Urteil des LAG Köln vom 29.03.2010
LArbG Köln (kläger, bag, treu und glauben, arbeitsverhältnis, feststellungsklage, juristische person, arbeitgeber, bezug, arbeitsvertrag, verweisung)
Landesarbeitsgericht Köln, 5 Sa 1322/09
Datum:
29.03.2010
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 Sa 1322/09
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Bonn, 4 Ca 1458/09
Schlagworte:
Bezugnahmeklause
Normen:
§ 1 TVG
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
1. Bei arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklauseln ist zwischen kleiner
dynamischer Bezugnahme und großer dynamischer Bezugnahme
(Tarifwechselklausel) zu unterscheiden (im Anschluss an BAG, Urteil
vom 22.10.2008 - 4 AZR 784/07).
2: Es würde gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB
verstoßen, eine vom Wortlaut her als kleine dynamische
Bezugnahmeklausel ausgestaltete Klausel als Tarifwechselklausel zu
interpretieren.
Tenor:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Bonn vom 14.10.2009 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d :
1
Die Parteien streiten darum, welche Tarifverträge auf ihr Arbeitsverhältnis anwendbar
sind.
2
Der am 21.03.1949 geborene Kläger war zunächst als Beamter bei der D B seit dem
Jahre 1970 beschäftigt. Zum 01.07.1998 wurde eine Insichbeurlaubung gemäß § 4
Postpersonalrechtsgesetz ausgesprochen. Ferner wurde ein Arbeitsvertrag mit der D T
AG am 14.07.1998 (Bl. 7 f. d. A.) abgeschlossen. Im Kopf dieses Arbeitsvertrages war
als Arbeitgeber die D T AG und als Arbeitnehmer der Kläger ausgewiesen. In dem
Arbeitsvertrag hieß es, dass die für den Arbeitgeber geltenden Tarifverträge in der
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jeweiligen Fassung auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden seien.
Die diesbezüglichen tarifvertraglichen Regelungen waren als Firmentarifverträge
zwischen der Gewerkschaft ver.di und der D T AG ausgehandelt worden. Als Arbeitszeit
galt aufgrund dieser tarifvertraglichen Bestimmungen in der ersten Jahreshälfte 2007
eine Wochenarbeitszeit von 34 Stunden.
4
Am 25.06.2007 kam es zu einem Teilbetriebsübergang gemäß § 613 a BGB bezüglich
des Bereichs, in dem der Kläger arbeitet. Die D T AG wurde in verschiedene Bereiche
aufgeteilt, u. a. in die Beklagte, die D T K GmbH. Der Kläger, der in diesem Bereich
arbeitete wurde über den Übergang seines Arbeitsverhältnisses zur Beklagten
informiert. Die Insichbeurlaubung wurde widerrufen. Ferner wurde dem Kläger mit
Schreiben vom 21.06.2007 Sonderurlaub für die Tätigkeit bei der Beklagten (Bl. 70 d.
A.) gewährt.
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Die Beklagte schloss mit der Gewerkschaft ver.di für ihren Bereich einen neuen
firmenbezogenen Manteltarifvertrag (Bl. 3 d. A.) ab, der eine 38-Stunden-Woche vorsah
und gegenüber der ursprünglichen tarifvertraglichen Entgeltregelung eine Kürzung um
ca. 6,5 % vorsah. Zudem wurde in diesem Manteltarifvertrag der Samstag als
Regelarbeitstag festgelegt.
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Mit Schreiben vom 30.04.2008 bot die Beklagte dem Kläger den Abschluss eines neuen
Arbeitsvertrages an, der eine Bezugnahmeklausel auf die bei der Beklagten geltenden
Tarifverträge enthielt (Bl. 13-19 d. A.). Diesen Vertrag unterzeichnete der Kläger nicht.
7
Mit Anfrage vom 29.10.2008 (Bl. 49 d. A.) fragte der Kläger die Beklagte an, auf welcher
arbeitsvertraglichen Basis sei Arbeitsverhältnis durchgeführt werde. Darauf erhielt er die
Antwort (Bl. 49 d. A.), dass das Arbeitsverhältnis auf der Basis des bisherigen
Arbeitsvertrages durchgeführt werde, und der Arbeitsvertrag von keiner Seite gekündigt
worden sei.
