Urteil des LAG Niedersachsen vom 06.05.2014

LArbG Niedersachsen: geschäftsführer, unwirksamkeit der kündigung, arbeitnehmereigenschaft, vergütung, betroffene person, weisung, gesellschafterversammlung, betriebsrat, gegenleistung

Bestandsstreitigkeiten (§ 61a ArbGG) 1. Kündigungen
Sonstiges
1. Ist das einschlägige Unionsrecht, insbesondere Art. 1 Abs. 1 a) der
Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen, dahin
auszulegen, dass es nationalen gesetzlichen Bestimmungen oder
Gepflogenheiten entgegensteht, die bei der in dieser Vorschrift
vorgesehenen Berechnung der Beschäftigtenzahl ein Mitglied der
Unternehmensleitung einer Kapitalgesellschaft unberücksichtigt lassen,
auch wenn es seine Tätigkeit nach Weisung und Aufsicht eines anderen
Organs dieser Gesellschaft ausübt, als Gegenleistung für die Tätigkeit ein
Entgelt erhält und selbst keine Anteile an der Gesellschaft besitzt?
2. Ist das einschlägige Unionsrecht, insbesondere Art. 1 Abs. 1 a) der
Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen, dahin
auszulegen, dass es zwingend vorgibt, dass bei der in dieser Vorschrift
vorgesehenen Berechnung der Beschäftigtenzahl als Arbeitnehmer auch
diejenigen Personen mitzuzählen sind, die ohne Vergütung durch den
Arbeitgeber, jedoch finanziell gefördert und anerkannt durch die für
Arbeitsförderung zuständigen öffentlichen Stellen, praktisch mitarbeiten, um
Kenntnisse zu erwerben oder zu vertiefen oder eine Berufsausbildung zu
absolvieren (Praktikant), oder bleibt es den Mitgliedstaaten überlassen,
hierüber nationale gesetzliche Bestimmungen oder Gepflogenheiten
aufzustellen?
ArbG Verden 1. Kammer, Vorlagebeschluss vom 06.05.2014, 1 Ca 35/13
§ 17 Abs 5 Nr 1 KSchG
Tenor
I. Der Rechtsstreit wird ausgesetzt.
II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Artikel
267 AEUV folgende Fragen vorgelegt:
1. Ist das einschlägige Unionsrecht, insbesondere Art. 1 Abs. 1 a) der
Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung
der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über
Massenentlassungen, dahin auszulegen, dass es nationalen
gesetzlichen Bestimmungen oder Gepflogenheiten entgegensteht,
die bei der in dieser Vorschrift vorgesehenen Berechnung der
Beschäftigtenzahl ein Mitglied der Unternehmensleitung einer
Kapitalgesellschaft unberücksichtigt lassen, auch wenn es seine
Tätigkeit nach Weisung und Aufsicht eines anderen Organs dieser
Gesellschaft ausübt, als Gegenleistung für die Tätigkeit ein Entgelt
erhält und selbst keine Anteile an der Gesellschaft besitzt?
2. Ist das einschlägige Unionsrecht, insbesondere Art. 1 Abs. 1 a) der
Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung
der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über
Massenentlassungen, dahin auszulegen, dass es zwingend
vorgibt, dass bei der in dieser Vorschrift vorgesehenen
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Berechnung der Beschäftigtenzahl als Arbeitnehmer auch
diejenigen Personen mitzuzählen sind, die ohne Vergütung durch
den Arbeitgeber, jedoch finanziell gefördert und anerkannt durch
die für Arbeitsförderung zuständigen öffentlichen Stellen, praktisch
mitarbeiten, um Kenntnisse zu erwerben oder zu vertiefen oder
eine Berufsausbildung zu absolvieren („Praktikant“), oder bleibt es
den Mitgliedstaaten überlassen, hierüber nationale gesetzliche
Bestimmungen oder Gepflogenheiten aufzustellen?
Gründe
Gründe:
1. Sachverhalt des Ausgangsverfahrens
Die Parteien streiten um die Rechtmäßigkeit einer aufgrund einer
Betriebsstillegung ausgesprochenen betriebsbedingten Kündigung und in
diesem Zusammenhang vor allem um die Frage, ob die Beklagte vor
Ausspruch der Kündigung eine Massenentlassungsanzeige bei der
Bundesagentur für Arbeit hätte erstatten müssen.
Der Kläger war seit dem 1.4.2011 bei der Beklagten als Servicetechniker im
Innen- und Außendienst beschäftigt.
Am 14.12.2012 und sodann nochmals am 3.1.2013 trafen die Gesellschafterin
der Beklagten und deren Geschäftsführer K die unternehmerische
Entscheidung, den Geschäftsbetrieb der Beklagten zum 15.2.2013 vollständig
stillzulegen. Dieser Entscheidung lag zugrunde, dass die Beklagte nachhaltig
Verluste erzielt hatte.
In Umsetzung ihrer unternehmerischen Entscheidung beendete die Beklagte
sämtliche Arbeitsverhältnisse und stellte ihren Geschäftsbetrieb in A-Stadt zum
15.2.2013 ein.
Das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis hat die Beklagte mit
Schreiben vom 7.1.2013 (Bl. 13 d.A.) zum 15.2.2013 gekündigt. Gegen diese
Kündigung wehrt sich der Kläger.
Eine Massenentlassungsanzeige bei der Bundesagentur für Arbeit hat die
Beklagte vor Ausspruch der Kündigung nicht erstattet.
Bei der Beklagten waren zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung
unstreitig jedenfalls 18 Arbeitnehmer - unter Einschluss des Klägers -
beschäftigt.
Darüber hinaus beschäftigte die Beklagte als Konstrukteur den Mitarbeiter St,
der nach Eigenkündigung mit Wirkung zum 7.12.2012 aus dem
Arbeitsverhältnis ausschied.
Des Weiteren beschäftigte die Beklagte zum Zeitpunkt des Ausspruchs der
streitgegenständlichen Kündigung Herrn L als Geschäftsführer. Herr L hielt
keine Geschäftsanteile an der Beklagten und war zur Vertretung der Beklagten
nur gemeinschaftlich mit einem anderen Geschäftsführer berechtigt.
Schließlich war bei der Beklagten zum Zeitpunkt des Ausspruchs der
Kündigung Frau S tätig. Frau S durchlief bei der Beklagten eine
Umschulungsmaßnahme zur Bürokauffrau, die vom Jobcenter im Landkreis D
gefördert wurde. Der Höhe nach belief sich die Förderung auf die gesamte an
Frau S zu leistende Ausbildungsvergütung. Diese kam unmittelbar durch die
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Frau S zu leistende Ausbildungsvergütung. Diese kam unmittelbar durch die
Bundesagentur für Arbeit an Frau S zur Auszahlung. Die Beklagte selbst
erbrachte keine Zahlungen an Frau S. Die geplante Maßnahmedauer
erstreckte sich vom 1.8.2012 bis zum 31.7.2014, das Umschulungsverhältnis
endete durch Eigenkündigung von Frau S vor dem 31.7.2014.
Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte habe einen Betrieb mit in der Regel
mehr als 20 Arbeitnehmern. Den 18 unstreitig beschäftigten Arbeitnehmern
seien Herr St, Herr L und Frau S hinzuzurechnen, so dass sich eine Zahl von
21 Beschäftigten ergebe. Damit sei die Beklagte verpflichtet gewesen, vor
Ausspruch der Kündigung gemäß § 17 KSchG eine
Massenentlassungsanzeige bei der Bundesagentur für Arbeit zu erstatten.
Das Unterlassen dieser Massenentlassungsanzeige führe zur Unwirksamkeit
der Kündigung.
