Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 13.10.2009

LArbG Mainz: arbeitsgericht, aussetzung, straftat, einfluss, strafverfahren, ermessensausübung, rechtsschutz, zukunft, vorrang, verfügung

LAG
Mainz
13.10.2009
3 Ta 160/09
Aussetzung eines Schadensersatz-Prozesses
Aktenzeichen:
3 Ta 160/09
1 Ca 1979/08
ArbG Mainz
Beschluss vom 13.10.2009
Tenor:
1. Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Mainz vom
13.05.2009 - 1 Ca 1979/08 - aufgehoben.
2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
der Geschäftsführer der Klägerin war (zeitweise) der M. R..
Im erstinstanzlichen Erkenntnisverfahren - 1 Ca 1979/08 - nimmt die Klägerin die Beklagte auf Zahlung
von Schadensersatz in Höhe von 174.093,98 EUR (nebst Zinsen) in Anspruch. Gestützt wird das
Schadensersatzbegehren insbesondere auf die Sachverhalte, zu denen die Klägerin unter Ziffer 9 a) bis f)
(= S. 7 ff. der Klageschrift = Bl. 7 ff. d.A.) ausgeführt hat. Nach näherer Maßgabe des weiteren Vorbringens
der Klägerin setzt sich die Klageforderung wie folgt zusammen:
Überweisungen auf Privatkonto des M. R.
EUR 208.198,91
Bankgebühren für Überweisungen auf Privatkonto
EUR 20,00
Überweisung an D. K.
EUR 24.000,00
Barabhebungen
EUR 27.711,63
Überweisung betreffend KG-Anteile
EUR 5.750,00
Bankgebühren für Überweisung KG-Anteile
EUR 46,50
Überweisung an RKS Trading
EUR 5.825,05
Abzüglich (Teil-)Erstattung P.-Betrag
EUR 83.458,11
Abzüglich Rückzahlungen von Konto R./K.
EUR 14.000,00
Summe
EUR 174.093,98
Im Anschluss an die Güteverhandlung vom 08.12.2008 (Sitzungsniederschrift - 1 Ca 1979/08 -, Bl. 149 f.
d.A.) sah das Arbeitsgericht zunächst Akten anderer Verfahren ein und bestimmte sodann am 13.02.2009
Kammertermin. Im Vermerk vom 13.02.2009 (Bl. 159 d.A.) ist festgehalten, dass nach Einsichtnahme auch
in die Strafakte eine Aussetzung des Verfahrens derzeit nicht veranlasst erscheint. Bis zum 13.05.2009
(Kammertermin) äußerten sich die Parteien wie folgt:
- die Beklagte mit den Schriftsätzen vom 20.03.2009 (Klageerwiderung; Bl. 104 ff. d.A.) und vom
07.05.2009 (Bl. 180 ff. d.A.)
und
- die Klägerin mit den Schriftsätzen vom 14.04.2009 (Bl. 149 ff. d.A.) und vom 13.05.2009 (Bl. 185 ff. d.A.).
Im Kammertermin vom 13.05.2009 - 1 Ca 1979/08 - wurden die Akten des LG Mainz - 10 HKO 156/08 -
und - 2 O 66/08 - zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. Es wurde streitig verhandelt.
Mit dem Beschluss vom 13.05.2009 - 1 Ca 1979/08 - setzte das Arbeitsgericht den Rechtsstreit bis zur
Erledigung des u.a. gegen die Beklagte gerichteten Strafverfahrens - 2050 Js 26386/08 - aus.
Zur näheren Darstellung (insbesondere) des (erstinstanzlichen) Sach- und Streitstandes im Übrigen wird
in entsprechender Anwendung des § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen auf den tatbestandlichen Teil
des Beschlusses vom 13.05.2009 - 1 Ca 1979/08 - (dort S. 2 unter Ziffer I. = Bl. 211 d.A.). Mit dem
Schriftsatz vom 30.06.2009 legte die Beklagte am 30.06.2009 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts
vom 13.05.2009 - 1 Ca 1979/08 -
sofortige Beschwerde
Beschwerde angegriffenen Beschlusses mit dem 16.06.2009 an. Gleichzeitig wurde die Beschwerde - wie
aus Bl. 217 ff. d.A. ersichtlich - begründet.
