Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 10.07.2007

LArbG Mainz: einstweilige verfügung, belastung, verkündung, arbeitsgericht, kündigungsfrist, quelle, wettbewerbsfähigkeit, sozialplan, form, datum

LAG
Mainz
10.07.2007
3 SaGa 9/07
Entbindung von Weiterbeschäftigungspflicht
Aktenzeichen:
3 SaGa 9/07
1 Ga 3/07
ArbG Koblenz
Entscheidung vom 10.07.2007
Tenor:
1. Unter Zurückweisung der Berufung im übrigen wird auf die Berufung des Verfügungsbeklagten das
Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 14.03.2007 - 1 Ga 3/07 - teilweise wie folgt abgeändert:
Für die Zeit ab Verkündung dieses Berufungsurteils - 3 SaGa 9/07 - wird die einstweilige Verfügung vom
14.03.2007 - 1 Ga 3/07 aufgehoben; insoweit werden die Entbindungsanträge der Verfügungsklägerin
hinsichtlich der Weiterbeschäftigung des Verfügungsbeklagten in Bezug auf die zum 31.01.2007, zum
30.04.2007 und zum 30.06.2007 ausgesprochenen Kündigungen zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
3. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 3500,00 EUR festgesetzt.
4. Die Revision wird - da sie nicht zugelassen werden darf - nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Verfügungsklägerin kündigte dem Verfügungsbeklagten ungeachtet des jeweiligen Widerspruchs des
Betriebsrates zum 31.01.2007, zum 30.04.2007 und zum 30.06.2007. Zur näheren Darstellung
(insbesondere) des (erstinstanzlichen) Sach- und Streitstandes im Übrigen wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG
Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts vom 14.03.2007 - 1 Ga 3/07 - (dort
S. 3 ff. = Bl. 70 ff. d.A.). Im vorbezeichneten Urteil (= einstweilige Verfügung vom 14.03.2007 - 1 Ga 3/07 -)
hat das Arbeitsgericht die Verfügungsklägerin von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung des
Verfügungsbeklagten nach Ablauf der Kündigungsfrist der ersten Kündigung über den 31.01.2007 hinaus,
nach Ablauf der Kündigungsfrist der zweiten Kündigung über den 30.04.2007 hinaus sowie nach Ablauf
der dritten Kündigung über den 30.06.2007 hinaus entbunden und den Streitwert auf 3.500,-- EUR (= 1
Bruttomonatsgehalt) festgesetzt. Gegen das am 20.03.2007 zugestellte Urteil vom 14.03.2007 - 1 Ga 3/07
- hat der Verfügungsbeklagte am 20.04.2007 Berufung eingelegt und diese am 21.05.2007 mit dem
Schriftsatz vom 20.05.2007 begründet. Zwecks Darstellung aller Einzelheiten der Berufungsbegründung
wird auf den Schriftsatz vom 20.05.2007 (Bl. 103 ff. d.A.) verwiesen.
Der Verfügungsbeklagte weist dort u.a. daraufhin, dass der überwiegende Teil seiner Kolleginnen und
Kollegen in den Verfahren auf Entbindung von der Weiterbeschäftigung gegen die Entscheidung des
Arbeitsgerichts, mit der die Arbeitgeberin von der Weiterbeschäftigung entbunden worden sei, kein
Rechtsmittel eingelegt habe. Es gehe insoweit nur noch um ihn und die Arbeitnehmerin D. (= - 3 SaGa
4/07 -).
Der Verfügungsbeklagte beantragt,
1. das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 14.03.2007 - 1 Ga 3/07 - wird abgeändert;
2. der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.
Die Verfügungsklägerin beantragt,
die Berufung des Verfügungsbeklagten zurückzuweisen.
Die Verfügungsklägerin verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts nach näherer Maßgabe ihrer
Ausführungen in der Berufungsbeantwortung vom 04.07.2007 (Bl. 182 ff. d.A.), worauf verwiesen wird.
Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den weiteren Akteninhalt Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
I.
Die Berufung des Verfügungsbeklagten ist an sich statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und
begründet worden. Die hiernach zulässige Berufung erweist sich zum Teil als begründet.
II.
DieEntbindungsanträge der Verfügungsklägerin sind für die Zeit ab Verkündung dieses Urteils nicht
(mehr) begründet.
1.
Frage zu beschränken, ob die Weiterbeschäftigung der Verfügungsbeklagten zu einer unzumutbaren
wirtschaftlichen Belastung der Verfügungsklägerin führen würde (vgl. Matthes MünchArbR - 1993 - S.
1651 § 348 Rz 102). Die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine "unzumutbare wirtschaftliche
Belastung des Arbeitgebers" im Sinne des § 102 Abs. 5 S. 2 Nr. 2 BetrVG zu bejahen ist, hat die
Berufungskammer unter Berücksichtigung der Grundsätze geprüft, die bei Etzel - KR 8. Aufl. S. 1258 f.
BetrVG § 102 Rz 226 ff. dargestellt werden. Demgemäß muss die wirtschaftliche Belastung des
Arbeitgebers (Lohn-kostenaufwand) gerade wegen der Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers so
gravierend sein, dass Auswirkungen für die Liquidität oder Wettbewerbsfähigkeit des Arbeitgebers nicht
von der Hand zu weisen sind (Etzel aaO). Entscheidungserheblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der
Frage der unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung ist grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen
Verhandlung in der Berufungsinstanz.
2.
ergibt sich, dass der Verfügungsklägerin die Weiterbeschäftigung des Verfügungsbeklagten für die Zeit ab
Verkündung dieses Berufungsurteils (= 10.07.2007, 12:55 Uhr) nicht unzumutbar im Sinne des § 102 Abs.
5 S. 2 Nr. 2 BetrVG ist.
a)
Verhandlung darstellte, lässt sich nicht die Feststellung treffen, dass die Weiterbeschäftigung des
Verfügungsbeklagten zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung der Verfügungsklägerin führen
würde. Insbesondere lässt sich - abgestellt auf diesen Zeitpunkt - nicht feststellen, dass - was das
Arbeitsgericht angenommen hat - die Verfügungsklägerin in einer Vielzahl von Fällen
Weiterbeschäftigungsverpflichtungen gemäß § 102 Abs. 5 S. 1 BetrVG ausgesetzt ist. Sieht man einmal
von der Frage des entscheidungserheblichen Zeitpunktes ab sowie von der weiteren Frage, inwieweit im
Zusammenhang mit der jeweils dritten Kündigung Weiterbeschäftigungsverpflichtungen gemäß § 102
Abs. 5 S. 1 BetrVG entstanden sein können, ist die Verfügungsklägerin dem Einwand des
Verfügungsbeklagten (gemäß den Ausführungen unter 3. f) der Berufungsbegründung vom 20.05.2007,
dort S. 5 f. = Bl. 143 f. d.A.) nicht substantiiert entgegengetreten. Demgemäß ist vorliegend davon
auszugehen, dass der überwiegende Teil der Arbeitnehmer in den Verfahren gemäß § 102 Abs. 5 S. 2
BetrVG gegen die Entscheidungen des Arbeitsgerichts, mit denen die Verfügungsklägerin von der
Weiterbeschäftigung jeweils entbunden wurde, kein Rechtsmittel eingelegt hat. Demgemäß bestätigt es
die Verfügungsklägerin (auch) auf Seite 7 des Schriftsatzes vom 04.07.2007 (Bl. 187 d.A.) als richtig, "dass
nur noch die Berufungsverfahren der Verfügungsbeklagten und des Herrn A. anhängig sind". Folglich ist
festzustellen, dass die Verfügungsklägerin bezüglich der jeweils ersten und zweiten Kündigung
betriebsverfassungsrechtlichen Weiterbeschäftigungsverpflichtungen gemäß § 102 Abs. 5 S. 1 BetrVG
nicht mehr in einer Vielzahl von Fällen ausgesetzt ist, sondern eben nur noch in den Fällen D. (= - 3 SaGa
4/07 -) und A. (= Verfügungsbeklagter). Die damit verbundenen Gehaltsfortzahlungskosten sind unter
Berücksichtigung der von der Verfügungsklägerin im Übrigen dargestellten finanziellen Situation der
Verfügungsklägerin nicht derart erheblich, dass sich daraus eine unzumutbare wirtschaftliche Belastung
im oben dargestellten Sinne ergeben würde.
