Urteil des LAG Niedersachsen vom 16.06.2014

LArbG Niedersachsen: gegen die guten sitten, allgemeine geschäftsbedingungen, erworbene rechte, abtretungsverbot, bestandteil, vergütung, arbeitsgericht, darlehensvertrag, gestaltung, gefahr

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Wirksamkeit eines Lohnabtretungsverbots
1. Ein in einer Betriebsvereinbarung/Arbeitsordnung geregeltes
umfassendes Lohn- und Gehaltsabtretungsverbot kann unabhängig von
seiner normativen Wirksamkeit über eine formulararbeitsvertraglich
vereinbarte Geltung dieser Betriebsvereinbarung Bestandteil des
Arbeitsvertrages werden.
2. Einer AGB-Kontrolle gem. §§ 305 ff BGB unterliegt in diesem Fall nur die
Verweisungsklausel selbst, nicht jedoch die eine Abtretung ausschließende
Vorschrift der Betriebsvereinbarung (§ 310 Abs. 4 S. 1 BGB).
3. § 399, 2. Alternative BGB lässt auch die Vereinbarung eines Lohn- und
Gehaltsabtretungsausschlusses zwischen Gläubiger und Schuldner zu. Ein
solcher Ausschluss schränkt den Arbeitnehmer nicht in einer seine
Kreditfähigkeit grundlegend beeinträchtigenden, sittenwidrigen Weise (§ 138
Abs. 1 BGB) in seiner Dispositionsfreiheit über sein Arbeitsentgelt ein.
Landesarbeitsgericht Niedersachsen 13. Kammer, Urteil vom 16.06.2014, 13 Sa
1327/13
§ 137 S 1 BGB, § 138 Abs 1 BGB, § 305 BGB, § 305c Abs 1 BGB, § 307 BGB, § 310
Abs 4 S 1 BGB, § 399 BGB
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Braunschweig vom 06.11.2013 (1 Ca 280/13) wird auf ihre Kosten
zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die Beklagte als Drittschuldnerin auf Zahlung abgetretener
Arbeitsvergütung in Anspruch.
Der Ehemann der Klägerin trat auf der Grundlage eines schriftlichen
Arbeitsvertrages vom 02./11.09.1981 (Bl. 173 f d.A.) in die Dienste der
Beklagten. Unter der Überschrift „Schlußbestimmungen“ des Vertrages heißt
es im 2. Absatz:
Im Übrigen gelten die Bestimmungen des Manteltarifvertrages, des
Gehaltstarifvertrages sowie der Arbeitsordnung der Volkswagenwerk AG
in den jeweils geltenden Fassungen.
In der bei der Beklagten geltenden Betriebsvereinbarung „Arbeitsordnung“ vom
03.06.1977, gültig ab 01.08.1977 (Anlage B1 = Bl. 22 - 27 d.A.) ist unter
anderem Folgendes geregelt:
§ 1 Geltungsbereich
Diese Arbeitsordnung gilt
1. räumlich: für alle Werke der VOLKSWAGEN AG
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2. persönlich: für alle Werksangehörigen, auf die das
Betriebsverfassungsgesetz Anwendung findet.
Die Arbeitsordnung ist Bestandteil des Arbeitsvertrages.
§ 2 Bekanntmachung der Arbeitsordnung
Die Arbeitsordnung erhält jeder neueintretende Werksangehörige zur
Kenntnisnahme und Beachtung gegen Empfangsbestätigung.
Änderungen und Ergänzungen werden als Nachtrag ausgehändigt.
(…)
§ 7 Regelung der Lohn- und Gehaltszahlung
(…)
Abtretung
Die Abtretung von Lohn- oder Gehaltsforderungen oder sonstiger im
Zusammenhang mit der Werkszugehörigkeit erwachsener Forderungen
an Dritte ist ausgeschlossen.
