Urteil des LAG Köln vom 28.01.2010
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Landesarbeitsgericht Köln, 7 TaBV 84/09
Datum:
28.01.2010
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
7.Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
7 TaBV 84/09
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Köln, 12 BV 255/09
Schlagworte:
Einigungsstelle; Betriebsänderung; offensichtliche Unzuständigkeit;
maßgebliche Beschäftigtenzahl
Normen:
§ 98 ArbGG; § 111 BetrVG; § 112 BetrVG
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
1. Der maßgebliche Zeitpunkt, für den gemäß § 111 S. 1 BetrVG die
Größe des Unternehmens ermittelt werden muss, ist derjenige, in
welchem die Planung zur Durchführung der betreffenden
Betriebsänderung abgeschlossen ist. Die Planung gilt als
abgeschlossen, wenn innerhalb des Unternehmens der verbindliche
Beschluss zur Durchführung der Betriebsänderung getroffen worden ist.
2. Auf einen früheren Zeitpunkt kann für § 111 S. 1 BetrVG schon aus
Gründen der Rechtssicherheit allenfalls dann abgestellt werden, wenn
der Arbeitgeber schon vorher unumkehrbare Maßnahmen zur
Durchführung der Betriebsänderung umgesetzt hat.
3. Werden in einem Unternehmen mehrere selbständige
Betriebsänderungen nacheinander vorgenommen, stellt sich die Frage
nach der Beschäftigtenzahl i. S. v. § 111 S. 1 BetrVG für jede
Betriebsänderung neu.
Tenor:
Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des
Arbeitsgerichts Köln vom 05.11.2009 in Sachen 12 BV 255/09 wird
zurückgewiesen.
I.
1
Die Beteiligten streiten um einen Antrag des Antragstellers/Betriebsrats auf Bestellung
des Vorsitzenden einer Einigungsstelle zum Thema "Sozialplan wegen Verlagerung
des Geschäftsbetriebes nach D bei D .
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Wegen des Sach- und Streitstandes in erster Instanz, wegen der erstinstanzlich zur
Entscheidung gestellten Sachanträge und wegen der Gründe, die die 12. Kammer des
Arbeitsgerichts Köln dazu bewogen haben, den Antrag wegen offensichtlicher
Unzuständigkeit der Einigungsstelle zurückzuweisen, wird auf den vollständigen Inhalt
des arbeitsgerichtlichen Beschlusses vom 05.11.2009 Bezug genommen.
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Der Beschluss des Arbeitsgerichts wurde dem Antragsteller am 12.11.2009 zugestellt.
Der Antragsteller hat gegen diesen Beschluss am 26.11.2009 Beschwerde eingelegt
und diese zugleich begründet.
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Der Antragsteller und Beschwerdeführer ist der Ansicht, das Arbeitsgericht sei zu
Unrecht von einer offensichtlichen Unzuständigkeit der Einigungsstelle zum Thema
"Sozialplan wegen Verlagerung des Geschäftsbetriebs der Antragsgegnerin nach D bei
D " ausgegangen. Wegen der nach § 111 S. 1 BetrVG maßgeblichen Beschäftigtenzahl
sei nämlich nicht auf den Zeitpunkt abzustellen, an dem die Gesellschafter der
Antragsgegnerin/Beschwerdegegnerin die Betriebsverlagerung von R -H nach D
beschlossen hätten, sondern auf den Zeitpunkt Ende 2008, zu dem die Gründung der S
GmbH und Co. KG und die Auslagerung der Großkundenabrechnung auf dieses
Unternehmen mit Sitz in D beschlossen worden sei. Die Ausgliederung von
Teilaktivitäten auf die S GmbH und Co. KG sowie die spätere Verlagerung des
Geschäftssitzes der Beschwerdegegnerin seien als einheitliche
Maßnahme/Betriebsänderung anzusehen. Der Beschwerdeführer behauptet, es lägen
eine Reihe von Indizien vor, aus denen der Schluss zu ziehen sei, dass die im
September 2009 beschlossene Betriebsverlagerung bei der Beschwerdegegnerin in
Wirklichkeit ebenfalls bereits Ende 2008 beschlossene Sache gewesen sei. Wegen der
Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beschwerdeschrift und ihre Anlagen Bezug
genommen.
