Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 16.04.2010

LArbG Mainz: vorweggenommene beweiswürdigung, alleinerziehende mutter, arbeitsgericht, vergütung, wahrscheinlichkeit, geschäft, beweismittel, monatsverdienst, nettolohn, arbeitsentgelt

LAG
Mainz
16.04.2010
10 Ta 71/10
Prozesskostenhilfe - Beweisantizipation
Aktenzeichen:
10 Ta 71/10
4 Ca 280/10
ArbG Ludwigshafen
Beschluss vom 16.04.2010
Tenor:
1. Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 1.
März 2010, Az.: 4 Ca 280/10, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Verkäuferin beschäftigt. Das Kündigungsschutzgesetz fand im Kleinbetrieb keine Anwendung. Die
Beklagte zahlte der Klägerin ein Arbeitsentgelt von € 1.400,00 brutto monatlich. Mit Schreiben vom
31.12.2009 kündigte sie das Arbeitsverhältnis zum 01.02.2010. Ob der Klägerin das
Kündigungsschreiben am 31.12.2009 oder erst am 27.01.2010 zugegangen ist, ist zwischen den Parteien
streitig.
Die Klägerin wendet sich gegen diese Kündigung und macht zuletzt den Fortbestand des
Arbeitsverhältnisses bis zum 28.02.2010 geltend. Außerdem verlangt sie Urlaubsabgeltung für fünf
Urlaubstage (1 Tag aus 2009, 4 Tage aus 2010). Schließlich begehrt sie für die Zeit vom 01.11.2008 bis
zum 31.01.2010 die Zahlung von restlichem Arbeitsentgelt in Höhe von € 10.359,14 brutto nebst
gestaffelten Zinsen. Für diese Anträge beantragt sie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
Soweit vorliegend von Interesse behauptet die Klägerin, sie habe mit der Beklagten einen monatlichen
Nettolohn von € 1.400,00 vereinbart. Dies entspreche einem Bruttobetrag von € 2.116,16 (vom 01.11. bis
31.12.2008), von € 2.096,68 (vom 01.01. bis 30.06.2009), von € 2.084,14 (vom 01.07. bis 31.12.2009)
bzw. von € 2.041,90 (vom 01.01. bis 31.01.2010). Die Beklagte habe ihr monatlich nur € 1.400,00 brutto
gezahlt, so dass sie ihr noch die Differenz von € 10.359,14 brutto schulde.
In der Klageschrift vom 15.02.2010 trägt sie vor: Sie habe sich mit der Beklagten mündlich darüber
geeinigt, dass sie € 1.400,00 netto im Monat erhalten solle (Beweis: Parteivernehmung der Beklagten
sowie der Klägerin). Sie habe vor ihrer Beschäftigung bei der Beklagten als Servicekraft im Vereinshaus
eines Hundesportvereins gearbeitet. Die Beklagte habe sie aus dieser Vollzeittätigkeit abgeworben. Sie
habe diese Stelle nur gekündigt, weil ihr der Ehemann der Beklagten fest zugesagt habe, dass sie ein
garantiertes monatliches Nettogehalt von € 1.400,00 erhalten werde. Sie habe die Beklagte mehrfach
aufgefordert, ihr die mündlich vereinbarten € 1.400,00 netto zu zahlen. Sie habe sich in einer
ausweglosen Lage befunden, weil sie als alleinerziehende Mutter eines Sohnes auf das Geld
angewiesen gewesen sei.
Das Arbeitsgericht hat der Klägerin mit Beschluss vom 01.03.2010 (Bl. 40-43 d. A.) Prozesskostenhilfe für
den Feststellungsantrag auf Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bis zum 28.02.2010 und auf Abgeltung
von fünf Urlaubstagen bewilligt. Den weitergehenden Antrag hat es abgewiesen und zur Begründung im
Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe nicht hinreichend dargelegt, wann und wo die behauptete
Nettolohnabrede getroffen worden sei. Im Übrigen habe sie zum Beweis allein die Parteivernehmung
angeboten. Da die Beklagte die Nettolohnabrede bestreite, sei damit zu rechnen, dass bei einer
Beweisaufnahme Aussage gegen Aussage stünde. Es sei deshalb damit zu rechnen, dass die Klägerin
ihre Behauptung nicht beweisen könne.
