Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 26.11.2007

LArbG Mainz: wiedereinsetzung in den vorigen stand, treu und glauben, kündigung, anschrift, arbeitsgericht, stadt, zugang, form, datum, wohnung

LAG
Mainz
26.11.2007
9 Ta 240/07
Nachträgliche Zulassung der Kündigung
Aktenzeichen:
9 Ta 240/07
6 Ca 1651/06
ArbG Koblenz
- AK Neuwied -
Entscheidung vom 26.11.2007
Tenor:
1. Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Koblenz -Auswärtige
Kammern Neuwied- 29.8.2007, Aktenzeichen 6 Ca 1651/06, wird auf Kosten des Klägers
zurückgewiesen.
2. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.850 EUR festgesetzt.
Gründe:
I. Der Kläger bei der Beklagten als Kraftfahrer eingestellt verdiente zuletzt monatlich ca. 2.850,-- € brutto.
Am 15.07.2006 meldete sich der Kläger arbeitsunfähig krank. Die Arbeitsunfähigkeit dauerte bis zum
18.08.2006.
Aufgrund einer Auseinandersetzung mit seiner Lebensgefährtin musste der Kläger die ursprüngliche
Wohnung in H. verlassen und quartierte sich vorübergehend bei seiner Mutter in A-Stadt ein.
Unter dem 01.08.2006 hat die Beklagte eine Kündigung zum 31.08.2006 ausgesprochen. Die Beklagte
hat versucht, diese Kündigung dem Kläger unter der ihr bekannten Anschrift in H. am 01.08.2006 durch
Boten zuzustellen. Der Bote traf unter der angegebenen Anschrift auf die Schwester der ehemaligen
Lebensgefährtin des Klägers. Diese wies darauf hin, dass der Kläger nicht mehr dort wohne. Seine neue
Anschrift sei nicht bekannt. Die zwischenzeitlich bei der Beklagten eingegangenen
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen des Klägers wiesen gleichfalls die alte Anschrift auf.
Die Beklagte hat in der Folgezeit versucht, die Anschrift des Klägers zu ermitteln. Die neue Anschrift des
Klägers wurde bestätigt durch die Mitteilung der Verbandsgemeinde W. vom 21.08.2006, bei der
Beklagten eingegangen am 23.08.2006. Ausweislich der Anschriftenüberprüfung der Deutschen Post AG,
bei der Beklagten eingegangen am 22.08.2006, wurde die neue Anschrift des Klägers in A-Stadt
mitgeteilt. Dies hat die Beklagte zum Anlass genommen, das Kündigungsschreiben am selben Tag an den
Kläger zu übersenden, welches dieser am 25.08.2006 erhalten hat. Am 18.08.2006 erfuhr der Kläger
telefonisch durch einen Mitarbeiter der Beklagten, dass die Beklagte versucht habe, ihm eine Kündigung
zu übermitteln.
Am 30.08.2006 ist beim Arbeitsgericht Koblenz ein Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Klägers
mit der Überschrift "Klage" eingegangen, in welchem der Kläger unter anderem Folgendes beantragt hat:
1. Festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 01.08.2006,
zugegangen am 25.08.2006, nicht zum 31.08.2006 aufgelöst worden ist, sondern fortbesteht.
2. Dem Kläger hinsichtlich des Fristversäumnisses Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu
gewähren.
Das Schreiben war nicht unterzeichnet.
Mit Verfügung vom 05.09.2006 hat das Gericht den Klägervertreter darauf hingewiesen, dass die
"Klageschrift" nicht unterzeichnet ist.
Mit weiterem Schriftsatz vom 28.08.2006, bei Gericht eingegangen am 12.09.2006, hat der
Prozessbevollmächtigte des Klägers die Klage in unterschriebener Form bei Gericht eingereicht. Im
Termin zur mündlichen Verhandlung am 18.07.2007 hat der Unterbevollmächtigte des
Klägerprozessbevollmächtigten nunmehr beantragt, die Kündigungsschutzklage nachträglich zuzulassen.
