig die - von Schädigungsabsicht geprägte - feindselige Einstellung des Klägers gegenüber
der Beklagten. Weder im Rahmen der Prüfung des eigentlichen Kündigungssachverhalts, noch im
Rahmen der Interessenabwägung wirkt sich das Fehlen einer einschlägigen Abmahnung zum Nachteil
der Beklagten aus. Es liegt ein derart schuldhaftes, pflichtwidriges Verhalten des Klägers vor, dass bei
Kündigungsausspruch nicht zu erwarten war, aufgrund einer Abmahnung könnte die zerstörte
Vertrauensgrundlage wieder hergestellt werden. Es handelt sich vorliegend um eine schwere
Pflichtverletzung, deren Rechtswidrigkeit für den Kläger ohne weiteres erkennbar war und bei der eine
sanktionslose Hinnahme des Verhaltens durch die Beklagte offensichtlich ausgeschlossen war. Damit war
die Abmahnung entbehrlich.
III.
31.03.2006 aufgelöst worden ist. Dies führt zur Abweisung des Feststellungsbegehrens insgesamt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wurde gemäß § 63 Abs. 2 GKG neu festgesetzt. Für das
Berufungsverfahren war der Höchstbetrag des § 42 Abs. 4 S. 1 GKG nicht auszuschöpfen. Dies ergibt sich
daraus, dass bereits das Arbeitsgericht den über den 31.05.2006 hinausreichenden
Kündigungsschutzantrag abgewiesen hat. Im Berufungsverfahren ging es lediglich noch um die Frage, ob
das Arbeitsverhältnis über den 31.03.2006 hinaus bis zum 31.05.2006 fortbestanden hat. Das
wirtschaftliche Interesse des Klägers an einer diesbezüglichen Feststellung entspricht der auf diesen
Zeitraum von 2 Monaten entfallenden Vergütung (= 2 x 401,00 EUR = 802,00 EUR).
Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst. Die Nichtzulassung der Revision durch das
Landesarbeitsgericht kann nach näherer Maßgabe des § 72a ArbGG und unter den dort genannten
Voraussetzungen selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem
Bundesarbeitsgericht, Hugo-Preuss-Platz 1, 99084 Erfurt/Postanschrift: 99113 Erfurt, einzulegen. Darauf
wird der Kläger hingewiesen. Derzeit findet gegen das vorliegende Urteil keine Revision statt.