Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 18.01.2005

LArbG Mainz: betriebsrat, objektive unmöglichkeit, mitbestimmungsrecht, arbeitsgericht, stimme, abgrenzung, anhörung, unternehmen, check, form

LAG
Mainz
18.01.2005
2 TaBV 21/04
Zuständigkeit von Gesamtbetriebsrat
Aktenzeichen:
2 TaBV 21/04
4 BV 2020/03
ArbG Mainz
Verkündet am: 18.01.2005
Tenor:
1) Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Mainz vom 4. Febr. 2004
- 4 BV 2020/03 - wird zurückgewiesen.
2) Ein Rechtsmittel ist gegen diesen Beschluss nicht gegeben, weil die Rechtsbeschwerde nicht
zugelassen wird.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats.
Der Antragsteller ist der Betriebsrat der Mainzer Filiale der Arbeitgeberin, die ihren Unternehmenssitz in A-
Stadt (Oberpfalz) hat und bundesweit etwa 480 Filialen betreibt, in denen vornehmlich Autozubehörartikel
angeboten aber auch direkt an und in Pkw´s montiert werden. In der zweiten Jahreshälfte waren in der
Mainzer Filiale etwa 10 kaufmännische Angestellte und 12 Werkstattmitarbeiter beschäftigt.
Die Arbeitgeberin lässt durch ein Fremdunternehmen bundesweit in ihren Filialen durch so genannte
"MysteryShopper" als Testkäufer getarnt "Service-Checks zur Untersuchung der Kundenfreundlichkeit"
ihrer Filialen durchführen. Hierbei wird durch den Einsatz der Testpersonen, die als "normale" Kunden
auftreten, eine Verkaufssituation simuliert. Die Testkäufer, die sich als solche zunächst nicht zu erkennen
geben, notieren anschließend in einem umfangreichen Fragebogen ihre Beobachtungen und
Einschätzungen der ihnen gegenüber getretenen Verkaufspersonen.
Solche Testkäufer wurden auch in der Mainzer Filiale eingesetzt. Anhand des Inhalts der ausgefüllten
Fragebögen ist es in der Vergangenheit vorgekommen, dass die Arbeitgeberin u.a. auch Abmahnungen
gegenüber den überprüften Verkaufspersonen ausgesprochen hat.
Bei der Einführung der Fragebögen wurde der örtliche Betriebsrat nicht beteiligt.
Im vorliegenden Verfahren ist der Betriebsrat der Filiale Mainz der Auffassung, dass die Verwendung der
von den Testkäufern benutzten Fragebögen aufgrund mehrerer gesetzlichen Regelungen aus dem
Betriebsverfassungsgesetz mitbestimmungspflichtig sei. Die Arbeitgeberin sei darüber hinaus verpflichtet,
ihm nach § 80 Abs. 2 BetrVG die kompletten Verträge mit dem Fremdunternehmen zur Einsichtnahme
vorzulegen.
Der Betriebsrat hat beantragt,
1. festzustellen, dass die Arbeitgeberin durch den Einsatz so genannter Testkäufer im Mainzer Betrieb
der Beklagten (Rheinallee) gegen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates verstößt.
2. festzustellen, dass die Arbeitgeberin durch den Einsatz von Fragebogen bzw. Formularen für die
Testkäufer gegen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates verstößt.
3. die Arbeitgeberin zu verpflichten, es zu unterlassen, ohne vorherige Zustimmung des Betriebsrats
bzw. ohne Durchführung des Verfahrens nach § 100 BetrVG Arbeitnehmer im Betrieb zu beschäftigen
bzw. einzustellen, deren Aufgabe darin besteht, ansonsten im Betrieb beschäftigte Arbeitnehmer zu
überwachen und zu kontrollieren.
4. die Arbeitgeberin zu verurteilen, dem Betriebsrat die Verträge vorzulegen, die Grundlage für den
Einsatz der Testkaufbeauftragten sind.
Die Arbeitgeberin hat beantragt,
die Anträge zurückzuweisen.
