Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 19.05.2010
LArbG Mainz: vergleich, arbeitsgericht, kündigung, form, beschwerdekammer, anstellung, quelle, lebenserwartung, bruchteil, rückzahlung
LAG
Mainz
19.05.2010
1 Ta 32/10
Wertfestsetzung - Vergleichsmehrwert bei zweifelhafter Realisierbarkeit der außergerichtlich geltend
gemachten Forderung
Aktenzeichen:
1 Ta 32/10
10 Ca 1515/09
ArbG Mainz
Beschluss vom 19.05.2010
Tenor:
Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Wertfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts
Mainz vom 22.01.2010 - in Gestalt der Abhilfeentscheidung vom 11.02.2010 - wie folgt abgeändert:
1. Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit für den Vergleich wird auf 581.670,63 € festgesetzt.
2. Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Beschwerdeführer keine auferlegt.
3. Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Gründe:
I.
Vergleichsmehrwertes.
Der Kläger war bei der Beklagten seit Juli 1981 zuletzt als Abteilungsleiter Rechnungswesen beschäftigt.
Die Beklagte hat das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 30.06.2009
außerordentlich gekündigt im Wesentlichen mit der Begründung, der Kläger habe in Überschreitung
seiner Arbeitspflichten ihr Verluste durch Bankgeschäfte (Zinsderivate und Zinswaps) in Höhe von über
8,8 Mio. € zugefügt.
Der Kläger hat neben einer entsprechenden Kündigungsschutzklage noch weitergehende Anträge
gestellt und sich gegen eine Widerklage auf Rückzahlung eines Arbeitgeberdarlehens im vorliegenden
Klageverfahren zur Wehr gesetzt.
Die Beklagte hat sich im Laufe des Prozessverfahrens - ohne eine solche Forderung rechtshängig zu
machen - eines entsprechenden Schadensersatzanspruches gegenüber dem Kläger in Höhe von
8.816.492,88 € berühmt, den der Kläger geleugnet hat.
Die Parteien haben unter dem 28.12.2009 den Rechtsstreit gütlich beigelegt und hierbei unter anderem
die Haftungshöhe des Klägers auf maximal 5 Mio. € begrenzt. In Höhe von 5 Mio. € hat der Kläger eine
entsprechende Diensthaftpflichtversicherung abgeschlossen.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 22.01.2010 (Bl. 387 und 388
d.A.) unter anderem den Gegenstandswert für den Vergleich auf 3.860.764,70 € festgesetzt.
Gegen diese Festsetzung hat der Kläger über seine Prozessbevollmächtigten - diese haben mittlerweile
klargestellt, dass der Kläger Beschwerdeführer ist - Beschwerde eingelegt, soweit das Arbeitsgericht
einen Vergleichsmehrwert ungeschmälert an Hand des Forderungsschreibens der Beklagten festgesetzt
hat. Nach Ansicht des Beschwerdeführers dürfe nur ein Bruchteil des Wertes des geltend gemachten
Schadens in Ansatz gebracht werden, weil eine Schadensrealisierung in der genannten Höhe
unrealistisch sei.
Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 11.02.2010 auf Grund der Einwendungen des
Beschwerdeführers den Schadensersatzverzicht der Beklagten um die Hälfte reduziert und im Übrigen der
Beschwerde nicht abgeholfen.
Das Beschwerdegericht hat mit Hinweisbeschluss vom 19.04.2010 die am Beschwerdeverfahren
Beteiligten darauf hingewiesen, dass es beabsichtigt, einen Vergleichsmehrwert - nur noch dieser ist
zwischen den Beteiligten streitig - in Höhe von 530.000,-- € festzusetzen. Dabei ging das
Beschwerdegericht davon aus, dass bei dem Kläger derzeit monatlich maximal 2.500,-- € pfändbar seien
und für die Zeit ab des Renteneintritts des Klägers dürfte sich dieser Betrag auf ca. 1.600,-- € belaufen. Bei
einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 80 Jahren ergebe dies ein Gesamtbetrag von rund
530.000,-- € der bei dem Kläger gepfändet werden könne und damit als realisierbar erscheine.
Gegen eine derartige Festsetzung haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers eingewendet, nach
der Rechtsprechung des BGH und der Oberlandesgerichte sei bei der Festsetzung des Streitwertes der
Nennbetrag des vollstreckbaren Anspruchs ohne Rücksicht auf seine Realisierbarkeit anzusetzen (vgl.
BGH, NJW RR 1988, 444; OLG Karlsruhe FamRZ 2004, 1226).
II. 1.
Auch übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstandes den Mindestbeschwerdewert von 200,-- € im
Sinne von § 33 Abs. 3 S.1 RVG.
2.
nur dieser ist zwischen den Beteiligten streitig - auf Grund des einseitig erklärten Klageverzichts der
Beklagten in Höhe von knapp über 3,8 Mio. € im prozessbeendenden Vergleich der Parteien war
vorliegend mit einem Wert von 530.000,-- € zu bewerten. Dieser ist dem unstreitigen Vergleichswert
hinzuzuaddieren.