Mit dem Beschluss vom 29.07.2009 - 1 Ca 1979/08 - hat das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde
nicht abgeholfen. Auf Bl. 236 ff. d.A. wird verwiesen.
Die Beklagte beantragt,
den Beschluss des Arbeitsgerichts Mainz vom 13.05.2009 aufzuheben.
Die Klägerin verteidigt nach näherer Maßgabe ihrer Ausführungen in der Beschwerdeerwiderung vom
07.08.2009 (Bl. 243 f. d.A.) den Beschluss des Arbeitsgerichts vom 13.05.2009. Hierauf wird verwiesen.
Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den weiteren Akteninhalt Bezug
genommen.
II. 1.
worden. Zwar ist den Prozessbevollmächtigten der Klägerin der Aussetzungsbeschluss vom 13.05.2009
am 15.06.2009 zugestellt worden (Empfangsbekenntnis Bl. 215 d.A.). Dieses Zustellungsdatum
(15.06.2009) lässt sich in Bezug auf die Beklagte bzw. die Prozessbevollmächtigten der Beklagten nicht
treffen. Ein entsprechendes Empfangsbekenntnis befindet sich nicht in der Gerichtsakte. Demgemäß ist
von dem in der sofortigen Beschwerde angegebenen Zustellungsdatum "16.06.2009" auszugehen.
Gemessen daran ist die Beschwerde rechtzeitig, nämlich am 30.06.2009, bei dem Landesarbeitsgericht
eingegangen (vgl. § 569 Abs. 1 S. 1 - 2. Alternative - ZPO). Die hiernach zulässige Beschwerde hat Erfolg.
2.
Das Arbeitsgericht hat den Rechtsstreit - 1 Ca 1979/08 - insgesamt ausgesetzt. Tatsächliche Grundlagen,
die diese umfassende Aussetzung rechtfertigen könnten, hat das Arbeitsgericht allerdings nicht
festgestellt.
§ 149 Abs. 1 ZPO stellt die Aussetzung des Verfahrens in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts,
wenn die Ermittlung einer Straftat auf die Entscheidung des Zivilgerichts bzw. Arbeitsgerichts von Einfluss
ist. Das Arbeitsgericht hat weder im tatbestandlichen Teil, noch im entscheidungsbegründenden Teil
seiner Beschlüsse vom 13.05.2009 und vom 29.07.2009 jeweils - 1 Ca 1979/08 - diesen notwendigen
Einfluss (der Ermittlung einer Straftat) auf die zu erlassende arbeitsgerichtliche Entscheidung (im
Einfluss (der Ermittlung einer Straftat) auf die zu erlassende arbeitsgerichtliche Entscheidung (im
Urteilsverfahren) genügend festgestellt. In diesem Zusammenhang gilt es zunächst, die Besonderheiten
des vorliegenden Falles zu beachten, die darin bestehen, dass der Klageforderung in Höhe von
insgesamt EUR 174.093,98 mehrere Einzel-Streitgegenstände zugrunde liegen und das Arbeitsgericht
(wohl) zutreffend den bisherigen Sach- und Streitstand so gewürdigt hat, dass die von der Klägerin zur
Anspruchsbegründung dargelegten Tatsachen zumindest bzw. jedenfalls teilweise unstreitig sind
(Beschluss vom 13.05.2009 - 1 Ca 1979/08 - dort S. 3 unter Ziffer II. 2. = Bl. 212 d.A.). Berücksichtigt man
dies, so ist nicht ersichtlich, inwieweit die Ermittlungen im Strafverfahren - 2050 Js 26386/08 - für jeden
einzelnen Streitgegenstand von Einfluss sein sollen.
Unabhängig davon hat das Arbeitsgericht im Rahmen der von ihm vorgenommenen Ermessensausübung
dem Beschleunigungsgrundsatz des § 9 Abs. 1 ArbGG und der Norm des § 14 Abs. 2 Nr. 1 EGZPO nicht
genügend Beachtung geschenkt. Der in § 9 Abs. 1 ArbGG normierte Beschleunigungsgrundsatz ist
Ausprägung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Gebotes des effektiven Rechtsschutzes, - wobei
effektiver Rechtsschutz gerade auch "Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit" bedeutet. Das
Beschleunigungsgebot des § 9 Abs. 1 ArbGG kommt auch der Beklagten zu Gute. Die Beklagte hat nach
näherer Maßgabe des Verfahrensrechts - und dazu gehört eben auch § 9 Abs. 1 ArbGG - einen Anspruch
darauf, dass die Berechtigung der Forderungen, derer sich die Klägerin berühmt, innerhalb
angemessener Zeit gerichtlich geklärt wird.
