Urteil des LAG Niedersachsen vom 26.02.2013

LArbG Niedersachsen: anpassung, gewerkschaft, einkünfte, erhaltung, aktiven, koalitionsfreiheit, arbeitsgericht, arbeitskampf, zahl, unternehmen

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Betriebsrente
Bei einer Anpassungsentscheidung nach § 16 BetrAVG ist es den
Arbeitsgerichten auf Grund der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG
grundsätzlich untersagt, die Verwendung der Einkünfte einer Gewerkschaft
im Einzelnen zu überprüfen oder gar zu bewerten (BAG, Urteil vom 13.12.2005
- 3 AZR 217/05 - AP Nr. 57 zu § 16 BetrAVG = NZA 2007, 39).
Sind die Ausgaben höher als die Mitgliedsbeiträge, verfügt die Gewerkschaft
aber gleichzeitig über sonstige Einnahmen und Zinserträge, die zu einem
Positivsaldo führen, verpflichtet sie das noch nicht zwingend zu einer
Rentenanpassung. Vielmehr kann sich die Gewerkschaft darauf berufen,
diese Beträge seien einerseits zur Erhaltung des vorhandenen Vermögens,
das ja einem inflationsbedingten Kaufwertverlust unterliegt, und andererseits
zur Erhaltung der Arbeitskampfkraft erforderlich.
Insoweit ist der Kernbereich der Verfolgung koalitionspolitischer Zwecke
betroffen, der von Art. 9 Abs. 3 GG garantiert wird. Art. 9 III GG überlässt den
Koalitionen die Wahl ihrer Tätigkeiten und Mittel, mit denen sie die Förderung
der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen verfolgen (BVerfG, Beschluss vom
10.9.2004 - 1 BvR 1191/03 - AP 167 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = NZA 2004,
1338). Hierzu gehört insbesondere auch die Frage der Verwendung der Mittel
und welche Rücklagen für Arbeitskampfmaßnahmen gebildet werden sollen.
Eine nur eingeschränkte Kontrolle der Anpassungsentscheidung greift
jedenfalls dann, wenn die Gewerkschaft auf bestehende wirtschaftliche
Schwierigkeiten mit einem Gesamtkonzept reagiert, das nicht nur die
Betriebsrentner, sondern auch die aktiven Arbeitnehmer erfasst.
Landesarbeitsgericht Niedersachsen 3. Kammer, Urteil vom 26.02.2013, 3 Sa 600/12
B
§ 16 BetrAVG
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts C-Stadt
vom 03.04.2012 - 6 Ca 181/10 B - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Anpassung der betrieblichen Altersversorgung des
Klägers ab dem 01.07.2009.
Der Kläger war bei der Beklagten von 1972 bis zum 30.04.2002 als
Gewerkschaftssekretär, zuletzt im Rahmen eines Altersteilzeitverhältnisses,
beschäftigt. Seit dem 01.05.2002 bezieht er Altersrente und zusätzlich von der
Beklagten eine Betriebsrente durch die Unterstützungskasse ... e. V. in Höhe
von monatlich 1.940.83 €. Diese Rente wurde bisher nicht angepasst. Im Juni
2006 teilte die Beklagte dem Kläger und anderen Betriebsrentnern mit, eine
Anpassung der laufenden Versorgungsleistung zum 01.07.2006 könne nicht
vorgenommen werden. Wegen des Inhalts des Schreibens wird auf die mit
Schriftsatz des Klägers vom 21.11.2012 überreichte Kopie (Bl. 237/238 d. A.)
Bezug genommen. Der Kläger legte hiergegen keinen Widerspruch ein. Eine
weitere abschlägige Mitteilung, wegen deren Inhalts auf die mit Schriftsatz der
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Beklagten vom 14.12.2010 überreichte Kopie (Bl. 60/61 d. A.) verwiesen wird,
erhielt der Kläger unter dem 10.07.2009. Zunächst erhob er hiergegen keinen
Widerspruch. Nachdem er von einem vor dem Arbeitsgericht B-Stadt wegen der
Rentenanpassung geführten Verfahren erfuhr, wandte er gegenüber der
Beklagten mit Schreiben vom 19.02.2010 ein, diese habe ihn arglistig getäuscht,
indem sie die wirtschaftliche Situation falsch dargestellt habe.