Nach dem Inhalt eines in Kopie zur Gerichtsakte gereichten Vertrages mit
Datum 01.06.2003 (Anlage K1 = Bl. 6 d.A.) gewährte die Klägerin der Firma H.,
deren Geschäftsführer ihr Ehemann war, ein Darlehen über 150.000,00 €. In
dem von der Klägerin und ihrem Ehemann unterzeichneten Vertrag heißt es
u.a.:
Sollte die Firma H. zahlungsunfähig oder insolvent sein, tritt Herr A. als
persönlicher Bürge in diesen Darlehensvertrag ein und tritt zur
Absicherung der Gesamtforderung hiermit den pfändbaren Teil seines
Lohn/oder Gehaltsanspruchs gegen seinen jeweiligen Arbeitgeber
einschließlich Einkommens aus Sozialleistungen sowie
Rentenansprüche oder Leistungen des Arbeitsamtes an die
Gläubigerseite ab.
Mit Beschluss vom 30.11.2004 eröffnete das Amtsgericht Gifhorn über das
Vermögen der H. das Insolvenzverfahren. Infolge dessen wurde im
Handelsregister die Auflösung der Gesellschaft eingetragen.
Aufgrund eines notariellen Schuldanerkenntnisses ihres Ehemannes vom
22.03.2005 über einen Betrag von 56.000,- € brachte die Klägerin den
Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 14.07.2005 aus, auf den die
Beklagte nach Zustellung pfändbare Gehaltsansprüche des Ehemannes an
die Klägerin auskehrte.
Aufgrund eines weiteren notariellen Schuldanerkenntnisses ihres Ehemannes
vom 03.02.2012 über 98.000,00 € erwirkte die Klägerin gegen die Beklagte
einen dieser am 22.05.2012 zugestellten Pfändungs- und
Überweisungsbeschluss vom 14.05.2012 bezüglich weiterer
Gehaltsansprüche.
Mit Drittschuldnererklärung vom 29.05.2012 (Anlage K2 = Bl. 7 - 9 d.A.) teilte
die Beklagte der Klägerin mit, dass die Gehaltsforderungen ihres Ehemannes
zwischenzeitlich für weitere Gläubiger gepfändet worden seien. Daraufhin wies
die Klägerin die Beklagte mit Schreiben vom 07.06.2012 auf die Lohnabtretung
im Darlehensvertrag hin.
Für April 2013 rechnete die Beklagte gemäß Anlage B 1 zur
Berufungserwiderung (Bl. 123 d.A.) zugunsten des Ehemanns der Klägerin ein
Nettoentgelt in Höhe von 3.072,07 € ab. Von dem pfändbaren Anteil der
Bezüge in Höhe von 1.428,78 € zahlte sie an die Klägerin noch 17,16 € in
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Ansehung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vom 14.07.2005,
der damit insgesamt erledigt war. Die restliche pfändbare Vergütung zahlte sie
an das Hauptzollamt Braunschweig aufgrund zweier am 04.09.2007
zugestellter Forderungstitel.
Mit der am 19.06.2013 bei dem Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat die
Klägerin von der Beklagten die Zahlung weiterer 1.411,62 € für April 2013
gefordert. Ihrem Ehemann hat sie den Streit verkündet. Dieser ist dem
Rechtsstreit nicht beigetreten.
Die Klägerin hat geltend gemacht, mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
über das Vermögen der H. greife die Vorausabtretung der Gehaltsansprüche.
Sämtliche in der Drittschuldnererklärung vom 29.05.2012 aufgeführten
Forderungen seien gegenüber der Vorausabtretung der Gehaltsansprüche
durch den Darlehensvertrag vom 01.06.2003 nachrangig. Das
Lohnabtretungsverbot in der Arbeitsordnung sei unwirksam.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.411,62 € nebst Zinsen in
Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.05.2013 zu
zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat bestritten, dass zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann am
01.06.2003 ein Darlehensvertrag über 150.000,00 € abgeschlossen worden
ist. Ihre Zweifel an einer im Jahr 2003 vereinbarten Abtretung ergäben sich
daraus, dass die Klägerin bislang nur aus zeitlich nachfolgenden
Schuldanerkenntnissen vollstreckt habe. Erst nachdem die Klägerin erkannt
habe, dass sie mit der neuerlichen Forderungspfändung nicht zum Zuge
kommt, habe sie sich auf eine Abtretung aus 2003 berufen. Die Klägerin habe
auch nicht zu Erkennen gegeben, in welcher Höhe die Darlehensforderung
aktuell noch bestehe.