Sie bestreitet ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, weil nach ihrer Auffassung davon auszugehen
sei, dass es sich bei den Beurteilungen der Testkäufer um eine Überwachung der Arbeitsleistung und
nicht um eine Überwachung des Verhaltens der Arbeitnehmer zur Einhaltung der Ordnung des Betriebes
handele. Nicht das Verhalten der Mitarbeiter, sondern die Verbesserung der Beratungsqualität stehe im
Vordergrund beim Testkauf. Den Antrag zu 4. habe sie ohne Anerkennung einer Rechtspflicht freiwillig
erfüllt.
Das Arbeitsgericht hat durch Beschluss vom 04.02.2004, auf dessen Tatbestand zur näheren
Sachverhaltsdarstellung hiermit Bezug genommen wird, die Anträge des Betriebsrates zurückgewiesen,
teilweise weil es sie für unzulässig und teilweise für unbegründet erachtet hat. Zur Begründung hat es
angegeben, dass nach der Rechtsprechung des BAG der Einsatz von Testkäufern nicht
mitbestimmungspflichtig sei. Den Antrag zu 4. habe die Arbeitgeberin erfüllt.
Gegen diesen Beschluss hat der Betriebsrat form- und fristgerecht Beschwerde eingelegt.
Nach Auffassung des Betriebsrats habe sich das Arbeitsgericht mit der Rechtsprechung des BAG nicht
hinreichend auseinandergesetzt. Es stimme nicht, dass die Arbeitgeberin dem Betriebsrat vollständigen
Einblick in die kompletten vertraglichen Unterlagen zwischen der Arbeitgeberin und dem
Drittunternehmen gewährt habe. Erst wenn dies geschehen sei, könne endgültig Art und Umfang von
einzelnen Mitbestimmungsrechten des Betriebsrates festgestellt werden.
Wenngleich Testkäufe nicht nur in der Filiale Mainz, sondern bundesweit in allen Filialen der
Arbeitgeberin durchgeführt werden, sei vorliegend nicht die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates
gegeben, sondern der örtliche Betriebsrat könne das vorliegende Verfahren auch betreiben. Darüber
hinaus sei der Gesamtbetriebsrat über das anhängige Verfahren informiert und wartet dessen Ausgang
ab, da der Gesamtbetriebsrat bisher von der Einleitung eines eigenen Beschlussverfahrens abgesehen
habe. Die Rechtsprechung des BAG zur Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen örtlichem Betriebsrat
und Gesamtbetriebsrat stimme weder mit dem Wortlaut, dem Gesetzeszweck oder der
Entstehungsgeschichte des § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG überein. Unabhängig davon bestehe vorliegend
kein zwingendes Erfordernis für eine unternehmenseinheitliche bzw. betriebsübergreifende Regelung.
Hintergrund des vorliegenden Verfahrens sei, dass Mitarbeiter der Mainzer Filiale aufgrund des Inhalts
der Fragebögen der Testkäufer auf individualrechtlicher Ebene Nachteile erleiden mussten. Sollte das
Beschwerdegericht der Auffassung sein, dass kein Antragsrecht des örtlichen Betriebsrates bestehe, so
rege dieser trotzdem an, dass das erkennende Gericht zur Herstellung der notwendigen Rechtsklarheit
und Rechtssicherheit auf die Anträge in der Sache eingehe.
Der Betriebsrat beantragt,
unter Abänderung des erstinstanzlichen Beschlusses des Arbeitsgerichts Mainz vom 04.02.2004
1. festzustellen, dass die Arbeitgeberin durch den Einsatz so genannter Testkäufer in der Filiale Mainz-
Mombach gegen die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates verstößt,
2. festzustellen, dass die Arbeitgeberin aufgrund der Durchführung personenidentifizierender
Einkaufstests unter Verwendung personenidentifizierender Frageboten bzw. Formulare - u.a. mit den
Fragebogenkennungen Service-Check A.T.U. 0801 c 2002 AA Service für den Handel GmbH; Service -
Scheck A.T.U. 0603; Service-Check A.T.U.-Deutschland 1103 - durch Testkäufer in der Filiale Mainz-
Mombach gegen die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates verstößt,
3. die Arbeitgeberin zu verpflichten, es zu unterlassen, ohne vorherige Zustimmung des Betriebsrates
bzw. ohne Durchführung des Verfahrens nach § 100 BetrVG Personen im Betrieb zu beschäftigen bzw.
