Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 11.02.2010

LArbG Mainz: arbeitsgericht, arbeitsentgelt, arbeitsbedingungen, vorrang, unterhalt, bad, tarifvertrag, tod, form, quelle

LAG
Mainz
11.02.2010
10 Sa 628/09
Sterbegeld - richtige Betriebsvereinbarung - Tarifsperre
Aktenzeichen:
10 Sa 628/09
11 Ca 614/09
ArbG Mainz
- AK Bad Kreuznach -
Urteil vom 11.02.2010
Tenor:
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad
Kreuznach - vom 15. September 2009,
Az.: 11 Ca 614/09, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Zahlung von Sterbegeld.
Die Klägerin (geb. 1966) ist die Alleinerbin ihrer im November 2008 verstorbenen Mutter. Die Mutter der
Klägerin (geb. 1946) war seit 1975 bis zu ihrem Tod bei der Beklagten als kaufmännische Angestellte
beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde ab 01.07.2003 als Altersteilzeitverhältnis, das am 30.06.2009
enden sollte, mit einer Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit um die Hälfte fortgeführt. Das
Teilzeitgehalt der Mutter der Klägerin betrug zuletzt € 1.674,88 brutto, zzgl. des Aufstockungsbetrags von
€ 479,48.
Mit ihrer im April 2009 erhobenen Klage verlangt die Klägerin ein Sterbegeld in Höhe des fünffachen
Betrages des monatlichen Bruttoentgeltes von € 3.349,76, das ihre Mutter in einem
Vollzeitarbeitsverhältnis bezogen hätte. Sie stützt den Anspruch auf eine Betriebsvereinbarung
„Sterbegeldregelung“, die am 01.01.2005 in Kraft getreten ist. Die Beklagte ist der Ansicht, die
Betriebsvereinbarung sei unwirksam, weil sie gegen den Tarifvorrang des § 77 Abs. 3 BetrVG verstoße.
Die Betriebsvereinbarung hat auszugsweise folgenden Wortlaut:
„Sterbegeldregelung
1) Beim Tod eines Arbeitnehmers der Gesellschaft erhalten die Erbberechtigten das Gehalt oder den
Lohn des Verstorbenen für den jeweiligen laufenden Monat weitergezahlt.
2) Den Erbberechtigten werden darüber hinaus zusätzliche Zuwendungen gewährt, die sich nach der
Dauer der Betriebszugehörigkeit (BZ) richten.
3) ….
4) Folgende zusätzliche Zuwendungen werden im Todesfall eines Mitarbeiters geleistet:
a) Für eine Betriebszugehörigkeit von 6 Monaten bis zu 10 Jahren gelten die Bestimmungen des
jeweils gültigen Manteltarifvertrages. Im Einzelnen sind dies für
I) 6 Monate BZ ½ Monatsentgelt
II) 1 Jahr BZ 1 Monatsentgelt
III) 5 Jahre BZ 2 Monatsentgelte
IV) 10 Jahre BZ 3 Monatsentgelte
b) Darüber hinaus werden für eine Betriebszugehörigkeit von
I) 15 Jahren 4 Monatsentgelte
II) 25 Jahren 5 Monatsentgelte
gewährt.
Sofern einzelne Bestimmungen dieser Sterbegeldregelung gegen geltendes Recht verstoßen, wird die
Gültigkeit der übrigen Absprachen nicht berührt.
…“
§ 13 des Manteltarifvertrages (MTV) der Getränkeindustrie Rheinland-Pfalz und Saarland, der auf das
Arbeitsverhältnis Anwendung fand, enthält zum Sterbegeld auszugsweise folgende Regelung:
§ 13
Sterbegeld
1. Beim Tode eines Beschäftigten wird dem hinterbliebenen unterhaltsberechtigten Ehegatten oder den
unterhaltsberechtigten Kindern oder sonstigen Familienangehörigen oder Unterhaltsberechtigten, wenn
der Verstorbene deren Unterhalt ganz oder überwiegend getragen hat und diese mit dem Verstorbenen in
häuslicher Gemeinschaft lebten, das Entgelt des laufenden Monats weitergezahlt, wenn während dieser
Zeit Entgeltanspruch oder Entgeltfortzahlungsanspruch bestanden hätte.
2. Außerdem wird an den Personenkreis nach Ziffer 1 eine Beihilfe gezahlt. Sie beträgt bei einer
Betriebszugehörigkeit des Verstorbenen von
6 Monaten ½ Monatsentgelt
1 Jahr 1 Monatsentgelt
5 Jahren 2 Monatsentgelte
10 Jahren 3 Monatsentgelte
3. ...
