Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 04.02.2011
LArbG Mainz: befristung, promotion, universität, klinik, zahnmedizin, reduktion, arbeitsgericht, anatomie, professur, gleichbehandlung
LAG
Mainz
04.02.2011
9 Sa 528/10
Befristung - Hochschulbereich - Medizin
Aktenzeichen:
9 Sa 528/10
1 Ca 2342/09
ArbG Mainz
Entscheidung vom 04.02.2011
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 14.04.2010, Az.: 1 Ca 2342/09,
wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten darüber, ob das zwischen ihnen begründete Arbeitsverhältnis aufgrund
arbeitsvertraglich vereinbarter Befristung mit Ablauf des 29.09.2009 beendet worden ist.
Die Klägerin ist promovierte Tierärztin. Sie war zuletzt auf der Grundlage des Ar- beitsvertrages vom
09.05.2006 (Bl. 9 f. d. A.) bei der Beklagten als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für Anatomie und
Zellbiologie in den Bereichen Mikroskopie und Makroskopie tätig. § 1 des Arbeitsvertrages sieht vor, dass
die Klägerin ab dem 01.07.2006 bis einschließlich 29.09.2006 als wissenschaftliche Mitarbeiterin im
Sinne der § 57 a ff. des Hochschulrahmengesetzes in der jeweils gültigen Fassung weiterbeschäftigt wird.
Das auf der Grundlage des noch zwischen der Klägerin und dem Land geschlossenen Arbeitsvertrages
begründete Arbeitsverhältnis wurde gemäß § 21 UMG auf die Beklagte übergeleitet.
Die Approbation der Klägerin als Tierärztin datiert vom 15.01.1992. Nach eigenen Angaben promovierte
die Klägerin in der Zeit von Juli 1993 bis November 1996. Die Promotionsurkunde datiert vom 15.11.1996.
Seit 1995 war die Klägerin insgesamt wie folgt als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig:
Privatdienstverträge:
vom 01.06.1995 für sechs Monate bei Prof. Dr. N.
vom 01.09.1996 bis 31.08.1998 bei Dr. med. G.
vom 01.09.1998 bis 30.09.1998 bei Dr. med. G.
Hochschulverträge:
Universität B. von 01.07.1999 bis 30.06.2001
Universität B. von 01.07.2001 bis 30.06.2002
Universität M. von 01.02.2003 bis 28.02.2005
Universität M. Verlängerung bis 28.02.2006
Universität M. von 01.03.2006 bis 30.09.2006
Universität M. von 01.07.2006 bis 29.09.2009
Mit ihrer am 20.10.2009 beim Arbeitsgericht Mainz eingegangenen Klage begehrte die Klägerin die
Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund der Befristung des Arbeitsvertrages bis zum 29.09.2009
nicht beendet worden ist, ferner die Verurteilung der Beklagten zu ihrer vorläufigen Weiterbeschäftigung.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts sowie des Vortrags der Parteien
erster Instanz wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des
Arbeitsgerichts Mainz vom 14.04.2010, Az: 1 Ca 2342/09 (Bl. 57 ff. d. A.).
Durch das genannte Urteil hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung -
zusammengefasst - ausgeführt:
Die Befristung sei gemäß §§ 6 Abs. 1 Satz 1 WissZeitVG, 57 b HRG in der ab dem 31.12.2004 geltenden
Fassung rechtswirksam. Die für den Bereich der Medizin in § 57 b Abs. 1 HRG vorgesehene
Befristungshöchstdauer von neun Jahren sei nicht überschritten. Die Klägerin sei auch im Bereich der
Medizin im Sinne des § 57 b Abs. 1 Satz 2 HRG tätig. Nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom
02.09.2009 - 7 AZR 291/08 - greife die neunjährige Befristungsmöglichkeit zwar nur für wissenschaftliche
Mitarbeiter der medizinischen Fachrichtungen. Hierzu gehöre aber nach dem genannten Urteil neben der
Human- bzw. Zahnmedizin auch der Bereich der Tiermedizin. Eine Befristung nach § 57 b Abs. 1 Satz 2
HRG setze darüber hinaus nicht weiter voraus, dass die wissenschaftliche Tätigkeit im Bereich der
Medizin gerade auch dazu dienen müsse, dem Mitarbeiter eine Facharztausbildung zu ermöglichen.
Gegen eine Auslegung in diesem Sinne spreche neben dem Gesetzeswortlaut auch die Tatsache, dass
durch die ab dem 31.12.2004 geltende Fassung des § 57 b HRG von dem Erfordernis des Bestehens
eines sachlichen Grundes gerade Abstand genommen worden sei und der gebotene Schutz nunmehr
durch die Einführung einer Befristungshöchstdauer sichergestellt werde. Dies diene auch einer Sicherung
der Funktions- und Innovationsfähigkeit der Hochschulen und der Förderung des wissenschaftlichen
Nachwuchses.
