Urteil des LAG Köln vom 03.03.2008
LArbG Köln: zeitung, fristlose kündigung, kündigungsfrist, arbeitsgericht, betriebsrat, ordentliche kündigung, anhörung, auflösung, abonnement, werkzeug
Landesarbeitsgericht Köln, 14 Sa 1276/07
Datum:
03.03.2008
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
14. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
14 Sa 1276/07
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Köln, 9 Ca 759/04
Schlagworte:
Anhörung des Betriebsrats
Normen:
§ 102 Abs. 1 BetrVG
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Eine Kündigung ist gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG
rechtsunwirksam, wenn der Arbeitgeber wissentlich falsche
Informationen gibt und entlastende Umstände nicht mitteilt (im Anschluss
an BAG, Urteil vom 13.05.2004 - 2 AZR 329/03).
Tenor:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Schlussurteil des
Arbeitsgerichts Köln vom 20.08.2007 – 9 Ca 759/04 – wird unter
Abweisung des Auflösungsantrages kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
1
Die Parteien streiten um die Rechtmäßigkeit einer hilfsweise ausgesprochenen
verhaltensbedingten Kündigung vom 23.03.2004 zum 31.12.2004, die das
Arbeitsgericht durch Schlussurteil vom 20.08.2007 für rechtsunwirksam erklärt hat.
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Der am 23.05.1959 geborene Kläger (verheiratet, ein Kind) war seit dem 01.07.1991 als
Personalreferent bei der Beklagten zu einem monatlichen Bruttoeinkommen von
5.645,00 € beschäftigt.
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Mit Kündigungsschreiben vom 13.01.2004 (Bl. 10 d. A.) kündigte die Beklagte das
Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31.12.2004. Grundlage dieser
Kündigung war der in der Betriebsratsanhörung vom 06.01.2004 (Bl. 85 f. d. A.)
genannte Grund, dass der Kläger seine Pflichten im Zusammenhang mit dem A -
Bündnis verletzt habe indem er bei einer Einstellung nicht ansatzweise den Einsatz
eines internen Mitarbeiters überprüft habe. Die außerordentliche Kündigung vom
13.01.2004 hat das Arbeitsgericht durch Teilurteil vom 14.09.2005 für rechtsunwirksam
erklärt, weil aus dem Vortrag der Beklagten nicht der Vorwurf abgeleitet werden könne,
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der Kläger habe diesbezüglich wissentliche Falschbehauptungen aufgestellt. Die gegen
dieses Teilurteil von der Beklagtenseite eingelegte Berufung wurde durch Urteil des
Landesarbeitsgerichts Köln vom 15.05.2006 – 14 (12) Sa 43/06 – zurückgewiesen, weil
eine kündigungsrelevante Pflichtverletzung nicht vorliege und zudem die Beklagte den
Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört habe, weil sie dem Betriebsrat wesentliche
Entlastungstatsachen verschwiegen habe (Bl. 549 ff. d. A.). Mit Schreiben vom
23.03.2004 sprach die Beklagte eine weitere fristlose Kündigung und zugleich eine
hilfsweise ordentliche fristgerechte Kündigung zum 31.12.2004 aus.
Zur Begründung hat der Personalleiter der Beklagten, Herr K , in der Anhörung des
Betriebsrats zur beabsichtigten Kündigung am 18.03.2004 u. a. folgendes ausgeführt
(Bl. 195 d. A.):
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"Inzwischen sind jedoch neue Sachverhalte aufgedeckt worden, aus denen sich
weitere erhebliche Pflichtverstöße seitens Herrn N ergeben.
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Aufgrund dieser Umstände beabsichtigen wir eine erneute fristlose, hilfsweise
fristgerechte Kündigung gegenüber Herrn N auszusprechen und die hierfür
vorliegenden Gründe in das derzeitige Klageverfahren beim Arbeitsgericht
einzubringen.
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Der aufgedeckte Sachverhalt stellt sich wie folgt dar:
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In der Personalleiterrunde am Montag, den 01.07.2002, war das Kostenproblem
der A und insbesondere die zu hohen Kosten im Bereich Personal-Management
besprochen worden. Nach einer entsprechenden Diskussion wurden von der
Personalleiterrunde verschiedene Maßnahmen zur Kostensenkung getroffen.
