Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 02.07.2008

LArbG Mainz: abmahnung, personalakte, trisomie 21, medikamentöse behandlung, fehlbehandlung, arbeitsgericht, bad, krankenschwester, erstellung, ventrikelseptumdefekt

LAG
Mainz
02.07.2008
7 Sa 68/08
Entfernung von Abmahnung aus Personalakte
Aktenzeichen:
7 Sa 68/08
7 Ca 1063/06
ArbG Mainz
- AK Bad Kreuznach -
Urteil vom 02.07.2008
Tenor:
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Schlussurteil des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern
Bad Kreuznach - vom 17.12.2007, Az. 7 Ca 1063/06 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, die Abmahnung vom 17.05.2006 (angebliche Fehlbehandlung des
Patienten X.) aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen.
2. Des Weiteren wird die Beklagte verurteilt, die Abmahnung vom 15.12.2006 aus der Personalakte der
Klägerin zu entfernen.
3. Die Klägerin trägt 1/5 und die Beklagte 4/5 der Kosten des erstinstanzlichen Rechtsstreits.
4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Verfahren auf 33.500,00 EUR festgesetzt, für das
Schlussurteil auf 13.400,00 EUR.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Entfernung von Abmahnungen aus der Personalakte.
Die Klägerin ist seit dem 01.02.2003 bei der Beklagten, die unter anderem eine Kinderklinik betreibt, als
Oberärztin in der Pädiatrie beschäftigt.
Mit Schreiben vom 18.02.2005, 17.05.2006 (Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen ärztlichem
Dienst und Pflegedienst), 17.05.2006 (Fieberkrampf - angebliche Fehlbehandlung des Patienten X.),
20.06.2006 und 15.12.2006 erteilte die Beklagte der Klägerin Abmahnungen. Nach einer von der Klägerin
20.06.2006 und 15.12.2006 erteilte die Beklagte der Klägerin Abmahnungen. Nach einer von der Klägerin
hiergegen eingereichten Entfernungsklage ist die Beklagte mit Teilurteil des Arbeitsgerichts Mainz -
Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - vom 30.01.2007 verurteilt worden, die Abmahnungen vom
28.02.2005 und 20.06.2006 aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen; die Klage auf Entfernung der
Abmahnung vom 17.05.2006 (Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen ärztlichem Dienst und
Pflegedienst) ist vom Arbeitsgericht abgewiesen worden. Die Kostenentscheidung ist gemäß Ziffer 3) des
Teilurteils dem Schlussurteil vorbehalten geblieben. Die Berufung gegen das Teilurteil ist mit Urteil des
Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 29.08.2007, Az. 7 Sa 325/07 zurückgewiesen worden; diese
Entscheidung hat zwischenzeitlich Rechtskraft erlangt.
Die danach noch streitige Abmahnung vom 17.05.2006 (vgl. Bl. 28 f. d. A.) hat folgenden Wortlaut:
"Sehr geehrte Frau B.,
im April 2006 befand sich das Kind X. in stationärer Behandlung in unserem Haus (Station E 5) und zwar
wegen Fieberkrampfes. Am 18.04.2006 hatte das Kind wieder angefangen zu fiebern und erhielt um 11:00
Uhr bei einer Temperatur von 29,2° ein Supp. Paracetamol 250 mg. Um 12:45 Uhr betrug die Temperatur
38,8°. Um 14:30 Uhr war die Temperatur auf 38,9° angestiegen. Dem Kind wurde von Schwester W. um
14:30 Uhr bei einer Temperatur von 38,9° 5 ml Ibn-ben-o-ron Saft verabreicht. Um 16:15 Uhr ergab eine
erneute Temperaturkontrolle 40,1°. Die hinzugezogene Ärztin A. informierte Sie hierüber. Sie erkundigten
sich nach den vorangegangenen Maßnahmen, ohne das Kind in Augenschein zu nehmen und ordneten
an, man solle das Fenster öffnen und das Kind nicht zudecken und eine Stunde später noch einmal
nachmessen, weil die Saftgabe noch nicht so lange her sei. Auf Frage der diensthabenden Schwester W.,
ob dies wirklich so bei 40,1° Temperatur gemeint sei, antworteten Sie mit "ja". Gegen 18:00 Uhr betrug die
Temperatur bei dem Kind 40,3°. Während des Fiebermessens erlitt das Kind einen erneuten
Fieberkrampf, wurde blau, hielt die Luft an und schlug mit den Armen. Es wurden dann sofort geeignete
medizinische Maßnahmen in die Wege geleitet.