Der Kläger hat beantragt,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch
die Kündigung vom 7.1.2013 zum 15.2.2013 beendet worden ist,
2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien
über den 15.2.2013 hinaus unverändert und unbefristet fortdauert,
3. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger über den 15.2.2013 hinaus
als Servicetechniker im Innen- und Außendienst zu unveränderten
Arbeitsbedingungen weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, der Mitarbeiter St sei aufgrund seines Ausscheidens
zum 7.12.2012 bei der Bestimmung der Betriebsgröße nicht mitzurechnen.
Herr L als Geschäftsführer sei gemäß § 17 Abs. 5 Nr. 1 KSchG nicht
mitzurechnen. Bei Frau S handele es sich nicht um eine Arbeitnehmerin im
Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KSchG. Das von der Bundesagentur für
Arbeit geförderte Umschulungsverhältnis sei kein Arbeitsverhältnis im Sinne
dieser Vorschrift.
Da die Zahl ihrer Beschäftigten den Schwellenwert des § 17 Abs. 1 Nr. 1
KSchG von 20 Arbeitnehmern somit nicht überschreite, habe sie vor
Ausspruch der Kündigung keine Massenentlassungsanzeige erstatten
müssen.
2. Nationale gesetzliche Vorschriften
§ 17 KSchG als für die Anzeigepflicht bei Massenentlassungen maßgebliche
Vorschrift lautet:
㤠17 Anzeigepflicht
(1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, der Agentur für Arbeit Anzeige zu
erstatten, bevor er
1. in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 60
Arbeitnehmern mehr als 5 Arbeitnehmer,
2. in Betrieben mit in der Regel mindestens 60 und weniger als 500
Arbeitnehmern 10 vom Hundert der im Betrieb regelmäßig beschäftigten
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Arbeitnehmer oder aber mehr als 25 Arbeitnehmer,
3. in Betrieben mit in der Regel mindestens 500 Arbeitnehmern
mindestens 30 Arbeitnehmer
innerhalb von 30 Kalendertagen entläßt. Den Entlassungen stehen
andere Beendigungen des Arbeitsverhältnisses gleich, die vom
Arbeitgeber veranlaßt werden.
(2) Beabsichtigt der Arbeitgeber, nach Absatz 1 anzeigepflichtige
Entlassungen vorzunehmen, hat er dem Betriebsrat rechtzeitig die
zweckdienlichen Auskünfte zu erteilen und ihn schriftlich insbesondere
zu unterrichten über
1. die Gründe für die geplanten Entlassungen,
2. die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer,
3. die Zahl und die Berufsgruppen der in der Regel beschäftigten
Arbeitnehmer,
4. den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen,
5. die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden
Arbeitnehmer,
6. die für die Berechnung etwaiger Abfindungen vorgesehenen Kriterien.
Arbeitgeber und Betriebsrat haben insbesondere die Möglichkeiten zu
beraten, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre
Folgen zu mildern.
(3) Der Arbeitgeber hat gleichzeitig der Agentur für Arbeit eine Abschrift
der Mitteilung an den Betriebsrat zuzuleiten; sie muß zumindest die in
Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 bis 5 vorgeschriebenen Angaben enthalten. Die
Anzeige nach Absatz 1 ist schriftlich unter Beifügung der Stellungnahme
des Betriebsrates zu den Entlassungen zu erstatten. Liegt eine
Stellungnahme des Betriebsrates nicht vor, so ist die Anzeige wirksam,
wenn der Arbeitgeber glaubhaft macht, daß er den Betriebsrat
mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige nach Absatz 2 Satz
1 unterrichtet hat, und er den Stand der Beratungen darlegt. Die Anzeige
muß Angaben über den Namen des Arbeitgebers, den Sitz und die Art
des Betriebes enthalten, ferner die Gründe für die geplanten
Entlassungen, die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden und
der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer, den Zeitraum, in dem die
Entlassungen vorgenommen werden sollen und die vorgesehenen
Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer. In der
Anzeige sollen ferner im Einvernehmen mit dem Betriebsrat für die
Arbeitsvermittlung Angaben über Geschlecht, Alter, Beruf und
Staatsangehörigkeit der zu entlassenden Arbeitnehmer gemacht werden.
Der Arbeitgeber hat dem Betriebsrat eine Abschrift der Anzeige
zuzuleiten. Der Betriebsrat kann gegenüber der Agentur für Arbeit weitere
Stellungnahmen abgeben. Er hat dem Arbeitgeber eine Abschrift der
Stellungnahme zuzuleiten.
(3a) Die Auskunfts-, Beratungs- und Anzeigepflichten nach den Absätzen
1 bis 3 gelten auch dann, wenn die Entscheidung über die Entlassungen
von einem den Arbeitgeber beherrschenden Unternehmen getroffen
wurde. Der Arbeitgeber kann sich nicht darauf berufen, daß das für die
Entlassungen verantwortliche Unternehmen die notwendigen Auskünfte
nicht übermittelt hat.
(4) Das Recht zur fristlosen Entlassung bleibt unberührt. Fristlose
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(4) Das Recht zur fristlosen Entlassung bleibt unberührt. Fristlose
Entlassungen werden bei Berechnung der Mindestzahl der Entlassungen
nach Absatz 1 nicht mitgerechnet.
(5) Als Arbeitnehmer im Sinne dieser Vorschrift gelten nicht
1. in Betrieben einer juristischen Person die Mitglieder des Organs, das
zur gesetzlichen Vertretung der juristischen Person berufen ist,
2. in Betrieben einer Personengesamtheit die durch Gesetz, Satzung
oder Gesellschaftsvertrag zur Vertretung der Personengesamtheit
berufenen Personen,
3. Geschäftsführer, Betriebsleiter und ähnliche leitende Personen, soweit
diese zur selbständigen Einstellung oder Entlassung von Arbeitnehmern
berechtigt sind.“
Die für die Stellung des Geschäftsführers und die für den zwingenden
Aufgabenkreis der Gesellschafter maßgeblichen Vorschriften des Gesetzes
betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH-Gesetz) lauten:
„§ 6 Geschäftsführer
(1) Die Gesellschaft muß einen oder mehrere Geschäftsführer haben.
(2) Geschäftsführer kann nur eine natürliche, unbeschränkt
geschäftsfähige Person sein. Geschäftsführer kann nicht sein, wer
(3) Zu Geschäftsführern können Gesellschafter oder andere Personen
bestellt werden. Die Bestellung erfolgt entweder im Gesellschaftsvertrag
oder nach Maßgabe der Bestimmungen des dritten Abschnitts.
(4) …
(5) Gesellschafter, die vorsätzlich oder grob fahrlässig einer Person, die
nicht Geschäftsführer sein kann, die Führung der Geschäfte überlassen,
haften der Gesellschaft solidarisch für den Schaden, der dadurch
entsteht, dass diese Person die ihr gegenüber der Gesellschaft
bestehenden Obliegenheiten verletzt.
§ 35 Vertretung der Gesellschaft
(1) Die Gesellschaft wird durch die Geschäftsführer gerichtlich und
außergerichtlich vertreten. Hat eine Gesellschaft keinen Geschäftsführer
(Führungslosigkeit), wird die Gesellschaft für den Fall, dass ihr
gegenüber Willenserklärungen abgegeben oder Schriftstücke zugestellt
werden, durch die Gesellschafter vertreten.
(2) Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, sind sie alle nur
gemeinschaftlich zur Vertretung der Gesellschaft befugt, es sei denn,
dass der Gesellschaftsvertrag etwas anderes bestimmt. …
(3) …
§ 37 Beschränkungen der Vertretungsbefugnis
(1) Die Geschäftsführer sind der Gesellschaft gegenüber verpflichtet, die
Beschränkungen einzuhalten, welche für den Umfang ihrer Befugnis, die
Gesellschaft zu vertreten, durch den Gesellschaftsvertrag oder, soweit
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dieser nicht ein anderes bestimmt, durch die Beschlüsse der
Gesellschafter festgesetzt sind.
