Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 06.10.2004

LArbG Mainz: abmahnung, personalakte, schutzwürdiges interesse, ablieferung, ausführung, arbeitsgericht, zeichnung, form, rüge, schlosser

LAG
Mainz
06.10.2004
10 Sa 327/04
Unrichtige Sachverhaltsdarstellung im Abmahnungsschreiben
Aktenzeichen:
10 Sa 327/04
3 Ca 2658/03
ArbG Ludwigshafen
Verkündet am: 06.10.2004
Tenor:
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom
22.01.2004, AZ: 3 Ca 2658/03, wie folgt abgeändert:
1) Die Beklagte wird verurteilt, die dem Kläger mit Schreiben vom 15.07.2003 erteilte "Abmahnung Nr.
3" aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.
2) Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Entfernung eines Abmahnungsschreibens aus seiner
Personalakte.
Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 01.08.1981 als Schlosser beschäftigt. In der Zeit ab dem
27.09.2002 erteilte ihm die Beklagte eine Vielzahl schriftlicher Abmahnungen. Gegenstand des
vorliegenden Rechtsstreits ist eine Abmahnung vom 15.07.2003, die folgenden Inhalt hat:
"Abmahnung - Nr.: 3
Sehr geehrter Herr A.,
sie wurden beauftragt am 07.07.2003 beauftragt ein französisches Balkongeländer gem. Zeichnung und
vorheriger Absprache mit Herrn E K anzufertigen. Maßgabe war, dass die Flachstahlpfosten
angeschweißte Flacheisen 60 x 40 x 10 mm erhalten, durch die Füllstäbe laufen. Ausgeführt wurde das
Gitter ohne angeschweißte Flacheisen, so dass die Füllstäbe direkt durch die Flachstahlpfosten liefen.
Damit war Ihre Arbeit unbrauchbar. Ca. 4 Stunden von uns investierte Arbeitszeit waren umsonst; der
Materialverlust ist mit ca. 18,00 € zu bewerten.
Die Ausführung dieser für einen ausgebildeten Schlosser mit 19 Jahren Berufserfahrung überaus
einfachen Arbeiten ist Ihnen geläufig. Eine fehlerfreie Ausführung entspricht Ihren Kenntnissen und
Fähigkeiten. Die Ablieferung einer derart missratenen Arbeit zeigt uns, dass Sie nicht mit der
erforderlichen Konzentration bei der Arbeit sind. Wir fordern Sie auf, künftig sich auf Ihre Arbeit zu
konzentrieren und Ihren Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechende fehlerfreie Arbeiten abzuliefern.
Sollten wir erneut feststellen müssen, dass Sie, sei es, dass Sie nicht Willens, sei es dass Sie nicht in der
Lage sind, diesen Vorgaben zu entsprechen, insbesondere nach Ihren Kenntnissen und Fähigkeiten
jedenfalls grobe Fehler der vorliegenden Art zu vermeiden, müssen Sie damit rechnen, dass wir das
Arbeitsverhältnis kündigen. "
Gegen diese Abmahnung richtete sich die vom Kläger am 05.08.2003 beim Arbeitsgericht eingereichte
Klage.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, die ihm mit Schreiben vom 15.07.2003 erteilte Abmahnung aus der
Personalakte zu entfernen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des Urteils des
Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 22.01.2004 (Bl. 30 bis 34 d. A.) Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 22.01.2004 abgewiesen. Hinsichtlich der maßgeblichen
Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 7 bis 15 dieses Urteils (= Bl. 35 bis 43 d. A.) verwiesen.
Gegen das ihm am 07.04.2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 29.04.2004 Berufung beim
Landesarbeitsgericht Rheinland - Pfalz eingelegt und diese innerhalb der ihm mit Beschluss vom
04.06.2004 verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 06.07.2004 begründet.
Der Kläger trägt im Wesentlichen vor, das Arbeitsgericht habe bei seiner Entscheidung nicht ausreichend
berücksichtigt, dass auf ihn - den Kläger - bei Ausführung seiner Arbeit am 07.07.2003 seitens des
"Seniorchefs" der Beklagten, Herrn G K , ein erheblicher psychischer Druck ausgeübt worden sei.
