Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 23.06.2006

LArbG Mainz: kündigung, sägerei, stadt, arbeitsgericht, zeugnis, werk, firma, produktion, anhörung, rechtfertigung

LAG
Mainz
23.06.2006
8 Sa 210/06
Betriebsbedingte Kündigung
Aktenzeichen:
8 Sa 210/06
5 Ca 963/05
ArbG Kaiserslautern
- AK Pirmasens -
Entscheidung vom 23.06.2006
Tenor:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern
Pirmasens - vom 10.01.2006 - 5 Ca 963/05 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die soziale Rechtfertigung einer von der Beklagten am 28.09.2005 zum
31.03.2006 ausgesprochenen Kündigung.
Der am 16.09.1958 geborene Kläger, der seiner Ehefrau gegenüber unterhaltspflichtig ist, war seit
08.09.1976 bei der Beklagten zuletzt in deren Sägerei mit dem Absägen und Entgraten von Stäben
beschäftigt.
Die Bruttomonatsvergütung belief sich auf 2.500,00 €. Am 20.09.2005 kam es zum Abschluss eines
Interessenausgleichs und Sozialplans. Der Interessenausgleich enthält u.a. folgende Regelung:
Präambel
Das Unternehmen konzentriert sich am Standort U.-Stadt als Technologie- und Servicezentrum.
Kundenorientierte Automatisierung, Entwicklung, Konstruktion sowie Service bilden zukünftig die
Schwerpunkte am Standort in Deutschland. Dies bedeutet gesicherte Arbeitsplätze durch höhere
Technologie für die Zukunft.
Die Produktion wird nach T.-Land verlagert und von unserer Tochterfirma V. übernommen.
§ 1 Gegenstand
Aus wirtschaftlichen Gründen und zur Sicherung der verbleibenden Arbeitsplätze werden die nachfolgend
angeführten Abteilung im Werk U.-Stadt aufgelöst bzw. teilweise verlagert:
Abteilung Sägerei
Abteilung Stahlbau/Schweißerei
Abteilung Dreherei
Abteilung Fräserei
Abteilung Bohrwerk
Abteilung Lager
Abteilung Lackiererei
Abteilung Brüniererei
Abteilung Instandhaltung
Abteilung Service
Abteilung Projektierung […]"
Hinsichtlich des erstinstanzlichen Sachvortrages und der Anträge wird auf den umfassenden Tatbestand
des Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 10.01.2006 - 5 Ca
963/05 - (Bl. 34 bis 36 d. A.), ergänzt um das nachfolgend dargestellte Berufungsvorbringen, Bezug
genommen.
Das Arbeitsgericht hat die Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 28.09.2005
festgestellt und zur Weiterbeschäftigung verurteilt. Zur Begründung wurde im Wesentlichen darauf
abgestellt, dass es der Beklagten nicht gelungen sei, dringende betriebliche Erfordernisse darzulegen
und insbesondere, wie verbleibende Restarbeiten von fünf Stunden aus dem Tätigkeitsbereich des
Klägers zustande kämen. Es sei auch kein Konzept dargelegt, wie die verbleibende Arbeit auf die übrigen
Arbeitnehmer verteilt würde. Aus diesen Gründen sei auch die Betriebsratsanhörung fehlerhaft. Nach der
im Kammertermin vorgelegten Anhörung sei von einem Entfallen des Arbeitsplatzes durch
Betriebsverlagerung die Rede.
Gegen das der Beklagten am 14.02.2006 zugestellte Urteil richtet sich ihre am 06.03.2006 eingelegte und
am 02.05.2006 begründete Berufung nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist.