einzustellen, deren Aufgabe darin besteht, in der Filiale Mainz-Mombach beschäftigte Arbeitnehmer zu
überwachen und zu kontrollieren,
4. die Arbeitgeberin zu verurteilen, dem Betriebsrat sämtliche Verträge, Zusatzvereinbarungen,
Absprachen und sonstige Unterlagen vorzulegen, die Grundlage für den Einsatz der Testkaufbeauftragten
in der Filiale Mainz-Mombach sind.
Die Arbeitgeberin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen,
da nach ihrer Auffassung das Arbeitsgericht zumindest im Ergebnis die Sach- und Rechtslage zutreffend
entschieden habe. Hinsichtlich der Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates verweise sie auf die
Rechtslage.
Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Beteiligten zur
Gerichtsakte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der Anhörung der Beteiligten im
Termin vom 07.12.2004 waren, Bezug genommen. Das Beschwerdegericht hat beiden Parteien im
Anschluss an den Anhörungstermin Gelegenheit gegeben, zur Frage der Antragsbefugnis des örtlichen
Betriebsrats Stellung zu nehmen, nachdem die Problematik der Abgrenzung zwischen örtlichem
Betriebsrat und Gesamtbetriebsrat erstmals im Verhandlungstermin nach § 139 ZPO vom Gericht
angesprochen worden ist. Auf die Schriftsätze der Beteiligten vom 20.12.2004 und vom 22.12.2004 wird
hiermit verwiesen.
II.
Die Beschwerde des Betriebsrats ist zulässig. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht eingelegt
und in gleicher Weise begründet.
In der Sache ist das Rechtsmittel jedoch unbegründet. Mit zutreffendem Ergebnis hat das Arbeitsgericht
die Anträge des Betriebsrats zurückgewiesen. Die Unbegründetheit ergibt sich bereits daraus, dass im
Streitfalle mögliche Mitbestimmungsrechte nicht dem örtlichen Betriebsrat der Filiale in Mainz, sondern
dem Gesamtbetriebsrat zustehen. Unstreitig gibt es im Unternehmen einen Gesamtbetriebsrat neben
zahlreichen örtlichen Betriebsräten in den einzelnen rund 480 Filialen der Arbeitgeberin, die bundesweit
verteilt sind.
Nach § 50 BetrVG ist der Gesamtbetriebsrat zuständig für die Behandlung von Angelegenheiten, die das
Nach § 50 BetrVG ist der Gesamtbetriebsrat zuständig für die Behandlung von Angelegenheiten, die das
Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffen und nicht durch die einzelnen Betriebsräte
innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden können. Beide Voraussetzungen müssen nach ständiger
Rechtsprechung des BAG kumulativ erfüllt sein (vgl. etwa BAG vom 14.12.1999, AP Nr. 104 zu § 87
BetrVG 1972 Lohngestaltung). Der Begriff des "Nichtregelnkönnens" setzt nicht notwendig eine objektive
Unmöglichkeit voraus. Ausreichend aber regelmäßig auch zu verlangen ist jedoch nach der ständigen
Rechtsprechung des BAG, der das erkennende Gericht folgt, dass ein zwingendes Erfordernis für eine
betriebsübergreifende Regelung besteht (vgl. etwa BAG vom 18.10.1994, AP Nr. 70 zu § 87 BetrVG 1972
Lohngestaltung; BAG vom 15.01.2002, NZA 2002, 988 ff). Ob ein zwingendes Bedürfnis nach einer
betriebsübergreifenden Regelung besteht, bestimmt sich nach dem Mitbestimmungstatbestand, der einer
zu regelnden Angelegenheit zugrunde liegt. Vorliegend kommt als mögliches Mitbestimmungsrecht
insbesondere § 87 Abs. 1 BetrVG in Betracht. Denkbar, wenn auch sehr ferne liegend, wäre auch ein
