Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 16.06.2010

LArbG Mainz: ordentliche kündigung, treu und glauben, kündigungsfrist, arbeitsgericht, aufhebungsvertrag, arbeitsunfähigkeit, beendigung, verfügung, krankheitsfall, leiter

LAG
Mainz
16.06.2010
8 Sa 40/10
Auslegung einer Kündigungserklärung
Aktenzeichen:
8 Sa 40/10
2 Ca 1377/09
ArbG Kaiserslautern
Entscheidung vom 16.06.2010
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 07.01.2010, Az.: 2
Ca 1377/09, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten im vorliegenden Berufungsverfahren noch über den Beendigungszeitpunkt eines
Arbeitsverhältnisses sowie darüber, ob die Klägerin für den Monat September 2009 einen Anspruch auf
Entgeltfortzahlung hat.
Die Klägerin war seit dem 15.10.2007 in einem von der Beklagten betriebenen Altenheim als
Hauswirtschaftsleiterin beschäftigt. Ihre vertragsgemäße Arbeitsvergütung belief sich zuletzt auf 2.000,00
EUR brutto monatlich.
Am 25.08.2009 übergab die Klägerin dem Leiter des Altenheims ein Schreiben selben Datums, welches
folgende Erklärung enthält:
"Hiermit kündige ich das mit der W GmbH & Co. KG bestehende Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der
vertraglichen Kündigungsfrist von 4 Wochen ordentlich zum 31.08.2009."
Die Beklagte erklärte daraufhin gegenüber der Klägerin mit Schreiben vom 26.08.2009, dass sie ihr
aufgrund der "kurzfristigen Kündigung zum 31.08.2009" einen Aufhebungsvertrag anbiete. Dem
Schreiben beigefügt war ein Aufhebungsvertrag, nach dessen Inhalt das Arbeitsverhältnis in
gegenseitigem Einvernehmen zum 31.08.2009 enden sollte.
Die Klägerin unterzeichnete den Aufhebungsvertrag nicht und erklärte mit Schreiben an die Beklagte vom
27.08.2009, dass ihr im Kündigungsschreiben vom 25.08.2009 ein "Druckfehler" unterlaufen sei und sie
das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von vier Wochen ordentlich zum 30.09.2009
kündige.
Daraufhin erklärte die Beklagte mit Schreiben vom 27.08.2009, dass sie die Kündigung vom 25.08.2009
annehme und das Arbeitsverhältnis somit zum 31.08.2009 enden werde.
Von Mitte August bis Ende September 2009 war die Klägerin durchgängig arbeitsunfähig erkrankt.
Mit ihrer am 01.09.2009 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat die Klägerin die Feststellung begehrt,
dass das Arbeitsverhältnis erst zum 30.09.2009 endet. Darüber hinaus hat die Klägerin im Wege mehrerer
Klageerweiterungen die Zahlung ihrer vertragsgemäßen Arbeitsvergütung für den Monat September 2009
in Höhe von 2.000,00 EUR brutto sowie die Zahlung von Überstundenvergütung in Höhe von 377,40 EUR
brutto und Urlaubsabgeltung in Höhe von 923,07 EUR brutto geltend gemacht.
Von einer weitergehenden Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes nebst der in erster
Instanz gestellten Anträge wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Insoweit wird Bezug genommen
auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 07.01.2010 (Bl. 96 bis 98 d. A.).
Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 07.01.2010 insgesamt stattgegeben. Hinsichtlich der
maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 4 f. dieses Urteils (= Bl. 98 f. d. A.) verwiesen.
Gegen das ihr am 21.01.2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 25.01.2010 Berufung eingelegt und
diese am 18.03.2010 begründet.
Die Beklagte macht im Wesentlichen geltend, entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts sei die
Kündigungserklärung der Klägerin vom 25.08.2009 dahingehend auszulegen, dass sie das
Arbeitsverhältnis zum 31.08.2009 habe beenden wollen. Für die Auslegung der betreffenden Erklärung
seien nämlich auch die außerhalb des Inhalts des betreffenden Schriftstückes liegenden Umstände
heranzuziehen. Diesbezüglich sei insbesondere zu berücksichtigen, dass - wie bereits erstinstanzlich
vorgetragen - die Klägerin unmittelbar nach Übergabe des Kündigungsschreibens ihre Schlüssel
abgegeben und ihre persönlichen Dinge aus ihrem Büro abgeholt habe. Die Klägerin habe damit zu
erkennen gegeben, dass sie ihre Arbeit nicht mehr aufnehmen werde. Aber selbst dann, wenn das
Arbeitsverhältnis erst am 30.09.2009 geendet hätte, bestünde keine Pflicht zur Zahlung von
Arbeitsvergütung für den Monat September 2009. Im Hinblick auf das Verhalten der Klägerin habe sie -
die Beklagte - sich nicht in Annahmeverzug befunden.