Das Arbeitsgericht hat mit einem der Klägerin am 28.11.2013 zugestellten
Urteil vom 06.11.2013 (Bl. 56 - 62 d.A.), auf dessen Inhalt wegen des
erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes und seiner Würdigung durch das
Arbeitsgericht verwiesen wird, die Klage abgewiesen und zur Begründung
ausgeführt, es sei der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
zur Zulässigkeit kollektivrechtlich vereinbarter Abtretungsverbote zu folgen.
Hiergegen richtet sich die am 19.12.2013 eingelegte und am 28.01.2014
begründete Berufung der Klägerin.
Die Klägerin macht geltend, für das Lohnabtretungsverbot in der
Arbeitsordnung habe den Betriebsparteien die Regelungskompetenz gefehlt,
weil es die Arbeitnehmer unzulässig in ihrer Vertragsfreiheit einschränke.
Insbesondere Arbeitnehmer, denen andere Sicherungsmittel nicht zur
Verfügung stünden, würden faktisch außer Stande gesetzt, Kredite
aufzunehmen. Nach den Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes
hätten Arbeitgeber und Betriebsrat die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im
Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern. Es bestünden
keine schützenswerten überwiegenden betrieblichen Interessen der Beklagten
an dem Lohnabtretungsverbot. Die Gestaltung der eigenen
Vermögensangelegenheiten der Arbeitnehmer wirke sich weder auf die Art und
Weise der Arbeitsleistung noch auf das betriebliche Zusammenwirken aus.
Das kollektivrechtlich unwirksame Abtretungsverbot habe auch nicht wirksam
arbeitsvertraglich vereinbart werden können, weil dies zu einer unzulässigen
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Umgehung führe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 06.11.2013 (1 Ca
218/13) abzuändern und nach den Schlussanträgen erster Instanz zu
erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen unter Verteidigung
des angefochtenen Urteils als zutreffend nach Maßgabe ihrer
Berufungserwiderung vom 27.03.2014 (Bl. 113 - 122 d.A.). Zweifel an dem
rechtswirksamen Zustandekommen der Abtretung ergäben sich auch daraus,
dass eine unzulässige Übersicherung der Klägerin nicht per se
ausgeschlossen werden könne. Jedenfalls aber sei der bisherigen Auffassung
des Bundesarbeitsgerichts sowie der herrschenden Literaturmeinung zur
Wirksamkeit kollektivrechtlicher Abtretungsverbote weiterhin zu folgen.
Wegen der Einzelheiten des im Berufungsverfahren gewechselten
Vorbringens wird ergänzend auf die Berufungsbegründung vom 28.01.2014
(Bl. 93 - 97 d.A.), den Schriftsatz der Klägerin vom 06.06.2014 (Bl. 159 - 162
d.A.) sowie auf die Schriftsätze der Beklagten vom 12.06.2014 (Bl. 172 d.A.)
und 13.06.2014 (Bl. 194 - 196 d.A.) jeweils nebst Anlagen und das
Sitzungsprotokoll vom 16.06.2014 verwiesen.
Entscheidungsgründe
I.
Die gem. § 64 Abs. 1 und Abs. 2 b ArbGG statthafte Berufung der Klägerin ist
form- und fristgerecht im Sinne der §§ 66, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO
eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig. Sie ist jedoch
unbegründet.