Herr K habe ihn nämlich ständig lautstark kritisiert und beschimpft, indem er z. B. in lautem Tonfall
geäußert habe, wann er (der Kläger) denn nun endlich anfangen wolle zu arbeiten, seine Herumsteherei
koste einen Haufen Geld, das werde er nicht mehr dulden, der Kläger solle sich endlich nach einer
anderen Arbeit umsehen. Es sei leicht nachzuvollziehen, dass es einem Arbeitnehmer, der derart
verhöhnt und beschimpft werde, schwer falle, ruhig zu bleiben und dabei auch die von ihm verlangten
Arbeiten noch ordnungsgemäß und fehlerfrei auszuführen. Nachdem er den Fehler erkannt und habe
beheben wollen, habe ihm Herr K hierzu keine Gelegenheit gelassen, sondern ihn aufgefordert,
die Arbeit einzustellen, damit das Werkstück habe fotografiert werden können. Unter diesen Umständen
erweise sich die streitbefangene Abmahnung bereits als inhaltlich fehlerhaft, soweit darin von der
"Ablieferung einer derart missratenen Arbeit" die Rede sei. Eine Ablieferung, d.h. Fertigstellung des
Werkstücks habe gerade nicht vorgelegen, da er den Fehler bereits selbst bemerkt habe und beheben
wollte. Die Abmahnung sei auch Ausfluss eines gezielten Vorgehens der Beklagten, welches mit dem
Maßregelungsverbot des § 612 a BGB nicht in Übereinklang zu bringen sei. Nachdem er bei der
Beklagten seit 1981 beschäftigt gewesen sei, ohne dass es zu irgend welchen Beanstandungen seiner
Arbeitsleistung gekommen sei, habe die Beklagte im Herbst 2002 mit einer Kette von Abmahnungen und
weiteren Maßnahmen begonnen mit dem offensichtlichen Ziel, ihn mürbe zu machen und ihn aus dem
Arbeitsverhältnis zu drängen. Auslöser hierfür seien ganz offensichtlich seine im Jahr 2002 entfalteten
Aktivitäten zur Gründung eines Betriebsrats.
Zur Darstellung des Vorbringens des Klägers im Berufungsverfahren im Weiteren wird auf die
Berufungsbegründungsschrift vom 05.07.2004 (Bl. 60 bis 69 d. A.) Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 22.01.2004 - AZ: 3 Ca 2658/03 - abzuändern und die
Beklagte zu verurteilen, die ihm mit Schreiben vom 15.07.2003 erteilte Abmahnung Nr. 3 aus seiner
Personalakte zu entfernen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor, die abgemahnte Fehlleistung des Klägers sei gravierend.
Aufgrund der dem Kläger ausgehändigten Zeichnung sei für diesen ohne weiteres erkennbar gewesen,
wie die Arbeit korrekt auszuführen gewesen sei. Es treffe nicht zu, dass der Kläger am 07.07.2003 durch
Herrn K beobachtet und ständig lautstark kritisiert und beschimpft worden sei. Es werde auch
bestritten, dass der Kläger den Fehler habe beheben wollen und hieran von Herrn K gehindert
worden sei. Ebenso wenig treffe es zu, dass die Abmahnung Teil einer systematischen Vorgehensweise
mit dem Ziel sei, den Kläger mürbe zu machen oder dass die Abmahnung in Zusammenhang mit
Bemühungen des Klägers um die Bildung eines Betriebsrats stehe.
Zur Darstellung des Vorbringens der Beklagten im Berufungsverfahren im Weiteren wird auf die
Berufungserwiderungsschrift vom 09.08.2004 (Bl. 83 bis 85 d. A.) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I.
Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das
hiernach insgesamt zulässige Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.
II.
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Entfernung des streitgegenständlichen
Abmahnungsschreibens aus seiner Personalakte.
Nach der ständigen Rechtssprechung des BAG (BAG, AP Nr. 93 und Nr. 96 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht;
BAG, AP Nr. 8, Nr. 9 und Nr. 13 zu § 611 BGB Abmahnung), der das Berufungsgericht uneingeschränkt
folgt, kann der Arbeitnehmer in entsprechender Anwendung der §§ 242, 1004 BGB die Entfernung einer
zu Unrecht erteilten Abmahnung aus seiner Personalakte verlangen.
Bei der Abmahnung handelt es sich um die Ausübung eines arbeitsvertraglichen Gläubigerrechts durch
den Arbeitgeber. Als Gläubiger der Arbeitsleistung weist der Arbeitgeber den Arbeitnehmer als seinen
Schuldner auf dessen vertragliche Pflichten hin und macht ihn auf die Verletzung dieser Pflichten
aufmerksam (Rüge- bzw. Dokumentationsfunktion). Zugleich fordert er ihn für die Zukunft zu einem
vertragstreuen Verhalten auf und kündigt, wenn ihn dies angebracht erscheint, individualrechtliche
Konsequenzen für den Fall einer erneuten Pflichtverletzung an (Warnfunktion).