8
Mit Schreiben vom 03.04.2009 (Bl. 20, 21 d. A.) begehrte der Kläger die Entgeltzahlung
nach den Tarifverträgen der D T AG. Er vertrat hierzu den Standpunkt, dass auf das
Arbeitsverhältnis diese Tarifverträge der D T AG anwendbar seien und nicht die später
von der Beklagten abgeschlossenen Firmentarifverträge mit ihren verschlechterten
Bedingungen hinsichtlich Arbeitszeit und Entgelt.
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Mit Schreiben vom 22.04.2009 (Bl. 22 d. A.) lehnte die Beklagte diesen Anspruch ab.
10
Der Kläger hat daraufhin Feststellungsklage erhoben mit dem Ziel, feststellen zu lassen,
dass auf das Arbeitsverhältnis die Tarifverträge, die mit der D T AG geschlossen worden
seien, mit dem Tarifstand 24.06.2007 weiterhin anwendbar seien.
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Durch Urteil vom 14.10.2009 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben und
festgestellt:
12
"1. Es wird festgestellt, dass auf das Arbeitsverhältnis die Tarifverträge der D T
AG (Tarifstand: 24.06.2007) anzuwenden sind."
13
Gegen dieses Urteil richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und nach
Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist auch innerhalb der verlängerten Frist
14
ordnungsgemäß begründete Berufung der Beklagten.
Zur Begründung ihrer Berufung macht die Beklagte geltend, die Feststellungsklage sei
bereits nicht zulässig. Der Feststellungsantrag sei nicht ausreichend bestimmt. Durch
die Entscheidung über den Feststellungsantrag würden die entscheidungserheblichen
Fragen nicht beantwortet. Eine Leistungsklage sei vorrangig. Zu Unrecht habe sich das
Arbeitsgericht zudem auf die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln vom
25.03.2009 – 9 Sa 1147/08 – berufen. Denn jener Entscheidung habe eine andere
Bezugnahmeklausel zugrundegelegen als im vorliegenden Fall.
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In der Sache sei im vorliegenden Fall von einer Tarifwechselklausel auszugehen. Es
handele sich nicht nur um eine kleine dynamische Bezugnahmeklausel, sondern um
eine Klausel, die den Tarifwechsel erfasse. Dabei sei zu berücksichtigen, dass im
vorliegenden Fall kein Branchenwechsel stattgefunden habe. Auch ein
Verbandswechsel liege nicht vor, vielmehr handele es sich um Tarifverträge, die von
derselben Gewerkschaft geschlossen worden seien. Vor diesem Hintergrund könne
angenommen werden, dass die Bezugnahmeklausel einen Arbeitgeberwechsel
innerhalb des Konzerns ohne Verbandswechsel und ohne Branchenwechsel erfasse.
Die gegenteilige Auffassung führe im Übrigen zu verfassungsrechtlich nicht haltbaren
Ergebnissen, weil dadurch eine Sanierung und eine einheitliche Gestaltung der
Arbeitsbedingungen in den durch Betriebsteilübergang entstandenen Betrieben
unmöglich gemacht werde.
16
Unabhängig hiervon sei ein Anspruch auch deshalb nicht gegeben, weil es infolge der
Praktizierung der Tarifverträge bei der Beklagten ab dem Zeitpunkt des
Betriebsübergangs, die der Kläger widerspruchslos hingenommen habe, zu einer
konkludenten Vertragsabänderung gekommen sei, so dass ab diesem Zeitpunkt das
Tarifwerk der Beklagten in Bezug genommen worden sei.
17
Schließlich sei der Anspruch des Klägers auch verwirkt, denn dieser habe erstmals
nach mehr als 20 Monaten nach dem Betriebsteilübergang durch sein Schreiben vom
03.04.2009 die Anwendung der ursprünglichen geltenden Tarifverträge verlangt.
Angesichts dieser langen Zeitspanne müsse sich der Kläger Verwirkung
entgegenhalten lassen.
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Wegen weiterer Einzelheiten des umfangreichen Vorbringens der Beklagten wird auf
die Ausführungen der Beklagten in der Berufungsbegründung Bezug genommen.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 14.10.2009 abzuändern und die Klage
insgesamt abzuweisen.
21
Der Kläger beantragt,
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die Berufung der Beklagten kostenpflichtig zurückzuweisen.
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Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil mit Rechtsausführungen. Wegen der
Einzelheiten wird auf die Berufungserwiderung des Klägers Bezug genommen.
24
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
25
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und nach Verlängerung
der Berufungsbegründungsfrist auch fristgerecht begründete Berufung hatte in der
Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat das Arbeitsgericht dem Feststellungsantrag des
Klägers stattgegeben.