b)
nicht über die Entbindung über den Ablauf der Kündigungsfrist der vorsorglich ausgesprochenen dritten
Kündigung entschieden worden sei, lässt sich auf diesen Gesichtspunkt die Annahme einer
"unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung" (ebenfalls) nicht stützen. Nach dem oben Ausgeführten ist
davon auszugehen, dass - von den Fällen A. und D. abgesehen - die Verfügungsklägerin in den anderen
Fällen rechtskräftig von ihrer Weiterbeschäftigungspflicht im Zusammenhang mit der jeweils ersten und
zweiten Kündigung entbunden worden ist. Damit ist in diesen anderen Fällen die
betriebsverfassungsrechtliche Pflicht der Verfügungsklägerin zur Weiterbeschäftigung nach näherer
Maßgabe der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 03.07.2003 - 2 AZR 235/02 - (= BAGReport
2004, 145 unter VI. 1.) "beseitigt" worden.
c)
entscheiden, ob die Entscheidung des Arbeitsgerichts unter Zugrundelegung des vom Arbeitsgericht zu
berücksichtigenden Sachverhalts richtig sei, teilt die Berufungskammer diese Auffassung nicht.
Allgemeinen Grundsätzen entsprechend ist entscheidend für die rechtliche Beurteilung der Sach- und
Streitstand im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. Zöller/Greger 25. Aufl. ZPO § 253
Vorbemerkung Rz 23; Thomas/Putzo/Reichold 27. Aufl. ZPO § 253 Vorbemerkung Rz 37). Davon ist auch
in einem Verfahren der vorliegenden Art auszugehen. Wird freilich - wie vorliegend - die Entscheidung
des Arbeitsgerichts (Entbindung des Arbeitgebers von der Weiterbeschäftigungspflicht) auf Berufung des
Arbeitnehmers aufgehoben, so endet die Entbindung (von der Weiterbeschäftigungspflicht) erst von dem
Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts an. Für die Zwischenzeit bleibt der Arbeitgeber von der
Weiterbeschäftigungspflicht entbunden (- so ausdrücklich Matthes MünchArbR
- 1993 - S. 1651 § 348 Rz 103 ; ähnlich Etzel - KR 8. Aufl. BetrVG § 102 S. 1257 Rz 223 a: "Wird die
einstweilige Verfügung im Rechtsmittelverfahren aufgehoben, lebt der Weiterbeschäftigungsanspruch
vom Zeitpunkt der Entscheidung an wieder auf …").
d)
Arbeitgebers. Daraus ergibt sich, dass die Verfügungsklägerin (auch) mit dem Hinweis darauf, dass bei
einem Abstellen auf die Arbeitnehmer, die noch ein anhängiges Verfahren haben, der Sozialplan völlig
ausgehöhlt werde, ihre eigene unzumutbare wirtschaftliche Belastung nicht hinreichend dargetan hat.
Wirtschaftliche Drittinteressen begründen keine eigene unzumutbare wirtschaftliche Belastung des
Arbeitgebers.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 92 Abs. 1 und 97 Abs. 1 ZPO.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wurde gemäß § 63 Abs. 2 GKG festgesetzt.
Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision folgt aus § 72 Abs. 4 ArbGG.
Gegen dieses Urteil findet ein Rechtsmittel nicht statt.