4. Werden aus Betriebsmitteln des Arbeitgebers zugunsten des Beschäftigten für die
Hinterbliebenen Sterbegeld- oder Unfallversicherung abgeschlossen, so können die
Versicherungsleistungen auf das tarifliche Sterbegeld angerechnet werden.
…“
Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie € 16.748,80 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 24.02.2009 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen
Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf
die Zusammenfassung des am 15.09.2009 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts (dort Seite 2-7 = Bl. 75-
80 d. A.) Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat mit am 15.09.2009 verkündetem Urteil vom 06.08.2009 die Klage abgewiesen und
zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin könne ihren Anspruch nicht auf die
Betriebsvereinbarung „Sterbegeldregelung“ stützen. Die Betriebsvereinbarung verstoße gegen die
Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 BetrVG und sei deshalb unwirksam. Wegen der Einzelheiten der
Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts wird auf Seite 7 bis 12 des Urteils (= Bl. 80-85 d. A.) Bezug
genommen.
Gegen dieses Urteil, das ihr am 17.09.2009 zugestellt worden ist, hat die Klägerin mit am Montag, dem
19.10.2009 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese am
17.11.2009 begründet.
Sie macht geltend, das Arbeitsgericht habe verkannt, dass § 77 Abs. 3 BetrVG auf den vorliegenden Fall
nicht anwendbar sei. Beim Sterbegeld handele es sich weder um „Arbeitsentgelt“ noch um „sonstige
Arbeitsbedingungen“ im Sinne dieser Vorschrift. Das Arbeitsgericht habe außerdem unzutreffend
angenommen, dass bei Anwendung des § 13 Abs. 4 MTV im Rahmen einer konkludenten
Öffnungsklausel, keine Möglichkeit für den Abschluss weiterer Betriebsvereinbarungen vorgesehen sei.
Das Arbeitsgericht habe schließlich die Anwendung des Günstigkeitsprinzips völlig außer Acht gelassen.
Weiterhin habe das Arbeitsgericht nicht beachtet, dass, selbst wenn man von einer Art Zulage beim
Sterbegeld ausgehe, diese einen bestimmten Zweck verfolge und somit nicht von der Sperrwirkung erfasst
sei, da die Sperrwirkung lediglich Grundregelungen im Tarifvertrag erfasse. Ebenso falsch sei, dass hier
die Betriebsvereinbarung ausscheide, da zwar andere tatbestandliche Voraussetzungen vorlägen, aber
die Sperrwirkung Vorrang habe. Auch sei nicht ersichtlich, wo die Logik liegen solle, dass unter gleichen
Mitarbeitern keine unterschiedlichen Voraussetzungen hinsichtlich des Empfangs von Sterbegeld
gegeben sein sollte. Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz der
Klägerin vom 17.11.2009 (Bl. 109-110 d.A.) Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt zweitinstanzlich,
das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - vom 06.08.2009, Az.: 11 Ca
614/09, abzuändern und nach den Schlussanträgen erster Instanz zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung im Schriftsatz vom
24.11.2009 (Bl. 111 d.A.), auf den Bezug genommen wird.
Entscheidungsgründe:
I.
§§ 517, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist somit zulässig.
II.
Begründung vollkommen zutreffend erkannt, dass die Klägerin von der Beklagten kein Sterbegeld
beanspruchen kann.
Im Berufungsverfahren sind keine neuen rechtserheblichen Gesichtspunkte aufgetreten, die eine
Abweichung von dem vom Arbeitsgericht gefundenen Ergebnis rechtfertigen würden. Die
Berufungskammer nimmt daher gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG vollumfänglich Bezug auf die sorgfältige
Begründung des angefochtenen Urteils. Lediglich wegen der Angriffe im Berufungsverfahren ist kurz auf
Folgendes hinzuweisen:
1.
des MTV folgt. Nach § 13 Abs. 1 MTV haben unterhaltsberechtigte Kinder, die mit dem Verstorbenen in
häuslicher Gemeinschaft lebten und deren Unterhalt ganz oder überwiegend vom Verstorbenen getragen
worden ist, einen Anspruch auf das tarifliche Sterbegeld. Die Klägerin gehört nicht zu diesem
worden ist, einen Anspruch auf das tarifliche Sterbegeld. Die Klägerin gehört nicht zu diesem
begünstigten Personenkreis. Sie lebte mit ihrer verstorbenen Mutter nicht in häuslicher Gemeinschaft. Ihr
Unterhalt wurde nicht von ihrer Mutter getragen.
2.
Betriebsvereinbarung „Sterbegeldregelung“ stützen kann.