1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch aus abgetretenem
Recht (§ 398 BGB) auf Zahlung pfändbarer Vergütung ihres Ehemannes in
Höhe von 1.411,62 € für April 2013. Die Abtretung verstößt gegen das in § 7
der Arbeitsordnung geregelte umfassende Abtretungsverbot. Es kann
dahinstehen, ob Betriebsparteien ein Lohn- und Gehaltsabtretungsverbot
kollektivrechtlich wirksam vereinbaren können, wovon die bisherige
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ausgegangen ist. Das
Abtretungsverbot ist über die einzelvertraglich vereinbarte Geltung der
Arbeitsordnung jedenfalls auch Bestandteil des Arbeitsvertrages zwischen der
Beklagten und dem Ehemann der Klägerin geworden. Als arbeitsvertragliche
Regelung ist es wirksam und hat verhindert, dass die Klägerin
Forderungsinhaberin geworden ist.
a) In den Schlussbestimmungen des Anstellungsvertrages vom
02./11.09.1981 hat die Beklagte mit dem Ehemann der Klägerin u. a. die
Geltung der Arbeitsordnung in der jeweils gültigen Fassung vereinbart. Diese
arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel ist wirksam. Sie hält einer AGB-
Kontrolle nach den §§ 305 ff. BGB stand.
aa) Die fragliche Vertragsklausel unterliegt den Regelungen der §§ 305 ff.
BGB. Bei dem vom Ehemann der Klägerin mit der Beklagten abgeschlossenen
Anstellungsvertrag vom 02./11.09.1981 handelt es sich um allgemeine
Geschäftsbedingungen. Dies ergibt sich bereits aus der äußeren Gestaltung
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des Vertrages. Der Anwendung der §§ 305 ff. BGB steht nicht entgegen, dass
der Anstellungsvertrag schon lange vor dem Inkrafttreten des
Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes vom 26. November 2001 (BGBl. I,
3138) geschlossen wurde. Seit dem 01.01.2003 gelten nach der
Übergangsregelung in Artikel 229 § 5 Satz 2 EGBGB die §§ 305 ff. BGB auch
für die vor dem 01.01.2002 abgeschlossenen Verträge über
Dauerschuldverhältnisse ohne Einschränkung.
bb) Die Verweisungsklausel ist Vertragsbestandteil. Sie ist keine
überraschende Klausel im Sinne von § 305 c Abs. 1 BGB. Weder aus der
äußeren Form noch aus der inhaltlichen Gestaltung der Klausel lässt sich ein
Überraschungsmoment ableiten. Ein Arbeitnehmer, der einen Arbeitsvertrag
mit einem Großunternehmen, wie der Beklagten, abschließt, muss damit
rechnen, dass sein Vertragspartner die für ihn geltenden Tarifverträge und eine
für sämtliche Werke geltende Arbeitsordnung in ihrer jeweils geltenden
Fassung zum Gegenstand des Arbeitsverhältnisses machen will und dies in
einer unter der Überschrift „Schlussbestimmungen“ enthaltenen
Verweisungsklausel am Vertragsende auch zum Ausdruck bringt. Dies gilt
umso mehr, als der gesamte vorangehende Vertragsinhalt von wenig mehr als
einer Seite lediglich aus 5 knapp gehaltenen Regelungen zu den Punkten
Tätigkeit, Vergütung, Kündigung, Nebenbeschäftigungen und Geheimhaltung
besteht.
cc) Die Verweisungsklausel ist dahin auszulegen, dass die Bestimmungen der
Arbeitsordnung unabhängig von deren normativer Wirksamkeit Bestandteil des
Arbeitsvertrages werden sollten.