Unstreitig verringerte sich die Zahl der Mitglieder bei der Beklagten von 2004 bis
zum Jahr 2007 von ... auf ... . Bis zum Jahr 2009 ergab sich eine weitere
Verringerung auf ... Mitglieder. Gleichzeitig reduzierte die Beklagte die
Beschäftigtenzahl von ... Vollzeitäquivalenten im Jahr 2004 auf ...
Vollzeitäquivalente im Jahr 2009. Bei den Beitragseinnahmen ergab sich eine
Minderung von ... Millionen € im Jahr 2004 auf ... Millionen € im Jahr 2009. Die
Prognose für das Jahr 2010 belief sich zum Zeitpunkt der
Anpassungsentscheidung auf ... Millionen €. Bei den Ausgaben ergab sich eine
Entwicklung von ... Millionen € im Jahr 2004 auf ... Millionen € im Jahr 2009 und
eine Ausgabenerwartung für das Jahr 2010 zum Anpassungszeitpunkt in Höhe
von ... Millionen €. Unstreitig erzielt die Beklagte neben den Beitragseinnahmen
noch sonstige Einnahmen sowie Zinserträge, und zwar in einer Höhe, die das
sich aus der Differenz zwischen Beitragseinnahmen und Ausgaben ergebende
Defizit überschreitet. Wegen der einzelnen Daten wird auf die mit Schriftsatz der
Beklagten vom 14.12.2010 überreichte Übersicht über die Beschäftigtenzahlen,
die Finanzperspektive und die Finanzdaten 2000 bis 2009 (Bl. 63 bis 65 d. A.)
Bezug genommen.
Die Beklagte ist gegenüber ca. 1000 Unterstützungsempfängern
leistungsverpflichtet. Im Jahr 2007 erbrachte sie insoweit Leistungen in Höhe
von ... Millionen € (von denen ... Millionen € nicht rückgedeckt waren), was
einem Anteil von 25,3 % der Personalkosten entspricht.
In den Jahren 2005 und 2006 gab es für die aktiven Beschäftigten keine
Entgelterhöhung. Die Anhebung im Jahr 2007 betrug 1,5 %. 2008 gab es keine
Gehaltssteigerung und im Jahr 2009 eine Steigerung um 1,2 %. Gleichzeitig
erfolgte aufgrund einer Gesamtbetriebsvereinbarung aus dem Jahr 2005 eine
Kürzung der Jahressonderzahlung von 1,5 auf 0,75 Gehälter. Drei Beschäftigte
klagten mit Erfolg gegen diese Entgeltreduzierung. Die übrigen Mitarbeiter
nahmen die Kürzung der Jahressonderzahlung, von der Arbeitnehmer in
Altersteilzeit ausgenommen waren, hin.
Der Kläger war bis zu seinem Ausscheiden als Abteilungsleiter 1 gemäß der
(früheren) Gehaltsgruppe 4, Stufe 8 (die höchste Stufe) zugeordnet. Die
Nettogehaltsentwicklung von Mitarbeitern gemäß Gehaltsgruppe 4, Stufe 8
entwickelte sich von 2002 bis 2009 negativ (- 2,9 %).
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, das Mitteilungsschreiben der Beklagten
vom 10.7.2009 genüge nicht den Anforderungen des § 16 Abs. 4 Satz 2
BetrAVG, so dass nicht von einer zu Recht unterbliebenen Anpassung
ausgegangen werden könne. Bei der Prüfung der wirtschaftlichen
Gegebenheiten müssten die erheblichen Zinseinnahmen der Beklagten
berücksichtigt werden. Im Hinblick auf die Nettoentgeltentwicklung habe die
Beklagte Entgeltsteigerungen durch Umgruppierungen oder Umstufungen oder
vertragliche Verbesserungen außer Acht gelassen. Darüber hinaus könne sich
die Beklagte bei der Vergleichsgruppe nicht auf nur eine Stufe einer bestimmten
Gehaltsgruppe beschränken. Unberücksichtigt blieben zudem Kompensationen
für Gewerkschaftssekretäre in Form von Entgelten in Aufsichtsräten, Mandaten
des Sozialversicherungssystems oder ähnlichen Institutionen. Unerheblich sei
die Kürzung der Jahressonderzahlung, weil diese rechtswidrig erfolgt sei.