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I. Die Feststellungsklage ist zulässig. Die Zulässigkeit ergibt sich aus § 256 Abs. 1 ZPO.
Eine Feststellungsklage kann sich auf einzelne Beziehungen oder Folgen aus einem
Rechtsverhältnis, auf bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen oder auf den Umfang
einer Leistungspflicht beschränken. Es handelt sich dann um eine sogenannte
Elementenfeststellungsklage. Andererseits kann aber auch die Anwendbarkeit eines
bestimmten Tarifvertrages oder Tarifwerks auf ein Arbeitsverhältnis Gegenstand einer
Feststellungsklage sein (s. BAG, Urteil vom 22.10.2008 – 4 AZR 784/07 – NZA 2009,
151 ff.). Dabei kann an die Feststellungsklage nicht die Anforderung gestellt werden,
alle theoretischen oder rechtsdogmatisch denkbaren Fragen zu klären. Denn das
Feststellungsinteresse ist bereits dann gegeben, wenn die Feststellungsklage geeignet
ist, den Streit der Parteien über den Umfang künftiger gegenseitiger Leistungspflichten
zu bereinigen. Dazu ist es nicht erforderlich, diese Leistungspflichten im Einzelnen in
den Antragswortlaut selbst aufzunehmen, wenn sich der Streit über konkrete
Leistungspflichten jedenfalls aus der Klagebegründung ergibt (s. BAG, Urteil vom
29.08.2007 – 4 AZR 765/06 – AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 62). Im
vorliegenden Fall sind diese konkreten Streitpunkte in der Klagebegründung genannt
und in das Verfahren eingeführt worden. Es geht insbesondere um die Dauer der
wöchentlichen Arbeitszeit – 34 oder 38 Stunden pro Woche, die Entgelthöhe und die
Frage, ob der Samstag ein Regelarbeitstag ist. Der Streit hierüber kann durch eine
Feststellungsklage beseitigt werden, so dass insoweit auch nicht der Vorrang der
Leistungsklage entgegengehalten werden kann. Angesichts dessen ist die
Feststellungsklage zulässig (ebenso für prozessual vergleichbare Situationen LAG
Köln, Urteil vom 25.03.2009 – 9 Sa 1147/06; LAG Schleswig-Holstein; Urteil vom
13.05.2009 – 6 Sa 390/08).
27
II. Die Feststellungsklage ist auch begründet.
28
Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge der D T AG mit dem Tarifstand
24.06.2007 Anwendung.
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1. Durch die Bezugnahmeklausel aus dem Arbeitsvertrag vom 14.07.1998 sind die
Tarifverträge der D T AG rechtswirksam in das Arbeitsverhältnis einbezogen worden.
Unstreitig ist der Kläger nicht Gewerkschaftsmitglied und daher nicht tarifgebunden.
Tarifverträge der D T AG konnten daher nur durch vertragliche Einbeziehung
Vertragsinhalt werden. Dies ist aufgrund der Bezugnahmeklausel des Arbeitsvertrages
vom 14.07.1998 geschehen. Da es sich um einen Altfall i. S. d. Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 18.04.2007 – 4 AZR 652/05 – NZA 2007, 965)
handelt, profitiert die Beklagte hiervon insoweit, als die Dynamisierung mit dem
Betriebsinhaberwechsel durch den Teilbetriebsübergang am 25.06.2007 endet und das
Tarifwerk anschließend nur noch statisch in der am 24.06.2007 geltenden Fassung
weitergilt.
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2. Ein Tarifwechsel auf die bei der Beklagten geltenden Tarifverträge hat hingegen nicht
stattgefunden.
31
a. Nach der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung ist bei
Dynamisierungsklauseln zwischen dem Typus der sogenannten kleinen dynamischen
Bezugnahmeklausel, bei der sich die Dynamik allein auf das zeitliche Moment bezieht,
und der sogenannten großen dynamischen Verweisung oder Tarifwechselklausel zu
unterscheiden (s. BAG, Urteil vom 22.10.2008 – 4 AZR 784/07 – NZA 2009, 151 mit
umfangreichen Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur). Charakteristikum der
großen dynamischen Verweisung oder auch Tarifwechselklausel ist, dass sie nicht nur
in zeitlicher, sondern auch in betrieblicher und fachlicher Hinsicht dynamisch wirkt.