(1) Formularmäßige Klauseln in Arbeitsverträgen sind nach den Regelungen
über allgemeine Geschäftsbedingungen, d.h. nach ihrem objektiven Inhalt und
typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und
redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise
beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die
Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des
Verwenders zugrunde zu legen sind. Ansatzpunkt für die Auslegung
allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Von
Bedeutung für das Auslegungsergebnis sind ferner der von den
Vertragsparteien verfolgte Regelungszweck sowie die der jeweils anderen
Seite erkennbare Interessenlage der Beteiligten (vgl. BAG, Urt. v. 06.07.2011 -
4 AZR 706/09 - = NZA 2012, 100).
(2) Nach dem Inhalt des Anstellungsvertrages hat die Beklagte mit dem
Ehemann der Klägerin die Geltung der Arbeitsordnung in der jeweils geltenden
Fassung vereinbart. Im Wortlaut der Klausel findet sich kein Anhaltspunkt
dafür, die Beklagte habe lediglich deklaratorisch einen (einseitigen) Hinweis
auf das geben wollen, was ohnehin schon gemäß § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG
unmittelbar und zwingend für alle Mitarbeiter gilt, die dem Geltungsbereich der
Arbeitsordnung unterfallen. Zum einen enthält die Klausel auch eine
Bezugnahme auf die für die Beklagte geltenden Tarifverträge, was angesichts
der unstreitig bereits bei Vertragsschluss bestehenden Tarifgebundenheit der
Beklagten als sogenannte Gleichstellungsabrede im Sinne der früheren, aus
Gründen des Vertrauensschutzes weiterhin auf die vor dem 01.01.2002
abgeschlossenen Arbeitsverträge anzuwendenden Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts zu verstehen ist (vgl. BAG, Urt. v. 06.07.2011 - 4 AZR
706/09 - = NZA 2012, 100). Damit soll die möglicherweise fehlende
Gebundenheit des Arbeitnehmers an die im Arbeitsvertrag genannten
Tarifverträge ersetzt werden, um jedenfalls zu einer vertraglichen Anwendung
des einschlägigen Tarifvertrages zu kommen und damit - bei deren genereller
Verwendung - zu dessen Geltung für alle Beschäftigten. Zum anderen war es
gemäß §§ 1 und 2 der Arbeitsordnung bereits bei Abschluss des
Arbeitsvertrages verlautbarter Wille der Betriebsparteien, dass die
Arbeitsordnung stets Bestandteil neuabzuschließender Arbeitsverträge sein
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soll und jeder neu eintretende Werksangehörige diese zur Kenntnisnahme und
Beachtung gegen Empfangsbestätigung ausgehändigt erhält. Es ist mangels
anderer Anhaltspunkte davon auszugehen, dass die Beklagte entsprechend
ihrer Verpflichtung gemäß § 77 Abs. 1 S. 1 BetrVG die Betriebsvereinbarung
bei Abschluss des Arbeitsvertrages mit dem Ehemann der Klägerin regelmäßig
so durchgeführt hat. Daraus ergibt sich die allen neu eintretenden
Arbeitnehmern erkennbare Interessenlage der Beklagten. Auch der Ehemann
der Klägerin hat mit der Einstellmeldung vom 02.09.1981 (Bl. 175 d.A.) den
Erhalt der Arbeitsordnung bestätigt. Eine Einschränkung dahin, die
Arbeitsvertragsparteien hätten den Inhalt der Betriebsvereinbarung nur
insoweit zum Bestandteil des Arbeitsvertrages machen wollen, als diese
betriebsverfassungsrechtlich wirksam ist, enthält der Wortlaut der Klausel nicht.
Vielmehr entspricht es dem erkennbaren Willen der Beklagten, dem Inhalt der
Arbeitsordnung auch arbeitsvertraglich umfassend Geltung zu verschaffen,
auch unwirksame Bestimmungen der Betriebsvereinbarung
Vertragsbestandteil werden zu lassen, soweit nicht deren inhaltliche
Festlegungen als arbeitsvertragliche Regelungen ebenfalls nichtig bzw.
unwirksam sind. Dies ist zulässig. Die Arbeitsvertragsparteien sind
grundsätzlich frei, ein kollektives Regelwerk in Bezug zu nehmen, ohne das es
auf dessen normative Wirksamkeit ankommt. Auch auf nichtige oder nicht
mehr wirksame Kollektivregelungen kann Bezug genommen werden, soweit
nicht deren inhaltliche Festlegungen auch als arbeitsvertragliche Regelungen
nichtig sind (vgl. etwa BAG, Urteil vom 25.09.2013 – 5 AZR 815/12 – Juris
unter Rdnr. 11; Urteil vom 14.12.2011 - 4 AZR 26/10 - = AP Nr. 59 zu § 1 TVG
Altersteilzeit unter Rdnr. 43). Eine derartige Abrede scheidet nur aus, wenn
Anhaltspunkte dafür vorliegen, nur eine wirksame Kollektivregelung habe
vereinbart werden sollen (BAG, Urteil vom 25.09.2013, aaO; Urteil vom
14.12.2011, aaO unter Rdnr. 44).
dd) Die Bezugnahmeklausel ist in dieser Auslegung nicht wegen fehlender
Transparenz nach § 307 Abs. 3 Satz 2 BGB i. V. m. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB
unwirksam.