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Der Beschwerdeführer macht geltend, zum Jahreswechsel 2008/2009 seien noch 21
namentlich benannte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei der
Beschwerdegegnerin beschäftigt gewesen. Die Auflistung des Antragstellers deckt sich
insoweit mit der Tabelle auf Seite 3 des arbeitsgerichtlichen Beschlusses vom
5.11.2009.
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Die angerufene Einigungsstelle sei daher zuständig, keinesfalls jedoch "offensichtlich
unzuständig", wie das Arbeitsgericht Köln gemeint habe.
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Der Antragsteller und Beschwerdeführer beantragt nunmehr,
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den Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 05.11.2009, Az.: 12 BV 255/09,
abzuändern und Herrn P F zum Vorsitzenden der Einigungsstelle zum
Verhandlungsgegenstand "Sozialplan wegen Verlagerung des
Geschäftsbetriebs der Antragsgegnerin nach D bei D zu bestellen und die
Anzahl der Beisitzer der Einigungsstelle auf jeweils zwei festzulegen.
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Die Beschwerdegegnerin beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Die Beschwerdegegnerin verteidigt den arbeitsgerichtlichen Beschluss und macht
Ausführungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht dazu, warum der Inhalt des
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Beschlusses der Rechtslage entspreche. Wegen der Einzelheiten wird auf die
Beschwerdeerwiderungsschrift nebst ihren Anlagen ergänzend Bezug genommen.
II.
13
A.
ArbGG statthaft und wurde innerhalb der in § 98 Abs. 2 S. 2 ArbGG vorgeschriebenen
Frist eingelegt und begründet.
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B.
Arbeitsgericht Köln hat die Zuständigkeit einer Einigungsstelle für das vom
Beschwerdeführer vorgesehene Thema "Sozialplan wegen Verlagerung des
Geschäftsbetriebs der Antragsgegnerin nach D bei D " zu Recht verneint. Die
Unzuständigkeit der Einigungsstelle ist auch "offensichtlich" im Sinne von § 98 Abs. 1 S.
2 ArbGG.
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1. Zweifelsfrei und unstreitig erfüllt die Verlagerung des Geschäftsbetriebes der
Beschwerdegegnerin von R -H nach D den Tatbestand einer Betriebsänderung im
Sinne von § 111 S. 3 Nr. 2 BetrVG.
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2. Nach der gesetzlichen Anordnung in § 111 S. 1 BetrVG können jedoch nur solche
Betriebsänderungen eine Sozialplanpflicht nach § 112 BetrVG auslösen, die "in
Unternehmen mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern" erfolgen.
Der maßgebliche Zeitpunkt, für den die Größe des Unternehmens ermittelt werden
muss, ist derjenige, in welchem die
Planung
Betriebsänderung
abgeschlossen
Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung mit dem Zeitpunkt gleich, zu
welchem innerhalb des Unternehmens der verbindliche Beschluss zur Durchführung der
Betriebsänderung getroffen wird. Im Falle einer Betriebsstilllegung ist dies der Zeitpunkt
des Stilllegungsbeschlusses (BAG vom 09.05.1995, AP § 111 BetrVG Nr. 33; BAG vom
10.12.1996, AP § 111 BetrVG Nr. 37; BAG vom 16.11.2004, AP § 111 BetrVG Nr. 58;
Fitting u. a., BetrVG, § 111 Rdnr. 29). Nur diese Auffassung wird dem Gebot der
Rechtssicherheit gerecht. Ihr ist daher zu folgen.
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3. Der Beschluss der 18 Gesellschafterunternehmen der Beschwerdegegnerin, den
Betriebssitz der Beschwerdegegnerin von R -H nach D zu verlagern, wurde im
Umlaufverfahren zwischen dem 4. und 15. September 2009 getroffen.
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Zu diesem Zeitpunkt waren bei der Beschwerdegegnerin – unstreitig – nur
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt. Außerdem stand das Ausscheiden
zweier weiterer Mitarbeiter zum 30.09.2009 aufgrund bereits vor dem
Gesellschafterbeschluss zur Betriebsverlagerung abgeschlossener Aufhebungsverträge
fest.