Im Streitfalle waren die von der Beklagten gegenüber dem Kläger erhobenen Schadensersatzansprüche
in einer Gesamthöhe von knapp über 8,8 Mio. € nicht rechtshängig. Die Beklagte hat lediglich in einem
außergerichtlichen Schreiben sich eines entsprechenden Schadensersatzanspruches gegenüber dem
Kläger berühmt und einen solchen auch zur Stützung der ausgesprochenen fristlosen Kündigung im
Klageverfahren geltend gemacht. Werden in einem Vergleich neben den streitgegenständlichen
Ansprüchen auch nicht rechtshängige Ansprüche oder Rechte geregelt, ist der Vergleichswert in der
Regel durch eine Wertaddition der erfassten Ansprüche zu ermitteln, wobei der Einzelwert des zusätzlich
geregelten Gegenstandes selbständig nach den allgemeinen Bewertungsregeln der §§ 39 ff GKG und §§
3 ff ZPO zu beziffern sind. Eine volle Wertaddition kommt nur in Betracht, wenn es sich bei den zusätzlich
geregelten Gegenständen jeweils um selbständige und zwischen den Parteien streitige Ansprüche
handelt. Dies entspricht ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammer (vgl. nur LAG Rheinland-Pfalz
Beschl. v. 21.08.2009 - 1 Ta 190/09 und Beschl. v. 22.12.2009 - 1 Ta 287/09).
Im Streitfalle ist zwischen den Parteien streitig, ob der Beklagten überhaupt ein Schadensersatzanspruch
gegenüber dem beschwerdeführenden Kläger wegen des Verlustes aus riskanten
Spekulationsgeschäften zusteht. Trotzdem war vorliegend nicht der volle Wert des Klageverzichts der
Beklagten in Höhe von knapp über 3,8 Mio. € in Ansatz zu bringen. Eine Erhöhung um den vollen Wert der
einbezogenen Forderung scheidet regelmäßig aus, wenn diese mit Rücksicht auf eine zweifelhafte
Realisierungsmöglichkeit nicht eingeklagt worden ist. Dann dürfte ihr wirtschaftlicher Wert unterhalb des
Nennbetrages liegen und es ist abzuschätzen, inwieweit mit einer Befriedigung überhaupt zu rechnen ist
(vgl. Schneider/Herget, Streitwertkommentar, 12.Aufl., Rz. 5719 f). Zu berücksichtigen ist in diesem Fall als
Vergleichswert derjenige Teilbetrag, der bei summarischer Prüfung durchsetzbar erscheint. Diese
wirtschaftliche Betrachtungsweise findet ihren gesetzlichen Niederschlag auch im Gedanken der
Geringerbewertung wertloser Forderungen in § 25 Abs. 1 Nr. 4 RVG. Auch im Rahmen der
Insolvenzordnung bestimmt sich gemäß § 182 InsO der Wert des Streitgegenstandes einer Klage auf
Feststellung einer Forderung, deren Bestand vom Insolvenzverwalter oder von einem Insolvenzgläubiger
bestritten worden ist, nach dem Betrag, der bei der Verteilung der Insolvenzmasse für die Forderung zu
erwarten ist (vgl. hierzu LAG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 01.03.2010 1 Ta 16/10). Dies entspricht im
Übrigen auch der Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte (vgl. hierzu LAG Hamm MDR 1980, 613,
LAG Düsseldorf KostRsp., ZPO § 3 Nr. 911, LAG Hamburg, KostRsp., ZPO § 3 Nr. 817).
Soweit die Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers auf eine gegenteilige Rechtsprechung des
BGH (NJW RR 1988, 444) und des OLG Karlsruhe (FamRZ 2004, 1226) verweisen, ging es in diesen
Entscheidungen nicht um die Frage der Bewertung einer außerordentlich hohen Schadensposition,
sondern darum, wie der Wert einer Vollstreckungsabwehrklage zu ermitteln ist. Die streitgegenständliche
Frage der Realisierbarkeit einer Forderung stellte sich angesichts der Werte, um die es in diesen
Verfahren gegangen ist, nicht.
Das Beschwerdegericht hat die Beteiligten mit Hinweisbeschluss vom 19.04.2010, auf dessen Inhalt
hiermit Bezug genommen wird, darauf hingewiesen, dass vorliegend bei Anstellung einer
pauschalisierenden Betrachtungsweise maximal ein Wert von rund 530.000,-- € als realisierbar erscheint.
Gegen diese Berechnungsweise haben die Beteiligten keinen Einwand erhoben.
Da das Rechtsmittel des Beschwerdeführers ganz überwiegend begründet war, waren dem
Beschwerdeführer auch keine anteiligen Kosten aufzuerlegen.
Ein Rechtsmittel findet gegen diesen Beschluss nicht statt (§ 33 Abs. 4 S. 2 RVG).