(1) Eine Verweisung auf die Vorschriften eines anderen Regelungswerkes ist
grundsätzlich zulässig und führt für sich genommen nicht zur Intransparenz,
wenn sich für den Verwender keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume
eröffnen. Sinn des Transparenzgebotes ist es, der Gefahr vorzubeugen, dass
der Arbeitnehmer von der Durchsetzung bestehender Rechte abgehalten wird.
Erst in der Gefahr, dass der Arbeitnehmer wegen unklar abgefasster
allgemeiner Vertragsbedingungen seine Rechte nicht wahrnimmt, liegt eine
unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 307 Abs. 1 BGB (vgl. BAG,
Urteil vom 10.12.2008 – 4 AZR 801/07 - = NZA-RR 2010, 7).
(2) Die Bezugnahmeklausel ist auch nicht deswegen unverständlich, weil sie
dynamisch ausgestaltet ist. Dynamische Bezugnahmeklauseln entsprechen
einer üblichen Regelungstechnik und dienen den Interessen beider Parteien.
Dies ergibt sich aus der Zukunftsgerichtetheit von Arbeitsverhältnissen. Es ist
ausreichend, wenn die im Zeitpunkt der jeweiligen Anwendung in Bezug
genommenen Regelungen bestimmbar sind (vgl. BAG, Urteil vom 10.12.2008,
aaO).
(3) Das Objekt der Bezugnahme ist hinreichend deutlich bezeichnet. Der
aufgeführte Manteltarifvertrag, der Gehaltstarifvertrag und die Arbeitsordnung
der Beklagten in der jeweils geltenden Fassung sind jedenfalls hinreichend
bestimmbar.
ee) Einer weitergehenden Inhaltskontrolle unterliegt die Verweisungsklausel
mangels eigenem kontrollfähigen Inhalt nicht. Nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB
können Bestimmungen in allgemeinen Geschäftsbedingungen nur dann nach
§§ 308, 309 BGB sowie uneingeschränkt nach § 307 Abs. 1 und 2 BGB
unwirksam sein, wenn durch sie von Rechtsvorschriften abweichende oder
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diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Der Regelungsgehalt einer
Bezugnahmeklausel beschränkt sich jedoch lediglich auf die (dynamische)
Verweisung als solche. Der Inhalt des Arbeitsverhältnisses wird nahezu
ausschließlich durch die Regelungen des Bezugnahmeobjekts – vorliegend
die Arbeitsordnung der Beklagten sowie die tariflichen Regelungen - bestimmt.
Eine Abweichung von Rechtsvorschriften kann sich daher lediglich aus den in
Bezug genommenen Regelungen, nicht jedoch aus der Verweisungsklausel
selbst ergeben (vgl. BAG, Urteil vom 10.12.2008, aaO. unter Rdnr. 46).
ff) Das in Bezug genommene Regelwerk selbst, insbesondere das in § 7 Abs.
4 der Arbeitsordnung geregelte Abtretungsverbot, unterliegt nicht der
Vertragskontrolle. Die Arbeitsordnung ist als Betriebsvereinbarung ergangen.
Gemäß § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB finden die §§ 305 ff. BGB keine Anwendung
auf Betriebsvereinbarungen.
b) Jedenfalls als arbeitsvertragliche Regelung ist das Abtretungsverbot
wirksam. Es stellt weder eine unzulässige rechtsgeschäftliche
Verfügungsbeschränkung im Sinne des § 137 Satz 1 BGB dar, noch verstößt
es gegen die guten Sitten (§ 138 BGB).
aa) Das Abtretungsverbot als solches ist nicht mit grundlegenden Wertungen
der Rechts- oder Sittenordnung unvereinbar. Gläubiger und Schuldner können
vielmehr im Rahmen ihrer Vertragsfreiheit die Abtretbarkeit einer pfändbaren
Forderung gemäß § 399, 2. Alternative BGB wirksam ausschließen. Die
Vorschrift enthält insoweit eine Ausnahme von § 137 Satz 1 BGB. Für
pfändbare Lohnforderungen ist nichts anderes bestimmt.
bb) Eine Sittenwidrigkeit des Abtretungsverbots ergibt sich auch nicht aus
einer Gesamtwürdigung des Rechtsgeschäfts unter Berücksichtigung dessen
Inhalts, seines Beweggrundes und Zwecks einschließlich der Umstände, die
zu seiner Vornahme geführt haben sowie der Motive der Parteien.