Arbeitsvertragsparteien haben insoweit die Möglichkeit die Rechtsfolgen eines
Tarifwechsels zu vereinbaren und damit auch den Umfang der Inbezugnahme zu
bestimmen. Insbesondere ist es den Arbeitsvertragsparteien mit Hilfe einer
Tarifwechselklausel möglich, die Bindung an neue Tarifverträge auch dann sicher zu
stellen, wenn es zu einem Arbeitgeber- oder einem Verbandswechsel kommt und sich
hierdurch die Tarifbindung des Arbeitgebers ändert. Zu beachten ist allerdings, dass
grundsätzlich eine sogenannte kleine dynamische Verweisung über ihren Wortlaut
hinaus nur dann als sogenannte große dynamische Verweisung ausgelegt werden
kann, wenn sich dies aus besonderen Umständen ergibt. Der Wille zum Tarifwechsel
kann nicht einfach unterstellt werden. Für ihn müssen vielmehr besondere
Anhaltspunkte gegeben sein (s. BAG, Urteil vom 22.10.2008 – 4 AZR 784/07 – NZA
2009, 151 ff., Rn. 22; BAG, Urteil vom 29.08.2008 – 4 AZR 785/06 – AP TVG § 1
Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 62 Rn. 29 m. w. N.).
32
Im vorliegenden Fall kann die Bezugnahmeklausel nicht als Tarifwechselklausel
ausgelegt werden. Nach §§ 133, 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie die
Parteien sie nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen
mussten. Dabei ist vom Wortlaut auszugehen. Zur Ermittlung des wirklichen Willens der
Parteien sind aber auch die außerhalb der Vereinbarung liegenden Umstände
einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen.
Dies gilt auch für dynamische Verweisungsklauseln (BAG, Urteil vom 18.04.2007 – 4
AZR 652/05 – NZA 2007, 965).
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Weder der Wortlaut noch sonstige Auslegungsgesichtspunkte führen hier zu dem
Ergebnis, dass eine Tarifwechselklausel angenommen werden könnte.
34
b. Der Wortlaut der Bezugnahmeklausel erfasst nur eine kleine dynamische
Verweisung, denn im Kopf des Arbeitsvertrages ist bereits definiert, wer als Arbeitgeber
gemeint ist, auf den sich die Bezugnahmeklausel bezieht. Im Kopf des Arbeitsvertrages
heißt es nämlich, dass Arbeitgeber die D T AG sei. Wenn im anschließenden
Vertragstext alsdann die Bezugnahmeklausel auf die beim Arbeitgeber geltenden
Tarifverträge Bezug nimmt, kann dies vom Wortlaut her nur dahingehend verstanden
werden, dass die bei der D T AG geltenden Tarifverträge einbezogen werden sollten.
Eine explizite Tarifwechselklausel hätte demgegenüber so lauten müssen, dass auf die
bei dem jeweiligen Arbeitgeber geltenden Tarifverträge Bezug genommen worden wäre.
Eine Tarifwechselklausel könnte auch dadurch zum Ausdruck gebracht werden, dass
nicht auf die Tarifverträge eines Arbeitgebers, sondern auf die Tarifverträge einer
Branche Bezug genommen worden wäre. Schließlich wäre eine Tarifwechselklausel
auch in der Form denkbar, dass vertraglich festgelegt würde, dass im Fall des
Betriebsinhaberwechsels die für den Betriebserwerber geltenden Tarifverträge
maßgeblich sein sollen. Von all diesen Möglichkeiten ist jedoch kein expliziter
Gebrauch gemacht worden. Der Wortlaut der Bestimmung stellt allein auf den konkreten
im Vertrag selbst definierten Arbeitgeber, nämlich die D T AG ab. Aus dem Wortlaut
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kann daher keine Tarifwechselklausel abgeleitet werden.
c. Besondere Umstände, die über den Wortlaut hinaus eine Auslegung als
Tarifwechselklausel begründen könnten, liegen im vorliegenden Fall nicht vor. Der
Arbeitsvertrag mit der Bezugnahmeklausel ist 1998 geschlossen worden. Dass die
Arbeitsvertragsparteien zu diesem Zeitpunkt an die Möglichkeit eines
Teilbetriebsübergangs und damit an die Möglichkeit eines Tarifwechsels gedacht
hätten, ist nicht ersichtlich. Vielmehr ist die Aufspaltung und damit die Möglichkeit eines
Tarifwechsels erst Jahre später erfolgt und konnte daher nicht Teil der Willensbildung
der Vertragsparteien bei Abschluss des Arbeitsvertrages vom 14.07.1998 sein. Die
Kammer hat des Weiteren das nachvollziehbare Argument der Beklagten erwogen, es
habe sich im vorliegenden Fall nicht um einen Branchenwechsel, sondern nur um einen
Arbeitgeberwechsel innerhalb derselben Branche gehandelt. Letztlich konnte diesem
Argument nicht gefolgt werden, weil es sich um die Auslegung einer vertraglichen
Abrede handelt. Für diese ist es aber grundsätzlich ohne Bedeutung, ob sich die
Tarifgebundenheit des Arbeitgebers durch einen Arbeitgeberwechsel infolge eines
Betriebsübergangs oder durch einen Verbandswechsel des Arbeitgebers ändert (s.