Unter anderem wurde beschlossen, alle vorhandenen Zeitungsabonnements im
Bereich Personal-Management sofort zu kündigen. Die Personalleiter wurden
dazu aufgefordert, die eigenen Mitarbeiter über diese Maßnahme zu
informieren. Für den Fall, dass sich bei dieser Information herausstellen sollte,
dass im Bereich Zeitungen oder Zeitschriften existieren, die aufgrund ihres
Inhaltes für die tägliche Arbeit zwingend notwendig sind, hätte eine Ausnahme
von der Pauschalkündigung gemacht werden können.
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Am Dienstag, den 02.07.2002, wurde Herrn N dementsprechend von seinem
direkten Vorgesetzten, Herrn K , über die allgemeine Kostensituation und die
daraus folgenden Maßnahmen, insbesondere über die Kündigung der
Zeitungsabonnements informiert. Die ausdrückliche Frage seitens Herrn K , ob
Herr N für seine Arbeit notwendige Zeitungen oder Zeitschriften benötige,
verneinte Herr N . Am Mittwoch, den 10.07.2002 wurden nochmals alle
Personalreferenten der Hauptverwaltung K , so auch Herr N , über die
Kostensituation im Konzern und im Bereich informiert. In diesem
Zusammenhang wurde ebenfalls nochmals die Kündigung der
Zeitungsabonnements bekannt gegeben und über die Hintergründe informiert.
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Nachdem Herr N ab dem 07.01.2004 im Zusammenhang mit der später
nachfolgenden Kündigung freigestellt worden war, wurde sein Vorgesetzter,
Herr K , von der Mitarbeiterin Frau A aus dem Bereich FM, der für die
Postverteilung zuständig ist, gefragt, was denn nun mit dem Exemplar des K
geschehen solle, den Herr N täglich geliefert bekomme.
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Erst durch diese Nachfrage seitens Frau H erfuhr Herr K , dass offensichtlich
Herr N täglich den K bezog. Überrascht von dieser Tatsache erkundigte sich
Herr K beim zentralen Einkaufsbereich, wo man jedoch von diesem
Zeitschriften-Abonnement nichts wusste und nur mitteilen konnte, dass lediglich
ein Abonnement des K für den Aufsichtsratsvorsitzenden, Herrn K , bekannt sei.
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Erst weitere Nachforschungen durch Herrn K über den Bereich Zahlungsverkehr
und durch Anfrage direkt beim K ergaben, dass dieses Abonnement bereits seit
ca. 1970 besteht und zuletzt von der Kostenstelle des Bereichs Konzern-
Kommunikation bezahlt wurde, was dem Bereich selbst jedoch nicht bekannt
war, wie sich nunmehr herausstellte.
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Nachdem daraufhin Herr K erneut Frau H über diesen Vorgang befragte, stellte
sich folgende Vorgehensweise von Herrn N heraus:
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Das besagte Exemplar des K wurde täglich an unseren Standort in der G
geliefert und von dort an Herrn N weitergeleitet. Um dies zu erreichen,
übersandte Herr N monatlich einen großen Stapel an ihn selbst adressierter
Umschläge an Herrn M , der im Bereich FM tätig ist. Diesen hatte er
aufgefordert, den jeweils angelieferten K in einen dieser Umschläge zu
verpacken und per Hauspost an Herrn N nach H zu versenden. Am Standort H
erhielt dann Herrn N den Umschlag mit der Zeitung in der Regel von der für die
Postverteilung zuständigen Frau H .
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Diese erläuterte Herr K weiterhin, dass Herrn N sie ausdrücklich angewiesen
habe, den S im Umschlag zu belassen, weil er diesen erst abends mit nach
Hause nehmen wolle. Weiter habe er ihr erklärt, dass für den Fall, dass er krank
sei oder sich im Urlaub befände, sie den S behalten könne, aber auf jeden Fall
den Sportteil der Montagsausgabe aufheben solle.
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Die Angaben von Frau H , was den Versand der an Herrn N adressierten
Umschläge betrifft, wurden inzwischen auch durch Herrn M gegenüber Herrn K
bestätigt.