Gegen diesen Beschluss, der ihr am 05.03.2010 zugestellt worden ist, hat die Klägerin mit Schriftsatz vom
16.03.2010 sofortige Beschwerde eingelegt. In diesem Schriftsatz trägt sie vor: Sie habe vor ihrer
Beschäftigung bei der Beklagten einen Minijob beim Hundesportverein zu einem Monatsverdienst von
€ 423,00 ausgeübt. Darüber hinaus habe sie ein Nebeneinkommen mit dem Befüllen von
Druckerpatronen erzielt. In der zweiten Septemberwoche 2008 habe ihr der Ehemann der Beklagten eine
Stelle angeboten. Sie habe ihm am 15.09.2008 gegen 11.00 Uhr erklärt, dass sie die Stelle annehmen
würde; sie müsse aber € 1.400,00 „auf die Hand“ haben. Dabei habe sie die Handflächen zum Zeichen,
dass sie es netto haben wollte, zusammengeschlagen (Beweis: Anhörung der Klägerin nach § 141 ZPO
sowie Parteivernehmung der Klägerin). Der Ehemann der Beklagten habe erklärt, „das machen wir so,
das ist nur ein Anfangsgehalt“ (Beweis: wie oben). Bei Aushändigung der ersten Lohnabrechnung Ende
November 2008 habe sie zu ihrem Entsetzen festgestellt, dass nur ein Bruttobetrag von € 1.400,00
abgerechnet worden war. Sie sei damit nicht einverstanden gewesen und habe die Vergütung ständig
zum Thema gemacht. Sie habe „still gehalten“, weil sie keine Anwartschaft bei der Bundesagentur für
Arbeit aufgebaut habe.
Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 22.03.2010 (Bl. 66-70 d. A.) der sofortigen Beschwerde nicht
abgeholfen und die Sache dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Zur Begründung hat
das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, eine vorweggenommene Beweiswürdigung sei
ausnahmsweise dann zulässig, wenn konkrete oder nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür vorhanden
seien, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil der Partei ausgehen werde.
Die Klägerin habe zwar ihren Vortrag zur Nettolohnabrede im Beschwerdeschriftsatz konkretisiert. Für
ihren Sachvortrag habe sie aber nicht den Ehemann der Beklagten als Zeugen benannt, sondern die
eigene Parteivernehmung beantragt. Diese habe nur subsidiären Charakter, wenn alle anderen
Beweismittel ausgeschöpft seien. Die Klägerin habe durch die Nichtbenennung des Ehemannes der
Beklagten als Zeugen zu erkennen gegeben, dass sie nicht mit einer Stützung ihres Sachvortrages durch
ihn rechne. Die Beklagte habe bereits im Gütetermin vom 01.03.2010 erklärt, dass ein Bruttolohn von
€ 1.400,00 vereinbart worden sei. Hierfür spreche auch, dass auf dieser Basis im gesamten Zeitraum von
November 2008 bis Januar 2010 abgerechnet worden sei.
Im Schriftsatz vom 07.04.2010, den sie als Gegenvorstellung gegen den Nichtabhilfebeschluss vom
22.03.2010, hilfsweise als das „richtige Rechtsmittel“ verstanden wissen will, benennt die Klägerin den
Ehemann der Beklagten als Zeugen für die behauptete Nettolohnvereinbarung, die sie im Schriftsatz vom
16.03.2010 dargelegt habe. Das Arbeitsgericht habe sich nicht mit ihrem Vortrag auseinandergesetzt,
dass sie immer wieder € 1.400,00 netto verlangt habe. Sie habe dies erlitten, weil sie alleinerziehend für
eine Tochter verantwortlich sei, ihr eigenes Geschäft für die Beklagte aufgegeben und keine
Anwartschaften bei der Bundesagentur für Arbeit aufgebaut habe.
Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 01.04.2010 eine Rechnung der Klägerin vom 30.11.2009 (Bl. 81 d. A.)
mit dem Briefkopf „T. Druckerpatronen-Service - C., A-Straße, L.“ vorgelegt. Darin hat die Klägerin für
Befüllungsaufträge im November 2009 einen Rechnungsbetrag zuzüglich 19 % Mehrwertsteuer
abgerechnet. Als Anlage zu ihrem Prozesskostenhilfeantrag hat die Klägerin eine betriebswirtschaftliche
Auswertung ihres Steuerberaters vom 08.02.2010 (Bl. 24 PKH-Beiheft) vorgelegt, die einen Vergleich der
Ergebnisse aus dem Jahr 2008 zum Jahr 2009 enthält.
Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den weiteren Akteninhalt Bezug
genommen.
II.
127 Abs. 2 Satz 2 und 3, 567 ff. ZPO zulässig. Sie ist in der Sache jedoch nicht begründet.
Die Gewährung von Prozesskostenhilfe setzt nach § 114 Satz 1 ZPO voraus, dass die beabsichtigte
Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. An dieser
Voraussetzung fehlt es, soweit die Klägerin mit ihrem Klageantrag zu 2) von der Beklagten die Zahlung
von € 10.359,14 brutto verlangt. Die Beschwerdekammer schließt sich den sehr ausführlichen und
sorgfältig dargestellten Gründen des Arbeitsgerichts im angefochtenen Beschluss vom 01.03.2010 und in
der Nichtabhilfeentscheidung vom 22.03.2010 ohne Einschränkungen an und stellt dies hiermit in
entsprechender Anwendung des § 69 Abs. 2 ArbGG fest.
Das Beschwerdevorbringen der Klägerin rechtfertigt keine andere Beurteilung.
Schon im prozessualen Ausgangspunkt ist die Auffassung der Klägerin nicht frei von Rechtsirrtum. Bei der
nach § 114 Satz 1 ZPO gebotenen summarischen Prüfung der hinreichenden Erfolgsaussichten ist, wenn
auch nur in gewissen Grenzen, eine vorweggenommene Beweiswürdigung grundsätzlich zulässig. Das ist
längst gefestigte Rechtsprechung (vgl. etwa Zöller-Philippi, ZPO, 27. Aufl., § 114 Rn. 26, 26 a, Musielak-A.,
7. Aufl., § 114 Rn. 21, 22; jeweils mit zahlreichen Nachweisen). Dies schließt ein, dass eine
vorausschauende Würdigung des wahrscheinlichen Erfolges der angebotenen Beweismittel
vorzunehmen ist. Hält das Gericht aufgrund dieser Prüfung die Richtigkeit der unter Beweis gestellten
Tatsache für sehr unwahrscheinlich, so darf es Prozesskostenhilfe selbst dann verweigern, wenn es
einem von der Partei gestellten Beweisantrag stattgeben müsste. Denn die Voraussetzungen für die
Bewilligung von Prozesskostenhilfe sind nicht mit denen einer Beweiserhebung identisch, wobei der
Begriff der hinreichenden Erfolgsaussicht enger verstanden werden darf als das Gebot zur
Beweiserhebung. Diese Grundsätze stehen auch im Einklang mit der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts. So läuft die Verweigerung von Prozesskostenhilfe keineswegs dem Gebot
der Rechtschutzgleichheit zuwider, wenn "konkrete und nachvollziehbare Anhaltspunkte" dafür aufgezeigt
werden können, dass eine Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des
Antragstellers ausgehen wird (vgl. nur BVerfG Beschluss vom 07.05.1997 - 1 BvR 296/94 - NJW 1997,
2745). So aber liegen die Dinge im Streitfall, wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat.
Die Klägerin benennt im Anschluss an den Nichtabhilfebeschluss des Arbeitsgerichts vom 22.03.2010
nunmehr den Ehemann der Beklagten als Zeugen für ihre Behauptung, sie habe mit ihm eine
Nettolohnvereinbarung über € 1.400,00 getroffen. Auch aus diesem Beweisantritt ergeben sich keine
hinreichenden Erfolgsaussichten für die Klage auf Zahlung des Differenzlohnes zwischen € 1.400,00
brutto und € 1.400,00 netto. Die Beklagte hat im Schriftsatz vom 01.04.2010 ihren Ehemann als Zeugen für
ihre Behauptung benannt, mit der Klägerin sei ein Bruttolohn von € 1.400,00 vereinbart worden.