BAG, Urteil vom 22.10.2008 – 4 AZR 784/07 – NZA 2009, 151 ff., Rn. 23). Eine solche
Differenzierung ist auch in der Bezugnahmeklausel selbst nicht angelegt. Würde man
sie, der Auffassung der Beklagten folgend, als Tarifwechselklausel verstehen, würde sie
sämtliche Fälle des Tarifwechsels erfassen. Die Auslegung kann nicht in Abhängigkeit
von dem nachträglichen Umstand variiert werden, ob konkret ein Branchenwechsel mit
dem Arbeitgeberwechsel verbunden war oder nicht. Gleiches gilt für die Überlegung, die
Auslegung davon abhängig zu machen, ob ein Arbeitgeberwechsel innerhalb des
Konzerns oder außerhalb des Konzerns stattfinde. Denn auch insoweit differenziert die
Bezugnahmeklausel nicht. Würde man die Bezugnahmeklausel als Tarifwechselklausel
auslegen, wäre sowohl der Tarifwechsel innerhalb des Konzerns als auch der
außerhalb des Konzerns erfasst. Vor diesem Hintergrund kann schließlich auch nicht
maßgebend sein, ob trotz des Tarifwechsels die tarifschließende Gewerkschaft
identisch geblieben ist oder nicht. Auch insoweit enthält die Bezugnahmeklausel keinen
Ansatz der Differenzierung.
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Es würde zudem der Vertragstransparenz nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB
widersprechen, ohne Anhaltspunkte im Wortlaut zu haben, eine Tarifwechselklausel mit
zusätzlichen Differenzierungen zu versehen. Zwar sind dynamische
Bezugnahmeklauseln grundsätzlich nicht überraschend i. S. d. § 305 c BGB und
verstoßen auch nicht gegen das Transparenzgebot nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB (s.
BAG, Urteil vom 24.09.2008 – 6 AZR 76/07 – nZA 2009, 154). Mit dem
Transparenzgebot ließ sich jedoch nicht vereinbaren, wenn eine vom Wortlaut her als
kleine dynamische Bezugnahme zu verstehende Klausel über ihren Wortlaut hinaus als
große dynamische Bezugnahme, also als Tarifwechselklausel ausgelegt würde und die
Anwendbarkeit dieser Tarifwechselklausel alsdann von Differenzierungen abhängig
gemacht würde, die im Wortlaut der Klausel überhaupt nicht erwähnt sind.
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d. Ein anderes Ergebnis kann auch nicht aus dem Gleichstellungszweck einer
Bezugnahmeklausel abgeleitet werden. Zwar ist richtig, dass für Arbeitnehmer, die
selbst Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft und daher unmittelbar tarifgebunden
sind, die Tarifverträge des Betriebserwerbers wegen § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB zur
Anwendung kommen. Dies kann im Fall eines Betriebsinhaberwechsels dazu führen,
dass für die nicht unmittelbar tarifgebundenen Arbeitnehmer aufgrund einer kleinen
dynamischen Bezugnahme die bisherigen Tarifverträge statisch weitergelten, während
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für die unmittelbar tarifgebundenen Arbeitnehmer die neuen Tarifverträge des
Betriebserwerbers maßgebend werden. Dies rechtfertigt aber keine analoge
Anwendung des § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB auf die nicht unmittelbar tarifgebundenen
Arbeitnehmer (s. BAG, Urteil vom 29.08.2007 – 4 AZR 765/06 – AP TVG § 1
Inbezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 62, Rz. 33). Auch aus einem Grundsatz der
Tarifeinheit kann ein solches Ergebnis nicht abgeleitet werden (s. BAG, Urteil vom
22.10.2008 – 4 AZR 784/07 – NZA 2009, 151 Rz. 27); abgesehen davon, dass ohnehin
eine Änderung der Rechtsprechung zur Tarifeinheit durch das Bundesarbeitsgericht
beabsichtigt ist (s. BAG, Beschluss vom 27.01.2010 – 4 AZR 549/08).