(2) Gegen dritte Personen hat eine Beschränkung der Befugnis der
Geschäftsführer, die Gesellschaft zu vertreten, keine rechtliche Wirkung.
Dies gilt insbesondere für den Fall, daß die Vertretung sich nur auf
gewisse Geschäfte oder Arten von Geschäften erstrecken oder nur unter
gewissen Umständen oder für eine gewisse Zeit oder an einzelnen Orten
stattfinden soll, oder dass die Zustimmung der Gesellschafter oder eines
Organs der Gesellschaft für einzelne Geschäfte erfordert ist.
§ 38 Widerruf der Bestellung
(1) Die Bestellung der Geschäftsführer ist zu jeder Zeit widerruflich,
unbeschadet der Entschädigungsansprüche aus bestehenden
Verträgen.
(2) Im Gesellschaftsvertrag kann die Zulässigkeit des Widerrufs auf den
Fall beschränkt werden, daß wichtige Gründe denselben notwendig
machen. Als solche Gründe sind insbesondere grobe Pflichtverletzung
oder Unfähigkeit zur ordnungsmäßigen Geschäftsführung anzusehen.
§ 43 Haftung der Geschäftsführer
(1) Die Geschäftsführer haben in den Angelegenheiten der Gesellschaft
die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden.
(2) Geschäftsführer, welche ihre Obliegenheiten verletzen, haften der
Gesellschaft solidarisch für den entstandenen Schaden.
(3) Insbesondere sind sie zum Ersatz verpflichtet, wenn den
Bestimmungen des § 30 zuwider Zahlungen aus dem zur Erhaltung des
Stammkapitals erforderlichen Vermögen der Gesellschaft gemacht oder
den Bestimmungen des § 33 zuwider eigene Geschäftsanteile der
Gesellschaft erworben worden sind. Auf den Ersatzanspruch finden die
Bestimmungen in § 9b Abs. 1 entsprechende Anwendung. Soweit der
Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger der Gesellschaft erforderlich ist,
wird die Verpflichtung der Geschäftsführer dadurch nicht aufgehoben,
daß dieselben in Befolgung eines Beschlusses der Gesellschafter
gehandelt haben.
(4) Die Ansprüche auf Grund der vorstehenden Bestimmungen verjähren
in fünf Jahren.
§ 46 Aufgabenkreis der Gesellschafter
Der Bestimmung der Gesellschafter unterliegen:
1. die Feststellung des Jahresabschlusses und die Verwendung des
Ergebnisses;
1a. die Entscheidung über die Offenlegung eines Einzelabschlusses
nach internationalen Rechnungslegungsstandards (§ 325 Abs. 2a des
Handelsgesetzbuchs) und über die Billigung des von den
Geschäftsführern aufgestellten Abschlusses;
1b. die Billigung eines von den Geschäftsführern aufgestellten
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Konzernabschlusses;
2. die Einforderung der Einlagen;
3. die Rückzahlung von Nachschüssen;
4. die Teilung, die Zusammenlegung sowie die Einziehung von
Geschäftsanteilen;
5. die Bestellung und die Abberufung von Geschäftsführern sowie die
Entlastung derselben;
6. die Maßregeln zur Prüfung und Überwachung der Geschäftsführung;
7. die Bestellung von Prokuristen und von Handlungsbevollmächtigten
zum gesamten Geschäftsbetrieb;
8. die Geltendmachung von Ersatzansprüchen, welche der Gesellschaft
aus der Gründung oder Geschäftsführung gegen Geschäftsführer oder
Gesellschafter zustehen, sowie die Vertretung der Gesellschaft in
Prozessen, welche sie gegen die Geschäftsführer zu führen hat.“
Die für die Weiterbildungsförderung nach dem Sozialgesetzbuch III
maßgebliche Vorschrift lautete in der zum Zeitpunkt des Beginns der hier
gegenständlichen Weiterbildungsmaßnahme von Frau S, dem 1.8.2012,
maßgeblichen Fassung:
㤠81 SGB III Grundsatz
(1) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können bei beruflicher
Weiterbildung durch Übernahme der Weiterbildungskosten gefördert
werden, wenn
1. die Weiterbildung notwendig ist, um sie bei Arbeitslosigkeit beruflich
einzugliedern, eine ihnen drohende Arbeitslosigkeit abzuwenden oder
weil bei ihnen wegen fehlenden Berufsabschlusses die Notwendigkeit
der Weiterbildung anerkannt ist,
2. die Agentur für Arbeit sie vor Beginn der Teilnahme beraten hat und
3. die Maßnahme und der Träger der Maßnahme für die Förderung
zugelassen sind.
Als Weiterbildung gilt die Zeit vom ersten Tag bis zum letzten Tag der
Maßnahme mit Unterrichtsveranstaltungen, es sei denn, die Maßnahme
ist vorzeitig beendet worden.
(2) Anerkannt wird die Notwendigkeit der Weiterbildung bei
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wegen fehlenden
Berufsabschlusses, wenn sie
1. über einen Berufsabschluss verfügen, jedoch auf Grund einer mehr als
vier Jahre ausgeübten Beschäftigung in an- oder ungelernter Tätigkeit
eine dem Berufsabschluss entsprechende Beschäftigung voraussichtlich
nicht mehr ausüben können, oder
2. nicht über einen Berufsabschluss verfügen, für den nach bundes- oder
landesrechtlichen Vorschriften eine Ausbildungsdauer von mindestens
zwei Jahren festgelegt ist; Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne
einen solchen Berufsabschluss, die noch nicht drei Jahre beruflich tätig
gewesen sind, können nur gefördert werden, wenn eine
Berufsausbildung oder eine berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme
aus in ihrer Person liegenden Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar
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ist.
Zeiten der Arbeitslosigkeit, der Kindererziehung und der Pflege eines
Angehörigen der Pflegestufe I bis III stehen Zeiten einer Beschäftigung
nach Satz 1 Nummer 1 gleich.
(3) …
(4) …
(5) ...“
3. Vorschriften des Unionsrechts
Die Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20.7.1998 zur Angleichung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen lautet
auszugsweise:
„Artikel 1
(1) Für die Durchführung dieser Richtlinie gelten folgende
Begriffsbestimmungen:
a) "Massenentlassungen" sind Entlassungen, die ein Arbeitgeber aus
einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer
liegen, vornimmt und bei denen - nach Wahl der Mitgliedstaaten - die
Zahl der Entlassungen
i) entweder innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen
- mindestens 10 in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger
als 100 Arbeitnehmern,
- mindestens 10 v. H. der Arbeitnehmer in Betrieben mit in der Regel
mindestens 100 und weniger als 300 Arbeitnehmern,
- mindestens 30 in Betrieben mit in der Regel mindestens 300 Arbeitnehmern,
ii) oder innerhalb eines Zeitraums von 90 Tagen mindestens 20, und
zwar unabhängig davon, wie viele Arbeitnehmer in der Regel in dem
betreffenden Betrieb beschäftigt sind,
beträgt;
b) "Arbeitnehmervertreter" sind die Arbeitnehmervertreter nach den
Rechtsvorschriften oder der Praxis der Mitgliedstaaten.
Für die Berechnung der Zahl der Entlassungen gemäß Absatz 1
Buchstabe a) werden diesen Entlassungen Beendigungen des
Arbeitsvertrags gleichgestellt, die auf Veranlassung des Arbeitgebers
und aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person der
Arbeitnehmer liegen, erfolgen, sofern die Zahl der Entlassungen
mindestens fünf beträgt.