Mit Ihrer Anordnung haben Sie in gröblicher Weise gegen ärztliche Pflichten verstoßen. Es war
unverantwortlich ohne Untersuchung des Kindes bei einer Temperatur von 40,1° anzuordnen, dass
lediglich das Fenster geöffnet und das Kind nicht zugedeckt werden sollte. Wegen dieses Pflichtverstoßes
mahnen wir Sie hiermit ab. Wir sind nicht gewillt, Verstöße gegen grundlegende ärztliche Pflichten
Ihrerseits hinzunehmen und kündigen an, dass wir im Wiederholungsfall das mit Ihnen bestehende
Arbeitsverhältnis kündigen werden."
Des Weiteren heißt es in der ebenfalls noch streitigen Abmahnung vom 15.12.2006 (vgl. Bl. 109 d. A.):
"Sehr geehrte Frau B.,
am 06.05.2006 wurde um 12:18 Uhr das Kind V. entbunden. Sie hatten das Neugeborene untersucht, eine
Trisomie 21 (Morbus Down, Mongoloismus) klinisch diagnostiziert und das Kind auf Station 15
genommen. Dort musste es wegen eines Ikterus phototherapiert werden. Sie hatten als diensthabende
Ärztin das Kind untersucht und auch eine Ultraschalluntersuchung des Herzens vorgenommen. In Ihrem
Befund findet sich lediglich ein Hinweis auf Septumhypertrophie, ansonsten kein Anhalt für einen
komplexen Herzfehler. Der diensthabenden Ärztin Dr. U., die das Kind auch als Stationsärztin am 08.05.
und am 10.05.2006 untersucht hat, war ein systolisches Herzgeräusch aufgefallen. Nach der Visite am
10.05.2006 wurde aus Sicherheitsgründen Ihre echokardiographische Untersuchung kontrolliert. Dabei
ergab sich ein komplexer Herzfehler, der für mongoloide Kinder sehr typisch ist. Es handelt sich um ein
komplexes angeborenes Herzvitium, das nicht hätte übersehen werden dürfen.
Wir sind nicht länger bereit, Ihre unzulängliche Arbeit zu tolerieren. Wir werden Ihnen, sollte sich Ihre
nachlässige Arbeit fortsetzen, kündigen."
Die Klägerin hat vorgetragen,
die schriftliche Abmahnung vom 17.05.2006 (Fieberkrampf) sei sachlich nicht gerechtfertigt, da die von ihr
zur Behandlung des Kindes X. - in der erteilten Abmahnung wird dieses Kind verkürzt als Kind "X."
bezeichnet - getroffenen Maßnahmen aus medizinischer Sicht richtig gewesen seien. Sie habe am
18.04.2006 Nachtdienst als Hintergrund gehabt und sei um 16:15 Uhr zur gemeinsamen Übergabe mit
der diensthabenden Ärztin Frau U. und der Stationsärztin Frau A. auf der Station gewesen. Nach der
Übergabe sei Schwester W. gekommen und habe gesagt, das Kind X. habe eine Temperatur von 40,1° C
und habe des Weiteren gefragt, ob sie jetzt Intravenöse Medikation anhängen solle. Frau A. habe ihr, der
Klägerin gegenüber erklärt, dass das Kind vor ca. zwei Stunden Paracetamol und vor ca. 40 Minuten erst
Ibuprofen erhalten habe. Die Gabe von Ibuprofen sei also um 15:30 Uhr und nicht wie in der Abmahnung
erwähnt um 14:30 Uhr erfolgt. Sie, die Klägerin habe gegenüber Schwester W. und Frau A. erklärt, dass
das Kind gerade erst Ibuprofen erhalten habe und der Wirkungseintritt frühestens nach 30 Minuten
beginne. Deshalb solle in einer haben bis einer Stunde die Temperatur kontrolliert werden, falls sie dann
noch erhöht sei, würden weitere Maßnahmen ergriffen. Zwischenzeitlich solle auch das Fenster geöffnet
und das Kind aufgedeckt werden.