e. Die von der Beklagtenseite vorgebrachten verfassungsrechtlichen Aspekte
rechtfertigen ebenfalls keine andere Beurteilung. Die Beklagte macht geltend, dass die
Bezugnahmeklausel, falls man sie nur als kleine dynamische Bezugnahmeklausel
verstehen, eine Sperrwirkung nach unten entfalte. Demgegenüber ist darauf
hinzuweisen, dass die Bezugnahmeklausel eine freiwillige vertragliche Vereinbarung
der Arbeitsvertragsparteien ist. Insoweit liegt eine freiwillig eingegangene Bindung der
Beklagtenseite vor. Würde man der Argumentation der Beklagtenseite folgen, hieße
dies, dass kleine dynamische Bezugnahmeklauseln in Fällen der vorliegenden Art
unzulässig wären. Unzulässig wäre es demzufolge insbesondere, die von der
Beklagtenseite gerügt Sperrwirkung nach unten vertraglich zu vereinbaren. Dabei würde
verkannt, dass es Teil der Vertragsfreiheit ist, einen solchermaßen gearteten
Bestandsschutz zu vereinbaren. Zwar besteht kein Anspruch eines Arbeitnehmers
darauf, eine solche Vereinbarung zu erzwingen. Die durch eine kleine dynamische
Bezugnahmeklausel erwirkte Sperrwirkung nach unten liegt aber im Rahmen der
Vertragsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien.
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3. Von einer stillschweigenden Abänderung des Arbeitsvertrages im Sinne einer
Bezugnahme auf die neuen bei der Beklagten geltenden Tarifverträge kann nicht
ausgegangen werden. Dagegen spricht schon, dass der Kläger das diesbezügliche
schriftliche Vertragsangebot der Beklagtenseite, das diese ihm wenigen Monate nach
dem Betriebsübergang gemacht hat, nicht angenommen hat. Aufgrund dieser
Nichtannahme des Vertragsangebots der Beklagten kann bereits ein konkludenter
Abänderungswille im Hinblick auf die tarifvertragliche Bezugnahme nicht unterstellt
werden. Da zwischen den Betriebsübergang im Juni 2007 und dem Änderungsangebot
im April 2008 nur etwa 10 Monate lagen, kann aus dieser Zeitdauer auch nicht auf eine
langandauernde vom Abänderungswillen getragene Vertragspraxis geschlossen
werden (s. dazu BAG, Urteil vom 01.08.2001 – 4 AZR 129/00 – NZA 2003, 924). Das
Abänderungsangebot der Beklagten unterstreicht zudem, dass auch die Beklagte nicht
von einer stillschweigend zustande gekommenen Änderung ausging, sondern einen
abändernden Arbeitsvertrag für erforderlich hielt.
40
4. Schließlich kann die Geltendmachung der Anwendung der bei der D T AG geltenden
Tarifverträge nicht als verwirkt angesehen werden. Bereits wegen der Ablehnung, das
geänderte Vertragsangebot zu akzeptieren, kann für die Zeit nach dem 30.04.2008
weder von einem Zeitmoment noch von einem entsprechenden Umstandsmoment
ausgegangen werden. Die davorliegende Zeit reicht für das Zeitmoment nicht aus.
Zudem fehlen Anhaltspunkte für das entsprechende Umstandsmoment.
41
III. Insgesamt hatte die Berufung daher keinen Erfolg und musste mit der Kostenfolge
des § 97 Abs. 1 ZPO zurückgewiesen werden.
42
Die Kammer hat wegen der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung bezüglich der
Bezugnahmeklausel die Revision zugelassen.
43
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g :
44
Gegen dieses Urteil kann von
45
R E V I S I O N
46
eingelegt werden.
47
Die Revision muss
innerhalb einer Notfrist* von einem Monat
48
Bundesarbeitsgericht
49
Hugo-Preuß-Platz 1
50
99084 Erfurt
51
Fax: 0361 2636 2000
52
eingelegt werden.
53
Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils,
spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
54
Die Revisionsschrift
muss
Bevollmächtigte
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1. Rechtsanwälte,
2. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse
solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder
Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
3. juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer
der in Nr. 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person
ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder dieser
Organisation oder eines anderen Verbandes oder Zusammenschlusses mit
vergleichbarer Ausrichtung entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die
Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
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In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Revisionsschrift
unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.
58
Eine Partei die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
59
* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
60
Dr. Griese Runckel Schäfer
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