(2) Diese Richtlinie findet keine Anwendung auf
a) Massenentlassungen im Rahmen von Arbeitsverträgen, die für eine
bestimmte Zeit oder Tätigkeit geschlossen werden, es sei denn, daß
diese Entlassungen vor Ablauf oder Erfüllung dieser Verträge erfolgen;
b) …;
c) …
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Artikel 3
(1) Der Arbeitgeber hat der zuständigen Behörde alle beabsichtigten
Massenentlassungen schriftlich anzuzeigen.
Die Mitgliedstaaten können jedoch vorsehen, daß im Fall einer geplanten
Massenentlassung, die aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung über
die Einstellung der Tätigkeit des Betriebs erfolgt, der Arbeitgeber diese
der zuständigen Behörde nur auf deren Verlangen schriftlich anzuzeigen
hat.
Die Anzeige muß alle zweckdienlichen Angaben über die beabsichtigte
Massenentlassung und die Konsultationen der Arbeitnehmervertreter
gemäß Artikel 2 enthalten, insbesondere die Gründe der Entlassung, die
Zahl der zu entlassenden Arbeitnehmer, die Zahl der in der Regel
beschäftigten Arbeitnehmer und den Zeitraum, in dem die Entlassungen
vorgenommen werden sollen.
(2) Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmervertretern eine Abschrift der in
Absatz 1 genannten Anzeige zu übermitteln.
Die Arbeitnehmervertreter können etwaige Bemerkungen an die
zuständige Behörde richten.
Artikel 4
(1) Die der zuständigen Behörde angezeigten beabsichtigten
Massenentlassungen werden frühestens 30 Tage nach Eingang der in
Artikel 3 Absatz 1 genannten Anzeige wirksam; die im Fall der
Einzelkündigung für die Kündigungsfrist geltenden Bestimmungen
bleiben unberührt.
Die Mitgliedstaaten können der zuständigen Behörde jedoch die
Möglichkeit einräumen, die Frist des Unterabsatzes 1 zu verkürzen.
(2) Die Frist des Absatzes 1 muß von der zuständigen Behörde dazu
benutzt werden, nach Lösungen für die durch die beabsichtigten
Massenentlassungen aufgeworfenen Probleme zu suchen.
(3) Soweit die ursprüngliche Frist des Absatzes 1 weniger als 60 Tage
beträgt, können die Mitgliedstaaten der zuständigen Behörde die
Möglichkeit einräumen, die ursprüngliche Frist auf 60 Tage, vom Zugang
der Anzeige an gerechnet, zu verlängern, wenn die Gefahr besteht, daß
die durch die beabsichtigten Massenentlassungen aufgeworfenen
Probleme innerhalb der ursprünglichen Frist nicht gelöst werden können.
Die Mitgliedstaaten können der zuständigen Behörde weitergehende
Verlängerungsmöglichkeiten einräumen.
Die Verlängerung ist dem Arbeitgeber vor Ablauf der ursprünglichen Frist
des Absatzes 1 mitzuteilen und zu begründen.
(4) Die Mitgliedstaaten können davon absehen, diesen Artikel im Fall von
Massenentlassungen infolge einer Einstellung der Tätigkeit des Betriebs
anzuwenden, wenn diese Einstellung aufgrund einer gerichtlichen
Entscheidung erfolgt.
Artikel 5
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Diese Richtlinie läßt die Möglichkeit der Mitgliedstaaten unberührt, für die
Arbeitnehmer günstigere Rechts- oder Verwaltungsvorschriften
anzuwenden oder zu erlassen oder für die Arbeitnehmer günstigere
tarifvertragliche Vereinbarungen zuzulassen oder zu fördern.
Artikel 6
Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, daß den Arbeitnehmervertretern und/oder
den Arbeitnehmern administrative und/oder gerichtliche Verfahren zur
Durchsetzung der Verpflichtungen gemäß dieser Richtlinie zur Verfügung
stehen.“
4. Entscheidungserheblichkeit der Auslegung des Unionsrechts
Die beiden Vorlagefragen sind für den Rechtsstreit entscheidungserheblich,
weil es nur noch von ihrer Beantwortung abhängt, ob der Klage stattzugeben
ist.
Gründe, die unabhängig von einem etwaigen Verstoß gegen § 17 KSchG zu
einer Unwirksamkeit der Kündigung führen könnten, sind nach dem bislang
Vorgetragenen nach Auffassung des vorlegenden Gerichts nicht ersichtlich.
Im Rahmen der Anwendung des § 17 KSchG ist nach einhelliger Auffassung
von der Zahl der im Betrieb in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer
auszugehen. Weder eine Stichtagsbetrachtung noch eine
Durchschnittsberechnung ist vorzunehmen. Entscheidend ist die
Beschäftigtenzahl bei regelmäßigem Gang des Betriebes
(Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz und zu sonstigen
kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften (KR), Bearbeiter Weigand, 10.
Auflage, § 17 KSchG Rdnr. 28 m.w.N.). Grundsätzlich ist maßgebender
Zeitpunkt für die Bestimmung der Beschäftigtenzahl der Zeitpunkt der
Kündigung, dabei bedarf es allerdings grundsätzlich eines Rückblicks auf die
bisherige personelle Stärke (KR a.a.O. Rdnr. 28 a m.w.N.). Entscheidend ist
bei dieser Betrachtung, wann der Arbeitgeber noch eine regelmäßige
Betriebstätigkeit entwickelt und wie viele Arbeitnehmer er dafür benötigt hat.
Das vorlegende Gericht geht in Anwendung dieser Grundsätze davon aus,
dass der zum 7.12.2012 ausgeschiedene Arbeitnehmer St zu den regelmäßig
Beschäftigten, die nach § 17 KSchG zu berücksichtigen sind, gehört. Rechnet
man ihn den 18 unstreitig zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung
beschäftigten Arbeitnehmern hinzu, ergibt sich eine Zahl von insgesamt 19
Arbeitnehmern.
Sollten sowohl der Geschäftsführer Herr L als auch die Umschülerin Frau S als
Arbeitnehmer im Sinne der Massenentlassungsrichtlinie anzusehen sein,
wären beide in unionsrechtskonformer Auslegung des § 17 KSchG auch zu
den regelmäßig Beschäftigten gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 1 KSchG zu zählen. Die
Beklagte hätte dann einen Betrieb mit in der Regel mehr als 20 Arbeitnehmern.
Sie hat zusammen mit dem Kläger (deutlich) mehr als fünf Arbeitnehmer
entlassen und wäre verpflichtet gewesen, vor Ausspruch der Kündigung eine
Massenentlassungsanzeige bei der Bundesagentur für Arbeit zu erstatten. Der
Umstand, dass sie dies unterlassen hat, würde zu einer Unwirksamkeit der
Kündigung führen mit der Folge, dass der Kündigungsschutzklage
stattzugeben wäre.
5. Gegenstand der Vorlagefragen
a) Zur ersten Vorlagefrage
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aa) Inhalt und Begründung der Vorlagefrage
Gegenstand der ersten Vorlagefrage ist, ob das einschlägige Unionsrecht,
insbesondere Art. 1 Abs. 1 a) der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli
1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über
Massenentlassungen, dahin auszulegen ist, dass es nationalen gesetzlichen
Bestimmungen oder Gepflogenheiten entgegensteht, die bei der in dieser
Vorschrift vorgesehenen Berechnung der Beschäftigtenzahl ein Mitglied der
Unternehmensleitung einer Kapitalgesellschaft unberücksichtigt lassen, auch
wenn es seine Tätigkeit nach Weisung und Aufsicht eines anderen Organs
dieser Gesellschaft ausübt, als Gegenleistung für die Tätigkeit ein Entgelt
erhält und selbst keine Anteile an der Gesellschaft besitzt.
