Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 10.02.2006

LArbG Mainz: unwirksamkeit der kündigung, treu und glauben, innere medizin, einheit, stadt, stellenausschreibung, arbeitsgericht, zusammenarbeit, europa, unternehmen

LAG
Mainz
10.02.2006
8 Sa 846/05
Betriebsbedingte Kündigung und Auflösungsantrag des Arbeitgebers
Aktenzeichen:
8 Sa 846/05
3 Ca 897/05
ArbG Ludwigshafen
Entscheidung vom 10.02.2006
Tenor:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom
25.08.2005 - 3 Ca 897/05 - wird zurückgewiesen.
2. Der Auflösungsantrag der Beklagten wird abgewiesen.
3. Die Kosten des Verfahrens werden der Beklagten auferlegt.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung und um die
Berechtigung des Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis aufzulösen.
Die am 11.07.1952 geborene, unverheiratete Klägerin, die einen Universitätsabschluss in Medizin und
Pharmazie hat, wird auf der Grundlage eines Anstellungsvertrages vom 23.04.1992 als Fachreferentin für
klinische Forschung und Entwicklung beschäftigt. Die Klägerin ist schwerbehindert. Ihr monatlicher
Verdienst belief sich zuletzt auf durchschnittlich 6.337,78 €.
Die Beklagte ist ein forschender Arzneimittelhersteller mit derzeit rund 1.900 Arbeitnehmern und gehört
zum A.-Konzern mit der Zentrale in U.-Stadt.
Die Klägerin war vom 26.07.2001 bis 03.12.2002 arbeitsunfähig erkrankt. Vom 01.02.2003 bis 30.11.2003
und in der Folgezeit vom 01.12.2003 bis 30.11.2004 wurde sie auf die jeweiligen Einsatzgebiete befristet
unter Fortgeltung ihres Vertrages bei der Beklagten zuletzt in der Einheit P. eingesetzt.
Zur Intensivierung der Bemühungen um eine Zulassung des Präparats "V." auf weiteren Pharmamärkten
in Europa und Asien erhielt die Beklagte im November 2003 vom Headquarters in U.-Stadt die
Genehmigung und das Budget für zwei zusätzliche Stellen für klinische Fachreferenten in B.-Stadt. Nach
einer entsprechenden internen Stellenausschreibung, sowie Anzeigen in der FAZ und im "Ärzteblatt"
wurden die beiden Stellen am 01.07.2004 durch Frau Dr. T. für Asien und am 01.09.2004 durch Frau Dr.
R. für Europa besetzt.
Nach Zustimmung des Integratationsamtes kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin
durch das Schreiben vom 30.03.2005 zum 31.03.2006.
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf die
tatsächlichen Feststellungen im Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 25.08.2005
- 3 Ca 897/05 - (Bl. 259 bis 265 d. A.) gemäß § 540 Abs. 1 Ziffer 1 ZPO Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat im vorerwähnten Urteil auf Rechtsunwirksamkeit der Kündigung erkannt. Zur
Begründung wurde im Wesentlichen darauf abgestellt, dass die Beklagte mit dem Ausspruch der
Kündigung grob gegen die Vorgaben von Treu und Glauben verstoßen habe, weil sich aufgrund ihres
Verhaltens eine betriebsbedingte Kündigungssituation ergeben habe. Die Beklagte habe zum Zeitpunkt,
als ihr zwei neue Fachreferentenstellen durch die Konzernzentrale zugestanden worden seien, gewusst,
dass mit der Klägerin ein entsprechendes Arbeitsverhältnis bestanden habe und diese nach ihrer
Wiedergenesung auf den bisherigen Arbeitsplatz nicht wieder beschäftigt werden konnte. Im Rahmen des
bestehenden Direktionsrechts und unter Berücksichtigung der Verpflichtungen des Mitarbeiters unter § 4
des Arbeitsvertrages sei die Beklagte zur Zuweisung eines entsprechenden Aufgabenbereiches
verpflichtet gewesen. Gegebenenfalls wäre die Klägerin bei Ablehnung auf die Gefahr einer
betriebsbedingten Kündigung hinzuweisen gewesen.
Die Beklagte könne sich nicht auf das in der Stellenbeschreibung vorgegebene Anforderungsprofil
berufen; zwar erfülle die Klägerin nicht die dort vorausgesetzte Facharztausbildung, jedoch sei sie seit
mehr als 20 Jahren Fachreferentin für den Bereich klinische Forschung und Entwicklung. Die Beklagte
hätte zumindest einen Arbeitsversuch mit der Klägerin machen müssen.
Auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts (Bl. 265 bis 270 d. A.) wird des Weiteren
verwiesen.
Gegen das der Beklagten am 26.09.2005 zugestellte Urteil richtet sich die am 18.10.2005 eingelegte und
am 24.11.2005 begründete Berufung.
Die
Beklagte
Gründen wegen Wegfalls des bisherigen Arbeitsplatzes der Klägerin und nicht vorhandener alternativer
Beschäftigungsmöglichkeiten erfolgt. Im Frühjahr 2001 habe die Konzernzentrale entschieden, dass der
Standort B.-Stadt zu einem integrierten Produktions-, Forschungs- und nationalen Vertriebsstandort
umstrukturiert werden sollte. Diese Neuausrichtung habe innerhalb des "A.-Konzerns" zum Abbau von
rund 480 Funktionen geführt. Die gesamten Aktivitäten im Bereich Herz-Kreislauf seien aufgegeben
worden. Vom Stellenabbau seien auch nach Konzernvorgaben die Stellen der 15 klinischen
Fachreferenten betroffen gewesen. Nach der langen Erkrankung der Klägerin sei es ihr - der Beklagten -
gelungen, der Klägerin ab dem 01.02.2003 eine befristete Einsatzmöglichkeit im Rahmen einer internen
Versetzung in die Einheit Q. zuzuweisen. Die Leistungen der Klägerin seien durch die damalige
Vorgesetzte mit der Bewertung "PA-partially achieved" (erfüllt teilweise die Erwartungen) beurteilt worden.
Aufgrund der Ausweitung des therapeutischen Anwendungsbereichs von "V." habe sie - die Beklagte - die
Genehmigung und das Budget für zwei zusätzliche Stellen für klinische Fachreferenten in B.-Stadt vom
Headquarters in U.-Stadt erhalten. In der veranlassten Stellenausschreibung, sowie in den Anzeigen in
der FAZ und im "Ärzteblatt" sei auf die Facharztqualifikation abgestellt worden. Die dann eingestellte Frau
Dr. T. verfüge über eine Facharztausbildung für Dermatologie und Venerologie sowie mehrjährige
klinische Erfahrung. Frau Dr. R. sei Fachärztin für Anästhesie und könne auf weitere Spezialisierungen auf
dem Gebiet der Schmerzbehandlung und Intensivmedizin vorweisen. Die Klägerin sei nicht in der Lage,
sich das Fachwissen der beiden Bewerberinnen innerhalb eines Jahres anzueignen. Insoweit setze sich
das Arbeitsgericht in seiner Aussage zu einem Versuch einer Beschäftigung über die fehlende fachliche
Qualifikation der Klägerin hinweg. Bei den Anforderungsmerkmalen der Stellenausschreibung
berücksichtige das Arbeitsgericht außerdem nicht, dass es sich nicht um alternative, sondern um
kumulative Anforderungsmerkmale handele. Es beachte nicht die in der Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts entwickelten Grundsätze, wonach es dem Arbeitgeber objektiv möglich und
zumutbar sein müsse, den Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen. Es sei geschütztes Recht des
Arbeitgebers, das Anforderungsprofil festzulegen. Im Übrigen habe die Klägerin durch ihr Einverständnis
mit einem befristeten Einsatz zuletzt in Einheit P. signalisiert, dass sie an den ausgeschriebenen
Fachreferentenstellen kein Interesse habe. Es sei auch nicht glaubwürdig, wenn die Klägerin behaupte,
durch eine überzogene Darstellung der Reisetätigkeit sei ihr die Asienstelle verleitet worden und
ebensowenig, sie habe von der Europa-Stelle keine Kenntnis gehabt. Im Übrigen seien die
Fachreferenten keine Prüfer im Sinne von § 40 Abs. 1 AMG, da sie keinen Patientenkontakt hätten; sie
arbeiteten lediglich mit Prüfern zusammen. Die Beklagte arbeite mit einem qualifizierten Team und strebe
die größtmöglichste Qualifikation der Teammitglieder an. Die Klägerin habe Dr. O. gegenüber erklärt,
wegen ihrer langen Erkrankung zu einer größeren internationalen Reisetätigkeit nicht mehr in der Lage zu
sein.
