Urteil des LAG Niedersachsen vom 06.12.2012
LArbG Niedersachsen: treu und glauben, planwidrige unvollständigkeit, direktversicherung, gehalt, rente, arbeitsgericht, beitrag, unternehmen, billigkeit, niedersachsen
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Gespaltene Rentenformel
Auslegung einer Versorgungsordnung mit gespaltener Rentenformel.
Landesarbeitsgericht Niedersachsen 4. Kammer, Urteil vom 06.12.2012, 4 Sa 454/12
B
§ 1 BetrAVG, § 159 SGB 6
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Göttingen vom
14. März 2012 - 4 Ca 406/11 B - wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Berufung zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der am 00.00.1958 geborene Kläger trat auf der Grundlage einer schriftlichen
Einstellungszusage mit Wirkung vom 1. April 1985 als Sachbearbeiter für
Systementwicklung und Programmierung in die Dienste der Rechtsvorgängerin
der Beklagten, der A. AG. Auf das Arbeitsverhältnis der Vertragsparteien fand
die Betriebsvereinbarung über freiwillige soziale Leistungen vom 22. Dezember
1980 Anwendung. Im Rahmen eines Betriebsübergangs gingen die Rechte und
Pflichten aus diesem Arbeitsverhältnis zum 1. Januar 2000 auf die Beklagte
über. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete zum 31. August 2006.
Die Betriebsvereinbarung über freiwillige soziale Leistungen bestimmt unter §
16, dass die Alters- und Hinterbliebenenversorgung bei den Mitarbeitern, die bis
zum 30. Juni 1981 in die Dienste des Betriebs getreten sind, durch eine
Versorgungszusage erfolgt. Mitarbeiter, die vom 1. Juli 1981 an in den Betrieb
eintreten, erhalten nach einer Mindestdienstzeit im Betrieb von 10 Jahren
anstelle der Versorgungszusage Leistungen aus einer Direktversicherung. Da
bei dem Kläger Vorbeschäftigungszeiten ab dem 1. Dezember 1983
angerechnet wurden, schloss die Rechtsvorgängerin der Beklagten für ihn am 1.
Dezember 1993 eine Direktversicherung ab. Dabei handelt es sich um eine
Kapitalversicherung auf den Todes- und Erlebensfall einschließlich einer
Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Das Ablaufalter ist das 65. Lebensjahr
des Klägers.
Rechtsgrundlage für den Abschluss der Direktversicherung ist die
Betriebsvereinbarung vom 9. März 1987. Gem. Ziff. 3 Buchst. b der
Betriebsvereinbarung richtet sich die Höhe des versicherten Kapitals nach der
Versorgungssumme, die sich aus der Grundsumme und der Anzahl der
zurückgelegten Dienstjahre ergibt. Die Berechnung der Grundsumme selbst ist
in der Betriebsvereinbarung nicht geregelt. Sie war aber bereits Gegenstand von
Versorgungsregelungen, die vor 1977 bestanden. Danach wird die
Grundsumme (G) nach der Formel bestimmt, dass das ruhegeldfähige Gehalt
bis zur Beitragsbemessungsgrenze mit 37,5 % und das ruhegeldfähige Gehalt
oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze mit 125 % multipliziert werden. Die so
ermittelte Grundsumme wird anschließend auf die nächsten vollen 50 €
aufgerundet. Für den Kläger ergeben sich für den Zeitraum von 2002 bis 2006
folgende Grundsummen:
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folgende Grundsummen:
BBG Gehalt 35 % 125 % Grundsumme insgesamt
01.01.2002 54.000
€
83.465,33 20.250,00 36.831,66 57.081,66
57.100,00
01.01.2003 61.200
€
85.137,00 22.950,00 29.921,25 52.871,25
52.900,00
01.01.2004 61.800
€
91.637,00 23.175,00 37.296,25 60.471,25
60.500,00
01.01.2005 62.400
€
93.288,00 23.400,00 38.610,00 62.010,00
62.050,00
01.01.2006 63.000
€
95.160.00 23.625,00 40.200.00 63.825,00
63.850,00
01.12.2023
Ablaufleistung 152.296,00
Im September 2003 teilte die Beklagte dem Kläger schriftlich mit, dass die
Grundsumme zum 1. Januar 2003 - unter Berücksichtigung einer
Besitzstandwahrung - 57.100,00 Euro (Höhe des Vorjahres) betrage.
Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 der nach § 160 SGB VI erlassenen Verordnung über
maßgebende Rechengrößen der Sozialversicherung für 2003
(Sozialversicherungs-Rechengrößenverordnung) vom 17. Dezember 2002
(BGBl. I S. 4561) war die Beitragsbemessungsgrenze in der
Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten für das Jahr 2003 zunächst
auf 55.200,00 Euro jährlich und 4.600,00 Euro monatlich festgesetzt worden.
Sodann wurde durch Art. 2 Nr. 4 des Gesetzes zur Sicherung der Beitragssätze
in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der gesetzlichen
Rentenversicherung (Beitragssatzsicherungsgesetz - BSSichG) vom 23.
Dezember 2002 (BGBl. I S. 4637) § 275c in das SGB VI eingefügt. Diese
Vorschrift, die zum 1. Januar 2003 in Kraft trat, legte die
Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung der Arbeiter und
Angestellten für das Jahr 2003 auf 61.200,00 Euro jährlich und 5.100,00 Euro
monatlich fest. Zudem wurden durch § 275c Abs. 3 SGB VI die ungerundeten
Ausgangswerte für die Bestimmung der Beitragsbemessungsgrenze des Jahres
2004 festgelegt. Dies hatte und hat zur Folge, dass sich die einmalige stärkere
Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze des Jahres 2003 im Ergebnis auch
erhöhend bei der Fortschreibung der Beitragsbemessungsgrenzen auf dem
„üblichen“ Verordnungsweg auswirkte.
Ohne die außerplanmäßige Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze ergäbe
sich folgende Berechnung:
BBG Gehalt 35 % 125 % Grundsumme
01.01.2002 54.000, 83.465,33 20.250,00 36.831,66 57.081,66 57.100 136.195,49
01.01.2003 55.200 85.137,00 20.700,00 37.421.25 58.121,25 58.150 138.699,96
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01.01.2004 55.800 91.637,00 20.925,00 44.796,25 65.721,25 65.750 156.827,56
01.01.2005 56.400 93.288,00 21.150,00 46.110,00 67.260,00 67.300 160.524,63
01.01.2006 57.000 95.160,00 21.375,00 47.700,00 69.075,00 69.100 164.818,01
Mit Schreiben vom 26. Februar 2007 teilte das mit der Verwaltung der
Versorgung beauftragte Unternehmen (B. GmbH) dem Kläger mit, dass er zum
1. Dezember 2023 eine Ablaufleistung von voraussichtlich 152.296,00 € erhalte.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, es handele sich vorliegend um eine
Versorgungsordnung mit „gespaltener Rentenformel“ im Sinne der angezogenen
Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 21. April 2009 (3 AZR 471/07;
3 AZR 695/08), die durch die außerplanmäßige Erhöhung der
Beitragsbemessungsgrenze im Jahr 2003 lückenhaft geworden und deshalb
ergänzend auszulegen sei. Die Versorgungssumme sei ohne Berücksichtigung
der außerplanmäßigen Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze zu
errechnen. Dass es sich im vorliegenden Fall um eine Zusage in Form der
Direktversicherung handele, sei unerheblich, weil diese nur die „äußere Hülle“
darstelle und der Versorgung materiell eine „gespaltene Rentenformel“ zugrunde
liege. Ohne eine ergänzende Vertragsauslegung sei das Ziel einer Absicherung
des erhöhten Versorgungsbedarfs für Vergütungsbestandteile oberhalb der
Beitragsbemessungsgrenze nicht zu erreichen. Hierfür reiche auch die
Besitzstandsregelung nicht aus, die nur das Absenken der Grundsumme und
damit der Versorgungssumme verhindere.