Das vorlegende Gericht sieht sich zu dieser Frage veranlasst, weil § 17 Abs. 5
Nr. 1 KSchG regelt, dass in Betrieben einer juristischen Person die Mitglieder
des Organs, das zur gesetzlichen Vertretung der juristischen Person berufen
ist, nicht als Arbeitnehmer im Sinne der Vorschrift gelten. Das hat zum einen
zur Konsequenz, dass Organmitglieder, die sich gegen ihre Entlassung
wehren, sich nicht darauf berufen können, dass die ihnen gegenüber
ausgesprochene Kündigung aufgrund der unterbliebenen Erstattung einer
Massenentlassungsanzeige unwirksam sei. Es bedeutet aber auch, dass - wie
hier - bei der Ermittlung der regelmäßigen Beschäftigtenzahl, ab der eine
Massenentlassungsanzeige zu erstatten ist, Organmitglieder nicht mitzuzählen
sind. In Grenzfällen - wie hier - kann davon die Frage, ob eine
Massenentlassung vorliegt oder nicht, abhängig sein.
bb) Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union
Mit Urteil vom 18.1.2007 - C-385/05 - CGT, Slg 2007, I-611-652, hat der
Gerichtshof der Europäischen Union ausgeführt, dass Artikel 1 Abs. 1
Buchstabe a der Richtlinie 98/59/EG zur Angleichung der Rechtsvorschriften
der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen dahin auszulegen ist, dass er
einer nationalen Regelung entgegensteht, die eine bestimmte Gruppe von
Arbeitnehmern - und sei es zeitweilig - bei der in dieser Vorschrift
vorgesehenen Berechnung der Beschäftigtenzahl unberücksichtigt lässt.
Diese Regelung, die ein Mindestmaß an Schutz in Bezug auf die Information
und die Konsultation von Arbeitnehmern im Fall von Massenentlassungen
schaffen solle, könne nämlich nicht dahin ausgelegt werden, dass die
Berechnungsmodalitäten für die Schwellenwerte für die Beschäftigtenzahl und
damit diese Schwellenwerte selbst zur Disposition der Mitgliedsstaaten stehen,
da eine derartige Auslegung es den Mitgliedstaaten erlaubte, den
Anwendungsbereich der Richtlinie zu verändern und ihr somit ihre volle
Wirksamkeit zu nehmen.
Mit dieser Entscheidung hat der Gerichtshof nach dem Verständnis des
vorlegenden Gerichts deutlich gemacht, dass die Definition, wer als
Arbeitnehmer im Sinne der Richtlinie anzusehen ist und wer nicht, nicht der
Rechtsordnung des einzelnen Mitgliedsstaates überlassen werden kann. Die
Frage, ob Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des Unionsrechts vorliegt, ist
vielmehr - gemessen am Schutzzweck und den Zielen der einzelnen Richtlinie
- vom Gerichtshof selbst zu beantworten.
Mit Urteil vom 11.11.2010 - C-232/09 - Danosa (im Folgenden: „Danosa“) hat
der Gerichtshof der Europäischen Union in Auslegung der Richtlinie 92/85
über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und
des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen,
Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz entschieden,
dass die Arbeitnehmereigenschaft eines Mitglieds der Unternehmensleitung
einer Kapitalgesellschaft, das dieser gegenüber Leistungen erbringt und in sie
eingegliedert ist, zu bejahen ist, wenn es seine Tätigkeit für eine bestimmte
Zeit nach der Weisung oder unter der Aufsicht eines anderen Organs dieser
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Gesellschaft ausübt und als Gegenleistung für die Tätigkeit ein Entgelt erhält.
Es sei Sache des nationalen Gerichts, die Tatsachenprüfungen vorzunehmen,
deren es zur Beurteilung der Frage bedarf, ob dies in dem bei ihm anhängigen
Rechtsstreit der Fall ist.
Für die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des Unionsrechts sei es insoweit
ohne Bedeutung, dass das Beschäftigungsverhältnis nach nationalem Recht
ein Rechtsverhältnis sui generis sei. Sofern eine Person während einer
bestimmten Zeit für eine andere nach deren Weisung Leistungen erbringe, für
die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhalte, sei die Art der
Rechtsbeziehung zwischen ihr und der anderen Partei des
Arbeitsverhältnisses ohne Bedeutung für die Anwendung der Richtlinie 92/85.
Die Eigenschaft als Mitglied der Unternehmensleitung einer Kapitalgesellschaft
könne außerdem nicht als solche ausschließen, dass sich die betroffene
Person in einem Unterordnungsverhältnis gegenüber der betreffenden
Gesellschaft befunden habe. Zu prüfen seien nämlich die Bedingungen, unter
denen das Mitglied der Unternehmensleitung bestellt worden sei, die Art der
ihm übertragenen Aufgaben, der Rahmen, in dem diese Aufgaben ausgeführt
würden, der Umfang der Befugnisse des Betroffenen und die Kontrolle, der er
innerhalb der Gesellschaft unterliege, sowie die Umstände, unter denen er
abberufen werden könne.
cc) Nationale Rechtslage
§ 17 Abs. 5 Nr. 1 KSchG nimmt in Betrieben einer juristischen Person die
Mitglieder des Organs, das zur gesetzlichen Vertretung der juristischen Person
berufen ist, vom Anwendungsbereich des § 17 KSchG vollständig aus. Sie
sind nicht Arbeitnehmer im Sinne dieser Vorschrift. Der nationale Gesetzgeber
setzt damit voraus, dass sie auch nicht als Arbeitnehmer im Sinne der
Massenentlassungsrichtlinie anzusehen sind.
Die zahlenmäßig bedeutsamste Gruppe der von § 17 Abs. 5 Nr. 1 KSchG
erfassten Personen sind die Geschäftsführer der Gesellschaften mit
beschränkter Haftung. Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) ist
die in Deutschland bei mittelständischen Unternehmen beliebteste und am
meisten verbreitete Form der Kapitalgesellschaft. Ihre Rechtsverhältnisse,
insbesondere ihre Vertretung und Geschäftsführung sowie ihre Organe, sind
im Gesetz betreffend die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbHG)
geregelt. Mächtigstes Organ der Gesellschaft ist die
Gesellschafterversammlung. Die Bildung eines Aufsichtsrates kann gemäß §
52 GmbHG im Gesellschaftsvertrag vorgesehen werden. Das erfolgt in der
Praxis bei mittelständischen GmbHs nur selten. Die Pflicht zur Bildung eines
Aufsichtsrates besteht nach den Mitbestimmungsregelungen des
Drittelbeteiligungsgesetzes nur in Unternehmen mit mehr als 500
Beschäftigten. Im vorliegenden Fall war ein Aufsichtsrat nicht gebildet.
Im Hinblick auf das Verhältnis des Geschäftsführers zur Gesellschaft
unterscheidet das deutsche Recht streng zwischen zwei voneinander zu
trennenden Rechtsverhältnissen, der Organstellung als solcher und den
Rechten und Pflichten des Geschäftsführers gegenüber der Gesellschaft. Der
Erwerb der Organstellung geschieht mittels Bestellung durch die
Gesellschafterversammlung (§ 46 Nr. 5 GmbHG). Die
Gesellschafterversammlung kann die Bestellung zum Geschäftsführer zu jeder
Zeit widerrufen (§ 38 Abs. 1 GmbHG). Im Gesellschaftsvertrag kann die
Zulässigkeit des Widerrufs allerdings auf den Fall beschränkt werden, dass
wichtige Gründe diesen notwendig machen (§ 38 Abs. 2 GmbHG). Die Rechte
und Pflichten des Geschäftsführers gegenüber der Gesellschaft hingegen
werden durch den Geschäftsführer-Anstellungsvertrag geregelt. Der
Geschäftsführer-Anstellungsvertrag ist Dienstvertrag in Gestalt eines
Geschäftsbesorgungsvertrages (§§ 611 ff, 675 BGB; vgl. nur BGH, Urteil vom
10.5.2010 - II ZR 70/09, NJW 2010, 2343). Er ist nach ganz herrschender
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Meinung nicht Arbeitsvertrag und der Geschäftsführer ist grundsätzlich kein
Arbeitnehmer (BGH, Urteil vom 8.1.2007 - II ZR 267/05, DB 2007, 1072; Urteil
vom 10.5.2010 - II ZR 70/09, NJW 2010, 2343; ständige Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs). Dementsprechend schließt § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG die
Mitglieder des Organs einer juristischen Person - also insbesondere GmbH-
Geschäftsführer - von der Anwendung des ersten Abschnitts des
Kündigungsschutzgesetzes, der wichtigsten nationalen Schutzbestimmungen
für Arbeitnehmer vor Kündigungen, aus.