Es ist zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, dass der Ehemann der Beklagten, die Behauptung der
Klägerin, es sei ein Nettolohn von € 1.400,00 vereinbart worden, im Rahmen einer Beweisaufnahme
bestätigt; die Erfolgschance ist aber nur eine entfernte. Vor diesem Hintergrund würde eine vernünftig und
wirtschaftlich denkende Partei, die den Prozess selbst finanzieren müsste, wegen des absehbaren
Misserfolgs der Beweisaufnahme von einer Prozessführung absehen.
Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass der Klägerin durch Zeugenvernehmung des Ehemannes der
Beklagten, der Beweis einer Nettolohnvereinbarung über € 1.400,00 gelingen wird. Auch wenn die
Anforderungen an die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung im Prozesskostenhilfeverfahren nicht
überspannt werden dürfen, ist doch andererseits darauf zu achten, dass der Hilfsbedürftige nicht
bessergestellt wird, als die Partei, die ihre Prozesskosten selbst tragen muss. Dies verkennt die Klägerin,
wenn sie meint, eine Beweisantizipation sei nicht zulässig. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von
Prozesskostenhilfe sind nicht mit denen für eine Beweiserhebung identisch, beide Entscheidungen sind
grundsätzlich voneinander unabhängig. Einen von einer Partei beantragten Beweis müssen die Gerichte
grundsätzlich selbst dann erheben, wenn sie die Richtigkeit der unter Beweis gestellten Tatsache für sehr
unwahrscheinlich halten. Ein verfassungsrechtliches Gebot, die Vorschriften des § 114 Satz 1 ZPO dahin
auszulegen, dass ein Gericht dann auch dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe stattgeben
müsse, besteht nicht (so ausdrücklich: BVerfG Beschluss vom 23.01.1986 - 2 BvR 25/86 - NVwZ 1987,
786; mit weiteren Nachweisen).
Bemerkenswert ist im Übrigen, dass der Sachvortrag der Klägerin von eklatanten Widersprüchen geprägt
ist. Ihre ursprüngliche Behauptung, sie habe mit der Beklagten (persönlich) eine Nettolohnvereinbarung
getroffen, hat sie später geändert und vorgetragen, das entscheidende Gespräch über die Vergütung sei
nicht mit der Beklagten, sondern mit deren Ehemann geführt worden. Dieses prozessuale Vorgehen
begründet sie damit, ihr Prozessbevollmächtigter habe erst „abwarten wollen“, um festzustellen, ob der
Sachverhalt streitig wird. Die Klägerin hat in der Klageschrift zunächst behauptet, sie habe eine
„Vollzeitstelle“ beim Hundesportverein gekündigt, um die Stelle bei der Beklagten anzutreten. Diese
Vollzeitstelle hätte sie niemals gekündigt, wenn ihr kein Nettogehalt von € 1.400,00 zugesagt worden sei.
Im Schriftsatz vom 16.03.2010 führt sie aus, sie habe beim Hundesportverein einen „Minijob“ zu einem
Monatsverdienst von € 423,00 ausgeübt. Diese Diskrepanz hat sie nicht einmal zu erklären versucht.
Weiterhin hat sie ausgeführt, sie habe vor dem entscheidenden Gehaltsgespräch ihren persönlichen
Bedarf kalkuliert und errechnet, dass sie mindestens € 1.400,00 netto benötige, um ihre Verluste aus dem
„dann aufzugebenden“ Nebenjob auszugleichen. Diesen sog. Nebenjob, nämlich die selbständige
Tätigkeit mit dem Druckerpatronen-Service „T.“, hat die Klägerin nicht aufgegeben, wie ihre Rechnung
vom 30.11.2009 an die Beklagte und die vorgelegte betriebswirtschaftliche Auswertung des
Steuerberaters vom 08.02.2010 für die Jahre 2008 und 2009 belegt. Auch im Internet ist dieser Service
unter „www…. de“ zu finden. Gleichwohl hat sie noch im Schriftsatz vom 07.04.2010 behauptet, sie habe
für die Beklagte ihr „Geschäft aufgegeben“. Dieser widersprüchliche und wechselnde Sachvortrag spricht
nicht für die Erfolgschancen der Klägerin im Rahmen einer Beweisaufnahme.
III.
Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde fehlt es unter Berücksichtigung von §§ 78 Satz 2, 72 Abs. 2
ArbGG an einem gesetzlich begründeten Anlass. Dieser Beschluss ist daher nicht anfechtbar.