Die weitere Abmahnung vom 15.12.2006 sei ebenfalls unberechtigt, da sie am 06.05.2006 als
diensthabende Ärztin im Vordergrund bei der Erstellung einer Echokardiographie für das an einem
Downsyndrom leidenden, neugeborenen Kind V. einen tatsächlich bestehenden Herzfehler
(Ventrikelseptumdefekt = Loch im Herzen) nicht habe erkennen können. Zum einen habe sie nur über
eingeschränkte praktische Erfahrungen mit der EKG-Diagnostik verfügt, zum anderen sei das hier zur
Verfügung stehende Ultraschallgerät veraltet und für die Erstellung eines EKG - kein CW-Doppler,
Flussgeschwindigkeitsmessungen nicht adäquat - ungeeignet gewesen.
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnung vom 17.05.2006 (angebliche Fehlbehandlung des
Patienten X. aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen,
2. die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnung vom 15.12.2006 aus der Personalakte der Klägerin zu
entfernen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat dargelegt,
die schriftliche Abmahnung vom 17.05.2006 (Fieberkrampf) sei zu Recht erfolgt. Am 18.04.2006 sei das
Kind X. wegen eines Fieberkrampfes auf die Station E 5 der Beklagten eingeliefert worden. Um 11:00 Uhr
sei dem Kind bei einer Körpertemperatur von 39,2° C Paracetamol verabreicht worden und gegen 14:30
Uhr habe die zuständige Krankenschwester festgestellt, dass die Temperatur gegenüber dem Ergebnis
einer vorausgegangenen Kontrolle wieder angestiegen sei. Daraufhin sei dem Kind fünf Milliliter
Ibuprofen verabreicht worden. Eine erneute Temperaturkontrolle um 16:15 Uhr habe einen
Temperaturanstieg auf 40,1° C ergeben. Die zuständige Krankenschwester Frau W. habe daraufhin die
Stationsärztin Frau Dr. A. informiert und gefragt, ob dem Kind nicht ein Medikament intravenös verabreicht
werden müsse. Frau Dr. A. habe anschließend die Klägerin informiert, die sich zu diesem Zeitpunkt auf der
Station E 5 aufgehalten habe. Dies sei gegen 16:30 Uhr gewesen. Die Klägerin habe sich nach den
vorangegangenen Maßnahmen erkundigt und dann ohne Einsichtnahme in die Patientenakte und ohne
sich das Kind anzuschauen, angeordnet, das Fenster zu öffnen und das Kind nicht zuzudecken sowie
eine Stunde später noch einmal nachzumessen, da die Saftgabe noch nicht so lange her sei. Die
Krankenschwester Frau W. habe daraufhin noch einmal nachgefragt, ob sie diese von ihr angeordneten
Maßnahmen bei einer Temperatur von 40,1° C für angezeigt halte; dies habe die Klägerin bejaht.
Der Sachverhalt, welcher zur Abmahnung vom 20.06.2006 geführt habe, sei in der schriftlichen
Abmahnung zutreffend geschildert worden.
Das Arbeitsgericht hat entsprechend seinen Beweisbeschlüssen vom 14.11.2006 (Bl. 90 d. A.) und
30.01.2007 (Bl. 117 d. A.) Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen Prof. Dr. T. und Dr. S. sowie
der Zeugin W.; wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls
vom 30.01.2007 (vgl. Bl. 118 ff. d. A.) verwiesen.