Im Hinblick auf Weisungen unterscheidet das deutsche Recht zwischen rein
gesellschaftsrechtlichen Vorgaben und Beschränkungen, wie sie
typischerweise die Gesellschaft, in der Regel vertreten durch die
Gesellschafterversammlung, dem Geschäftsführer macht, und einem -
weitergehenden und anders ausgeprägten - arbeitsrechtlichen Weisungsrecht.
Dementsprechend geht die nationale Rechtsprechung davon aus, dass sich
die beiden Rechtsverhältnisse nach dem Grad der persönlichen Abhängigkeit
bei der Erbringung der Dienstleistung unterscheiden. Arbeitnehmer ist, wer die
vertraglich geschuldete Leistung im Rahmen einer von seinem Vertragspartner
bestimmten Arbeitsorganisation erbringt. Die Eingliederung in eine fremde
Arbeitsorganisation zeigt sich insbesondere darin, dass der Beschäftigte
einem umfassenden Weisungsrecht seines Vertragspartners unterliegt. Dieses
kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer, Ort und sonstige Modalitäten der
Tätigkeit betreffen (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vgl.
nur BAG, Urteil vom 26.5.1999 - 5 AZR 664/98 - NZA 1999, 987). Die
Gesellschaft beschränkt sich dagegen gegenüber dem Geschäftsführer
typischerweise auf allgemeine unternehmerische Vorgaben.
Nach außen ist die Vertretungsmacht des Geschäftsführers grundsätzlich nicht
beschränkbar, wie sich aus § 37 Abs. 2 GmbHG ergibt. Im Innenverhältnis
kann die Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers nach § 37 Abs. 1 GmbHG
beschränkt werden. Derartige Beschränkungen der Kompetenzen des
Geschäftsführers können durch die Satzung der Gesellschaft mit beschränkter
Haftung, im Geschäftsführer-Anstellungsvertrag und/oder durch Beschlüsse
der Gesellschafterversammlung herbeigeführt werden. Wie weitgehend die
hierdurch herbeigeführten Vorgaben und Beschränkungen der Tätigkeit des
Geschäftsführers sein können, ist nicht klar geregelt. Als jedenfalls unzulässig
werden Regelungen angesehen, die dem Geschäftsführer jede eigene
Geschäftsführungsentscheidung nehmen, d.h., seine
Geschäftsführungsbefugnis vollständig beseitigen, da Geschäftsführer
dadurch zu reinen Vertretungsmarionetten ohne jede Autorität gegenüber dem
Personal des Unternehmens würden (Baumbach/Hueck, GmbHG, 20. Auflage
2013, § 37 Rdnr. 18 m.w.N.). Werden dem „Geschäftsführer“ derart intensive
Beschränkungen gemacht, dass er in eine persönliche Abhängigkeit zur
Gesellschaft gerät, werden ihm also insbesondere detaillierte Vorgaben im
Hinblick auf Ort, Zeit und Art seiner Leistungserbringung gemacht, so ist er
nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts trotz seiner nominellen Stellung
als Geschäftsführer rechtlich als Arbeitnehmer zu behandeln (vgl. BAG, Urteil
vom 26.5.1999 - 5 AZR 664/98 - NZA 1999, 987 m.w.N.).
dd) Offene unionsrechtliche Fragen
(1) Nach den Ausführungen des Gerichtshofs erfüllt ein Mitglied der
Unternehmensleitung, das gegen Entgelt Leistungen gegenüber der
Gesellschaft erbringt, die es bestellt hat und in die es eingegliedert ist,
das seine Tätigkeit nach der Weisung oder unter der Aufsicht eines
anderen Organs dieser Gesellschaft ausübt und das jederzeit ohne
Einschränkung von seinem Amt abberufen werden kann, dem ersten
Anschein nach die Voraussetzungen, um als Arbeitnehmer zu gelten
(Danosa Randnr. 51). Das vorlegende Gericht hält es für erforderlich,
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dass der Gerichtshof nähere Ausführungen dazu tätigt, wie er in diesem
Zusammenhang den Begriff der Weisung konkret versteht. Wie bereits
ausgeführt, unterscheidet das deutsche Recht zwischen den rein
gesellschaftsrechtlichen Vorgaben und Beschränkungen der
Gesellschaft gegenüber dem Geschäftsführer und den ihrer Natur nach
andersartigen und weitaus umfangreicheren Weisungsbefugnissen des
Arbeitgebers, die gegenüber einem Arbeitnehmer ausgeübt werden.
Diese Differenzierung stellt nach der Überzeugung des vorlegenden
Gerichts auch nicht etwa nur eine Besonderheit des Rechtes eines
einzelnen Mitgliedsstaates dar, die bei der Anwendung von Unionsrecht
vernachlässigt werden könnte. Vielmehr bestehen zwischen beiden
Arten von Vorgaben grundlegende tatsächliche Unterschiede. Dem
Arbeitnehmer kann der Ort, die Zeit und die Art und Weise seiner
Leistungserbringung vorgegeben werden. Der Arbeitgeber macht
hiervon auch typischerweise umfassend Gebrauch, indem er dem
Arbeitnehmer die Tage, an denen dieser zu arbeiten hat, Beginn und
Ende der Arbeitszeit, häufig auch die Lage der Pausen und den oder
die Orte der Arbeitserbringung im Einzelnen vorschreibt. Vor allem aber
kann der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer ganz konkret - Tag für Tag -
vorgeben, welche Arbeitsleistungen von diesem zu erbringen sind und
auch, wie diese zu bewerkstelligen sind, z.B. mit welchem Werkzeug
und Material, mit welchen Bearbeitungsverfahren usw. Demgegenüber
macht die Gesellschaft dem Geschäftsführer lediglich die Vorgabe
allgemeiner Unternehmensziele. Ihre gesellschaftsrechtlichen
Befugnisse umfassen keine Vorgaben zu Umfang, Beginn und Ende
der Arbeitszeit, die der Geschäftsführer in der Regel frei und
eigenverantwortlich gestalten kann. Das Gesellschaftsrecht lässt dem
Geschäftsführer auch die Wahl, den Ort seiner Leistungserbringung
selbst zu wählen und z.B. teilweise von zu Hause aus zu arbeiten. Vor
allem aber sieht das Gesellschaftsrecht nicht vor, dass die
Gesellschafterversammlung dem Geschäftsführer arbeitsbegleitende
und verfahrensorientierte Anweisungen erteilt, ihm also vorgibt, welche
konkreten Tätigkeiten er ausführen soll und auf welche Weise oder in
welcher Reihenfolge dies zu geschehen hat.
Zusammengefasst stellt sich die Frage, ob es für die Arbeitnehmereigenschaft
im Sinne des Unionsrechts ausreicht, dass der Geschäftsführer einer irgend
gearteten Aufsicht, Vorgaben und Beschränkungen eines anderen Organs der
Gesellschaft, unabhängig von deren Ausprägung und Intensität, unterworfen
ist. Sollte der Gerichtshof dies so beurteilen, erschiene es bedeutsam, in der
zu fällenden Entscheidung eine klare dahingehende Aussage zu treffen.