Wegen aller weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beklagten im Berufungsverfahren wird auf deren
Berufungsbegründungsschrift vom 17.03.2010 (Bl. 146 bis 150 d. A.) sowie auf die Schriftsätze vom
02.06.2010 (Bl. 169 f. d. A.) und vom 09.06.2010 (Bl. 177 f. d. A.) Bezug genommen.
Die Beklagte beantragt,
das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Klage hinsichtlich der Klageanträge zu 1. und 2.
abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe ihrer Schriftsätze vom 26.04.2010 (Bl.
162 bis 164 d. A.) und vom 10.06.2010 (Bl. 180 f. d. A.) auf die Bezug genommen wird.
Entscheidungsgründe:
I.
somit insgesamt zulässige Rechtsmittel hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat
vielmehr zu Recht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien bis zum 30.09.2009 fortbestanden
hat und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 2.000,00 EUR brutto zu zahlen.
II. 1.
Arbeitsverhältnis der Parteien hat erst mit Ablauf des 30.09.2009 geendet.
Die mit Schreiben der Klägerin vom 25.08.2009 ausgesprochene Kündigung hat das Arbeitsverhältnis erst
zum 30.09.2009 beendet. Dabei kann offen bleiben, ob es der Klägerin hinsichtlich des von ihr selbst im
Kündigungsschreiben genannten Beendigungszeitpunkt (31.08.2009) gemäß § 242 BGB nach Treu und
Glauben verwehrt wäre, sich auf die Nichteinhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist des
§ 622 Abs. 1 BGB zu berufen. Bei Auslegung des Kündigungsschreibens ergibt sich nämlich, dass die
Klägerin eine ordentliche Kündigung unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist von vier Wochen
zum Monatsende ausgesprochen hat, die das Arbeitsverhältnis folglich erst zum 30.09.2009 beenden
konnte.
Bei der nach §§ 133, 157 BGB durchzuführenden Auslegung einer Kündigungserklärung ist zu ermitteln,
wie der Empfänger der Erklärung diese aufgrund des aus der Erklärung erkennbaren Willens des
Kündigenden unter Berücksichtigung der Verkehrssitte und der Grundsätze von Treu und Glauben
vernünftigerweise verstehen konnte. Ziel der Auslegung ist die Ermittlung ihrer objektiven, normativen
Bedeutung, die beide Parteien gegen sich gelten lassen müssen. Dabei ist sowohl die
Verständnismöglichkeit des Empfängers als auch das Interesse des Erklärenden daran zu
berücksichtigen, dass sich der Empfänger darum bemüht, die Erklärung nicht misszuverstehen. Der
Empfänger darf sich nicht einfach auf den wörtlichen Sinn der Erklärung verlassen, sondern muss
seinerseits unter Berücksichtigung aller ihm erkennbaren Umstände, die dafür von Bedeutung sein
können, danach trachten, das Gemeinte zu erkennen. Die Auslegung hat sich dabei an dem Grundsatz
auszurichten, dass im Zweifel gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und
der recht verstandenen Interessenlage entspricht. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Rechtsordnung
nur die außerordentliche oder die ordentliche, d. h. fristgerechte Kündigung zur Verfügung stellt. Die
außerordentliche Kündigung - ob mit oder ohne Auslauffrist - muss hinreichend deutlich erklärt sein. Dabei
genügt selbst die Erkennbarkeit des Willens des Erklärenden, das Arbeitsverhältnis mit sofortiger Wirkung
zu beenden, dann nicht, wenn diese Erklärung die Deutungsmöglichkeit einschließt, die sofortige
Beendigung solle durch einen Beendigungstatbestand eintreten, der das Vorliegen eines wichtigen
Grundes nicht voraussetzt, wie es z. B. bei der Berufung auf die Unwirksamkeit des Arbeitsvertrages aus
Formmängeln oder bei der Anfechtung der Fall ist. Erst recht muss in allen Fällen, in denen nicht einmal
die sofortige Vertragsbeendigung angestrebt wird, zweifelsfrei der Wille erkennbar werden, aus wichtigem
Grund zu kündigen. Verbindet deshalb der Kündigende mit der Kündigung einen Zeitpunkt, zu dem die
Kündigung in der Zukunft wirken soll, kann hierin grundsätzlich keine außerordentliche Kündigung
gesehen werden, wenn der Kündigende nicht gleichzeitig deutlich macht, dass es sich dabei lediglich um
eine Auslauffrist zu einer außerordentlichen Kündigung handelt. Es liegt dann folgerichtig eine ordentliche
Kündigung vor. Bei dieser Art der Kündigung ist für den Kündigungsadressaten erkennbar, dass der
Kündigende die einzuhaltende Kündigungsfrist grundsätzlich wahren will, da er aufgrund gesetzlicher,
tariflicher oder einzelvertraglicher Regelungen an sie gebunden ist (BAG v. 15.12.2005 - 2 AZR 148/05 -
AP Nr. 55 zu § 4 KSchG 1969).