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Durch dieses Verhalten hat Herr N in erheblichem Maße gegen seinen
Arbeitsvertrag verstoßen. Nicht nur hat er die eindeutigen Anweisungen seines
Vorgesetzten mit Hinblick auf die aus Kostengründen erfolgenden Kündigungen
der Zeitschriftenabonnements ignoriert, sondern sich darüber hinaus Eigentum
des Unternehmens rechtswidrigerweise zugeeignet.
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Hierbei ist es ihm offensichtlich gelungen, ein bereits seit sehr langer Zeit
bestehendes Zeitungsabonnement für seine persönlichen Zwecke umzuleiten.
Offensichtlich war er sich hierbei in vollem Umfange über die Widerrechtlichkeit
seines Handelns im Klaren. Nur so ist es zu erklären, dass er zum Einen den
völlig ungewöhnlichen Weg der selbst adressierten Briefumschläge wählte und
zum Anderen Frau H anwies, die angelieferte Zeitung im Umschlag zu
belassen, damit nach außen nicht erkennbar wurde, dass hier eine Zeitung per
Hauspost übersandt wird, von deren Existenz offenbar niemand mehr wusste.
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Nachdem Herrn N am 07.10.2004 freigestellt worden war, rief er noch am
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selben Tag bei Herrn M an und erklärte diesem, dass fortan die Zeitung nicht
mehr an ihn geschickt werden solle. Auch dieser Umstand zeigt, dass sich
Herrn N offenbar seines Fehlverhaltens voll bewusst war."
Nach Beweisaufnahme über die Modalitäten des Zeitungstransports und über die Frage,
wann Herr K von den Einzelheiten des Zeitungsabonnements erfahren hatte (Protokoll
der Zeugenvernehmungen, Bl. 618 ff. d. A.), hat das Arbeitsgericht durch weiteres
Teilurteil vom 21.02.2007 (Bl. 633 ff. d. A.) sowohl die fristlose Kündigung vom
23.03.2004 als auch die fristgerechte Kündigung vom 13.01.2004 zum 31.12.2004 für
rechtsunwirksam erklärt. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht darauf abgestellt, dass
die außerordentliche Kündigung vom 23.03.2004 bereits deshalb rechtsunwirksam sei,
weil sich aus der Beweisaufnahme ergeben habe, dass Herr K entgegen seinen
Angaben bereits im Februar von den Einzelheiten des Zeitungsbezuges gewusst habe
und deshalb die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB im Zeitpunkt des
Ausspruchs der Kündigung abgelaufen gewesen sei. Die fristgerechte Kündigung vom
13.01.2004 sei bereits wegen ersichtlich falscher Anhörung des Betriebsrats
rechtsunwirksam; die Sachverhaltsschilderung gegenüber dem Betriebsrat sei in
entscheidenden Punkten unrichtig und unvollständig gewesen. Dieses Teilurteil ist
rechtskräftig geworden.
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Hinsichtlich der nunmehr noch streitgegenständlichen fristgerechten Kündigung vom
23.03.2004 zum 31.12.2004 hat das Arbeitsgericht weiteren Beweis erhoben über die
Behauptung der Beklagten, der Kläger habe gegenüber der Zeugin Frau W erklärt, er
habe den K für sich abgezweigt (Beweisbeschluss vom 22.02.2007, Bl. 630 d. A.) durch
Vernehmung der Zeugin W . Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird
auf das Sitzungsprotokoll der Kammerverhandlung vor dem Arbeitsgericht vom
20.08.2007 (Bl. 700 ff. d. A.) Bezug genommen.
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Durch Schlussurteil vom 20.08.2007 (Bl. 704 ff. d. A.) hat das Arbeitsgericht alsdann
auch die fristgerechte Kündigung der Beklagten vom 23.03.2004 für rechtsunwirksam
erklärt. Die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt, da der dem Kläger gemachte Vorwurf
des eigenmächtigen heimlichen Bezugs des K für private Zwecke auf Kosten der
Beklagten nicht erwiesen sei. Die Aussagen der vernommenen Zeugen lasse den
Schluss auf ein solches heimliches Vorgehen des Klägers nicht zweifelsfrei zu. Zudem
sei die Kündigung mangels ordnungsgemäßer Betriebsratsanhörung rechtsunwirksam,
da die zutreffende Kündigungsfrist nicht mitgeteilt worden sei.
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Gegen dieses am 12.09.2007 zugestellte Schlussurteil richtet sich die am 02.10.2007
bei Gericht eingegangene und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist auf
den 26.11.2007 am 26.11.2007 begründete Berufung der Beklagten.