Der Kläger hat beantragt festzustellen,
dass die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger im Rahmen der zugesagten
betrieblichen Altersversorgung so zu stellen, als wäre die
außerplanmäßige Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze im Jahr
2003 nicht erfolgt.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat vorgetragen, es könne dahinstehen, ob den vom Kläger
angezogenen Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 21. April 2009 in
der Sache zu folgen sei, weil diese sich jedenfalls nur auf unmittelbare
Versorgungszusagen bezögen. Die Entscheidungen seien auf den vorliegend
zu beurteilenden Fall der Direktversicherung mit Kapitalbildung nicht
übertragbar. Die Versorgungszusage stelle nicht auf einen bestimmten
Versorgungsbedarf ab. Die Grundsumme diene lediglich der Berechnung der
jährlich abzuführenden Beiträge, um die entsprechende Versicherungsleistung
zu erreichen. Zu berücksichtigen sei in diesem Zusammenhang auch, dass die
Beiträge jährlich versteuert worden seien und im Gegensatz zu den
unmittelbaren Versorgungszusagen Steuern bei der Auszahlung nicht mehr
anfallen. Die Besitzstandsregelung spreche bereits dagegen, dass überhaupt
eine regelungsbedürftige Lücke vorliege. Letztlich habe der Kläger auch nicht
berücksichtigt, dass die durch die Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze zu
erwartende Mehrrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung anzurechnen
sei.
Das Arbeitsgericht hat die Klage durch Urteil vom 14. März 2012 abgewiesen.
Gegen das ihm am 21. März 2012 zugestellte Urteil hat der Kläger am 13. April
2012 Berufung eingelegt und sie nach Verlängerung der Begründungsfrist am
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21. Juni 2012 begründet.
Der Kläger rügt, das Arbeitsgericht habe bei der Beurteilung der Billigkeit einer
ergänzenden Vertragsauslegung den falschen Beurteilungszeitpunkt zugrunde
gelegt. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Billigkeit einer
ergänzenden Vertragsauslegung sei nicht der Zeitpunkt der letzten mündlichen
Verhandlung, sondern der Zeitpunkt der außerplanmäßigen Erhöhung der
Beitragsbemessungsgrenze im Jahr 2003.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Göttingen vom 14. März
2012 - 4 Ca 406/11 B - festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, den
Kläger im Rahmen der zugesagten betrieblichen Altersversorgung so zu
stellen, als wäre die außerplanmäßige Anhebung der
Beitragsbemessungsgrenze im Jahr 2003 nicht erfolgt.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil als zutreffend nach Maßgabe ihrer
Berufungserwiderung vom 25. Juli 2012.
Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf
den vorgetragenen Inhalt der zu den Akten gereichten Schriftsätze und deren
Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.
I. Die Klage ist zulässig. Die Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO liegen vor.
Bei der Verpflichtung zur Verschaffung einer Versorgung nach bestimmten
Regeln handelt es sich um ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis (BAG 19. August
2008 - 3 AZR 922/06 - NZA-RR 2009, 449 - 453). Da die Beklagte ihre
Verschaffungspflicht leugnet, steht dem Kläger auch ein Feststellungsinteresse
zur Seite.
II. Die Klage ist nicht begründet. Die Beklagte ist aus § 1 Abs. 1 Satz 3 BetrAVG
nicht verpflichtet, den Kläger so zu stellen, als wäre die außerplanmäßige
Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze im Jahr 2003 nicht erfolgt.