Im Streitfall hat die Klägerin zwar im Kündigungsschreiben vom 25.08.2009 den 31.08.2009 als
Beendigungsdatum genannt. Zugleich enthält das Kündigungsschreiben jedoch die Formulierung: "…
Unter Einhaltung der vertraglichen Kündigungsfrist von vier Wochen ordentlich ….". Es steht daher außer
Zweifel, dass der Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung von der Klägerin nicht gewollt war. Für
den Erklärungsempfänger war vielmehr deutlich erkennbar, dass es sich um eine ordentliche Kündigung
unter Einhaltung der maßgeblichen Frist handelte und dass die Benennung des 31.08.2009 als
Beendigungsdatum offensichtlich auf einem Schreibfehler o. ä. beruhte.
Entgegen der Ansicht der Beklagten waren auch keine sonstigen Umstände gegeben, die dafür sprechen
könnten, dass die Klägerin das Arbeitsverhältnis vorfristig, d. h. bereits zum 31.08.2009 beenden wollte.
Dabei kann offen bleiben, ob die Klägerin am 25.08.2009 ihre Büroschlüssel - wie von der Beklagten
behauptet - unaufgefordert, oder erst nach einer entsprechenden Aufforderung abgegeben hat. Da die
Klägerin bereits zum damaligen Zeitpunkt arbeitsunfähig erkrankt war, musste sie - u. U. im Hinblick auf
eine möglicherweise zu erwartende längere Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit nicht notwendigerweise
damit rechnen, vor Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist noch einmal an ihren Arbeitsplatz
zurückkehren zu müssen. Entscheidend ist aber diesbezüglich, dass die Beklagte den (erstinstanzlichen)
Sachvortrag der Klägerin nicht bestritten hat, wonach diese im Zusammenhang mit der Übergabe des
Kündigungsschreibens den Heimleiter darum gebeten hat, ihr mitzuteilen, bis wann genau sie noch
arbeiten müsse, da sie noch erhebliche Überstunden und Urlaubsansprüche habe. Diese Erklärung der
Klägerin spricht eindeutig gegen die Annahme, sie habe das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung der
Kündigungsfrist bereits zum 31.08.2009 beenden wollen. Eine solche Anfrage der Klägerin wäre nämlich
in diesem Fall - insbesondere im Hinblick auf die zum damaligen Zeitpunkt bestehende Arbeitsunfähigkeit
- nicht verständlich gewesen.
2.
begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte für September 2009 einen Anspruch auf Zahlung eines
Geldbetrages in Höhe ihrer vertragsgemäßen monatlichen Arbeitsvergütung von 2.000,00 EUR brutto.
Für die Zeit vom 01.09. bis einschließlich 27.09.2009 hat die Klägerin einen Anspruch auf
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gemäß § 3 Abs. 1 EFZG. Die Klägerin war unstreitig vom 17.08.2009
bis zum 30.09.2009 durchgängig arbeitsunfähig erkrankt. Das Arbeitsverhältnis hat auch - wie bereits
ausgeführt - noch während des ganzen Monats September 2009 fortbestanden. Ausreichende
Anhaltspunkte dafür, dass die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit nicht die alleinige Ursache für die
Arbeitsverhinderung der Klägerin war, bestehen nicht. Insbesondere kann im Hinblick auf die unstreitige
Bitte der Klägerin, ihr mitzuteilen, bis wann sie unter Berücksichtigung der aufgelaufenen Überstunden
und des ihr noch zustehenden Urlaubs noch arbeiten müsse, nicht von einer Arbeitsunwilligkeit der
Klägerin ausgegangen werden. Die Beklagte ist daher bis zum Ablauf des sechswöchigen
Entgeltsfortzahlungszeitraums, mithin bis einschließlich 27.09.2009 zur Fortzahlung des Arbeitsentgelts
verpflichtet.
Für die Zeit vom 28.09. bis einschließlich 30.09.2009 ergibt sich der Zahlungsanspruch der Klägerin aus
den §§ 611 Abs. 1, 615 BGB. Die Beklagte befand sich während dieses Zeitraums mit der Annahme der
Arbeitsleistung der Klägerin in Verzug. Eines tatsächlichen oder wörtlichen Angebots der Arbeitsleistung
durch die Klägerin bedurfte es gemäß § 296 BGB nicht, da die Beklagte bereits mit Schreiben vom
27.08.2009 eindeutig zu erkennen gegeben hat, dass sie von einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses
zum 31.08.2009 ausgeht und daher ihrer Verpflichtung, der Klägerin einen Arbeitsplatz zur Verfügung zu
stellen und ihr Arbeit zuzuweisen, nicht nachkommen werde (vgl. Preis in: Erfurter Kommentar zum
Arbeitsrecht, 10. Auflage, § 615 BGB, Rz. 32, m. w. N.). Von einer fehlenden Leistungsbereitschaft der
Klägerin kann - wie bereits ausgeführt - nicht ausgegangen werden.
Die geltend gemachten Zinsen rechtfertigen sich aus den §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB.
III.
zurückzuweisen.
Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs.2 ArbGG genannten Kriterien
keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde
anzufechten (§ 72 a ArbGG), wird die Beklagte hingewiesen.