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Die Beklagte trägt vor, die Betriebsratsanhörung könne nicht beanstandet werden.
Insbesondere seien Angaben über die Dauer der Kündigungsfristen nicht erforderlich
gewesen. Die vertragliche Kündigungsfrist habe sich auch nicht von der tariflichen
Kündigungsfrist unterschieden, sondern sei identisch gewesen. Zudem sei dem
Betriebsrat das Beendigungsdatum 31.12.2004 benannt worden. Das Arbeitsgericht
habe sich zudem mit den Aussagen der Zeugen nicht ausreichend auseinander gesetzt.
Entscheidend für die Kündigung sei, dass der Kläger auf Kosten der Beklagten die
Zeitung bezogen und dies nicht offen gelegt habe. Der Kläger habe damit zudem gegen
eine ausdrückliche Anweisung, Kosten zu reduzieren, verstoßen, weil er sich ohne
Wissen und Erlaubnis der Beklagten das Eigentum der Beklagten angeeignet habe.
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Das Vorgehen des Klägers verdeutliche, dass er diesen Zeitungsbezug habe
verheimlichen wollen. Im Schriftsatz vom 26.02.2008 hat die Beklagte darüber hinaus
vortragen lassen, gerade weil der Kläger so offensiv mit der Situation umgegangen sei,
die Zeitung offen im Büro aufbewahrt habe, sei das wahre Geschehen und die wahren
Intentionen des Klägers verschleiert worden.
Die Betriebsratsanhörung sei auch in inhaltlicher Hinsicht nicht fehlerhaft gewesen und
enthalte keine einseitigen Darstellungen. Dort seien auch nicht Pendelumschläge als
ungewöhnlich dargestellt worden, sondern die Tatsache, dass mit solchen
Pendelumschlägen Zeitungen transportiert worden seien. Es sei zwar richtig, dass die
Pendelumschläge Löcher enthielten, durch die die Zeitung als Inhalt zumindest bei
genauerem Hinsehen erkennbar gewesen wäre. Natürlich habe die Zeugin H erahnen
können, was sich in dem Pendelumschlag befand, da sie von dem Kläger darüber in
Kenntnis gesetzt worden war, dass dieser den K auf diese Art und Weise bezogen habe.
Eine fehlerhafte Anhörung des Betriebsrats könne hieraus jedoch nicht abgeleitet
werden. Schließlich könne die Interessenabwägung nicht zugunsten des Klägers
ausfallen.
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In der mündlichen Verhandlung vom 03.03.2008 hat die Beklagte zudem einen
Auflösungsantrag gestellt und geltend gemacht eine den Betriebszwecken dienliche
weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sei nicht zu erwarten.
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Die Beklagte beantragt unter Abänderung des Schlussurteils des Arbeitsgerichts Köln
vom 20.08.2007 – 9 Ca 759/04 –
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1. die Klage abzuweisen
2. hilfsweise, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung
aufzulösen.
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Der Kläger beantragt,
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1. die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
2. den hilfsweise gestellten Auflösungsantrag abzuweisen.
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Der Kläger bringt vor, ein Kündigungsgrund liege nicht vor. Der Vorwurf des
eigenmächtigen heimlichen Bezuges des K s für private Zwecke auf Kosten der
Beklagten sei nicht haltbar. Die Behauptungen der Beklagten im Verlaufe des
Prozesses, der Kläger habe ein ausgeklügeltes Verdeckungs- und Verdunklungssystem
entwickelt, um den K zu unterschlagen, seien nach der Beweisaufnahme widerlegt und
würden offensichtlich von der Beklagten selbst in dieser Form nicht mehr aufrecht
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erhalten. Insbesondere die ursprüngliche Behauptung, der Kläger habe Frau H als
Werkzeug benutzt, um die Zeitung morgens aus der Eingangspost zu separieren und in
einem geheimen Spezialfach aufzubewahren, würde nicht länger aufrecht erhalten und
hätte sich nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme auch aus pure
Erfindung herausgestellt. Auch die Zeugin W habe entgegen der schriftsätzlichen
Behauptung der Beklagten gerade nicht ausgesagt, dass der Kläger den K für sich
heimlich abgezweigt habe. Auch die durchgeführte Betriebsratsanhörung sei
rechtsfehlerhaft. Denn dem Betriebsrat sei vorgespielt worden, dass der Kläger heimlich
und ohne das im Betrieb jemand davon etwas gewusst habe, den K für sich bezogen
und abgezweigt habe. Alle entlastenden Umstände seien verschwiegen worden. Die
Anhörung sei schließlich auch deshalb fehlerhaft, weil die Kündigungsfrist nicht genannt
worden sei. Dabei sei eine Mitteilung der Kündigungsfristen jedenfalls im vorliegenden
Fall unerlässlich, weil vertragliche, tarifliche und gesetzliche Kündigungsfrist jeweils
unterschiedlich seien und die Beklagte selbst zunächst von einer falschen, nämlich der
tarifvertraglichen Kündigungsfrist, ausgegangen sei.
Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zwischen die Parteien
gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Berufung, an deren Zulässigkeit keine Zweifel bestehen, ist nicht begründet. Zu
Recht und mit zutreffenden Überlegungen hat das Arbeitsgericht die fristgerechte
Kündigung vom 23.03.2004 für rechtsunwirksam erklärt. Auch der in der
Berufungsinstanz gestellte Auflösungsantrag der Beklagten ist unbegründet.
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I. Die ordentliche Kündigung vom 23.03.2004 ist rechtsunwirksam.
38
1. Ein ausreichender Kündigungsgrund im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG liegt nicht
vor. Ausreichende Kündigungsgründe sind nach dem Ergebnis der
Beweisaufnahme nicht festzustellen. Der Vorwurf der Unterschlagung des K s
lässt sich nicht aufrecht erhalten. Eine Unterschlagung könnte nur angenommen
werden, wenn der Nachweis geführt werden könnte, dass der Kläger in
Unterschlagungsabsicht die Zeitung sich angeeignet hätte. Dazu hatte die
Beklagte im Verlauf des Rechtsstreits behauptet, der Kläger habe ein
ausgeklügeltes Verdeckungs- und Verdunklungssystem entwickelt, um den K zu
unterschlagen. Dabei habe er Frau H als Werkzeug benutzt, um die Zeitung
morgens aus der Eingangspost zu separieren und in einem geheimen Spezialfach
aufzubewahren. Ferner hatte die Beklagte behauptet, der Kläger habe gegenüber
der Zeugin W zugegeben, die Zeitung für sich abgezweigt zu haben. Gegenüber
dem Betriebsrat hatte der Personalleiter der Beklagten, Herr K , behauptet, dass
sich der Kläger per Hauspost eine Zeitung beschafft habe, von deren Existenz
offenbar niemand mehr wusste. Dazu habe der Kläger den völlig ungewöhnlichen
Weg des an ihn selbst adressierten Briefumschlags gewählt.
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2. All diese Behauptungen sind in der Beweisaufnahme nicht bestätigt worden. So
hat die Zeugin H ausgesagt, dass der Kläger jeweils etwa gegen 09:00 Uhr zur
Arbeit gekommen sei. Sie selbst habe dann die Zeitung herausgenommen,
gelesen, zurück in den Umschlag gelegt und in das Fach des Klägers getan.
Bereits hieran wird deutlich, dass die Behauptungen, von der Existenz der Zeitung
habe niemand mehr etwas gewusst, und der Kläger habe die Zeugin H als
Werkzeug benutzt, um die Zeitung in einem Geheimfach ablegen zu lassen, nicht
den Tatsachen entsprechen. Auch die Behauptung der Beklagtenseite, der Kläger
habe gegenüber der Zeugin W zugegeben, die Zeitung für sich abgezweigt zu
haben, ist durch die Beweisaufnahme nicht bestätigt worden. Die Zeugin W hat
eine solche Behauptung nicht bestätigt, sondern im Gegenteil – befragt nach der
Heimlichkeit des Vorgehens des Klägers - bekundet, dass der Kläger nicht gesagt
habe, dass sie über die Angelegenheit S nicht mit Anderen sprechen könne.