Zu dem im Laufe des Berufungsverfahrens gestellten
Auflösungsantrag
bei der Klägerin handele es sich um eine schwierige Persönlichkeit. Nach deren Rückkehr aus der
Krankheit seien in ihrer Einheit Vorgänge festgestellt worden, die den Mitarbeitern bis dahin unbekannt
gewesen seien. Es habe damit begonnen, dass Reinigungsmittel aus der Küche sowie Verbandsmittel
aus dem im Gang zugänglichen Verbandskasten verschwunden seien. Im März 2004 habe die Klägerin
gegenüber Frau N. von übersinnlichen Fähigkeiten berichtet, weshalb sie in den "Kreis der Auserwählten"
aufgenommen sei. Sie besitze schwarze Kräfte und könne das Schicksal anderer Menschen beeinflussen.
Gegenüber der Zeugin habe sie versucht, dies mit mehreren Beispielen zu belegen. Frau M. habe
unabhängig davon über eine ganz ähnliche Unterhaltung mit der Klägerin berichtet. In einem Telefonat
mit Frau L. habe die Klägerin behauptet, man wolle ihr im Unternehmen schon seit 20 Jahren etwas
anhängen. Die Klägerin sei eine schwierig zu führende Mitarbeiterin, habe auch Aufgabenstellungen nicht
richtig wiedergeben können und darauf bestanden, bestimmte Arbeiten weiter zu verfolgen. Das
abgelieferte Expert-Statement habe nicht der Aufgabe entsprochen. Vor einem Personalgespräch am
02.09.2004 habe die Klägerin wissen wollen, ob sie das Gespräch auf Band aufzeichnen dürfe. Insgesamt
sei eine dem Betriebszweck dienliche weitere Zusammenarbeit nicht mehr gegeben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom
23.11.2005 (Bl. 281 bis 310 d. A.) und vom 31.01.2006 (Bl. 358 bis 377 d. A.) sowie sämtliche vorgelegten
Unterlagen Bezug genommen.
Die Beklagte hat zweitinstanzlich beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom 25.08.2005 - Az.: 3 Ca 897/05 - wird
abgeändert. Die Klage wird abgewiesen,
hilfsweise
das Arbeitsverhältnis der Parteien aufzulösen und die Beklagte zur Zahlung einer angemessenen
Abfindung zu verurteilen, dessen Höhe in das Ermessen des Landesarbeitsgericht gestellt wird, jedoch
den Betrag von 95.066,70 € nicht übersteigen darf.
Die Klägerin hat
Zurückweisung der Berufung und Abweisung des Auflösungsantrages
beantragt
die Unwirksamkeit der Kündigung folge daraus, dass keine dringenden betrieblichen Erfordernisse
gegeben seien. Ihr Arbeitsplatz sei durch die Einsatzwechseltätigkeit seit 01.02.2003 nicht weggefallen.
Die beiden neu besetzten Fachreferentenstellen habe man ihr nicht angeboten. In ihrer
Stellenausschreibung habe die Beklagte ausdrücklich keine Facharztausbildung für Dermatologie oder
Anästhesie, sondern eine solche für Innere Medizin bevorzugt; anderes seien Schutzbehauptungen. Auch
fände der Vortrag, es sei bei der Stellenausschreibung primär auf die Facharztqualifikation und erst in
zweiter Linie auf das Fachgebiet angekommen, keinen Anhaltspunkt in der Stellenausschreibung. Im
Übrigen verlangten die gesetzlichen Vorschriften bei der Besetzung der Stellen mit dem Aufgabengebiet
der Durchführung klinischer Studien keinen Facharzttitel, noch nicht einmal den Abschluss eines
humanmedizinischen Studiums. Die Stelle eines klinischen Fachreferenten bedeute nicht "Arbeit am
Patienten", sondern die Sicherstellung der Sicherheit der Patienten. Sie - die Klägerin - habe
Studienprotokolle und Studienreports angefertigt und Fachgespräche mit den Prüfärzten geführt. Sie sei
aufgrund ihrer beruflichen und fachlichen Qualifikationen auch uneingeschränkt in der Lage, die
betreffenden klinischen Fachreferentenstellen auszufüllen. Nach Eintritt in das Unternehmen sei sie
zunächst mit der Planung von klinischen Prüfungen der Phasen II, III und IV einschließlich der Erstellung
Prüfungsplänen, Prüfbögen und Forschungsberichten befasst gewesen. Hierbei habe sie
Publikumsmanuskripte in deutsch und in englisch erstellt; ferner, fachliche Stellungnahmen zu
medizinischen und pharmazeutischen Fragen ausgearbeitet, Forschungsprojekte beurteilt und
Lizenzangebote. Im Department Allgemeinmedizin, in dem sie bis Ende Februar 1985 tätig gewesen sei,
habe sie auf den Gebieten Gastroenterologie und Pulmologie gearbeitet; danach sei sie ab 01.03.1985 in
das Department Kardiologie/Nephrologie gewechselt und habe hierbei die Verantwortung für das
Entwicklungsprojekt eines in Phase II/III befindlichen Betablockers übernommen. Sie habe verschiedene
kleine Projekte mit Calciumantagonisten, Antihypertensiva und Antiarhythmica betreut. Ab 1989 sei auch
die Durchführung internationaler Projektleitungen erfolgt. Als internationale klinische Teamleiterin von J.