Der Kläger hat beantragt,
1. die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.729,20 € zu zahlen,
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2. die Beklagte wird verurteilt, die monatlichen Leistungen aus der
betrieblichen Altersversorgung ab dem 01.04.2012 bis zum Tod des
Klägers um 52,40 € zu erhöhen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, aufgrund der wirtschaftlichen Lage sei
eine Anpassung nicht möglich. Sie könne im Wesentlichen nur auf
Mitgliederbeiträge als Einkünfte zurückgreifen. Die Verwendung dieser Einkünfte
könne bei ihr als Gewerkschaft arbeitsgerichtlich nicht überprüft werden. Die
zusätzlichen Einnahmen neben den Mitgliedsbeiträgen seien erforderlich, um
die Arbeitskampfkraft zu erhalten und zu stärken. Ein etwaiger Streik nur im
Bereich eines Bundeslandes würde innerhalb kürzester Zeit zweistellige
Millionensummen verschlingen. Darüber hinaus stehe dem Anspruch des
Klägers die negative Reallohnentwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer
entgegen. Bei der Festlegung der Gruppe vergleichbarer aktiver Arbeitnehmer
habe der Arbeitgeber einen weiten Gestaltungsspielraum.
Durch Urteil vom 03.04.2012 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und
dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Wegen der Begründung wird
auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 148 Rs. bis 150 Rs.
d. A.) Bezug genommen. Das Urteil ist dem Kläger am 26.04.2012 zugestellt
worden. Er hat hiergegen am 22.05.2012 Berufung eingelegt und diese nach
Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 26.07.2012 am
23.07.2012 begründet.
Der Kläger ist der Ansicht, das Arbeitsgericht gehe bei der Prüfung der
Entgeltentwicklung von einem falschen Referenzzeitraum aus. Da er gegen die
Anpassungsentscheidung aus dem Jahr 2006 niemals Widerspruch eingelegt
habe, sei diese „bestandskräftig“ geworden. Daher müsse die Erhöhung der
Renten für den Zeitraum von 2006 bis 2009 nicht mehr nachgeholt werden. Dem
entsprechend beziehe sich aber auch der maßgebliche Zeitraum für die
Ermittlung des Kaufpreisindexes lediglich auf die Jahre 2006 bis 2009. Dasselbe
gelte für die Entwicklung der Nettovergütung vergleichbarer Mitarbeiter, so dass
ausgehend von den Angaben der Beklagten ein leichter Anstieg der Entgelte zu
verzeichnen sei. Bei den wirtschaftlichen Daten könne nicht außer Betracht
gelassen werden, dass die Beklagte seit dem Jahr 2000 einen Überschuss von
... Millionen € erwirtschaftet habe. Außerdem verfüge sie als Miteigentümerin von
Immobilien mit beachtlichem Wert (2,5 €) über ein erhebliches Vermögen.
Wegen der Streikkosten dürfe nicht unberücksichtigt bleiben, dass es im Bereich
der X-Industrie - vorsichtig ausgedrückt - schon längere Zeit her sei, dass es
nennenswerte Streiks gegeben habe.
Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 03.04.2012, Az. 6 Ca
181/10 B, wird abgeändert,
2. es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Leistung aus
der betrieblichen Altersversorgung des Klägers ab dem 01.07.2009 um
5,31 zu erhöhen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die arbeitsgerichtliche Entscheidung nach Maßgabe ihrer
Schriftsätze vom 24.09.2012 (Bl. 200 bis 212 d. A.) sowie 11.02.2013 (Bl. 252
bis 259 d. A.).
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Entscheidungsgründe
I.
Die Berufung ist statthaft. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet
worden und damit insgesamt zulässig (§§ 66, 64 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO).
II.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet, weil das Arbeitsgericht die Klage zu
Recht abgewiesen hat.
1.
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das gemäß § 256 ZPO für den
Feststellungsantrag erforderliche Feststellungsinteresse gegeben, obwohl ein
Leistungsantrag für die Vergangenheit möglich gewesen wäre (und in I. Instanz
auch gestellt wurde). Die Beklagte hat ausdrücklich erklärt, auch auf ein
feststellendes Urteil hin eine Rentenanpassung zu gewähren.
2.
Die Klage ist jedoch nicht begründet.
a)
Der Kläger kann sein Erhöhungsverlangen trotz der Versorgung über die
Unterstützungskasse DGB e. V. gegenüber der Beklagten geltend machen.
Normadressat der Pflicht zur Anpassungsprüfung und -entscheidung ist nach §
16 I BetrAVG der Arbeitgeber.
Allerdings schließen Unterstützungskassen grundsätzlich einen
Rechtsanspruch auf die in Aussicht gestellten Versorgungsleistungen aus.