1. Nach § 1 Abs. 1 Satz 3 BetrAVG hat der Arbeitgeber für die Erfüllung der von
ihm zugesagten Leistungen auch dann einzustehen, wenn die Durchführung der
betrieblichen Altersversorgung nicht unmittelbar über ihn erfolgt. Diese
Bestimmung, die durch das Gesetz zur Reform der gesetzlichen
Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten
Altersvorsorgevermögens (Altersvermögensgesetz - AVmG) vom 26. Juni 2001
(BGBl. I S. 1310) in das BetrAVG eingefügt wurde, basiert auf der ständigen
Rechtsprechung des 3. Senats des Bundesarbeitsgerichts, wonach im
Betriebsrentenrecht stets zwischen der arbeitsrechtlichen Grundverpflichtung
und den Durchführungswegen zu unterscheiden und der eingeschaltete externe
Versorgungsträger seiner Funktion nach nur ein Instrument des Arbeitgebers zur
Erfüllung seiner arbeitsrechtlichen Versorgungspflichten ist (BAG 29. August
2000 - 3 AZR 201/00 - AP BetrAVG § 1 Zusatzversorgungskassen Nr. 55). Wird
die geschuldete Versorgung nicht auf dem vorgesehenen Durchführungsweg
erbracht, so hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer im Versorgungsfall
erforderlichenfalls aus seinem eigenen Vermögen die Versorgungsleistungen zu
verschaffen, die er dem Arbeitnehmer versprochen hat. Er hat demnach
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gleichwertige Leistungen zu erbringen. Nach dem betriebsrentenrechtlichen
System führt diese Einstandspflicht des Arbeitgebers nicht lediglich zu
Schadenersatz-, sondern zu Erfüllungsansprüchen der versorgungsberechtigten
Arbeitnehmer. Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber mit der Neufassung
des § 1 BetrAVG durch das Altersvermögensgesetz aufgegriffen. Ausweislich
der amtlichen Begründung sollte „lediglich aus Gründen der Klarstellung
ausdrücklich geregelt“ werden, „dass unabhängig von der Durchführungsform
der betrieblichen Altersversorgung immer eine arbeitsrechtliche
‚Grundverpflichtung’ des Arbeitgebers zur Erbringung der zugesagten
Leistungen besteht“ (BT-Drucks. 14/4595 S. 67). Damit hat der Gesetzgeber
klargestellt, dass der Arbeitgeber sich seiner Verpflichtungen aus der
Versorgungszusage nicht dadurch entledigen kann, dass er die betriebliche
Altersversorgung über einen externen Versorgungsträger durchführt. Ihn trifft
insoweit vielmehr eine Einstandspflicht, nach der er dem Arbeitnehmer im
Versorgungsfall die zugesagten Leistungen ggf. zu verschaffen hat.
Nach § 1 Abs. 1 BetrAVG ist demnach betriebsrentenrechtlich zu unterscheiden
zwischen der Versorgungszusage (Satz 1), der Bestimmung des internen oder
externen Durchführungsweges (Satz 2) und dem aus der Einstandspflicht (Satz
3) folgenden Verschaffungsanspruch als Erfüllungsanspruch. Der
Verschaffungsanspruch richtet sich mithin darauf, eine Lücke zu schließen, die
sich zwischen der Versorgungszusage einerseits und der Ausgestaltung des
Durchführungsweges andererseits ergeben kann. Das bedeutet vorliegend:
Bleiben die Leistungen des externen Versorgungsträgers hinter den zugesagten
Leistungen der Rechtsvorgängerin der Beklagen zurück, weil nicht oder nicht in
ausreichendem Umfang Versicherungsbeiträge in die Direktversicherung
gezahlt wurden, richten sich die Ansprüche unmittelbar gegen die Beklagte.
2. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten hat ihre Verpflichtungen aus der
Versorgungszusage - der Betriebsvereinbarung vom 9. März 1987 - erfüllt.
a. Nach der Betriebsvereinbarung im Zusammenhang mit der tatsächlichen
Handhabung wird die Grundsumme (G) nach der Formel bestimmt, dass das
ruhegeldfähige Gehalt bis zur Beitragsbemessungsgrenze mit 37,5 % und das
ruhegeldfähige Gehalt oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze mit 125 %
multipliziert werden. Die Parteien gehen bei ihrer Berechnung übereinstimmend
davon aus, dass sich die Versorgungssumme durch Multiplikation der
Grundsumme mit dem Faktor 4,3 und dem Unverfallbarkeitsfaktor von 0,5547
ergibt. Danach berechnet sich die Ablaufleistung wie folgt:
63.850 x 4,30 x 0,5547 (m/n-tel Faktor) = 152.295,66 €
Die Beklagte hat den unverfallbaren Anspruch des Klägers zum 65. Lebensjahr
(01.12.2023) in dem Schreiben vom 16. März 2007 zutreffend mit 152.295,66
Euro brutto ermittelt.