sei sie für die Koordination klinischer Studien zuständig gewesen. Sie selbst habe klinische Studien mit J.
in mehreren europäischen Ländern bei verschiedenen Tumorarten geplant und durchgeführt. Zur Tätigkeit
habe die Planung und Durchführung klinischer Studien der Phasen I und II von onkologischen
Forschungssubstanzen und von I. zur Resistenzdurchbrechung, die Erstellung zahlreicher klinischer
Sachverständigengutachten von Handelspräperaten zur Re-Registrierung in verschiedenen Ländern, die
Erstellung von klinischen Berichten von Forschungssubstanzen, Publikationen und Abstracts in deutsch
und in englisch, die Erstellung von Stellungnahmen zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen von
Forschungssubstanzen und Handelspräparaten gehört.
Der Vortrag zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses sei abstrus, unwahr und von absurden
Gedankengängen geprägt. Er sei mit Nichtwissen zu bestreiten und teilweise nach Hinweisen des
Mitarbeiters Integrationsamtes fallen gelassen worden. Der Vorgesetzte Dr. K., der das Unternehmen
verlassen habe, habe die absurden Gedankengänge gepflegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Berufungsbeantwortung wird auf den Schriftsatz der Klägerin vom
29.12.2005 (Bl. 339 bis 375 d. A.) sowie den Schriftsatz vom 08.02.2006 (Bl. 399 bis 406 d. A.), nebst
sämtlichen Unterlagen Bezug genommen. Auf den gesamten Akteninhalt und die zu den Akten gereichten
Anlagen sowie auf die Feststellungen der Sitzungsniederschrift des Landesarbeitsgerichts vom
10.02.2006 (Bl. 409 bis 412 d. A.) wird verwiesen.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Rechtsmittel der Berufung der Beklagten ist gemäß § 64 ArbGG statthaft. Die Berufung ist nach §§ 64
Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet worden.
Sie ist insgesamt zulässig.
II.
In der Sache selbst zeitigt die Berufung der Beklagten jedoch k e i n e n Erfolg.
Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis zutreffend festgestellt, dass die von der Beklagten am 30.03.2005
ausgesprochene Kündigung nicht zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.03.2006 führt (1.).
Der im Berufungsverfahren gestellte Auflösungsantrag der Beklagten ist unbegründet (2.).
1.
Die von der Beklagten erklärte betriebsbedingte Kündigung scheitert an der nach § 1 Abs. 3 des
vorliegend anwendbaren Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) vorzunehmenden Sozialauswahl. Nach
der Entscheidung des Gesetzgebers in der vorerwähnten Vorschrift ist der Arbeitgeber nicht frei in seiner
Entscheidung, welchem von einer betriebsbedingten Kündigung betroffenen Arbeitnehmer gekündigt
werden soll. Seine individuelle Auswahl ist vielmehr in der Weise gesetzlich determiniert, dass sie nach
dem Maßstab der geringsten sozialen Schutzbedürftigkeit erfolgen soll. Die Kündigung soll mithin
vorrangig denjenigen Arbeitnehmer treffen, der am wenigsten auf seinen Arbeitsplatz angewiesen ist (vgl.
ua. Dörner/Luczak/Wildschütz, Handbuch Arbeitsrecht, 4. Auflage, D 1463; zit.: DLW/Autor).