(1) Zu dem für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit maßgeblichen Zeitpunkt der
Vornahme des Rechtsgeschäfts ist die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung
(vgl. BAG, Urteil vom 20.12.1957 - 1 AZR 237/56 - AP Nr. 1 zu § 399 BGB;
Urteil vom 05.06.1960 - 1 AZR 509/57 - AP Nr. 4 zu § 399 BGB, Urteil vom
02.06.1966 - 2 AZR 322/65 - AP Nr. 8 zu § 399 BGB; LAG Tübingen, Urteil
vom 18.04.1967 - 7 Sa 8/67 - DB 1967, 1094; LAG Berlin, Urteil vom
25.06.1979 - 9 Sa 10/79 - EzA § 399 BGB Nr. 4; LAG Hamm, Urteil vom
05.10.1989 - 4 Sa 700/89 - LAGE § 399 BGB Nr. 2) trotz Kritik in der Literatur
von der grundsätzlichen Wirksamkeit von Lohnabtretungsverboten
ausgegangen. Soweit diese Rechtsprechung im Anschluss an die
Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 18.07.2006 zu
Bearbeitungsgebühren bei Lohn- oder Gehaltspfändungen (- 1 AZR 578/05 - =
NZA 07, 462) vermehrt Kritik erfahren hat (etwa ArbG Hamburg, Urteil vom
31.08.2010 - 21 Ca 176/10 - Juris), betrifft diese die Frage, ob nicht nur der
Gläubiger des Lohnanspruchs selbst, einzelvertraglich, sondern auch die
Betriebsparteien ohne Mitwirkung des Gläubigers mit normativer Wirkung ein
Lohnabtretungsverbot wirksam regeln können (zum Meinungsstand vgl. etwa
Kreutz in GK-BetrVG, 10. Aufl. (2014), § 77 Rn. 358; Richardi, BetrVG, 13. Aufl.
(2012), § 77 Rn. 106, jeweils mit umfangreichen Nachweisen).
(2) Aufgrund des weitreichenden, nicht nur Lohnansprüche erfassenden
Inhalts des in der Arbeitsordnung enthaltenen Abtretungsverbots, ist unter
Berücksichtigung der zitierten Rechtsprechung im vorliegenden Fall davon
auszugehen, dass mit dem Abtretungsausschluss neben der Lohnsicherung
auf Seiten des Arbeitnehmers in erster Linie dem Interesse der Beklagten an
einer klaren, übersichtlichen und möglichst reibungsfreien Vertragsabwicklung
in der Lohnbuchhaltung Rechnung getragen werden sollte. Dieses Interesse
der Beklagten ist berechtigt, denn ihr als Großunternehmen werden durch
Lohnabtretungen ganz erhebliche Risiken aufgebürdet. Sie muss ohne
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gerichtliche Prüfung und ohne Erteilung eines vollstreckbaren Schuldtitels
Forderungen einziehen. Unsicherheiten ergeben sich, wenn es um die
Rangfolge zwischen Lohnabtretungen und Lohnpfändungen geht. Nicht selten
führen Streitigkeiten um die Rangfolge zu gerichtlichen
Auseinandersetzungen, wie der vorliegende Fall zeigt. Sie erlangen
besondere Schärfe, wenn der Verdacht von Rückdatierungen im Raum steht.
Schwierigkeiten sieht sich ein Arbeitgeber auch dann gegenüber, wenn
Mehrfachabtretungen vorliegen. Das gilt insbesondere bei undatierten
Erklärungen oder Abtretungen mit gleichen Datum (zu alledem zutreffend: LAG
Hamm, Urteil vom 05.10.1989, aaO). Zu den rechtlichen Risiken kommt der mit
der Bearbeitung verbundene Zeit- und Kostenaufwand.