b. Entgegen der Auffassung des Klägers ergibt sich keine voraussichtliche
Ablaufleistung in Höhe von 164.818,01 €. Das wäre nur dann der Fall, wenn im
Wege der ergänzenden Vertragsauslegung oder nach den Grundsätzen der
Störung der Geschäftsgrundlage von einer Grundsumme in Höhe von 69.100,00
€ auszugehen wäre, aus der sich folgende Berechnung ergäbe:
69.100 x 4,30 x 0,5547 (m/n-tel Faktor) = 164.818,01
3. Die Voraussetzungen einer ergänzenden Vertragsauslegung liegen nicht vor.
Voraussetzung für eine ergänzende Vertragsauslegung ist zunächst, dass die
Vereinbarung der Parteien eine Regelungslücke - eine planwidrige
Unvollständigkeit - aufweist. Eine Regelungslücke liegt dann vor, wenn die
Parteien einen Punkt übersehen oder wenn sie ihn zwar nicht übersehen, aber
bewusst offengelassen haben, weil sie ihn im Zeitpunkt des Vertragsschlusses
nicht für regelungsbedürftig gehalten haben, und wenn sich diese Annahme
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nachträglich als unzutreffend herausstellt. Von einer planwidrigen
Unvollständigkeit kann nur gesprochen werden, wenn der Vertrag eine
Bestimmung vermissen lässt, die erforderlich ist, um den ihm zugrunde
liegenden Regelungsplan der Parteien zu verwirklichen, mithin ohne
Vervollständigung des Vertrages eine angemessene, interessengerechte
Lösung nicht zu erzielen wäre (BAG 17. April 2012 - 3 AZR 380/10; 21. April
2009 - 3 AZR 640/07 - AP § 2 BetrAVG Nr. 60; 3 AZR 471/07 - AP § 159 SGB VI
Nr. 1; 3 AZR 695/08 - NZA 2010, 572 - 576). Auch unbewusste
Regelungslücken in Betriebsvereinbarungen sind von den Gerichten durch
ergänzende Auslegung zu schließen, wenn sich unter Berücksichtigung von
Treu und Glauben ausreichende Anhaltspunkte für den mutmaßlichen Willen der
Vertragspartner ergeben. Fehlt es hieran, kommt eine Lückenschließung nur
dann in Betracht, wenn eine bestimmte Regelung nach objektiver Betrachtung
zwingend geboten ist (BAG 3. November 1998 - 3 AZR 432/97 - AP BetrAVG § 1
Gleichbehandlung Nr. 41).
4. Unter Zugrundelegung dieser Prüfungsmaßstäbe ist bereits eine planwidrige
Regelungslücke in der Betriebsvereinbarung vom 9. März 1987 nicht
feststellbar. Die Betriebsvereinbarung nimmt weder ausdrücklich auf § 159 SGB
VI Bezug noch verwendet sie den Begriff der Beitragsbemessungsgrenze. Sie
legt lediglich fest, dass sich die Versorgungssumme aus der maßgeblichen
Grundsumme und der Anzahl der zurückgelegten Dienstjahre ergibt und regelt
die für die Bestimmung der Versorgungssumme zugrunde zu legende Formel.
Dass die Betriebsparteien übereinstimmend davon ausgingen, dass die
Grundsumme - wie seit Jahrzehnten bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten
üblich - nach einer gespaltenen Beitragsformel bestimmt wird, macht die
planmäßige Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze entsprechend der
Entwicklung der allgemeinen Löhne und Gehälter noch nicht zum Vertragsinhalt.
Sie ist ebenso wie das ruhegeldfähige Gehalt bloße Bezugs- bzw.
Planungsgröße. Dass die Betriebsparteien darüber hinaus in ihren Willen
aufgenommen haben, die planmäßige Erhöhung der
Beitragsbemessungsgrenze gem. § 159 SGB VI festzuschreiben und damit im
Ergebnis jedem gesetzgeberischen Eingriff vorzubeugen, hat in der
Betriebsvereinbarung keinen Niederschlag gefunden.