Dennoch entspricht es der ständigen Rechtsprechung des BAG, dass aus einer
Versorgungszusage unter Einschaltung einer Unterstützungskasse ein
Rechtsanspruch entsteht, der aber ganz oder teilweise aus sachlichem Grund
widerruflich ist (BAG, Urteil vom 17.5.1973 - 3 AZR 381/72 - AP 6 zu § 242 BGB
Ruhegehalt-Unterstützungskassen = NJW 73, 1946; BAG, Urteil vom
13.12.2005 - 3 AZR 217/05 - AP Nr. 57 zu § 16 BetrAVG = NZA 2007, 39
b)
Die Beklagte ist nicht gemäß § 16 Abs. 1 BetrAVG verpflichtet, die monatlichen
Rentenzahlungen des Klägers beginnend mit dem 01.07.2009 zu erhöhen.
Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Anpassung gemäß § 16 Abs. 4 Satz 2
BetrAVG als zu Recht unterblieben gilt, weil die Beklagte die wirtschaftliche Lage
schriftlich dargelegt und der Kläger dieser Mitteilung nicht binnen drei Monaten
nach Zugang schriftlich widersprochen hat. Ferner braucht nicht untersucht zu
werden, ob eine Anpassung gemäß § 16 Abs. 2 Nr. 2 BetrAVG unterbleiben
konnte, weil die Nettolöhne vergleichbarer Arbeitnehmer im Prüfungszeitraum
nicht angestiegen sind. Denn eine Anpassung scheidet schon deshalb aus, weil
dem die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers entgegensteht.
Nach § 16 Abs. 1 BetrAVG hat der Arbeitgeber alle drei Jahre eine Anpassung
der laufenden Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zu prüfen und
hierüber nach billigem Ermessen zu entscheiden. Dabei sind insbesondere die
Belange des Versorgungsempfängers und die wirtschaftliche Lage des
Arbeitgebers zu berücksichtigen. Es ist in entsprechender Anwendung des §
315 Abs. 2 und Abs. 3 BGB zu überprüfen, ob der Arbeitgeber bei seiner
Anpassungsentscheidung den ihm eingeräumten Ermessensspielraum
überschritten hat.
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überschritten hat.
Bei der wirtschaftlichen Lage ist grundsätzlich auf den Anpassungsstichtag
abzustellen. Beurteilungsgrundlage ist die wirtschaftliche Entwicklung des
Arbeitgebers in der Zeit vor dem Anpassungsstichtag, soweit daraus Schlüsse
für die weitere Entwicklung gezogen werden können. Die tatsächliche
wirtschaftliche Entwicklung in der Zeit nach dem Anpassungsstichtag kann die
frühere Prognose entweder bestätigen oder entkräften (BAG, Urteil vom
17.04.1996 - 3 AZR 56/95 - AP Nr. 35 zu § 16 BetrAVG = NZA 97, 155). Der
Begriff der wirtschaftlichen Lage ist dabei nicht gleichbedeutend mit dem Begriff
einer „Notlage“. In jedem Fall haben aber die Erhaltung des Betriebes und die
Sicherung der Arbeitsplätze Vorrang vor der Befriedigung des
Anpassungsbedarfs (BAG, Urteil vom 14.12.1993 - 3 AZR 519/93 - AP Nr. 29 zu
§ 16 BetrAVG = NZA 94, 551). Bei einem am Markt tätigen Unternehmen ist eine
die Anpassung ausschließende Belastung dann anzunehmen, wenn der
Teuerungsausgleich nicht aus dem Wertzuwachs des Unternehmens und
dessen Erträgen in der Zeit nach dem Anpassungsstichtag aufzubringen ist.