Die Beklagte bringt
zweitinstanzlich
vor Ausspruch der Kündigung sei die unternehmerische Entscheidung getroffen worden, spätestens Ende
des ersten Quartals 2006 die komplette Maschinenfertigung in U.-Stadt einzustellen und durch eine T.-
Firma ausführen zu lassen. Die im Logistikbereich anfallende Produktion würde ebenfalls nicht mehr in U.-
Stadt ausgeführt. Hier käme es nur noch zu einer Fertigung von Ersatzteilen. Der Beschäftigungsbedarf für
den Kläger sei derart gering, dass er entfallen sei. Für die Tätigkeit des Klägers würden 150 Stunden
jährlich bzw. 3,26 Stunden pro Woche bzw. 0,652 Stunden pro Tag anfallen (Beweis: Zeugnis R.). Die
Arbeiten würden von den verbleibenden Facharbeitern miterledigt. Die Sozialauswahl sei nicht zu
beanstanden. Der Mitarbeiter Q. würde aufgrund seiner Ausbildung als Maschinenschlosser künftig in der
Montageabteilung beschäftigt. Außerdem sei dieser Mitarbeiter älter und länger beschäftigt. Der
Mitarbeiter P. sei mit dem Kläger nicht vergleichbar. Er habe die Entgeltgruppe 08, während der Kläger in
die Entgeltgruppe 07 eingestuft sei. Dieser Mitarbeiter führe Schreinerarbeiten durch und habe
spezifische Kenntnisse im Hinblick auf die Transportsicherheit. Ebenfalls nicht vergleichbar sei der Kläger
mit dem Mitarbeiter O., da dieser ausgebildeter Schweißer sei, der im Rahmen der Ersatzteilfertigung
Schweißerarbeiten durchführe. Die Betriebsratsanhörung sei ebenfalls korrekt, da im Rahmen der
Interessenausgleichsverhandlungen auch besprochen worden sei, dass der minimale
Beschäftigungsbedarf von fünf Arbeitsstunden in der Sägerei von den verbleibenden Facharbeitern mit
erledigt werden könne (Beweis: Zeugnis N., R.).
Die Beklagte hat zweitinstanzlich beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - vom
10.01.2006 - 5 Ca 963/05 - wird die Klage abgewiesen.
Der Kläger hat
Zurückweisung der Berufung
beantragt
die Beklagte wird verurteilt, das Angebot des Klägers auf Abschluss eines Arbeitsvertrages als
Lagerarbeiter zu den Bedingungen des bisherigen Arbeitsvertrages der Parteien anzunehmen.
Die Beklagte hat
die Abweisung des Hilfsantrages
beantragt.
Der Kläger erwidert,
die unternehmerische Entscheidung der Beklagten sei - auch im Interessenausgleich - weder nach Zeit
und Ort bzw. der beteiligten Personen konkretisiert. Im Interessenausgleich sei nicht zu erkennen, welcher
der aufgeführten Abteilungen aufgelöst oder verlagert werden sollten; es bliebe völlig offen, welche
Alternativen gelten sollten. Die Entstehung eines Personalüberhanges von den 16 Personen sei nicht
nachvollziehbar. Es sei auch nicht ersichtlich, wer konkret welche Anteile der Tätigkeit des Klägers
übernehmen solle und, dass überobligatorische Leistungen ausgeschlossen seien. Die Sägerei sei auch
nicht geschlossen worden, sondern voll ausgelastet (Beweis: Zeugnis M., L.). Er - der Kläger - würde
derzeit auch vollschichtig beschäftigt. Die verbleibenden Stundenzahl und Grundlagen der Berechnungen
seien dem Betriebsrat im Anhörverfahren nicht mitgeteilt worden. Auch sei die Sozialauswahl nicht
zutreffend. Die Eingruppierung des vergleichbaren Arbeitnehmers P. sei irrelevant, da dessen Einstufung
nur auf dessen besondere Belastungen abstelle. Aufgrund seiner früheren Tätigkeit in der Verpackerei
könne er die bei diesem Mitarbeiter vorhandenen Kenntnisse innerhalb einer Woche erreichen. Herr O.