Mit Beschluss vom 29.8.2007, Az. 1 Ca 1651/06, hat das Arbeitsgericht den Antrag auf nachträgliche
Zulassung der Kündigungsschutzklage zurückgewiesen und zur Begründung -zusammengefasst-
ausgeführt:
Eine rechtzeitige Kündigungsschutzklage läge nicht vor. Der Kläger müsse sich so behandeln lassen, als
sei ihm die Kündigung am 01.08.2006 zugegangen, da er die Beklagte nicht über seine
Anschriftenänderung unterrichtet habe. Die nicht unterschriebene Klageschrift habe die Antragsfrist des §
5 Abs. 3 KSchG nicht gewahrt.
Gegen diesen seinen Prozessbevollmächtigten am 13.09.2007 zugestellten Beschluss hat der Kläger mit
einem am 25.09.2007 beim Arbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz
sofortige Beschwerde
und diese nach Maßgabe seines Schriftsatzes vom 05.10.2007, auf den Bezug genommen wird (Bl. 114 ff.
d.A.) im Wesentlichen wie folgt begründet:
Eine Zugangsvereitelung läge nicht vor, da er nicht gewusst habe, dass ihm eine Kündigung zugestellt
werden solle und er davon ausgegangen sei, dass sich die Lebensgemeinschaft in H. wieder herstellen
lasse. Ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten an der Einreichung einer nicht unterschriebenen
Klage könne ihm nicht zugerechnet werden. Es bestehe auch in der Kanzlei seiner Bevollmächtigten die
strikte Anweisung, Dokumente nur unterschrieben zu versenden.
Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 10.10.2007, auf den verwiesen wird, der Beschwerde nicht
abgeholfen und die Sache dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Ergänzend wird auf den weiteren Akteninhalt Bezug genommen.
II. 1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Das Rechtsmittel ist an sich statthaft, § 5 Abs. 4 S. 2 KSchG.
Sie wurde form- und fristgerecht gem. §78 Satz 1 AbGG i.Vm. § 569 Abs. 1, 2 ZPO erhoben.
2. In der Sache hat das Rechtsmittel keinen Erfolg. Die Beschwerdekammer folgt zunächst entsprechend §
69 Abs. 2 ArbGG der Begründung des angefochtenen Beschlusses.
Der Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage war bereits unzulässig. Ein im Sinne
des § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG fristgemäßer Antrag des Klägers lag nicht vor.
a) Der Kläger hat die Klagefrist des § 4 KSchG versäumt. Er muss sich hinsichtlich des Zeitpunkts des
Zugangs der schriftlichen Kündigung der Beklagten gem. Schreiben vom 01.08.2006 so behandeln
lassen, als wäre ihm dieses Schreiben bereits am 01.08.2006 zugegangen.
Eine schriftliche Kündigung des Arbeitgebers wird erst in dem Zeitpunkt wirksam, in dem sie dem
Arbeitnehmer zugeht (BGB § 130 Abs. 1). Das gilt im Grundsatz auch dann, wenn der Zugang durch ein
Verhalten des Arbeitnehmers verzögert wird. Allerdings muss der Arbeitnehmer die Kündigung dann zu
einem früheren Zeitpunkt als zugegangen gegen sich gelten lassen, wenn es ihm nach Treu und Glauben
verwehrt ist, sich auf die Verspätung das Zugangs zu berufen (BAG 18.2.1977 -2 AZR 770/75-, EzA § 130
BGB Nr. 8; vgl. auch BAG 22.9.2005 -2 AZR 366/04-, EzA § 130 BGB 2002 Nr. 5). Ein solcher Fall ist dann
anzunehmen, wenn das Zugangshindernis dem Empfänger zuzurechnen ist, der Erklärende nicht damit
zu rechnen braucht und er nach Kenntnis von dem noch nicht erfolgten Zugang unverzüglich erneut die
Zustellung vorgenommen hat. Jedoch ist nicht erforderlich, dass der Kündigungsempfänger den Zugang
schuldhaft vereitelt hat; es reicht aus, wenn die Verzögerung auf Umstände zurückzuführen ist, die zu
seinem Einflussbereich gehören (BAG 18.2.1977 aaO.; Becker-Schaffner, BB 1998 422, 426).