Mitbestimmungsrecht nach § 99 BetrVG. Nach der eigenen Rechtsauffassung des Betriebsrates soll ihm
ein Mitbestimmungsrecht bei der Gestaltung der Fragebögen zustehen. Die Regelung dieser Frage ist
jedoch nicht nur im Hinblick auf die Verhältnisse in der Filiale Mainz zu beurteilen, sondern
unternehmens- und bundesweit. Wie der antragstellende örtliche Betriebsrat selbst schildert und durch
konkrete Beispiele belegt hat, wurden durch die gewonnenen Ergebnisse der Testkäufer nicht nur
Arbeitnehmer der Filiale Mainz, sondern auch solche von anderen Filialen betroffen. Wären etwa die
Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates im Hinblick auf diesen Aspekt zu bejahen, dann kann der örtliche
Betriebsrat nur die Interessen der Mainzer Mitarbeiter des Unternehmens vertreten, nicht jedoch
diejenigen der anderen Filialen. Dies ist allein Aufgabe des Gesamtbetriebsrates. Sollten
Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates bei der fraglichen Ausgestaltung des Testkaufs im Unternehmen
der Arbeitgeberin bestehen, dann ist auch eine unternehmenseinheitliche Regelung im Umfang des
bestehenden Mitbestimmungsrechts nicht nur zweckmäßig, sondern drängt sich geradezu auf. Es besteht
keinerlei örtlicher Bezug zu irgendwelchen Besonderheiten der Filiale Mainz, sondern alle Arbeitnehmer
des Unternehmens sind insoweit einheitlich betroffen und zu behandeln. Diese zwingende Notwendigkeit
ist nur dann gewährleistet, wenn mit einer möglichen Regelung auf Unternehmensebene eine alle
Arbeitnehmer gleichbehandelnde unternehmenseinheitliche Regelung in einer Betriebsvereinbarung, die
notfalls über einen Spruch der Einigungsstelle zustande kommt, besteht. Voraussetzung hierfür ist
allerdings die Bejahung von Mitbestimmungsrechten.
Das erkennende Gericht ist vorliegend auch nicht an der hier vorgenommenen Feststellung gehindert,
weil sich die Arbeitgeberin bis zum Termin zur Anhörung der Beteiligten vor dem Beschwerdegericht nicht
selbst auf die Kompetenz des Gesamtbetriebsrates berufen hat. Nach ihrer Auffassung scheidet von
vorneherein und generell ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates aus, so dass sich für sie die Frage
überhaupt nicht gestellt hat, ob sie sich mit ihren zahlreichen örtlichen Betriebsräten auf
Unternehmensebene überhaupt auf einen möglichen Regelungsbedarf einlassen muss. Es kann daher
offen bleiben, wie der Rechtsstreit zu entscheiden wäre, wenn die Arbeitgeberin - aus welchen Gründen
auch immer - eine unternehmenseinheitliche Regelung über mitbestimmte Rechte des Betriebsrats nach §
87 Abs. 1 BetrVG gerade nicht wünschen, sondern Regelungen mit den örtlichen Betriebsräten vorziehen
würde.
Scheiden mögliche Mitbestimmungsrechte des öffentlichen Betriebsrats aus den genannten Gründen aus,
dann ist es dem Gericht verwehrt, auf Anregung des antragstellenden Betriebsrats quasi ein
Rechtsgutachten über Mitbestimmungsrechte zu erstellen.
Nach alledem war die Beschwerde des Betriebsrates gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts
zurückzuweisen.
Die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht konnte angesichts der gesetzlichen Kriterien von §§ 92
Abs. 1 Satz 2, 72 Abs. 2 ArbGG nicht zugelassen werden.