wurde als Fahrer der Klasse III eingesetzt. Auch diese Tätigkeit könne er übernehmen. Im Rahmen der
Betriebsratsanhörung sei dem Vorbringen zu fünf verbleibenden Arbeitsstunden nicht zu entnehmen, auf
welchen Zeitraum sie sich bezögen. Die Grundlagen zur Berechnung der Stunden fehlten. Im Übrigen sei
die Beklagte zur Angebotsannahme auf Abschluss eines Arbeitsvertrages als Lagerarbeiter verpflichtet,
da gegenüber dem Schweißer K. die betriebsbedingte Kündigung zurückgenommen worden und daher
die Notwendigkeit des Einsatzes des Mitarbeiters O. für Schweißertätigkeit entfallen sei, sodass der Kläger
mit dessen Aufgaben betraut werden könne.
Zur Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 02.05.2006 (Bl. 61 bis 64 d. A.)
sowie sämtliche vorgelegten Unterlagen, bezüglich der Berufungsbeantwortung auf den Schriftsatz des
Klägers vom 08.06.2006 (Bl. 72 bis 78 d. A.) und den Schriftsatz vom 21.06.2006 Bezug genommen.
Zugleich wird auf die Feststellungen in der Sitzungsniederschrift des Landesarbeitsgerichts Rheinland-
Pfalz vom 23.06.2006 (Bl. 84 bis 88 d. A.) Bezug verwiesen.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Rechtsmittel der Berufung der Beklagten ist gemäß § 64 Abs. 1, 2 lit. (c) ArbGG statthaft. Die Berufung
ist gemäß §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt sowie
begründet worden. Sie ist somit zulässig.
II.
Die Berufung der Beklagten ist jedoch n i c h t begründet.
Das Arbeitsgericht Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - hat zutreffend festgestellt, dass das
Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung vom 28.09.2005 zum 31.03.2006 beendet
worden ist und der zugleich mitverfolgte Weiterbeschäftigungsanspruch besteht.
Die ordentliche, betriebsbedingte Kündigung ist nach § 1 Abs. 2, 3 des vorliegend anwendbaren
Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) u.a. dann sozial gerechtfertigt, wenn dringende betriebliche Gründe
vorliegen, die aufgrund außerbetrieblicher Umstände oder infolge innerbetrieblicher Maßnahmen zu
einem Rückgang des Arbeitsanfalls im Beschäftigungsbereich des Arbeitnehmers führt, der betroffene
Arbeitnehmer von allen vergleichbaren Arbeitnehmern der sozial Stärkste ist und eine
Interessenabwägung nach ordnungsgemäßer Sozialauswahl nicht ausnahmsweise zu einem Überwiegen
der Interessen des Arbeitnehmers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses gegenüber dem des
Arbeitgebers an dessen Beendigung führt (vgl. Scherr/Kohl/Dikob, Arbeitszeitrecht von A-Z,
Betriebsbedingte Kündigung, KSchG 20, m.w.N. auf DLW-Dörner, Handbuch Arbeitsrecht D 1076).
Hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast ist zwischen der sogenannten selbstbindenden und der
gestaltenden Unternehmerentscheidung zu differenzieren. Bei der - vorliegend gegebenen - gestaltenden
Unternehmerentscheidung muss der Arbeitgeber dartun, dass und welche unternehmerische
Entscheidung er gefasst hat, das er diesen Entschluss umgesetzt hat und wie sich die Umsetzung unter
Berücksichtigung der Betriebs- und Vertragsfaktoren auf welche Beschäftigungsmöglichkeiten ausgewirkt
hat (vgl. Ascheid, Erfurter Kommentar, 6. Auflage, § 1 KSchG, Rz. 423).
Der Vortrag der Beklagten ist - wie das Arbeitsgericht im Ergebnis zutreffend sieht - zivilprozessual nicht
ausreichend, um die vom Gesetz und der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen anzunehmen.
