Urteil des LAG Köln vom 20.04.2010

LArbG Köln (bag, arbeitnehmer, gerichtshof der europäischen gemeinschaften, beendigung, geltendmachung des anspruchs, urlaub, arbeitsunfähigkeit, juristische person, richtlinie, arbeitsverhältnis)

Landesarbeitsgericht Köln, 12 Sa 1448/09
Datum:
20.04.2010
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
12. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
12 Sa 1448/09
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Köln, 10 Ca 2355/09
Schlagworte:
Urlaubsabgeltung; Arbeitsunfähigkeit; Ausschlussfrist
Normen:
§ 7 Abs. 4 BUrlG
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
1. Der Urlaubsabgeltungsanspruch entsteht mit der Beendigung des
Arbeits-verhältnisses und wird gleichzeitig unabhängig von bei einer
theoretischen Urlaubsgewährung bestehenden Erfüllungshindernissen
fällig.
2. Er ist entgegen der bisherigen Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts nicht auf das Ende des Kalenderjahres oder des
Übertragungszeitraums nach § 7 Abs. 3 BurlG befristet, unterliegt aber
als Geldanspruch den (tarifli-chen) Ausschlussfristen.
Tenor:
1. Auf die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Ar-beitsgerichts
Köln vom 13.07.2009 (10 Ca 2355/09) wird dieses teilweise abgeändert
und wie folgt neu gefasst:
„Die Klage wird abgewiesen.“
2. Die Anschlussberufung wird zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
4. Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d
1
Die Parteien streiten über den Anspruch der Klägerin auf Abgeltung ihres Jahresurlaubs
für die Jahre 2007 und 2008. Die Klägerin war von Oktober 1975 bis zum 31.03.2008 als
2
Krankenschwester bei der Beklagten beschäftigt. Zuletzt arbeitete sie in Teilzeit für ein
Gehalt in Höhe von 829,86 € brutto im Monat. Auf das Arbeitsverhältnis findet der TV-L
Anwendung. § 37 Abs. 1 TV-L lautet:
"Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer
Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit von den Beschäftigten oder vom
Arbeitgeber schriftlich geltend gemacht werden. Für denselben Sachverhalt reicht
die einmalige Geltendmachung des Anspruchs auch für später fällig werdende
Leistungen aus."
3
Seit dem 19.10.2006 ist die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. Mit Schreiben vom
25.02.2009 verlangte sie von der Beklagten die Abgeltung ihres Jahresurlaubs in Höhe
von 35 Tagen für das Jahr 2007 sowie 8,75 Tage für das Jahr 2008.
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Sie hat beantragt,
5
die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.613,62 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.03.2009 zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
7
die Klage abzuweisen.
8
Das Arbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 13.07.2009 die Beklagte verurteilt, an die
Klägerin 957,50 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 17.03.2009 zu zahlen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Es
hat seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass der Klägerin unter
Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und der sich
daran anschließenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ein Anspruch auf
Abgeltung des gesetzlichen Urlaubs für die Jahre 2007 und 2008 zustehe, da dieser
aufgrund der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin nicht nach urlaubsrechtlichen
Bestimmungen erloschen sei. Diese Ansprüche seien auch nicht durch die tarifliche
Verfallfrist erloschen, da § 13 Abs. 1 BUrlG dem entgegen stehe. Hingegen seien die
über den gesetzlichen Urlaubsanspruch hinausgehenden Urlaubsansprüche der
Klägerin zwar nicht nach urlaubsrechtlichen Bestimmungen verfallen, da keine
Anhaltspunkte dafür bestünden, dass die Parteien diese Ansprüche anders als den
gesetzlichen Urlaubsanspruch behandeln wollten; jedoch seien diese Ansprüche durch
Ablauf der tarifvertraglichen Verfallfrist mit Ablauf des 30.09.2008 erloschen.