Daraus ergäbe sich die Folge, dass jeder Fremd- und wohl auch jeder
Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer einer deutschen Gesellschaft mit
beschränkter Haftung im unionsrechtlichen Sinne als Arbeitnehmer anzusehen
wäre, da jeder Geschäftsführer gesellschaftsrechtlichen Vorgaben und
Beschränkungen der Gesellschafterversammlung (oder, falls gebildet, eines
Aufsichtsrates) unterworfen ist. Es bestünde damit fortan zumindest
Rechtsklarheit.
Das vorlegende Gericht meint allerdings, die bisherige Rechtsprechung des
Gerichtshofs, wie sie insbesondere in der Danosa-Entscheidung zum
Ausdruck kommt, anders zu verstehen. So führt der Gerichtshof zu Randnr. 47
dieser Entscheidung aus, für die Feststellung, dass ein
Unterordnungsverhältnis zwischen Geschäftsführer und Gesellschaft bestand,
seien zu prüfen die Bedingungen, unter denen das Mitglied der
Unternehmensleitung bestellt wurde, die Art der ihm übertragenen Aufgaben,
der Rahmen, in dem diese Aufgaben ausgeführt wurden, der Umfang der
Befugnisse des Betroffenen und die Kontrolle, der er innerhalb der
Gesellschaft unterliegt, sowie die Umstände, unter denen er abberufen werden
kann. Insbesondere der Verweis auf den Rahmen, in dem die Aufgaben vom
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Geschäftsführer ausgeführt werden, den Umfang seiner Befugnisse sowie die
Kontrolle, der er unterliegt, kann dabei nach dem Verständnis des vorlegenden
Gerichts nur so interpretiert werden, dass ein Unterordnungsverhältnis und
damit auch ein Arbeitsverhältnis im unionsrechtlichen Sinne nur dann zu
bejahen ist, wenn das Mitglied der Unternehmensleitung bei der Ausübung
seiner Tätigkeit verbindlichen Festsetzungen, Vorgaben und Einschränkungen
von einigem Gewicht und von bestimmter inhaltlicher Ausprägung unterliegt.
Ansonsten wäre es nämlich nicht angezeigt gewesen, auf die Notwendigkeit
der Prüfung der zahlreichen aufgeführten Kriterien zu verweisen, sondern der
Gerichtshof hätte sich darauf beschränken können, festzustellen, dass schon
eine irgend geartete Weisungsmacht, Aufsicht oder Kontrolle gegenüber dem
Betreffenden zum Bestehen einer Arbeitnehmereigenschaft führe.
(2) Eine an den in der Danosa-Entscheidung genannten Kriterien
orientierte Prüfung des jeweils zuständigen nationalen Gerichts hat den
Vorteil, dass sie eine hohe Einzelfallgerechtigkeit nach sich zu ziehen
vermag. Das vorlegende Gericht fragt sich jedoch, ob die bislang
praktizierte Beschränkung des Gerichtshofes auf die Vorgabe eines
Kataloges relevanter Merkmale zur Ermittlung der
Arbeitnehmereigenschaft nicht auch absehbare Nachteile mit sich
bringt. Es steht aus Sicht des vorlegenden Gerichts zu befürchten, dass
die nationalen Gerichte den Grad an Weisungsabhängigkeit und
Kontrolle, dem ein Geschäftsführer ausgesetzt sein muss, um als
Arbeitnehmer im Sinne des Unionsrechts zu gelten, sehr
unterschiedlich bemessen werden. Dies wird dazu führen, dass
vollständig vergleichbare Sachverhalte - also Fälle von Mitgliedern der
Unternehmensleitung, die jeweils zu gleichen oder jedenfalls zu im
Wesentlichen vergleichbaren Bedingungen beschäftigt werden - von
den Gerichten je nach Mitgliedsstaat rechtlich ganz unterschiedlich
bewertet werden. Auch innerhalb eines Mitgliedsstaates, innerhalb einer
Gerichtsbarkeit und sogar unter den Kammern ein und desselben
Gerichts können Meinungsverschiedenheiten und unterschiedliche
Maßstäbe bei der praktischen Anwendung der vom Gerichtshof
aufgezählten Prüfungsfragen auftreten, die zu einer vollständigen
Zersplitterung der Rechtsanwendung und damit zu erheblicher
Rechtsunsicherheit führen würden. Dementsprechend wäre es selbst
rechtskundigen und umfassend beratenen Vertragsparteien kaum mehr
möglich, die Rechtsbeziehungen zwischen Geschäftsführer und
Gesellschaft vertraglich so auszugestalten, dass von Anfang an Klarheit
über die - fehlende oder vorhandene - unionsrechtliche
Arbeitnehmereigenschaft besteht.
(3) Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts sollte bei der Beurteilung
der Frage, ob Mitglieder von Unternehmensleitungen im Allgemeinen
und Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung im
Besonderen als Arbeitnehmer im unionsrechtlichen Sinne anzusehen
sind, auch Berücksichtigung finden, dass diese Personengruppe -
insbesondere gegenüber den übrigen Beschäftigten - in der Regel
typische Unternehmer- und Arbeitgeberfunktionen ausübt. Diese
Wahrnehmung herausgehobener Aufgaben, die für den Erfolg und
Bestand des Unternehmens von wesentlicher Bedeutung sind, bringt
auch ein nachvollziehbares, existentielles Interesse der
Unternehmenseigner mit sich, sich ohne die durch arbeitsrechtliche
Schutzvorschriften erzeugten Beschränkungen von einem Mitglied der
Unternehmensleitung zu trennen, wenn die Gesellschafterversammlung
das für eine erfolgreiche Zusammenarbeit notwendige
Vertrauensverhältnis zu dem betreffenden Geschäftsführer als nicht
mehr gegeben erachtet. Das vorlegende Gericht fragt an, ob es
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gerechtfertigt erscheinen könnte, diesen Interessen der
Unternehmenseigner bei der Bestimmung des Grades an
Weisungsunterworfenheit Rechnung zu tragen, der für die Annahme
eines Arbeitsverhältnisses als erforderlich erachtet wird.
(4) Das vorlegende Gericht gibt zu bedenken, dass die persönliche
Abhängigkeit, die sich aus den Weisungen des Unternehmers
gegenüber dem Beschäftigten ergibt, welche Ort, Zeit, aber vor allem
die konkrete Art und Weise der Leistungserbringung betreffen, ein
sachlich begründetes, trennscharfes und in der Praxis handhabbares
Kriterium für die Definition der Arbeitnehmereigenschaft auch im
unionsrechtlichen Kontext bilden könnte. Im nationalen Recht
Deutschlands wird sie nicht nur im Zusammenhang mit der rechtlichen
Einordnung von Geschäftsführern, sondern insbesondere auch bei der
Abgrenzung von Arbeitnehmern und Selbstständigen verwendet. Der
Ausspruch des Gerichtshofs, dass es für die Arbeitnehmereigenschaft
im Sinne des Unionsrechts ohne Bedeutung ist, dass das
Beschäftigungsverhältnis nach nationalem Recht ein Rechtsverhältnis
sui generis ist (Danosa Randnr. 40), würde damit nicht in Frage gestellt,
sondern hätte vielmehr uneingeschränkt Bestand. Die nationalen
Gerichte wären auch im Fall von Mitgliedern der Unternehmensleitung
verpflichtet, jeweils zu prüfen, ob ein anderes Organ ihnen
diesbezügliche Weisungen erteilt. Ist dies in nennenswertem Umfang
der Fall, folgte hieraus die Bejahung der Eigenschaft als Arbeitnehmer
im unionsrechtlichen Sinne. Es sprechen somit aus Sicht des
vorlegenden Gerichts gute Argumente dafür, dass der Gerichtshof seine
Rechtsprechung in diesem Sinne nuanciert.