Sodann hat das Arbeitsgericht mit Schlussurteil vom 17.12.2006 (Bl. 225 ff. d. A.) die Klage hinsichtlich der
Abmahnungen vom 17.05.2006 (Fieberkrampf) und 15.12.2006 abgewiesen. Zur Begründung dieser
Entscheidung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, im Hinblick auf die Abmahnung vom
17.05.2006 (Fieberkrampf) habe die Beweisaufnahme ergeben, dass die Klägerin von der Zeugin W. nicht
vor 16:00 Uhr darüber informiert worden sei, dass die letzte Gabe fiebersenkender Mittel gegen 14:30 Uhr
erfolgt sei. Nach der eigenen Bewertung der Klägerin habe ein weiteres Zuwarten ab 16:00 Uhr,
verbunden mit Fensteröffnen und Aufdecken des Kindes, keinen Sinn mehr gemacht; eine fiebersenkende
Wirkung des verabreichten Saftes hätte nämlich laut Vortrag der Klägerin eine halbe Stunde nach der
Saftgabe, also um 15:00 Uhr, spätestens um 15:30 Uhr eintreten müssen. Die Kammer habe von einer
Vernehmung der Zeugin A. abgesehen, da die Frage, für welchen Zeitpunkt die Klägerin ein erneutes
Fiebermessen angeordnet habe, von untergeordneter Bedeutung sei.
Soweit die Beklagte in der Abmahnung vom 15.12.2006 gerügt habe, die Klägerin habe bei dem
mongoloiden Kind V. einen komplexen Herzfehler übersehen, sei dies nicht zu beanstanden. Mit den
Einwänden, sie hätte, mangels praktischer Erfahrung sowie bei Verwendung eines veralteten Gerätes, die
richtige Diagnose nicht treffen können, wende sich die Klägerin lediglich gegen eine von der Beklagten
vorgenommene Wertung, nicht aber gegen unrichtige Tatsachenbehauptungen. Gleiches gelte für die
Wertung der Beklagten, der nicht diagnostizierte Herzfehler sei komplexer Natur gewesen. Wegen der
weiteren Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts wird auf Seite 4 ff. des Urteils vom 17.12.2007 (Bl. 228
ff. d. A.) Bezug genommen.
Die Klägerin hat gegen das Schlussurteil, das ihr am 16.01.2008 zugestellt worden ist, am 05.02.2008
Berufung zum Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingelegt und am 16.04.2008 ihr Rechtsmittel
begründet nachdem die Berufungsbegründungsfrist bis einschließlich 16.04.2008 verlängert worden war.
Die Klägerin macht geltend,
bezüglich der Abmahnung vom 17.05.2006 (Fieberkrampf) sei zu beachten, dass eine weitere
Untersuchung des Kindes X. zu keinen weiteren verwertbaren Erkenntnissen geführt hätte und deshalb in
der konkreten Entscheidungssituation auch nicht erforderlich gewesen sei. Die angeordneten
Maßnahmen hätten den Regeln medizinsicher Kunst entsprochen. Sie, die Klägerin habe ausschließlich
in Erinnerung, dass die Zeugin W. ihr gegenüber den Zeitpunkt der Medikamentengabe mit etwa 40
Minuten vor dem Gespräch angegeben habe. Für sie habe es weder eine konkrete Anweisung des
Arbeitgebers noch eine medizinisch zwingende Indikation in einer bestimmten Art und Weise auf den
konkreten Sachverhalt zu reagieren, gegeben.
Auch die Abmahnung vom 15.12.2006 sei aus der Personalakte zu entfernen, da die Klägerin in diesem
Zusammenhang lediglich die Aufgabe gehabt habe, das Kind V. darauf zu untersuchen, ob eventuell
lebensbedrohliche Herzdefekte gegeben seien, die ein sofortiges Einschreiten erforderlich machen
würden. Dass ein solcher lebensbedrohlicher Defekt nicht vorgelegen habe, sei zwischenzeitlich
unstreitig.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf die Schriftsätze der Klägerin vom
16.04.2008 (Bl. 262 ff. d. A.) und 02.06.2008 (Bl. 289 ff. d. A.) verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 17.12.2007 aufzuheben und
1. die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnung vom 17.05.2006 (angebliche Fehlbehandlung des
Patienten X. aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen,
2. die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnung vom 15.12.2006 aus der Personalakte der Klägerin zu
entfernen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte führt aus,
im Falle eines Fieberkrampfes, wie er bei dem Kind X. aufgetreten sei, erfolge in ihrem Klinikum generell
eine medikamentöse Therapie. An diesem Standard, der in der Kinderklinik gelte, habe sich die Klägerin
zu halten gehabt.