Der Kreis, der in die Sozialauswahl einzubeziehenden Arbeitnehmer richtet sich in erster Linie nach
arbeitsplatzbezogenen Merkmalen und damit nach dem Arbeitsvertragsinhalt (vgl. BAG, Urteil vom
07.02.1985 = EzA § 1 KschG Soziale Auswahl Nr. 20; vom 15.06.1989 = AP Nr. 18 zu § 1 KSchG, 1969
Soziale Auswahl, vom 29.03.1990 = AP Nr. 50 zu § 1 KSchG 1969 betriebsbedingte Kündigung und vom
17.09.1998 = AP Nr. 36 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl). Vergleichbar sind diejenigen Arbeitnehmer,
die kraft Direktionsrechts mit anderen Aufgaben beschäftigt werden können (vgl. Ascheid, Erfurter
Kommentar zum Arbeitsrecht, 6. Auflage, Rz. 478 - zit. ErfK/Autor - m.w.N. auf BAG, Urteil vom 29.03.1990
= AP Nr. 50 zu § 1 KSchG, 1969 betriebsbedingte Kündigung und vom 21.06.1995 = RzK § I 5 d Nr. 50).
Maßgebend für eine nicht mehr gegebene Vergleichbarkeit können Kenntnisse und Fähigkeiten sein, die
sich andere Arbeitnehmer erst durch eine längere Einarbeitungszeit aneignen müssen, wobei es auf die
betrieblichen Umstände ankommt.
Entgegen der Auffassung der Berufung ist die Klägerin mit den beiden als Fachreferenten am 01.07.2004
bzw. 01.09.2004 eingestellten Ärztinnen Dr. T. und Dr. R. bezogen auf die auszuübende Tätigkeit
vergleichbar.
Die Klägerin besitzt einen Universitätsabschluss als Humanmedizinerin und zusätzlich einen solchen als
Pharmazeutin. Sie verfügt über Erfahrungen in der Mitarbeit in multi- und internationalen Teams und über
eine langjährige Berufserfahrung in der pharmazeutischen Industrie, die in der Grundanlage der
Aufgabenstellung der den neuen Fachreferenten übertragenen Tätigkeiten entsprechen. Sehr gute
Englischsprachkenntnisse in Wort und Schrift sind vorhanden.
Soweit die Beklagte ausführt, es könne ihr nicht zugemutet werden, die Klägerin mit Kenntnissen
ausgebildeter Fachkräfte, über die die beiden Ärztinnen Dr. R. und Dr. T. verfügten, auszustatten, kann
dies das Merkmal der Vergleichbarkeit nicht eliminieren. Zum ersten würde dieses Argument nur zum
Tragen kommen, wenn die Facharztausbildung im Rahmen der klinischen Fachreferententätigkeiten eine
geradezu alleinige Voraussetzung wäre und zum anderen, wenn - so auch das Ergebnis der mündlichen
Verhandlung vor der Kammer - in der Vergangenheit von der Klägerin nicht erwartet worden wäre, sich in
jedes neue Projekt einzuarbeiten. Dass dies der Klägerin aufgrund ihrer komplexen Ausbildung in der
Vergangenheit bei verschiedenen Projekten gelungen war, steht außer Zweifel. Hinzukommt, würde man
ein berechtigtes Interesse der Beklagten an einer bestimmten Facharztqualifikation der Fachreferenten
anerkennen, dass im Rahmen der Fachreferententätigkeit nur Teilausschnitte des entsprechenden
Facharztwissens benötigt werden und nicht das volle Spektrum des Wissens etwa eines Dermatologen
oder eines Anästhesisten. Der Fachreferent für klinische Forschung arbeitet mit Prüfärzten zusammen; nur
letztere haben primär Kontakt zum "Patientengut". Der Fachreferent erstellt den Prüfplan, wählt das
"Patientengut" aus, sowie die entsprechenden Prüfärzte und trägt die Gesamtverantwortung für die
Durchführung der Studien mit dem jeweiligen Produkt. Die Facharztausbildung mag Vorteile in einer
besseren Fragestellung und bei der Evaluierung haben, dies allein vermag jedoch nicht zu einer
Kompensation jahrzehntelanger Erfahrung im Bereich der klinischen Fachreferententätigkeit bei der
Beklagten führen. Eine Vergleichbarkeit der Klägerin mit den 2004 eingestellten Ärztinnen Dr. T. und Dr.