(5) Sollte der Gerichtshof andere als die genannten Kriterien für die
Bestimmung der Arbeitnehmereigenschaft im unionsrechtlichen Sinne
für maßgeblich halten, wäre es aus Sicht des vorlegenden Gerichts aus
den bereits aufgeführten Gründen der Rechtssicherheit und
Bestimmbarkeit erforderlich, dass der Gerichtshof zu einer Präzisierung
und Konkretisierung der die Arbeitnehmereigenschaft konstituierenden
Merkmale, des Maßes, in dem diese jeweils vorliegen müssen, und der
Gewichtung der Merkmale untereinander weitergehende Ausführungen
als in den bislang gefällten Entscheidungen tätigt. Gleiches gilt, wenn
der Gerichtshof die Auffassung vertreten sollte, dass für den Begriff des
Arbeitnehmers i.S.v. Art. 1 Abs. 1 a) der Richtlinie 98/59/EG des Rates
vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten über Massenentlassungen andere Kriterien maßgeblich
sein sollten als für den Begriff des Arbeitnehmers im Sinne
anderweitigen Unionsrechts, beispielsweise i.S. der Richtlinie 92/85. Für
diesen Fall wäre das vorlegende Gericht dankbar, zu erfahren, welches
ggf. die Besonderheiten des Arbeitnehmerbegriffs i.S. der
Massenentlassungsrichtlinie sind, woraus sie resultieren und welche
Folgerungen sich für die praktische Rechtsanwendung des nationalen
Gerichts hieraus ergeben.
b) Zur zweiten Vorlagefrage
Gegenstand der zweiten Vorlagefrage ist, ob das einschlägige Unionsrecht,
insbesondere Art. 1 Abs. 1 a) der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli
1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über
Massenentlassungen, dahin auszulegen ist, dass es zwingend vorgibt, dass
bei der in dieser Vorschrift vorgesehenen Berechnung der Beschäftigtenzahl
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als Arbeitnehmer auch diejenigen Personen mitzuzählen sind, die ohne
Vergütung durch den Arbeitgeber, jedoch finanziell gefördert und anerkannt
durch die für Arbeitsförderung zuständigen öffentlichen Stellen, praktisch
mitarbeiten, um Kenntnisse zu erwerben oder zu vertiefen oder eine
Berufsausbildung zu absolvieren („Praktikant“), oder ob es den
Mitgliedsstaaten überlassen bleibt, hierüber nationale gesetzliche
Bestimmungen oder Gepflogenheiten aufzustellen.
Frau Petra Schalitz absolvierte bei der Beklagten eine nach § 81 SGB III von
der Agentur für Arbeit geförderte berufliche Weiterbildungsmaßnahme.
Maßnahmeziel war die Ausbildung zur Bürokauffrau. Die theoretische
Unterweisung erfolgte durch die Berufsschule, die praktische Unterweisung bei
der Beklagten. Die Beklagte selbst zahlte keine Ausbildungsvergütung oder
vergleichbare Vergütung an Frau S. Die Agentur für Arbeit erbrachte während
der Maßnahmedauer unmittelbare Zahlungen an Frau S.
Gewöhnlich erfolgt die Berufsausbildung zu einem anerkannten
Ausbildungsberuf durch Abschluss eines Berufsausbildungsvertrages
zwischen Ausbilder und Auszubildendem. Für solche Ausbildungsverhältnisse
sind die Bestimmungen des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) maßgeblich.
Gemäß § 17 Abs. 1 BBiG haben Ausbildende den Auszubildenden eine
angemessene Vergütung zu gewähren. Um ein solches „reguläres“
Berufsausbildungsverhältnis handelte es sich vorliegend nicht. Die Beklagte
war offenbar aufgrund des fortgeschrittenen Alters von Frau S, deren
mangelnder Qualifikationen und/oder eines nicht vorhandenen betrieblichen
Ausbildungsbedarfs nicht gewillt, ein solches einzugehen.
Im nationalen Recht ist einschlägige Rechtsprechung zu der Frage, ob
Personen, die von der Agentur für Arbeit geförderte berufliche
Weiterbildungsmaßnahmen durchlaufen, als Arbeitnehmer i.S. des § 17 Abs. 1
Nr. 1 KSchG zu zählen sind, nicht nachgewiesen. Die einschlägigen
Kommentare zum KSchG gehen ohne nähere Begründung oder
Differenzierung davon aus, dass Auszubildende und Volontäre, Praktikanten
(soweit das Praktikum nicht Bestandteil schulischer Ausbildung sei) und
Umschüler als Arbeitnehmer i.S.v. § 17 Abs. 1 Nr. 1 KSchG mitzuzählen seien
(KR/Weigand aaO Rz. 29; vgl. auch Erfurter Kommentar/Kiel, 14. Aufl. 2014, §
17 KSchG Rn. 9).
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs besteht das wesentliche Merkmal
des Arbeitsverhältnisses darin, dass eine Person während einer bestimmten
Zeit für eine andere nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als
Gegenleistung eine Vergütung erhält (Danosa Randnr. 39 m.w.N.). Das
vorlegende Gericht fragt an, ob der Erhalt einer Vergütung unmittelbar vom
Arbeitgeber ein nicht verzichtbares Kriterium des unionsrechtlichen
Arbeitnehmerbegriffs ist. Für diesen Fall wäre Frau S folgerichtig nicht als
Arbeitnehmerin im unionsrechtlichen Sinne und insbesondere nicht als
Arbeitnehmerin i.S.d. Art. 1 Abs. 1 a) der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom
20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über
Massenentlassungen anzusehen. Sollte hingegen nach der Auffassung des
Gerichtshofs der Erhalt einer Vergütung unter bestimmten Voraussetzungen
für die Eigenschaft als Arbeitnehmer entbehrlich sein, wird der Gerichtshof
gebeten, dazu Ausführungen zu tätigen, unter welchen Voraussetzungen dies
der Fall ist, und insbesondere dem vorlegenden Gericht die nötigen Hinweise
zu geben, damit es beurteilen kann, ob von der Agentur für Arbeit geförderte
berufliche Weiterbildungsmaßnahmen die Kriterien für die Annahme eines
Arbeitsverhältnisses im unionsrechtlichen Sinne bzw. im Sinne der Richtlinie
98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften
der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen erfüllen.
Art. 5 der Richtlinie bestimmt, dass sie die Möglichkeit der Mitgliedstaaten
unberührt lässt, für die Arbeitnehmer günstigere Rechts- oder
Verwaltungsvorschriften anzuwenden. Das vorlegende Gericht geht davon
aus, dass die Mitgliedstaaten die Möglichkeit besitzen, im Rahmen der
Umsetzung der Massenentlassungsrichtlinie in nationales Recht den Begriff
des Arbeitnehmers, jedenfalls soweit dieser Begriff für die Berechnung der
Beschäftigtenzahl von Bedeutung ist, weiter auszulegen, als dies
unionsrechtlich geboten ist, und dementsprechend auch Personen als
Arbeitnehmer - hier: im Sinne der gem. § 17 Abs. 1 Nr. 1 KSchG
mitzuzählenden Beschäftigten - anzusehen, die für einen anderen nach
dessen Weisungen Leistungen erbringen, ohne hierfür eine Gegenleistung zu
erhalten. Diese Annahme des vorlegenden Gerichts hat zu der konkreten
Formulierung der zweiten Vorlagefrage geführt. Sollte der Gerichtshof der
Auffassung sein, dass der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff als solcher,
bzw. soweit er in der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur
Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über
Massenentlassungen Verwendung findet, einer solchen erweiternden
Verwendung im nationalen Recht bei der Umsetzung der Richtlinie nicht
zugänglich sei, wird er gebeten, hierzu Ausführungen zu tätigen.