Das genannte Urteil ist der Klägerin am 31.08.2010 zugestellt worden. Sie hat hiergegen mit einem am
30.09.2010 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese
innerhalb der mit Beschluss vom 28.10.2010 bis zum 30.11.2010 verlängerten Berufungsbegründungsfrist
mit Schriftsatz vom 30.11.2010, beim Landesarbeitsgericht am gleichen Tag eingegangen, begründet.
Nach Maßgabe des genannten Schriftsatzes, auf den ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 96 ff. d. A.),
macht die Klägerin zur Begründung ihrer Berufung im Wesentlichen geltend:
Als im Bereich der Humanmedizin eingesetzte Tiermedizinerin habe sie keine Möglichkeit, die spezifisch
tiermedizinische Facharztausbildung zu absolvieren. Das Urteil des Bundesarbeitsgericht vom 02.09.2009
(7 AZR 291/08) spreche aber gerade dafür, dass die Ermöglichung einer Facharztausbildung die
verlängerte Befristungsmöglichkeit im Bereich der Medizin rechtfertige. Die verlängerte
Befristungsmöglichkeit sei deshalb im vorliegenden Fall funktionswidrig eingesetzt worden.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Mainz vom 14.04.2010 festzustellen, dass das
zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht am 29.09.2009 aufgrund der Befristung
vom 09.05.2006/22.06.2006 geendet hat.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihres Berufungserwiderungsschriftsatzes
vom 14.01.2011, auf den ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 115 ff. d. A.), als rechtlich zutreffend. Sie
vertritt die Auffassung, dass es sich bei der Befristungsmöglichkeit nach § 57 b Abs. 1 Satz 2 HRG nach
Wortlaut, Gesetzesbegründung und Gesetzesgeschichte um eine sachgrundlose
Befristungsmöglichkeit handele. Dem gebotenen Schutz der Arbeitnehmer vor einer exzessiven
Vornahme befristeter Verträge werde durch eine klare Regelung der Befristungshöchstdauer Rechnung
getragen.
Entscheidungsgründe:
I.
wurde auch form- und fristgerecht eingelegt und auch inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen
entsprechend begründet.
II.
Parteien ist rechtswirksam. Das Arbeitsverhältnis hat deshalb mit Ablauf des 29.09.2009 seine
Beendigung gefunden.
1.
Befristungsvereinbarung nach § 57 b HRG in der ab dem 31.12.2004 geltenden Fassung. Gemäß § 57 b
Abs. 1 Satz 2 HRG ist nach abgeschlossener Promotion eine Befristung bis zu einer Dauer von sechs
Jahren, im Bereich der Medizin bis zu einer Dauer von neun Jahren zulässig; die zulässige
Befristungsdauer verlängert sich in dem Umfang, in den Zeiten einer befristeten Beschäftigung vor der
Promotion und Promotionszeiten ohne Beschäftigung nach Satz 1 zusammen weniger als sechs Jahre
betragen haben. Auf die in § 57 b Abs. 1 HRG bestimmte Befristungsdauer sind alle befristeten
Arbeitsverhältnisse mit mehr als einem Viertel der regelmäßigen Arbeitszeit, die an einer Deutschen
Hochschule abgeschlossen wurden, und u. a. Privatdienstverträge nach § 57 c HRG anzurechnen, § 57 b
Abs. 2 Satz 1 HRG.
Eine Befristung von Arbeitsverträgen nach abgeschlossener Promotion ist damit bis zu einer Dauer von
zwölf bzw. fünfzehn Jahren zulässig, abzüglich der anrechenbaren Befristungsdauer, die schon vor
Abschluss der Promotion in Anspruch genommen worden ist und der Zeiten einer Promotion ohne eine
bzw. ohne eine anrechenbare Beschäftigung nach § 57 Abs. 1 Satz 1 HRG, mindestens jedoch für sechs
bzw. neun Jahre.
Ausgehend hiervon ist rein rechnerisch die gesetzliche Höchstbefristungsdauer eingehalten. Dies ist
zwischen den Parteien auch im Berufungsverfahren nicht streitig.
2.
Abs. 1 Satz 2 HRG beschäftigt worden. Zum Bereich der Medizin gehören die Bereiche Human- und
Zahnmedizin sowie Tiermedizin (BAG 02.09.2009 - 7 AZR 291/08 -, EzA § 620 BGB 2000 Hochschulen
Nr. 4).
a)
der für den Bereich der Medizin eine bis zu neunjährige befristete Beschäftigung nach der Promotion
zulässt, voraus, dass es sich um wissenschaftliche Mitarbeiter der medizinischen Fachrichtungen handelt.
Aus der Gesetzessystematik sowie aus Sinn und Zweck der Regelung ergibt sich, dass die für den Bereich
der Medizin um drei Jahre verlängerte Qualifizierungsphase erkennbar den Erfordernissen der
Facharztausbildung, die je nach Fachrichtung fünf oder sechs Jahre in Anspruch nimmt, Rechnung
getragen werden sollte.