Die Überlegungen, die zum Abschluss der Betriebsvereinbarungen vom 22.
Dezember 1980 und 9. März 1987 geführt haben, sprechen eher gegen einen
solchen Willen der Betriebsparteien. Mit der Betriebsvereinbarung vom 9. März
1987 haben die Betriebspartner die Betriebsvereinbarung über freiwillige soziale
Leistungen ergänzt. In der Betriebsvereinbarung vom 22. Dezember 1980
haben sich die Betriebspartner darüber verständigt, dass die Mitarbeiter, die ab
dem 1. Juli 1981 in den Betrieb eintreten, anstelle der (Gesamt-
)Versorgungszusage Leistungen aus einer Direktversicherung erhalten. Die
Ablösung des Gesamtversorgungssystems war Gegenstand einer Besprechung
mit dem Ausschuss Altersversorgung der Betriebsräte vom 24. November 1978.
Dort wurde anhand von Tabellen aufgezeigt, dass die zu erwartende
Gesamtversorgung über den Nettobezügen liegt und daher von einer
Überversorgung auszugehen war. Der Vorstand habe daher - so der Wortlaut
des Protokolls - beschlossen, die derzeitige Versorgungsregelung zu schließen
und durch eine neue Altersversorgungsregelung zu ersetzen. Als
Lebensversicherungsunternehmen stehe es dem Unternehmen gut an, wenn es
als Altersversorgung Direktversicherungen abschließe. Die Ablösung des
Gesamtversorgungssystems durch eine beitragsorientierte Leistungszusage
spricht eher für den Willen der Betriebspartner, eine von der gesetzlichen Rente
unabhängige Versorgung zu schaffen.
a. Die ergänzende Vertragsauslegung darf nicht zu einem Ergebnis führen, das
dem erkennbaren Willen der Vertragsparteien widerspricht. Die Betriebsparteien
haben sich in der Betriebsvereinbarung für eine beitragsorientierte
Leistungszusage und gegen ein Gesamtversorgungssystem entschieden.
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Zusagen, die Betriebsrenten im Rahmen einer Gesamtversorgung an die
Entwicklung der Einkünfte aktiver Arbeitnehmer anbinden, sind ganz
erheblichen Unsicherheiten ausgesetzt. Zur Zeit der Schaffung des
Versorgungswerks ist nicht nur die allgemeine Vergütungsentwicklung
ungewiss; Gesamtversorgungssysteme hängen notwendigerweise von der
Entwicklung der Sozialgesetzgebung ab, so dass auch die Höhe der
anrechenbaren Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherung Schwankungen
und sozialpolitischen Unwägbarkeiten unterliegt. Dabei können sich die
Berechnungsfaktoren der Betriebsrente sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten
des Arbeitgebers bzw. Rentners verändern. Vor diesem Hintergrund bringt ein
Arbeitgeber, der eine betriebliche Altersversorgung zusagt, die von derart
ungewissen Faktoren abhängen soll, zugleich zum Ausdruck, dass er des
ungeachtet für ein bestimmtes Versorgungsniveau einstehen will. Dies stellt die
Übernahme eines gesteigerten Risikos dar und kommt einem
Garantieversprechen sehr nahe (BAG 19. Februar 2008 - 3 AZR 290/06 - AP §
313 BGB Nr. 5). Darin liegt ein struktureller Unterschied zu der
beitragsorientierten Leistungszusage mit gespaltener Beitragsformel, die
pauschaliert die Versorgungslücke ausgleichen soll, die dadurch entsteht, dass
das Arbeitsentgelt oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze nicht zu einem
Anspruch auf eine höhere gesetzliche Rente führt (BAG 21. April 2009 - 3 AZR
640/07 - AP § 2 BetrAVG Nr. 66). Diese Plangestaltung basiert auf einem völlig
anderen Grundverständnis. Das Unternehmen verspricht den Arbeitnehmern
einen definierten Beitrag. Der Anstieg der Beitragsbemessungsgrenze führt
lediglich zu einer Umstrukturierung des jährlichen Gesamtaufwands für
Altersversorgung. Ein durch den Anstieg der Beitragsbemessungsgrenze
reduzierter Beitrag in das betriebliche Versorgungssystem wird durch den
höheren Beitrag in die gesetzliche Rentenversicherung kompensiert. Eine
Regelungslücke ist dadurch nicht entstanden.