Diese Voraussetzungen waren erfüllt. Aufgrund der bestehenden arbeitsvertraglichen Beziehungen war
der Kläger gehalten, die Beklagte vom Wechsel seines Wohnortes zu unterrichten. Dies hat der Kläger
nicht getan, sondern im Gegenteil der Beklagten noch Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen übersandt, die
seine alte, nicht mehr zutreffende Anschrift auswiesen. Im Urteil vom 18.02.1977 (aaO.) hat das
Bundesarbeitsgericht darauf hingewiesen, dass die Anschriftenänderung dem Arbeitgeber auch in der
Weise mitgeteilt werden kann, dass während einer Erkrankung eine ärztliche
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eingereicht wird, in der die neue Anschrift eingetragen ist. Umgekehrt
ist deshalb auch die Einreichung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen mit einer nicht mehr
zutreffenden Anschrift geeignet, den Arbeitgeber über den tatsächlichen Wohnort zu täuschen. Soweit der
Kläger darauf verweist, er habe damit gerechnet, in die vormals mit seiner seinerzeitigen Partnerin
gemeinsam bewohnte Wohnung zurückkehren können, rechtfertigt dies keine andere Bewertung. Dem
steht entgegen, dass sowohl die Auskunft des Meldeamtes als auch die Postauskunft die zutreffende
Anschrift ergab und der Kläger sich ausweislich der Bestätigung der Agentur für Arbeit A-Stadt vom
06.09.2007 (Bl. 104 d.A.) bereits seit dem 10.08.2006 in A-Stadt arbeitsuchend gemeldet hat und deshalb
bereits zu diesem Zeitpunkt offensichtlich von einem längeren, wenn nicht dauerhaften Aufenthalt in A-
Stadt ausgegangen ist.
b) Zutreffend hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dass der Kläger spätestens am 25.08.2006 Kenntnis vom
Umstand der Kündigung und des vorherigen Zustellungsversuchs hatte und deshalb spätestens an
diesem Tag das Hindernis für eine Klageerhebung im Sinne des § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG behoben war.
Dementsprechend begann mit diesem Datum die 2-Wochen-Frist des § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG, innerhalb
derer sowohl ein Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage als auch die Erhebung
der Klage hätten erfolgen müssen, § 5 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 KSchG. Diese Frist endete mit Ablauf
des 08.12.2006, §§ 186 Abs. 1, 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB.
c) Innerhalb dieser Frist erfolgte keine Klageerhebung im Sinne des § 5 Abs. 2 KSchG. Denn eine
Klageerhebung in diesem Sinne setzt voraus, dass die Klage unterschrieben ist, da die Unterschrift der
Partei bzw. ihres Bevollmächtigten zwingendes Wirksamkeitserfordernis einer Klageschrift ist (vgl. LAG
Köln 19.11.2003 -4 Ta 318/03, juris).
Gegen die Versäumung der Antragsfrist des § 5 Abs. 3 KSchG ist eine Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand nicht möglich (BAG 16.03.1988 -7 AZR 587/87-, EzA § 130 BGB Nr. 16; LAG Rheinland-Pfalz
23.01.2006 -8 Ta 302/05, SuP 2006, 449; KR-KSchG, aaO, Rz. 122).
3. Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen. Die vorliegende
Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung (§ 78 S. 1 ArbGG, §§ 572 Abs. 4, 128 Abs. 4 ZPO)
durch Beschluss des Vorsitzenden ergehen, § 78 Satz 3 ArbGG (vgl. LAG Köln 18.02.2005 - 9 Ta 452/04-,
KR-KSchG/Friedrich, 8. Aufl., § 5 KSchG Rz. 151 f). Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 42 Abs. 4 Satz
1 und 63 Abs. 2 GKG.
Gegen diesen Beschluss findet kein weiteres Rechtsmittel statt. (BAG 20.08.2002 - 2 AZB 165/02 -;
15.09.2005 - 3 AZB 48/05).