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4. Auf einen früheren Zeitpunkt zur Ermittlung der nach § 111 S. 1 BetrVG maßgeblichen
Beschäftigtenzahl als den der unternehmensintern verbindlichen Beschlussfassung
über die Betriebsänderung kann schon aus Gründen der Rechtssicherheit allenfalls
dann abgestellt werden, wenn der Arbeitgeber in tatsächlicher Hinsicht schon vorher mit
der Durchführung der Betriebsänderung beginnt. Von einem Beginn der Durchführung
einer Betriebsänderung in diesem Sinne kann allerdings nur dann gesprochen werden,
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wenn der Arbeitgeber bereits unumkehrbare Maßnahmen zu ihrer Umsetzung getroffen
hat. So beginnt die Durchführung einer Betriebsstilllegung nach der Rechtsprechung
des Bundesarbeitsgerichts erst, sobald der Arbeitgeber unumkehrbare Maßnahmen zur
Auflösung der betrieblichen Organisation unternimmt, was etwa bei der bloßen
Einstellung der Produktion in einem Produktionsunternehmen oder bei der Freistellung
von Arbeitnehmern noch nicht der Fall sei (vgl. BAG vom 22.11.2005, AP § 615 BGB
Anrechnung Nr. 5; BAG vom 30.05.2006, AP § 209 InsO Nr. 5; Fitting, BetrVG, § 111
Rdnr. 110).
5. Gemessen an diesen Maßstäben sind die Einlassungen des Beschwerdeführers,
wonach verschiedene Indizien darauf hindeuteten, dass die Beschwerdegegnerin sich
bereits Ende 2008 mit Planungen zu einer Betriebsverlagerung befasst hätte, ersichtlich
unerheblich.
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a. Selbst wenn die Beschwerdegegnerin nämlich bereits im Herbst 2008 entsprechende
Szenarien einer Betriebsverlagerung gedanklich durchgespielt oder sogar
Vorüberlegungen zu ihrer praktischen Umsetzung angestellt haben mag, folgt daraus in
keiner Weise, dass sie in dieser Hinsicht bereits
konkrete Planungen
abgeschlossen
Vorkehrungen
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b. So hat die Beschwerdegegnerin etwa nicht bereits Ende 2008 den Mietvertrag über
ihre Gewerberäumlichkeiten in R -H gekündigt, obwohl ihr dies ohne Weiteres möglich
gewesen wäre, sondern im Gegenteil sogar – wenn auch bei gleichzeitiger Verkürzung
der Kündigungsfristen für zukünftige Fälle – eine Verlängerung der Mindestlaufzeit
dieses Mietvertrages in Kauf genommen. Ferner ist aktenkundig dokumentiert, dass der
Gesellschafterbeirat die Geschäftsführung erst nachdem der Gesellschafterbeschluss
zur Betriebsverlagerung im Umlaufverfahren getroffen worden war, nämlich am
15.09.2009, beauftragt hat, "Räume für die t GmbH & Co. KG im Raum D , möglichst in
der Nähe zu S2 zu suchen", verbunden mit der Bitte, "über die Erfolge bei der
Raumsuche unterrichtet" zu werden (Bl. 161 d. A.); ferner, dass der Mietvertrag über die
Gewerberäumlichkeiten in R -H erst mit Schreiben vom 28.09.2009 gekündigt (Bl. 357 f.
d. A.) und schließlich, dass auch der Mietvertrag über die neuen Gewerberäume in D
erst am 25.09.2009 unterzeichnet wurde.
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6. Unerheblich für die Entscheidung des vorliegenden Streits ist auch die Frage, ob es
sich bei der von der Beschwerdegegnerin Ende 2008 beschlossenen und Anfang 2009
umgesetzten Gründung des J -V -Unternehmens S GmbH & Co. KG und der
Verlagerung eines Teiles der bisherigen Geschäftsaktivitäten der Beschwerdegegnerin
auf dieses Unternehmen um eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG
gehandelt hat. Dieses Thema ist nicht Verhandlungsgegenstand der Einigungsstelle,
die im Rahmen des vorliegenden Verfahrens eingesetzt werden soll.
Bezeichnenderweise hatte der Antragsteller Ende 2008 zu dieser Frage
Sozialplanverhandlungen gefordert, diese Forderung aber noch im Jahre 2008
aufgegeben.