b. Der Kläger meint, unter Zugrundelegung der angezogenen Entscheidungen
des 3. Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 21. April 2009 (3 AZR 471/07; 3
AZR 695/08) sei auch vorliegend von einer Regelungslücke auszugehen, die im
Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen sei. Sinn und Zweck
einer gespaltenen Rentenformel sei es, den für den Einkommensbereich
oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze bestehenden erhöhten
Versorgungsbedarf durch die hierfür vorgesehene höhere Leistung abzudecken.
Wegen der Auswirkung der außerordentlichen Anhebung der
Beitragsbemessungsgrenze im Jahr 2003 sei dieser Teil des Regelungsplans
nicht mehr zu erreichen. Dies führe zu einer erheblichen Versorgungseinbuße,
der keine entsprechende Verbesserung der gesetzlichen Rente
gegenüberstehe. Hätten die Betriebsparteien die außerordentliche Erhöhung der
Beitragsbemessungsgrenze vorausgesehen, hätten sie lediglich deren
Erhöhung nach den Grundsätzen des § 159 SGB VI, d. h. unter
Berücksichtigung der allgemeinen Einkommensentwicklung geregelt.
Entsprechend sei die entstandene Regelungslücke durch ergänzende
Vertragsauslegung zu schließen. Die insoweit maßgebliche
Beitragsbemessungsgrenze für das Jahr 2003 sei demnach nach den
Grundsätzen des § 159 SGB VI festzusetzen und für die Folgejahre
fortzuschreiben.
c. Die vom 3. Senat in den Entscheidungen vom 21. April 2009 für
Leistungszusagen aufgestellten Grundsätze sind auf die vorliegende
beitragsorientierte Zusage mit gespaltener Beitragsformel nicht übertragbar.
Zwar beziehen sich die beitragsorientierten Systeme mit gespaltener
Dotierungsformel ebenso auf die Anwartschaftsdynamik des § 159 SGB VI. Sie
orientieren sich an einer Steigerung der Beitragsbemessungsgrenze in Höhe der
durchschnittlichen Einkommenssteigerung aller gesetzlich Versicherten. Gegen
eine Übertragbarkeit spricht jedoch, dass bei den beitragsorientierten
Leistungszusagen der Aufbau der Versorgungsleistungen anders erfolgt und
jährliche Beiträge die Gehaltsdynamik abschließend berücksichtigen. Anders als
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bei endgehaltsabhängigen Rentenzusagen hat die außerplanmäßige Erhöhung
der Beitragsbemessungsgrenze bei beitragsorientierten Zusagen keine
rückwirkende Leistungsauswirkung, sondern wirkt nur für künftige Beiträge.
Auch für den Kläger wirkt sich der BBG-Sprung nur für die Zeit ab dem 1. Januar
2003 und damit nur zeitanteilig aus. Im Gegenzug wurden für ihn in der Zeit vom
1. Januar 2003 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. August
2006 höhere Beiträge in der gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt.
5. Wird zugunsten des Klägers eine planwidrige Regelungslücke in der
Betriebsvereinbarung unterstellt, kommt eine Lückenschließung durch das
Gericht in seinem Sinne gleichwohl nicht in Betracht. Weder ergeben sich
ausreichende Anhaltspunkte für den mutmaßlichen Willen der Betriebsparteien,
noch ist eine bestimmte Regelung bei objektiver Betrachtung zwingend geboten.