Soweit die Klägerin die Auffassung vertritt, darüber hinaus sei auch eine Kongruenz zwischen der von der
wissenschaftlichen Mitarbeiterin/dem Mitarbeiter eingeschlagenen medizinischen Fachrichtung und der
medizinischen Fachrichtung, in welcher die tatsächliche Beschäftigung erfolgt, erforderlich, folgt dem die
Berufungskammer nicht. Dem Wortlaut der Norm lässt sich eine dahingehende Einschränkung nicht
entnehmen. Auch unter Berücksichtigung der Gesetzessystematik sowie von Sinn und Zweck der
Regelung ist eine derartige teleologische Reduktion nicht geboten.
Der Regierungsentwurf zum 5. HRGÄndG (BT Drucksache 14/6853, S. 10) sah zunächst keine verlängerte
Befristungsmöglichkeit für den Bereich Medizin vor, sondern bestimmte generell eine
Befristungshöchstgrenze von grundsätzlich sechs Jahren. Andererseits, sah § 47 des Regierungsentwurfs
in Satz 4 als Einstellungsvoraussetzung bei Junior-Professuren im Bereich der Medizin vor, dass, sofern
vor oder nach der Promotion eine Beschäftigung als wissenschaftliche Mitarbeiterin oder
wissenschaftlicher Mitarbeiter oder als wissenschaftliche Hilfskraft erfolgt ist, Promotions- und
Beschäftigungsphase zusammen nicht mehr als sechs Jahre, im Bereich der Medizin nicht mehr als neun
Jahre betragen haben sollen. Zur Begründung heißt es (BT-Drs 14/6853, S. 28): "Eine selbständige
Vertretung des Faches Medizin in der Lehre erfordert - wie zu Satz 2 ausgeführt wurde - eine
abgeschlossene Facharztausbildung, die nach den geltenden landesrechtlichen
Weiterbildungsregelungen je nach Fachrichtung zur Zeit etwas fünf bis sechs Jahre dauert…. Da diese
Promotionsphase auch an außeruniversitären Forschungseinrichtungen oder ausländischen
Einrichtungen absolviert werden können soll, kann die Promotionsphase jedenfalls in diesen Fällen nicht
gleichzeitig zur Facharztausbildung genutzt werden".
Die Einführung einer Befristungshöchstdauer von grundsätzlich neun Jahren im Bereich der Medizin geht
hingegen auf eine Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und
Technologieabschätzung (BT-Drs 14/7336) zurück, wobei der Ausschuss zur Begründung ausführte (BT-
Drs 14/7336, S. 11), dass dieser (verlängerte) Zeitraum auch für die Nachwuchswissenschaftler im
Bereich der Medizin zur Verfügung stehen solle, die als wissenschaftliche Mitarbeiter beschäftigt werden
und die nicht eine Professur an einer Universität, sondern zum Beispiel eine leitende ärztliche Funktion in
einer außeruniversitären Klinik anstreben.
Der Klägerin ist zuzugeben, dass die beispielhafte Nennung einer "leitenden ärztlichen Funktion in einer
außeruniversitären Klinik" regelmäßig wiederum eine Facharztausbildung voraussetzen wird. Auf der
anderen Seite wird ein derartiges Berufsziel nur beispielhaft als ein denkbares Berufsziel außerhalb des
außeruniversitären Bereichs genannt, während nach der genannten Begründung der Gesichtspunkt einer
Gleichbehandlung von Nachwuchswissenschaftlern, die eine Juniorprofessur anstreben und solchen, die
eine außeruniversitäre Karriere anstreben, im Vordergrund stand.
Neben einer leitenden ärztlichen Funktion sind hier etwa führende Funktionen im Bereich der
außeruniversitären Forschung und Entwicklung denkbar, wobei etwa im Bereich der
Grundlagenforschung oder auch im Bereich der Pharmakologie vielfache Berührungspunkte zwischen
Human- und Tiermedizin bestehen, etwa dergestalt, dass die Erforschung der Auswirkung bestimmter
Substanzen, die unter Umstände humanmedizinisch genutzt werden sollen, zunächst im Tierversuch
erprobt werden.
Im Übrigen ist nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber bei der Normierung der
Einstellungsvoraussetzungen für Juniorprofessoren mit ärztlichen, zahnärztlichen oder tierärztlichen
Aufgaben davon ausging, dass die für erforderlich gehaltene Facharztausbildung aus der Beschäftigung
als wissenschaftlicher Mitarbeiter heraus erfolgen müsse. Vielmehr sollte generell der erhöhten zeitlichen
Beanspruchung Rechnung getragen werden. Die Möglichkeit der Erlangung einer Qualifikation als
Fachärztin in ihrem Bereich steht aber der Klägerin offen.
Gegen eine teleologische Reduktion spricht schließlich auch, dass durch die Neuregelung durch das 5.
HRG Änderungsgesetz gerade auf die Festlegung einzelner Sachgründe für eine Befristung verzichtet
werden sollte (vgl. BT-DAS 14/6853, S. 20).
III.
Nr. 1 ArbGG.