Soweit das Arbeitsgericht darauf abgestellt hat, dass der Staatsanwaltschaft gegenüber dem
Arbeitsgericht regelmäßig andere und weitreichendere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um eine
behauptete Straftat umfassend zu untersuchen und aufzuklären, ist dies an sich zutreffend. Gleichwohl
vermag dieser Gesichtspunkt die Aussetzung des Verfahrens insgesamt nicht zu rechtfertigen (- wobei
insoweit nicht auf die Möglichkeit abgestellt werden muss, dass Strafurteile nach näherer Maßgabe des
Gesetzes vom 29.07.2009 BGBl. I Nr. 49 S. 2353 mitunter auf der Regelung einer entsprechenden
Verständigung beruhen können). Soweit anspruchsbegründende Tatsachen unstreitig sind (s.o.), bedarf
es keiner weitergehenden Sachverhaltsaufklärung oder Beweisaufnahme. Aber auch soweit Tatsachen
streitig sein sollten, ist nicht ersichtlich, inwieweit im derzeitigen Verfahrensstadium strafprozessuale
Aufklärungsmöglichkeiten Vorrang vor einer Beweisaufnahme nach zivilprozessualen Grundsätzen haben
sollten. Staatsanwaltschaft wie Arbeitsgericht werden für die Frage etwaiger strafbarer
Handlungen/Veruntreuungen des M. R. sowie entsprechender
Beihilfehandlungen/Vertragspflichtverletzungen der Beklagten die vorgelegten Belege zu prüfen haben,
die angebotenen Zeugen vernehmen bzw. weitere prozessual zulässige Beweise erheben müssen.
Der - vom Arbeitsgericht erwartete - prozessuale Erkenntnisgewinn aus einem (in ungewisser Zukunft)
erledigten Strafverfahren (-2050 Js 26386/08-) ist unsicher. Dies ergibt sich aus dem der Vorschrift des §
14 Abs. 2 Nr. 1 EGZPO zugrundeliegenden Rechtsgrundsatz: Strafgerichtliche Urteile haben hiernach
nicht ohne weiteres bindende Kraft für die Gerichte für Arbeitssachen. Diese haben vielmehr - wie auch
der Zivilrichter - ihre Überzeugungen grundsätzlich selbst zu bilden und sind daher regelmäßig nicht an
Feststellungen in anderen Urteilen gebunden, - auch nicht an die eines (sei es verurteilenden, sei es
freisprechenden) Strafurteils (s. dazu näher Zöller/Heßler 27. Aufl. ZPO Rz 2 zu § 14 EGZPO).
Die in die Ermessensausübung des Arbeitsgerichts eingeflossene Überlegung, dass im Hinblick auf die
Frage der Verantwortlichkeit des M. R. im Rechtsstreit - 1 Ca 1979/08 - deswegen keine Aufklärung zu
erwarten sei, weil M. R. an diesem Prozess nicht beteiligt sei, - eine solche Aufklärung könne nur durch
das strafrechtliche Verfahren (Strafverfahren) erreicht werden, erweist sich im Hinblick auf die §§ 138 und
286 ZPO als unzutreffend. (Auch) deswegen kann der arbeitsgerichtliche Aussetzungsbeschluss keinen
Bestand haben.
Schließlich erscheint es nicht völlig ausgeschlossen, dass sich im arbeitsgerichtlichen
Erkenntnisverfahren möglicherweise schuldrechtliche Haftungsfragen stellen können, die als solche
ohnehin nicht Gegenstand des Strafverfahrens sind (vgl. §§ 280, 823 und 830 BGB; BAG v. 19.02.1998 - 8
AZR 645/96 -).
3.
Rheinland-Pfalz v. 17.07.2009 - 6 Ta 145/09 -). Einer der Gebührentatbestände der Nr. 8610 bis 8614 des
Kostenverzeichnisses (= Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) ist, da die Beschwerde Erfolg hat, nicht gegeben.
Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nicht veranlasst.