Gibt es bei tatsächlicher und rechtlicher Betrachtung mehrere Möglichkeiten,
eine festgestellte Regelungslücke zu schließen, bedarf es einer Entscheidung
der Betriebspartner. Da die Regelungen in Betriebsvereinbarungen ebenso wie
tarifliche Regelungen oftmals Kompromisscharakter haben, ist bei der
Schließung einer Regelungslücke durch die Gerichte eher Zurückhaltung
geboten.
a. Es ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Betriebsparteien über
den von der Arbeitgeberin gewährten Bestandsschutz hinaus einen Ausgleich
für die erlittenen Vermögenseinbußen überhaupt für erforderlich gehalten hätten.
Denn der Anstieg der Beitragsbemessungsgrenze muss im Verhältnis zu der
Entwicklung des ruhegeldfähigen Einkommens der Mitarbeiter gesehen werden.
Beide Bezugsgrößen entwickeln sich - wie das Beispiel des Klägers zeigt - nicht
parallel. In dem Zeitraum nach dem BBG-Sprung bis zum Ausscheiden des
Klägers hat sich die Beitragsbemessungsgrenze nur noch sehr flach entwickelt,
während die Einkommenssteigerung des Klägers seit 2003 deutlich höher als
der BBG-Anstieg ausgefallen ist. Der Effekt des abrupten BBG-Anstiegs wird
damit nach einer längeren Betriebszugehörigkeit der Mitarbeiter ganz oder
zumindest teilweise wieder aufgehoben.
b. Es lässt sich nicht feststellen, welchen Weg der Lückenausfüllung die
Betriebspartner gewählt hätten. Mit der vorliegenden Leistungszusage, die eine
berechenbare Versorgungsleistung definiert, haben sie das zuvor bestehende
Gesamtversorgungssystem abgelöst. Nach dem Inhalt der Betriebsvereinbarung
wäre daher eher eine Lösung ohne Einbeziehung der gesetzlichen Rente zu
entwickeln.
Gegen die vom Kläger erstrebte Lösung der Fortschreibung der
Beitragsbemessungsgrenze ohne Berücksichtigung des Beitragssprungs spricht
schon, dass sie zu Lasten des Arbeitgebers den zusätzlich entstehenden
Verwaltungs- und Berechnungsaufwand vollständig ausblendet. Zu Recht hat
das Arbeitsgericht darauf hingewiesen, dass das Modell der Direktversicherung
auch deshalb gewählt wird, weil Verwaltungsaufwand und Risiken gegenüber
unmittelbaren Versorgungszusagen geringer sind und der Arbeitgeber seine
Pflichten in der Regel durch reine Beitragszahlung erfüllen kann. Der vom 3.
Senat in den Urteilen vom 21. April 2009 auf die beitragsorientierte
Leistungszusage übertragene Lösungsweg verlangt eine jahrzehntelang
zugrunde zulegende Schatten-BBG, die die Betriebsparteien ersichtlich nicht
gewollt haben.
5. Zu Recht hat das Arbeitsgericht angenommen, dass der Kläger seinen
Anspruch ebenfalls nicht auf eine Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313
BGB stützen kann.
Haben sich - so diese Bestimmung - Umstände, die zur Grundlage des Vertrags
geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die
Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese
Veränderung vorausgesehen hätten, so kann eine Anpassung des Vertrags
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verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des
Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung,
das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Eine
Unzumutbarkeit im Sinne des § 313 BGB setzt voraus, dass das Festhalten am
Vertrag zu untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit nicht zu vereinbaren
Ergebnissen führen würde.
Das ist vorliegend nicht der Fall. Die rechnerische Differenz zwischen den
voraussichtlichen Ablaufleistungen zum Auszahlungszeitpunkt beträgt
12.522,35 €. Der von der Beklagten errechnete Betrag (152.296,00 €) liegt ca.
7,6 % unter der vom Kläger errechneten Ablaufleistung (164.818,01 €). Dieser
Differenzbetrag kann weder absolut noch relativ als untragbar angesehen
werden. Hinzu kommt, dass bei der Errechnung der Differenz die höhere Rente
aus der gesetzlichen Rentenversicherung noch nicht berücksichtigt ist, so dass
der Versorgungsschaden geringer sein dürfte.
III. Die Berufung des Klägers war daher mit der sich aus § 97 ZPO ergebenden
Kostenfolge zurückzuweisen.
Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.