Die Darstellung der Klägerin, bei dem Kind V. sei der festgestellte Herzfehler zum Zeitpunkt der
Untersuchung noch nicht erkennbar gewesen, sei unrichtig. Aufgrund einer unzulänglichen EKG-
Untersuchung habe die Klägerin das Vorliegen eines komplexen Herzfehlers übersehen.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Berufungserwiderung wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom
27.05.2008 (Bl. 276 ff. d. A.) Bezug genommen.
Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz hat entsprechend seinem Beweisbeschluss vom 04.06.2008
(Bl. 287 d. A.) Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin A.; hinsichtlich des Ergebnisses der
Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 02.07.2008 (Bl. 297 ff. d. A.) verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist gemäß §§ 64 ff. ArbGG, 512 ff. ZPO zulässig; darüber
hinaus ist das Rechtsmittel auch begründet.
Die Beklagte hat die Abmahnung vom 17.05.2006 (Fieberkrampf - angebliche Fehlbehandlung des
Patienten X.) sowie jene vom 15.12.2006 aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen.
Enthält eine Abmahnung inhaltlich unrichtige Tatsachenbehauptungen, die den Arbeitnehmer in seiner
Rechtsstellung und seinem beruflichen Fortkommen beeinträchtigen können oder ist sie inhaltlich nicht
hinreichend bestimmt, kann der Arbeitnehmer, aufgrund der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, ihre
Entfernung aus der Personalakte verlangen (vgl. BAG, Urteil vom 27.11.1985 - 5 AZR 101/84 = EzA § 611
BGB Fürsorgepflicht Nr. 38). Wird die Abmahnung auf mehrere Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers
gestützt, so ist sie in der Regel bereits dann aus der Personalakte zu entfernen, wenn nur eine der dem
Arbeitnehmer zur Last gelegten Pflichtverletzungen nicht zutrifft (vgl. BAG, Urteil vom 13.03.1991 - 5 AZR
133/90 = EzA § 611 BGB Abmahnung Nr. 20).
1. Unter Beachtung dieser Rechtsgrundsätze steht der Klägerin ein Entfernungsanspruch hinsichtlich der
Abmahnung vom 17.05.2006 (Fieberkrampf - angebliche Fehlbehandlung des Patienten X.) zu.
Diese Abmahnung enthält nämlich die unrichtige Tatsachenbehauptung, die Ärztin A. habe am
18.04.2006 die Klägerin nach 16:15 Uhr darüber informiert, dass dem Kind X. um 14:30 Uhr durch
Schwester W. bei einer Temperatur von 38,9° C 5 ml Ibn-ben-o-ron-Saft - Ibuprofen ist lediglich eine
andere Bezeichnung dieses Saftes - verabreicht worden sei. Nachdem zwischen den Parteien Streit
darüber herrschte, welche Information die Klägerin über den Zeitpunkt der letzten Gabe eines
fiebersenkenden Mittels von der im Vordergrund diensthabenden Ärztin A. erhalten hatte, war hierüber in
Fortführung der erstinstanzlichen Beweiserhebung weiter Beweis zu erheben.
Der mitgeteilte Zeitpunkt der letzten Medikamentengabe ist entscheidungserheblich, da für die Klägerin
nur dann ein Anlass zu weitergehenden fiebersenkenden Maßnahmen bestand, wenn sich herausgestellt
hätte, dass das zuletzt verabreichte Medikament keine hinreichende Wirkung zeigt. Diese Wirkung konnte
erst nach einer Zeitdauer von einer halben bis ganzen Stunde erkennbar eintreten. Mithin musste die
Klägerin die weitere Behandlung nach dem mitgeteilten Zeitpunkt der letzten Medikamentengabe richten.
Ob bei der Beklagten - wie von dieser zweitinstanzlich ausdrücklich behauptet - als
Standardbehandlung bei Fieberkrämpfen vorgegeben war, den Krampf medikamentös zu bekämpfen,
kann dahinstehen. Denn eine medikamentöse Behandlung konnte auch hiernach erst dann weiter
erfolgen, wenn feststand, dass das zuletzt gegebene Medikament nicht ausreicht.