Nach dem Wortlaut der Betriebsvereinbarung könnte die Klägerin als Alleinerbin ein Sterbegeld
beanspruchen, weil die „Erbberechtigten“ einschränkungslos zum begünstigten Personenkreis gehören.
Die in der Betriebsvereinbarung vereinbarte Sterbegeldregelung wird jedoch vom Regelungsverbot des
§ 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG erfasst.
Die Tarifvertragsparteien haben in § 13 MTV die Anspruchsvoraussetzungen und die Höhe des
Sterbegeldes geregelt, ohne den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen zuzulassen. Deshalb
verstößt eine Betriebsvereinbarung, die die Anspruchsvoraussetzungen und die Höhe des Sterbegeldes
anders festlegt, gegen § 77 Abs. 3 BetrVG und ist unwirksam. Dabei kommt es nicht darauf an, ob in der
Betriebsvereinbarung die Voraussetzungen und die Höhe des Sterbegeldes abweichend festgelegt oder
zusätzlich zum tariflichen Sterbegeld ein weiteres Sterbegeld vereinbart wird. In beiden Fällen liegt eine
grundsätzlich nicht zulässige Aufstockung der tariflichen Ansprüche vor (vgl. BAG Urteil vom 24.01.1996 -
1 AZR 597/95 - NZA 1996, 948).
Die Regelungsbefugnis der Betriebsparteien ist begrenzt durch die Tarifsperre des § 77 Abs. 3 Satz 1
BetrVG. Sie sorgt für den Vorrang einschlägiger tariflicher Regelungen. Die Regelungssperre gilt für die
Arbeitsbedingungen, die tariflich geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden. Eine tarifliche
Regelung ist dann gegeben, wenn der Tarifvertrag - wie hier zum Sterbegeld - eine positive Sachregelung
enthält. Nach dem Gesetzeszweck des § 77 Abs. 3 BetrVG soll verhindert werden, dass Gegenstände,
derer sich die Tarifvertragsparteien angenommen haben, konkurrierend durch Betriebsvereinbarung
geregelt werden (st. Rspr. des BAG, vgl. etwa Urteil vom 12.03.2008 - 4 AZR 616/06 - AP Nr. 18 zu § 1
TVG Tarifverträge: Chemie; BAG Urteil vom 29.10.2002 - 1 AZR 573/01 - NZA 2003, 393; jeweils m.w.N.).
Der Einwand der Klägerin, beim tariflichen Sterbegeld handele es sich weder um Arbeitsentgelt noch
sonstige Arbeitsbedingungen im Sinne des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG verfängt nicht. Unter „Arbeitsentgelt“
ist jede vermögenswerte Arbeitgeberleistung zu verstehen (ErfK/ Kania, 10. Aufl., § 77 BetrVG, Rn. 43). Zu
den vermögenswerten Leistungen zählt auch das Sterbegeld. Für dieses weite Verständnis des Begriffs
„Arbeitsentgelt“ spricht insbesondere der Zweck der Regelung in § 77 Abs. 3 BetrVG. Die
Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie soll dadurch gewährleistet werden, dass den Tarifvertragsparteien
ein Vorrang zur kollektiven Regelung der Arbeitsentgelte und sonstiger Arbeitsbedingungen eingeräumt
wird mit der Folge, dass da, wo die Tarifvertragsparteien von ihrer Normsetzungsbefugnis Gebrauch
gemacht haben, eine entsprechende Befugnis der Betriebspartner entfällt.
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG nicht gemäß
§ 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG durch eine tarifvertragliche Öffnungsklausel beseitigt. Der MTV enthält keine
Öffnungsklausel für abweichende betriebliche Sterbegeldregelungen. In § 13 Nr. 4 MTV ist geregelt, dass
Versicherungsleistungen von Sterbegeld- und Unfallversicherungen, die aus Betriebsmitteln des
Arbeitgebers abgeschlossen worden sind, auf das tarifliche Sterbegeld angerechnet werden. Die
Vorschrift geht über eine bloße Anrechnungsklausel nicht hinaus.
Schließlich kann sich die Klägerin nicht auf das Günstigkeitsprinzip berufen. Besteht - wie hier - ein
Tarifvertrag, der eine Sachregelung zum Sterbegeld enthält, sind entgegenstehende
Betriebsvereinbarungen unwirksam, also unanwendbar. Sie können deshalb keinerlei Wirkungen
zugunsten von Arbeitnehmern entfalten. Das gilt auch, soweit Betriebsvereinbarungen für den
Arbeitnehmer günstiger sind; das Günstigkeitsprinzip in § 4 Abs. 3 TVG tritt insoweit zurück (BAG
27.06.2006 - 3 AZR 255/05 - NZA 2006. 1285).
III.
Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die
Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.