Dabei muss eine angemessene Kapitalverzinsung erhalten bleiben. Diese
besteht aus einem Basiszinssatz, der der Umlaufrendite öffentlicher Anleihen
entspricht, sowie einem für alle Unternehmen einheitlichen Risikozuschlag von 2
% (BAG, Urteil vom 23.05.2000 - 3 AZR 146/99 - AP Nr. 45 zu § 16 BetrAVG =
NZA 2001, 1251; BAG, Urteil vom 23.01.2001 - 3 AZR 287/00 - AP Nr. 46 zu §
16 BetrAVG = NZA 2002, 560).
Besonderheiten müssen aber für Gewerkschaften gelten, weil sie nicht am Markt
mit dem Ziel der Gewinnerzielung tätig sind und ihnen als Einkünfte im
Wesentlichen lediglich Mitgliedsbeiträge zur Verfügung stehen. Darüber hinaus
genießt eine Gewerkschaft den verfassungsrechtlichen Schutz der
Koalitionsfreiheit aus Art 9 Abs. 3 GG, der es den Gerichten für Arbeitssachen
grundsätzlich untersagt, die Verwendung der Einkünfte im Einzelnen zu
überprüfen oder gar zu bewerten. Andererseits muss aber auch eine
Gewerkschaft, wie jeder andere Arbeitgeber, die Verbindlichkeiten erfüllen, die
sie gegenüber ihren Arbeitnehmern übernommen hat (BAG, Urteil vom
13.12.2005 - 3 AZR 217/05 - AP Nr. 57 zu § 16 BetrAVG = NZA 2007, 39).
Ein starkes Indiz für erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten und damit die
Erforderlichkeit von Einsparungen ist ein Rückgang im Bereich der
Beschäftigten (BAG, Urteil vom 11.12.2001 - 3 AZR 512/00 - AP Nr. 36 zu § 1
BetrAVG Ablösung = NZA 2003, 1414). Die Zahl der Mitarbeiter der Beklagten ist
in der Zeit seit 1998 kontinuierlich gesunken. Im Dezember 1998 gab es noch ...
Vollzeitäquivalente und im Dezember 2002, dem Jahr als der Kläger in den
Ruhestand gegangen ist, ... Vollzeitäquivalente. Im Dezember 2006, also zu
dem Zeitpunkt der letzten Anpassungsentscheidung, gab es ...
Vollzeitäquivalente und im Dezember 2009 nur noch ... Vollzeitäquivalente.
Dabei lag in keinem der Jahre der Beschäftigungsrückgang unter 1,7 %. Ein
weiteres Indiz für wirtschaftliche Schwierigkeiten ergibt sich daraus, dass die
Beklagte an ihre mittlerweile über 1.000 Unterstützungsempfänger
Unterstützungsleistungen in Höhe von 25,3 % der Personalkosten des Jahres
2007 gezahlt hat. Gleichzeitig sind die Beitragseinnahmen in den Jahren von
2000 bis 2009 kontinuierlich zurückgegangen, wobei sie allerdings in dem
Zeitraum von 2006 bis 2009 weitgehend konstant waren. Die Ausgaben lagen
aber in all den Jahren jeweils deutlich über den Beitragseinnahmen. Der
Mitgliederrückgang hat sich in dem gesamten Zeitraum seit dem Ruhestand des
Klägers kontinuierlich fortgesetzt, so dass ein weiterer Beitragsrückgang zu
erwarten war.
Zwar weist der Kläger zu Recht darauf hin, dass eine Berücksichtigung der von
der Beklagten angegebenen sonstigen Einnahmen und der Zinserträge zu
einem Positivsaldo führen würde. Das verpflichtet die Beklagte aber nicht zu
einer Rentenanpassung. Die Beklagte macht insoweit zu Recht geltend, diese
Beträge seien einerseits zur Erhaltung des vorhandenen Vermögens, das ja
einem inflationsbedingten Kaufwertverlust unterliegt, und zur Erhaltung der
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Arbeitskampfkraft erforderlich. Dabei ist unstreitig, dass etwaige kurzfristige
Streiks auch in nur einem Bundesland möglicherweise zweistellige
Millionensummen verschlingen können. Die Kammer durfte in diesem
Zusammenhang nicht etwa überprüfen, ob tatsächlich Arbeitskampfmaßnahmen
zu erwarten sind, welchen Umfang diese möglicherweise haben und welche
Auswirkungen das auf die Finanzlage der Beklagten hätte. Das Gericht ist auch
nicht befugt zu untersuchen, ob etwa aus der Tatsache, dass in der
Vergangenheit größere Streiks durch die Beklagte nicht geführt wurden, daraus
geschlossen werden kann, dies werde auch künftig möglicherweise nicht der
Fall sein. Die Gerichte für Arbeitssachen sind nämlich nicht berechtigt, die
Verfolgung der koalitionspolitischen Zwecke durch die Gewerkschaften zu
überprüfen. Denn ebenso wenig wie ein Unternehmer von der Verfolgung
wirtschaftlicher Ziele absehen, etwa seine Produktion einschränken muss, um
Rentenanpassungen vorzunehmen oder Versorgungswerke unverändert
fortführen zu können, hat eine Gewerkschaft die Pflicht, ihre koalitionspolitischen
Aufgaben wegen künftig anwachsender Versorgungsverbindlichkeiten zu
reduzieren oder die Intensität ihrer Aufgabenwahrnehmung einzuschränken.