Der Beklagten ist es nicht gelungen, die Mitteilung des von ihr in der Abmahnung genannten Zeitpunktes
(14:30 Uhr) zu beweisen. Die hierzu bereits vom Arbeitsgericht vernommene Zeugin W. sagte hierzu zwar
aus, sie selbst habe auf Nachfrage der Klägerin, wann sie - die Krankenschwester W. - dem Patienten X.
das letzte Mal etwas gegeben habe, geantwortet: "Gegen 14:30 Uhr." Des Weiteren hat Frau W. als
Zeitpunkt der Gabe von Ibuprofen 14:30 Uhr in die Pflegedokumentation des Patienten X. eingetragen
(vgl. Bl. 115 d. A.). Demgegenüber bekundete die vom Berufungsgericht vernommene Zeugin A., die
Kinderkrankenschwester W. habe ihr gegenüber zwischen 16:00 Uhr und 16:30 Uhr geäußert, dem
Patienten X.. vor 45 Minuten das fiebersenkende Medikament Ibuprofen verabreicht zu haben. Diese
Information habe sie dann an die Klägerin weitergegeben. Die Aussage der Zeugin A. ist nach
Überzeugung des Berufungsgerichtes glaubhaft, da diese widerspruchsfreie, klare Angaben machte und
auch auf Nachfragen keinerlei Unsicherheit bei ihrer Vernehmung zeigte.
Mithin ist davon auszugehen, dass die Klägerin von der Zeugin A. als Zeitpunkt der letzten
Medikamentengabe "vor 45 Minuten" mitgeteilt bekam. Denn auf genau diese Mitteilung von Frau A.
gegenüber der Klägerin wird in der Abmahnung abgestellt; unerwähnt bleibt dort, ob und mit welchem
Inhalt eine weitere Information durch die Zeugin W. erfolgt sein soll. Infolge dessen kommt es - angesichts
der Angaben der Zeugin A. - auf die abweichenden Angaben der erstinstanzlich vernommenen Zeugin W.
nicht mehr entscheidend an.
Da somit der in der Abmahnung dargelegte Inhalt der Information durch die Zeugin A. so nicht erfolgte,
kann gegenüber der Klägerin auch nicht der Vorwurf aufrecht erhalten bleiben, es sei unverantwortlich
gewesen, bei einer Körpertemperatur des Patienten X. von 40,1° C anzuordnen, das Fenster zu öffnen
und das Kind nicht zuzudecken. Die Beklagte baut diesen Vorwurf auf die in der Abmahnung
vorangestellte Tatsachenschilderung auf. In dieser Sachverhaltsdarstellung wird aber davon
ausgegangen, dass dem Patienten X. das letzte fiebersenkende Medikament um 14:30 Uhr gegeben und
die Klägerin hierüber durch Frau A. gegen 16:15 Uhr informiert worden sei. Da die letztere
Tatsachenbehauptung unrichtig ist, kann hieraus der genannte Pflichtverstoß nicht abgeleitet werden.
Die somit fehlerhafte Rüge ist geeignet, das berufliche Fortkommen der Klägerin und ihrer Rechtsstellung
zu beeinträchtigen. Denn hieraus könnten unrichtige Folgerungen bei einer späteren
Kündigungsentscheidung der Arbeitgeberin oder bei der Erstellung eines Arbeitszeugnisses gezogen
werden.
Soweit in der Abmahnung weiter gerügt wird, die Klägerin habe ihre Anordnungen - Fenster öffnen, Kind
aufdecken - ohne Untersuchung des Kindes getroffen, bedarf es nicht Erklärung, ob dieser Vorwurf
berechtigt ist oder nicht. Da dieser behauptete Pflichtverstoß Teil der Abmahnung vom 17.05.2006 ist und
bereits die getroffene Maßnahme im dargestellten Zusammenhang eine Rüge nicht rechtfertigt, ist die
Abmahnung unter Berücksichtigung der oben bereits dargestellten, zutreffenden höchstrichterlichen
Rechtsprechung insgesamt aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen.