3. Die Zeugin H hat des Weiteren bestätigt, dass die Pendelumschläge mit Löchern
versehen waren und dass man die Zeitung durch die Löcher sehen konnte. Die
Beweisaufnahme hat ferner ergeben, dass Pendelumschläge des regelmäßige
Medium bei der Beklagten sind und jeder Mitarbeiter ca. 10 bis 15 solcher
Umschläge in seinem Fach hat, so die Aussage des Zeugen K in der Vernehmung
am 21.02.2007. Zugeben musste der Zeuge K in jener Vernehmung auf Nachfrage
zudem, dass er sich zu den Daten hinsichtlich der Anfrage und Rückantwort
angesichts der von der Zeugin Frau B übergebenen Email vom 25.02.2004 "vertan
habe". Tatsächlich ergab sich hieraus, dass Herr K schon am 25.02.2004 und
nicht erst, wie im Prozess vorher vorgetragen, am 09.03.2004 genaue Kenntnis
von dem Zeitungsbezug hatte. Aus allem folgt jedenfalls, dass der Vorwurf des
heimlichen Zeitungsbezuges verbunden mit Verdunklungs- und
Verschleierungsvorwürfen nicht aufrecht erhalten werden kann.
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Damit verbleibt allein der Vorwurf, entgegen der beschlossenen Kosteneinsparung nicht
ausreichend durch Kündigung des Zeitungsabonnements auf eine Kosteneinsparung
hingewirkt zu haben. Ein solcher Vorwurf würde jedoch, zumal ohne Abmahnung, nicht
ansatzweise für eine verhaltensbedingte fristgerechte Kündigung ausreichen.
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II. Unabhängig vom Vorstehenden ist die ausgesprochene Kündigung auch wegen
fehlerhafter Betriebsratsanhörung gemäß § 102 BetrVG rechtsunwirksam.
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Der Betriebsrat muss richtig, vollständig und wahrheitsgemäß unterrichtet werden. Zwar
reicht es, wenn der Arbeitgeber die aus seiner Sicht maßgebenden Kündigungsgründe
im Einzelnen benennt. Es verstößt jedoch gegen § 102 BetrVG, wenn falsche
Informationen gegeben und entlastende Umstände nicht mitgeteilt werden (siehe BAG,
Urteil vom 13.05.2004 – 2 AZR 329/03 – NZA 2004, S. 1037 ff.).
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Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die vom Zeugen K durchgeführte Information
und Anhörung des Betriebsrats falsch war, weil sie wahrheitswidrige Angaben enthielt
und entlastende Umstände verschwieg. In der Anhörung wurde der Eindruck erweckt,
als habe der Kläger heimlich unter Ausnutzung des völlig ungewöhnlichen Weges von
an ihn selbst adressierten Briefumschlägen eine Zeitung auf Firmenkosten bezogen,
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von deren Existenz offenbar niemand etwas gewusst habe. Tatsächlich traf diese
Behauptung nicht zu. Insbesondere wusste der Zeuge K , wie er in der Beweisaufnahme
am 21.02.2007 ausgesagt hat, dass Pendelumschläge das regelmäßige
Transportmedium bei der Beklagten sind und jeder täglich 10 bis 15 solcher Umschläge
in seinem Fach hat. Auch die Tatsache, dass es sich um Pendelumschläge handelte,
durch deren Löcher der Inhalt sichtbar war, war dem Zeugen K bekannt. Hierbei ist auch
die Aussage der Zeugin Frau H zu berücksichtigen, dass man durch die Löcher die
Zeitung sehen konnte, sowie ihre weitere Aussage, dass die Zeugin selbst die Zeitung
dem Umschlag entnommen und gelesen hat. Damit sind wesentliche Umstände
gegenüber dem Betriebsrat falsch dargestellt bzw. verheimlicht worden. Dies wird auch
an dem im Laufe des Rechtsstreits veränderten Vortrages der Beklagtenseite deutlich,
wonach der Kläger den Zeitungsbezug durch den "offenen Umgang" mit der Situation
verheimlicht haben soll, während der gegenüber dem Betriebsrat erhobenen Vorwurf
dahin ging, den Zeitungsbezug selbst verdeckt und vor allen Mitarbeitern verheimlicht
zu haben.
Schon aus diesem Grunde ist die Betriebsratsanhörung fehlerhaft.