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7. Der Antragsteller kann auch ersichtlich nicht mit der Ansicht gehört werden, dass es
sich der Gründung des J -V -Unternehmens einerseits und der Verlagerung der
Betriebsstätte andererseits in Wirklichkeit nur um eine einzige einheitliche
Betriebsänderung gehandelt habe.
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a. Während die Gründung der Firma S GmbH & Co. KG und die Auslagerung von Teilen
der Geschäftsaktivitäten der Beschwerdegegnerin auf diese Firma Ende 2008
verbindlich beschlossen und Anfang 2009 tatsächlich umgesetzt wurde, wurden die
Planungen zu der Betriebsverlagerung, wie bereits ausgeführt, erst im September 2009
abgeschlossen und erst in der Zeit danach mit ihrer Umsetzung begonnen.
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b. Zwischen beiden Maßnahmen besteht auch aus Sachgründen kein zwingender
Zusammenhang. Es ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen die Beschwerdegegnerin
die bei ihr verbliebenen Geschäftsaktivitäten nicht auch in Zukunft – zumal in Anbetracht
der Möglichkeiten, die die moderne Kommunikationstechnologie bietet – bei
entsprechender Prioritätensetzung von ihrem bisherigen Betriebssitz aus hätte
weiterbetreiben können.
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8. Werden in einem Unternehmen mehrere selbständige Betriebsänderungen
nacheinander vorgenommen, stellt sich die Frage nach der Anwendbarkeit des § 111
BetrVG und die Frage nach der Beschäftigtenzahl im Sinne von § 111 S. 1 BetrVG für
jede Betriebsänderung neu (vgl. Fitting, BetrVG, § 111 Rdnr. 29).
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9. Die vorstehend darstellten Zusammenhänge erscheinen zur Überzeugung des
Beschwerdegerichts so eindeutig, dass in Übereinstimmung mit dem Arbeitsgericht eine
‚offensichtliche‘ Unzuständigkeit der begehrten Einigungsstelle im Sinne von § 98 Abs.
1 S. 2 ArbGG festzustellen ist.
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10. Und schließlich: Der Auffassung des Arbeitsgerichts ist auch darin beizutreten, dass
die in § 111 S. 1 vorgeschriebene Beschäftigungszahl ("mehr als 20") selbst dann nicht
erreicht wäre, wenn man nicht, wie dies geboten erscheint, auf den Zeitpunkt September
2009 abstellt, sondern auf die Verhältnisse zu Jahresbeginn 2009. Unter den 21 zu
diesem Zeitpunkt beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der
Beschwerdegegnerin befanden sich nämlich mit den Mitarbeiterinnen B und M auch
zwei bis zum 30.09. bzw. 31.08.2009 befristet eingestellte Arbeitskräfte. Bezüglich der
Mitarbeiterin M hat die Beschwerdegegnerin vorgetragen, dass diese im Anschluss an
ihre Tätigkeit als Zeitarbeitnehmerin nur deshalb einen befristeten
Anschlussarbeitsvertrag erhalten habe, weil für sie noch auslaufende Tätigkeiten zu
erledigen gewesen wären. Dem ist der Antragsteller nur mit der äußerst vagen und
unsubstantiierten Behauptung entgegengetreten, man habe der Mitarbeiterin M "in
Aussicht gestellt, auch längerfristig für das Unternehmen tätig zu werden", ohne
klarzustellen, wann und unter welchen Umständen eine solche Aussage getroffen
worden sein soll. Stand aber bereits zu Beginn des Jahres 2009 fest, dass die
Mitarbeiterin M mit auslaufenden Tätigkeiten und nicht mit Daueraufgaben betraut und
mit einer Verlängerung ihres bis zum 31.08.2009 befristeten Arbeitsvertrages somit nicht
zu rechnen war, kann sie nicht der "regelmäßigen" Beschäftigtenzahl hinzugerechnet
werden. Auch dann wären somit von
nicht
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Demnach konnte die Beschwerde des Antragstellers keinen Erfolg haben.
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III.
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Gegen diese Beschwerdeentscheidung ist nach Maßgabe des § 98 Abs. 2 S. 4 ArbGG
ein weiteres Rechtsmittel nicht statthaft.
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Dr. Czinczoll, VRLAG
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