2. Darüber hinaus ist die Beklagte auch verpflichtet, die Abmahnung vom 15.12.2006 aus der
Personalakte zu entfernen.
Diese Abmahnung enthält insoweit eine unrichtige Tatsachendarstellung, als die Beklagte rügt, die
Klägerin habe bei einer EKG-Untersuchung der Patientin V. einen komplexen Herzfehler übersehen. Bei
dem Ventrikelseptumdefekt (VSD), den die Klägerin anlässlich der Untersuchung vom 06.05.2006
unstreitig nicht festgestellt hat, handelt es sich nicht um einen komplexen Herzfehler. Dies ergibt sich aus
dem eigenen erstinstanzlichen Sachvortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 07.05.2007 (vgl. Bl. 181 d.
A.):
"Soweit der Kläger auf Seite 2, dritter Absatz, den "komplexen Herzfehler" anspricht, ist hierzu Folgendes
anzumerken: Komplexe Herzfehler bestehen aus mehreren Einzelherzfehlern. Im Falle einer Fallot
Tetralogie sind es vier. Einer davon ist der große VSD. Einer davon ist die Pulmonalstenose. Diese
Pulmonalstenose hat sich jedoch erst später entwickelt. Dieser Umstand gehört mit zum Krankheitsbild.
Ob AV-Kanal oder Fallot. Beide gehen mit einem großen VSD einher. Dieser hätte zumindest erkannt
werden müssen. Der Klägerin wird angelastet, dass sie einen Herzfehler übersehen hat und schriftlich
dokumentiert hat, dass kein struktureller Herzdefekt vorliege. Die weitere Vorgehensweise von Prof. Dr. T.
in dieser Sache war korrekt."
Mithin hat die Klägerin den Einzelherzfehler Ventrikelseptumdefekt bei ihrer Untersuchung nicht
festgestellt. Weitere Einzelherzfehler wurden erst zu einem späteren Zeitpunkt während der Behandlung
der Patientin im Klinikum R. erkannt und waren zum Zeitpunkt der Untersuchung des neugeborenen
Kindes durch die Klägerin unstreitig noch nicht diagnostizierbar. Nach Auffassung des Berufungsgerichtes
macht es einen wesentlichen Unterschied, ob einem Arzt oder einer Ärztin angelastet wird, sie habe bei
einer Ultraschalluntersuchung einen oder gleich mehrere Herzfehler übersehen. Letzteres deutet auf
einen weit größeren Grad von Nachlässigkeit und auch auf eine Ungeeignetheit eines Arztes für derartige
Diagnosen hin. Infolgedessen ist der inhaltlich unrichtige Vorwurf, die Klägerin habe einen komplexen
Herzfehler, also mehrere Einzelherzfehler nicht erkannt, geeignet, diese in ihrem Fortkommen sowie ihrer
Rechtstellung (spätere Kündigung, Arbeitszeugnis) zu beeinträchtigen.
Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts handelt es sich bei der Antwort auf die Frage, ob ein
Einzelherzfehler oder ein komplexer Herzfehler, also die Kombination mehrerer Herzfehler übersehen
wurde, nicht um eine Wertung, sondern eine reine Tatsachenfeststellung. Ausgehend von den
medizinischen Feststellungen, die hier im Wesentlichen unstreitig sind, ging es lediglich um die Frage, ob
mindestens zwei oder lediglich ein Herzfehler kurz nach der Geburt vorlagen. Bei der Beantwortung
dieser Frage gibt es keinerlei Wertungsspielräume, so dass von einer Tatsachenfeststellung
ausgegangen werden muss.
Da die hier von der Beklagten bei ihrer Abmahnungsrüge zugrunde gelegten Tatsachen unzutreffend
sind, ist auch die Abmahnung vom 15.12.2006 aus der Personalakte zu entfernen.
Nach alledem war das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach -
abzuändern.
Die ebenfalls geänderte Kostenentscheidung hinsichtlich des ersten Rechtszuges beruht auf § 92 Abs. 1
ZPO, jene für den Berufungsrechtszug folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Für die Zulassung der Revision fehlte es unter Berücksichtigung von § 72 Abs. 2 ArbGG an einem
gesetzlich begründeten Anlass.