Diese Fragen betreffen vielmehr den Kernbereich der Verfolgung
koalitionspolitischer Zwecke, der von Art. 9 Abs. 3 GG garantiert wird. Durch das
Grundrecht der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 III GG wird nicht nur der Einzelne,
sondern auch die Koalition selbst in ihrem Bestand, ihrer organisatorischen
Ausgestaltung und in ihren koalitionsspezifischen Betätigungen geschützt
(BVerfG Beschluss vom 24.4.1996 - 1 BvR 712/86 - AP 2 zu § 57a HRG = NZA
96, 1157; Beschluss vom 10.9.2004 - 1 BvR 1191/03 - AP 167 zu Art. 9 GG
Arbeitskampf = NZA 2004, 1338; BAG, Urteil vom 7.7.2010 - 4 AZR 549/08 - AP
140 zu Art. 9 GG = NZA 2010, 1068; Schaub/Treber § 190 Rn. 19). Art. 9 III GG
überlässt den Koalitionen die Wahl ihrer Tätigkeiten und Mittel, mit denen sie die
Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen verfolgen (BVerfG,
Beschluss vom 10.9.2004 - 1 BvR 1191/03 - AP 167 zu Art. 9 GG Arbeitskampf
= NZA 2004, 1338; Schaub/Treber § 190 Rn. 26). Hierzu gehört insbesondere
auch die Frage der Verwendung der Mittel und welche Rücklagen für eventuelle
Arbeitskampfmaßnahmen gebildet werden sollen. Berührt eine
arbeitsgerichtliche Entscheidung die Koalitionsfreiheit, müssen die Gerichte der
Bedeutung dieses Grundrechts bei der Auslegung und Anwendung des
Privatrechts Rechnung tragen (BVerfG, Beschluss vom 14.11.1995 AP AP 80 zu
Art. 9 GG = NZA 96, 381). Das gilt auch für die Auslegung von § 16 BetrAVG,
der die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Situation bei einer
Anpassungsentscheidung vorsieht.
Ob die Bildung von Rücklagen generell keiner Überprüfung durch die
Arbeitsgerichte unterliegt oder ob das nur dann gilt, wenn bestehende
wirtschaftliche Probleme sowohl zur Einbußen bei den Betriebsrentnern als auch
bei den aktiven Mitarbeitern führen, braucht im vorliegenden Fall nicht
entschieden werden. Eine nur eingeschränkte Kontrolle greift nach Ansicht der
Kammer jedenfalls dann, wenn die Gewerkschaft auf bestehende wirtschaftliche
Schwierigkeiten mit einem Gesamtkonzept reagiert, das nicht nur die
Betriebsrentner, sondern auch die aktiven Arbeitnehmer erfasst. Die Beklagte
hat sich in dem maßgeblichen Zeitraum nicht etwa darauf beschränkt, die
Leistungen im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung einzuschränken bzw.
Rentenanpassungen abzulehnen. Gleichzeitig hat sie vielmehr entweder keine
Gehaltssteigerungen vorgenommen oder lediglich Steigerungen, die den
Anstieg der Lebenshaltungskosten nicht kompensierten. Das gilt insbesondere
unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das Gros der Beschäftigten aufgrund
der Kürzung der Jahressonderzahlung seit 2005 deutliche Gehaltseinbußen
hinnehmen musste. Ob dies rechtmäßig geschehen ist, woran aufgrund der
erfolgreichen Klagen dreier Mitarbeiter Zweifel bestehen könnten, ist im
vorliegenden Fall nicht zu entscheiden. Allein entscheidend ist, dass tatsächlich
eine entsprechende Entgeltentwicklung eingetreten ist; dies insbesondere auch
wohl deshalb, weil die Mehrheit der Mitarbeiter und der Betriebsrat die
Erforderlichkeit solcher Maßnahmen angenommen haben. Darüber hinaus hat
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die Beklagte in dem maßgebenden Zeitraum auch die Zahl der aktiven
Mitarbeiter deutlich kontinuierlich verringert.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.