R. kann daher mit den von der Beklagten umfassend ausgeführten Gründen nicht ausgeschlossen
werden. Dies gilt umso mehr, als pharmakologische Aspekte von der Klägerin, die über einen
entsprechenden zusätzlichen Universitätsabschluss und entsprechende Berufserfahrung verfügt,
erkennbar sicherer beurteilt werden können, als von den beiden neu eingestellten Ärztinnen. Die
Ausführungen der Beklagten zu einem langen Zeitraum für die Aneignung von zusätzlichem Fachwissen
durch die Klägerin sind angesichts des Ausgeführten und insbesondere unter Berücksichtigung der
Tatsache, dass für die Aufgabenerfüllung nur Teilkenntnisse des Facharztwissens erforderlich sind, daher
nicht genügend für eine abweichende Beurteilung.
Auch unter dem gesetzlichen Aspekt von § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG, wonach in die soziale Auswahl nach
Satz 1 des Abs. 3 § 1 KSchG Arbeitnehmer nicht einzubeziehen sind, deren Weiterbeschäftigung
insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer
ausgewogenen Personalstruktur des Betriebs im berechtigten betrieblichen Interesse liegt, sind die
Darlegungen der Beklagten nicht ausreichend (vgl. zur Darlegungslast: DLW/Dörner D 1479, 1623; ErfK-
Ascheid, § 1 KSchG sozial ungerechtfertigte Kündigung Rz. 503). Die Anforderungen müssen nämlich "im
berechtigten betrieblichen Interesse" liegen. Dieses Interesse muss aus konkreten betrieblichen Belangen
ableitbar sein (ErfK-Ascheid, aaO, Rz. 503). Die beiden eingestellten Fachreferentinnen müssten über
erheblich überdurchschnittliche oder wesentlich speziellere Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen und
diese auch aktuell benötigen (DLW-Dörner, D 1203 a). Zwar hat sich die Beklagte in der Darstellung der
Ausbildung unter Vorlage der Lebensläufe der beiden 2004 eingestellten Fachreferenten viel Mühe
gemacht; dagegensteht jedoch, dass das Tätigkeitsfeld eines klinischen Fachreferenten geradezu das
"Zusammenspiel" von medizinischen und pharmalogischen Komponenten und deren verlässliche,
verantwortliche Beurteilung erfordert. Das Tätigkeitsfeld des Fachreferenten ist breit angelegt. Spezielle
Facharztkenntnisse wären nur ein Teilaspekt für die Durchführung der Tätigkeit eines klinischen
Fachreferenten. Sie können durch die langjährige Erfahrung der Klägerin in der "Anlage" von Studien
kompensiert werden. Es ist für die Berufungskammer daher nicht zu erkennen, dass die Klägerin aufgrund
ihres Wissens den Entwicklungsabsichten der Beklagten im Zusammenhang mit dem Produkt "V." nicht
nachkommen könnte. Allgemeine Zweckmäßigkeitserwägungen führen nicht zur Annahme der
gesetzlichen Anforderung "in berechtigtem betrieblichen Interesse".
Auch führt die Auffassung der Beklagten, die Klägerin habe mit einem befristeten Einsatz im Bereich der
Einheit P. signalisiert, sie habe an den mittlerweile besetzten Fachreferentenstellen kein Interesse gehabt
und es sei nicht glaubwürdig, wenn diese behaupte, ihr sei durch eine überzogene Darstellung der
Reisetätigkeit die Asienstelle verleitet worden und ebensowenig, sie habe von der Europa-Stelle keine
Kenntnis gehabt, zu keiner anderen Bewertung. Nach der von der Beklagten zutreffend angeführten
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 21.04.2005 - 2 AZR 244/04 -) zwingt der
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz selbst bei Ablehnung des Angebotes auf Weiterbeschäftigung den
Arbeitgeber trotzdem eine Änderungskündigung auszusprechen. Eine Beendigungskündigung ist nur
dann zulässig, wenn der Arbeitnehmer unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat, er werde die
geänderten Arbeitsbedingungen im Falle des Ausspruchs einer Änderungskündigung nicht, auch nicht
unter dem Vorbehalt ihrer Rechtfertigung annehmen.