Bereits die unternehmerische Entscheidung der Beklagten ist weder nach ihrer zeitlichen Abfolge noch
nach den betreffenden Arbeitnehmern hinreichend konkretisiert. Dem Vortrag der Berufung ist lediglich zu
entnehmen, dass vor Ausspruch der Kündigung spätestens Ende des ersten Quartals 2006 die komplette
Maschinenfertigung eingestellt und diese von einer T.-Firma ausgeführt würde sowie, dass man sich auf
die Fertigung von Ersatzteilen beschränkt habe. Dieser Vortrag wird unter ablaufbezogenen Aspekten
nicht durch den vorgelegten Interessenausgleich vom 20.09.2005 konkretisiert. § 1 des
Interessenausgleichs vom 20.09.2005 spricht lediglich davon, dass "nachfolgend aufgeführte Abteilungen
im Werk U.-Stadt aufgelöst bzw. teilweise verlagert" werden. Für die anschließend aufgeführte Abteilung
Sägerei, in welcher der Kläger beschäftigt war, und aufgrund vereinbarter Prozessbeschäftigung noch ist,
kann für die Berufungskammer
nicht ansatzweise erkannt werden, welche unternehmerischen Schritte zu welchem Zeitpunkt hinsichtlich
einer Auflösung oder Verlagerung von der Beklagten verfolgt werden. Auch das Volumen der nach
Behauptung der Beklagten nur noch anfallenden Tätigkeiten im Beschäftigungsbereich des Klägers bleibt
ohne nachvollziehbare Eckpunkte. Für die Berufungskammer ist nicht feststellbar, wie die Beklagte für die
vom Kläger ausgeübte Tätigkeit in der Sägerei auf nur noch verbleibende 150 Stunden kommt. Der
Umfang der anfallenden Tätigkeiten im Rahmen der Ersatzteilfertigung ist nicht konkret auszumachen. Die
Vernehmung des angebotenen Zeugen R. würde hier zu einer unzulässigen Ausforschung führen.
Gleiches gilt für die Behauptung der Beklagten, dass die Arbeiten der Abteilung Sägerei von
verbleibenden Facharbeitern miterledigt würden. Ob und warum diese Verteilung der Arbeit möglich ist,
kann dem Sachstand im Berufungsverfahren nicht entnommen werden.
Fehlt es aus den dargetan Gründen an der Möglichkeit des Gerichts festzustellen, dass die
unternehmerische Entscheidung der Beschäftigungsmöglichkeit des Klägers die Grundlage entzogen hat,
kann die rechtlich geforderte Dringlichkeit im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG für die Gestaltungserklärung der
Beklagten nicht angenommen werden. Die Kündigung ist als sozialwidrig anzusehen.
Der weitere rechtliche Aspekt der Einhaltung der Sozialauswahl, der nach § 1 Abs. 3 KSchG vom Gericht
zu überprüfen ist, kann dahinstehen. Einer Befassung mit dem diesbezüglichen Berufungsvorbringen
bedarf es nicht. Gleiches gilt hinsichtlich des vom Kläger weiter geltend gemachten
Unwirksamkeitsgrundes einer fehlerhaften Anhörung des Betriebsrats (vgl. zu den Anforderungen: BAG,
Urteil vom 06.10.2005 - 2 AZR 316/04 -).
Der vom Arbeitsgericht zuerkannte Weiterbeschäftigungsanspruch besteht im Zusammenhang mit der
Konsequenz aus den Feststellungen zur fehlenden sozialen Rechtfertigung der ausgesprochenen
Kündigung.
Auf den in der Berufungsinstanz gestellten Hilfsantrag war nicht mehr einzugehen.
III.
Nach alledem war die Berufung mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Für die Zulassung der Revision bestand angesichts der gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG
keine Notwendigkeit. Die bisher entwickelten Rechtsprechungsgrundsätze des Bundesarbeitsgerichts
reichen für eine abschließende Bewertung des vorliegenden Falls vollkommen aus.