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Unabhängig hiervon hätte auch die Kündigungsfrist angegeben werden müssen. Dies
gilt jedenfalls dann, wenn die Kündigungsfrist nicht eindeutig ist. Im vorliegenden Fall
betrug die gesetzliche Kündigungsfrist nach § 622 Abs. 1 Nr. 5 BGB 5 Monate zum
Monatsende, während die tarifliche Kündigungsfrist 6 Monate zum Quartal betrug,
hingegen vertraglich eine Kündigungsfrist von 6 Monaten zum Halbjahresende
vereinbart war. Unter Zugrundelegung der gesetzlichen Kündigungsfrist hätte das
Arbeitsverhältnis am 31.8.2004 geendet, unter Zugrundelegung der tariflichen Frist zum
30.9.2004 und unter Zugrundelegung der vertraglichen Kündigungsfrist zum 31.12.2004.
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Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die beabsichtigte Kündigungsfrist grundsätzlich
mitteilen, es sei denn, diese ist dem Betriebsrat ohnehin bekannt (BAG Urt. vom
29.3.1990 – 2 AZR 420/89, AP Nr. 56 zu § 102 BetrVG 1972).
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Angesichts der unterschiedlichen, kollidierenden Kündigungsfristen und der daraus
resultierenden unterschiedlichen Beendigungstermine musste die Beklagte angeben,
auf welche Kündigungsfrist sie sich stützen wollte.
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Aus den genannten Gründen ist die ausgesprochene fristgerechte Kündigung vom
23.03.2004 daher rechtsunwirksam.
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III. Auch der gestellte Auflösungsantrag der Beklagten ist nicht begründet. Nach § 9 Abs.
1 S. 2 KSchG ist eine Auflösung eines Arbeitsverhältnisses nur möglich, wenn eine den
Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und
Arbeitnehmer nicht zu erwarten ist.
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Dabei sind an das Vorliegen solcher Gründe strenge Anforderungen zu stellen, weil der
grundrechtliche Gehalt des Kündigungsschutzes zu berücksichtigen ist (siehe BVerfG,
Beschluss vom 22.10.2004, NZA 2005, S. 41 ff.).
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Eine Wiederholung der Kündigungsgründe reicht insoweit nicht, es müssen vielmehr
zusätzliche greifbare Tatsachen vorliegen, die die Annahme begründen, dass ein
gedeihliches Zusammenwirken im Arbeitsverhältnis nicht mehr zu erwarten sein wird.
Dabei kann der Arbeitgeber sich nicht auf solche Gründe berufen, die von ihm selbst
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oder von Personen, für die er einzustehen hat, gesetzt oder provoziert worden sind
(siehe BAG, Urteil vom 02.06.2005 – 2 AZR 234/04 – NZA 2005, S. 1208).
Im vorliegenden Fall hat die Beklagtenseite über die von ihr geltend gemachten
Kündigungsgründe hinaus keine weitergehenden Tatsachen vorgetragen, die eine
Auflösung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen könnten. Solche Anhaltspunkte sind
auch nicht ersichtlich. Die behaupteten Kündigungsgründe selbst sind, da sie sich als
nicht haltbar herausgestellt haben, für eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht
heranzuziehen. Soweit das Arbeitsverhältnis belastet sein sollte, ist die zu den nach
dem Ergebnis des Rechtsstreits insbesondere auf die nicht wahrheitsgemäßen
Betriebsratsanhörungen und die darin erhobenen Vorwürfe bezüglich der Kündigung
vom 13.01.2004 und 23.03.2004 zurückzuführen. Diese durch die Personalleitung
verursachte Belastung muss allerdings der Beklagten zugerechnet werden und kann
nicht zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses führen.
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IV. Insgesamt hatte die Berufung der Beklagten keinen Erfolg und musste unter
Abweisung des gestellten Auflösungsantrags kostenpflichtig gemäß § 97 Abs. 1 ZPO
zurückgewiesen werden.
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Die Revision konnte nicht zugelassen werden, da die Rechtssache keine
rechtsgrundsätzliche Bedeutung hatte, sondern auf der Anwendung höchstrichterlich
geklärter Rechtsgrundsätze beruhte und auch kein Fall von Divergenz vorlag.
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R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
58
Gegen dieses Urteil ist kein weiteres Rechtsmittel gegeben. Hinsichtlich der
Voraussetzungen einer Nichtzulassungsbeschwerde wird auf § 72 a ArbGG Bezug
genommen.
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Dr. Griese Pohl Kroll
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