Dem Vortrag der Beklagten kann bereits nicht entnommen werden, welches konkrete Änderungsangebot
der Klägerin im Zusammenhang mit den beiden neuen Stellen wann unterbreitet wurde. Daher vermag
das Einverständnis der Klägerin mit einem befristen Einsatz zuletzt in der Einheit P., der nach ihrer langen
Erkrankung erfolgte, nicht zwingend die von der Rechtsprechung geforderte definitive und endgültige
Ablehnung eines Änderungsangebotes darzustellen (vgl. BAG, Urteil vom 21.04.2005, aaO m.w.N. auf
Ascheid, Beweislastfragen im Kündigungsschutzprozsess S 158).
Nach alledem ergibt sich, dass die Klägerin unter Berücksichtigung ihrer Betriebszugehörigkeit seit
01.05.1982, ihres Alters - geboren 11.07.1952 - und ihrer Schwerbehinderung deutlich schutzwürdiger als
die am 16.02.1968 geborene Frau Dr. T. und am 06.01.1959 geborene Frau Dr. R., die am 01.07. bzw.
01.09.2004 als Fachreferentinnen eingestellt wurden. Die Kündigung vom 30.03.2005 zum 31.03.2006 ist
als sozial nicht gerechtfertigt im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG einzustufen.
2.
Der Auflösungsantrag ist unbegründet.
Das Arbeitsgericht kann gemäß § 9 Abs. 1 KSchG das Arbeitsverhältnis unter Zahlung einer Abfindung
auflösen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit
zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Solche Gründe müssen nach dem
aktuellen Stand der Rechtsprechung (vgl. BAG, Urteil vom 23.06.2005 - 2 AZR 256/04 - n.v.) nicht im
Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen; vielmehr kommt es
darauf an, wie sich die Situation objektiv bei Schluss der mündlichen Verhandlung in der
Berufungsinstanz darstellt und insbesondere, ob die Besorgnis aufkommen kann, die weitere
Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer sei gefährdet. So hat vor dem Tatsachenvortrag des Arbeitgebers
eine Gesamtabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände zu erfolgen, die für oder gegen eine
entsprechende Prognose sprechen.
Der Vortrag der Beklagten reicht nach Auffassung der Berufungskammer nicht ansatzweise aus, um die
entsprechende "Befürchtung" der Beklagten zu begründen.
Soweit allgemein auf das Verschwinden von Reinigungs- und Verbandsmitteln abgehoben wird, stellt dies
einen abstrakten Vortrag dar. Für ein der Klägerin zurechenbares Verhalten fehlt jeglicher Anhaltspunkt.
einen abstrakten Vortrag dar. Für ein der Klägerin zurechenbares Verhalten fehlt jeglicher Anhaltspunkt.
Auch das Vorbringen der Beklagten zu von der Klägerin geäußerten übersinnlichen Fähigkeiten und
schwarzen Kräften, sowie zur Beeinflussungsmöglichkeit des Schicksals anderer Menschen, stellt für sich
gesehen ohne Darstellung von konkreten nachteiligen Auswirkungen auf das Verhältnis zu Mitarbeitern,
mit denen die Klägerin zusammen arbeitet, keinen zwingenden Umstand dar, der den Anforderungen für
eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses, die ohnehin nur ausnahmsweise in Betracht kommt (vgl. BAG,
Urteil vom 07.03.2003 - 2 AZR 158/01 -), genügen könnte. Auch die weiteren Gründe, dass die Klägerin
eine schwierig zu führende Mitarbeiterin sei bzw. behauptet habe, man wolle ihr seit 20 Jahren etwas
anhängen, führen ohne präzise Darlegungen zu den Auswirkungen der Verhaltensweisen in der täglichen
Arbeit nicht zur Annahme eines zivilprozessual geeigneten Sachvortrages, der die Voraussetzungen des
§ 9 KSchG erfüllen könnte.
Schließlich vermag auch eine - hier unterstellte - nicht richtige Wiedergabe einer Aufgabestellung nicht
zwingend dazu führen, dass nachteilige Auswirkungen auf eine dienliche weitere Zusammenarbeit
erkennbar wären. Auch hierzu fehlt es an substantiiertem Vorbringen.
Nach alledem war die Berufung unter Abweisung des Auflösungsantrages der Beklagten mit der
Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Für die Zulassung der Revision bestand angesichts der gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG
keine Notwendigkeit. Die Rechtsprechungsgrundsätze, die vom Bundesarbeitsgericht ausgearbeitet
worden, sind für die Bewertung des vorliegenden Falles ausreichend.