Eine solche missbilligende Äußerung des Arbeitgebers in Form einer Abmahnung ist geeignet, den
Arbeitnehmer in seinem beruflichen Fortkommen und in seinem Persönlichkeitsrecht zu beeinträchtigen.
Deshalb kann der Arbeitnehmer die Beseitigung dieser Beeinträchtigung verlangen, wenn die
Abmahnung formell nicht ordnungsgemäß zustande gekommen ist, sie unrichtige
Tatsachenbehauptungen enthält, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt wird oder kein
schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers am Verbleib der Abmahnung in der Personalakte mehr
besteht (vgl. BAG, AP Nr. 2 zu § 611 BGB Nebentätigkeit). Soweit dem Arbeitnehmer eine Verletzung
seiner arbeitsvertraglichen Pflichten vorgeworfen wird, kommt es nicht darauf an, ob dieser
Pflichtenverstoß dem Arbeitnehmer subjektiv vorwerfbar ist, es reicht aus, wenn der Arbeitgeber einen
objektiven Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten rügt (vgl. BAG; AP Nr. 2
zu § 611 BGB Abmahnung). Eine solche Rüge ist jedoch nicht nur ungerechtfertigt, wenn sie unrichtige
Tatsachenbehauptungen enthält, sondern auch dann, wenn sie auf einer unzutreffenden rechtlichen
Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht (BAG, AP Nr. 2 zu § 611 BGB Nebenpflicht).
Im Streitfall ist die Beklagte unabhängig davon, ob und in welchem Umfang der Kläger bei Fertigung des
Balkongeländers am 07.07.2003 gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen hat, verpflichtet, die
streitbefangene Abmahnung aus der Personalakte des Klägers zu entfernen. Das betreffende
Abmahnungsschreiben enthält nämlich jedenfalls insoweit eine unrichtige Tatsachenbehauptung, als es
den Vorwurf der "Ablieferung", d. h. der Fertigstellung einer fehlerhaften Arbeit beinhaltet. Durch die
diesbezügliche Formulierung im Abmahnungsschreiben kommt eindeutig zum Ausdruck, der Kläger habe
die ihm übertragene Arbeit (Anfertigung eines Balkonsgeländers) vollständig ausgeführt und beendet,
ohne den ihm dabei unterlaufenen Fehler bemerkt und versucht zu haben, diesen zu korrigieren. Es kann
jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass dieser, im Abmahnungsschreiben wiedergegebene
Geschehensablauf den Tatsachen entspricht. Dies hat die hinsichtlich der inhaltlichen Richtigkeit der
Abmahnung darlegungs- und beweisbelastete Beklagte nicht ausreichend dargetan.
Der Kläger hat substantiiert vorgetragen, dass er den ihm unterlaufenen Fehler selbst bemerkt habe und
damit beschäftigt gewesen sei, diesen zu korrigieren, hiervon jedoch seitens des "Seniorchefs", Herrn
K , abgehalten worden sei, damit die fehlerhafte Arbeit habe fotografiert werden können. Von einer
"Ablieferung" kann somit unter Zugrundelegung des Sachvortrages des Klägers nicht ausgegangen
werden. Soweit die Beklagte demgegenüber pauschal bestritten hat, dass der Kläger den Fehler beheben
wollte und hieran gehindert worden sei, so erweist sich ihr Vorbringen als unsubstantiiert. Es wäre
insoweit Sache der Beklagten gewesen, sich mit dem diesbezüglichen Sachvortrag des Klägers
auseinanderzusetzen und dabei den maßgeblichen Geschehensablauf im Einzelnen darzulegen.
Da sich die Abmahnung somit in diesem Punkt inhaltlich als unrichtig erweist, ist die Beklagte verpflichtet,
sie aus der Personalakte des Klägers zu entfernen. Das Abstellen auf den vorliegend im
Abmahnungsschreiben insoweit unrichtig dargestellten Geschehensablauf stellt auch keineswegs eine
bloße Förmelei dar, da die Qualität des (objektiven) Fehlverhaltens des Klägers durchaus auch davon
abhängt, ob er - wie im Abmahnungsschreiben behauptet - eine fehlerhafte Arbeit "abgeliefert" d. h.
vollständig fertiggestellt bzw. beendet oder aber den Fehler bemerkt hat und diesen (vor Ablieferung der
Arbeit) korrigieren wollte.
III.
Die Beklagte war daher unter Abänderung des mit der Berufung angefochtenen Urteils zu verurteilen, die
dem Kläger mit Schreiben vom 15.07.2003 erteilte "Abmahnung Nr. 3" aus der Personalakte des Klägers
zu entfernen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien
keine Veranlassung.