(3) Dem Interesse des Arbeitgebers wird im Wesentlichen entgegengehalten,
dem Arbeitnehmer, der nicht über Vermögen verfügt, werde durch ein
Lohnabtretungsverbot eine wesentliche Grundlage seiner Kreditfähigkeit
entzogen, was ihn in sittenwidriger Weise in seiner Dispositionsfreiheit über
sein Arbeitsentgelt einschränke.
(4) Das berechtigte Interesse des Arbeitnehmers an der Befugnis, im Voraus
über den pfändbaren Teil seiner Vergütung zu verfügen, überwiegt nach
Auffassung der Kammer jedenfalls nicht das berechtigte Interesse des
Arbeitgebers an einem vertraglichen Verdienstabtretungsausschluss. Der
Kredit des Arbeitnehmers erleidet keine erhebliche Einbuße. Dem
Arbeitnehmer wird nicht die Verfügung über bereits erworbene Rechte
genommen, sondern der Verdienstanspruch entsteht von Anfang an als nicht
abtretbares Recht. Nach Erhalt der Vergütung kann der Arbeitnehmer
uneingeschränkt über sie verfügen (vgl. BAG, Urteil vom 20.12.1957, a.a.O.).
Auch angesichts der Gefahr von Mehrfachabtretungen wird in der Praxis der
Kreditvergabe der Lohnabtretung als Sicherungsmittel nur eine eingeschränkte
Bedeutung beigemessen (vgl. BAG, Urteil vom 20.12.1957, a.a.O.; Preis, Der
Arbeitsvertrag, 4. Aufl. (2011), A II 10 Rn. 8 m.w.N.). Auf der anderen Seite
schlägt bei einem Lohnabtretungsverbot zugunsten des Arbeitnehmers zu
Buche, dass er seinen Verdienst ungeschmälert ausgezahlt erhält und bei
Inanspruchnahme durch einen Gläubiger regelmäßig ein gerichtliches
Verfahren erforderlich wird, in welchem er die Möglichkeit hat, Einwendungen
gegen die Forderung zu erheben und Vollstreckungsschutz zu beantragen
(vgl. BAG, Urteil vom 20.12.1957, aaO; Preis, aaO, Rn. 9).
c) Das vertragliche Abtretungsverbot erfasst die streitgegenständliche
Lohnforderung aus April 2013. Der am 11.09.1981 vereinbarte
Abtretungsausschluss konnte auch hinsichtlich zukünftiger Forderungen
wirksam vereinbart werden (vgl. RGZ 97, 76 (78); Palandt-Grünberg, BGB, 73.
Aufl., § 399 Rn. 8). Es kann dahinstehen, ob er auch eine zuvor vereinbarte
Vorausabtretung erfasst. Die hier streitige Vorausabtretung ist nach dem
Vorbringen der Klägerin erst 2003 vereinbart worden.
d) Anhaltspunkte dafür, dass die Berufung der Beklagten auf das vereinbarte
Abtretungsverbot gegenüber der Klägerin treuwidrig im Sinne des § 242 BGB
erfolgt, bestehen nicht.
2. Zutreffend hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dass der streitgegenständliche
Anspruch der Klägerin nicht aufgrund des Pfändungs- und
Überweisungsbeschlusses vom 14.05.2012 besteht. Dieser geht angesichts
der in der Drittschuldnererklärung aufgeführten, ihm gegenüber zeitlich
unbestritten vorrangigen Forderungen ins Leere.
II.
Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihres erfolglosen
Rechtsmittels zu tragen.
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Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen. Grundsätzliche
Bedeutung haben sowohl die Frage der Reichweite der arbeitsvertraglich
vereinbarten Geltung der Arbeitsordnung als auch die Frage, ob ein
umfassendes Lohnabtretungsverbot wirksam arbeitsvertraglich, ggf.
kollektivrechtlich vereinbart werden kann.