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Gegen dieses ihr am 26.11.2009 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 14.12.2009
Berufung eingelegt und diese am 21.01.2010 begründet. Die Berufungsbegründung ist
der Klägerin am 02.02.2010 zugestellt worden, woraufhin diese am 02.03.2010
Anschlussberufung eingelegt hat.
10
Die Beklagte ist der Ansicht, der Urlaubsabgeltungsanspruch müsse, nachdem er nicht
mehr nach urlaubsrechtlichen Bestimmungen verfalle, der tariflichen Verfallfrist
unterliegen. Dem stehe auch das Gemeinschaftsrecht nicht entgegen.
11
Sie beantragt,
12
das erstinstanzliche Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 13.07.2009 – 10 Ca
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2355/09 – abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
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das erstinstanzliche Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 13.07.2009 – 10 Ca
2355/09 – hinsichtlich der Klageabweisung aufzuheben und die Beklagte zu
verurteilen, an sie über den erstinstanzlich zuerkannten Betrag hinaus weitere
656,10 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 17.03.2009 zu zahlen.
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Sie vertritt die Auffassung, die über den gesetzlichen Urlaub hinausgehenden
Urlaubsansprüche könnten ebenfalls nicht den tariflichen Ausschlussfristen unterliegen,
da für diese Ansprüche das Gleiche gelten müsse, wie für den gesetzlichen Urlaub.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
Akteninhalt Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten
hat Erfolg. Die Anschlussberufung ist hingegen unbegründet.
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Die Klage ist insgesamt unbegründet.
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I. Die Ansprüche der Klägerin auf Abgeltung des Urlaubs für die Jahre 2007 und
2008 sind mit Ablauf des 30.09.2008 nach der tariflichen Verfallfrist des § 37 Abs. 1
TV-L verfallen.
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1. Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin standen dieser zunächst
noch 43,75 Urlaubstage aus den Jahren 2007 und 2008 zu. Dem Anspruch stand
nicht entgegen, dass die Klägerin seit dem Jahre 2006 erkrankt war. Der
Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat im Einklang mit der ständigen
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts erkannt, dass der von Art. 1 der
Richtlinie 2003/88/EG gewährleistete Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier
Wochen auch entsteht, wenn der Arbeitnehmer im gesamten Bezugszeitraum oder
in Teilen davon arbeitsunfähig ist (EuGH, Urteil vom 20.01.2009 – C-350/06 – C-
520/06; BAG, Urteil vom 24.03.2009 – 9 AZR 983/07 – zitiert nach juris, Rn. 21).
Da dieser Anspruch durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr
realisiert werden konnte, war er gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten.
22
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2. Der Abgeltungsanspruch ist entstanden mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses
und wurde zugleich fällig. Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass die
Klägerin bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig erkrankt war.
24
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a. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wandelt sich der
nichterfüllte Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers mit der Beendigung des
Arbeitsverhältnisses in einen Abgeltungsanspruch um, ohne dass es weiterer
Handlungen des Arbeitgebers oder des Arbeitnehmers bedarf (BAG, Urteil vom
19.08.2003 – 9 AZR 619/02 – zitiert nach juris). Der bisherigen Rechtsprechung
entsprach es, den gesetzlichen Urlaubsabgeltungsanspruch nach § 7 Abs. 4
BUrlG nicht als Abfindungsanspruch, sondern als Ersatz für den wegen der
Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr erfüllbaren Anspruch des
Arbeitnehmers auf Befreiung von der Arbeitspflicht anzusehen. Hieraus wurde
gefolgert, dass der Abgeltungsanspruch – abgesehen von der Beendigung des
Arbeitsverhältnisses – an die gleichen Voraussetzungen gebunden sei wie der
Freistellungsanspruch selbst. Wie dieser erlösche er aufgrund seiner Befristung
spätestens mit Ende des Übertragungszeitraums, wenn der Freistellungsanspruch
bis dahin bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis – z. B. wegen Arbeitsunfähigkeit –
nicht habe erfüllt werden können (BAG, Urteil vom 10.05.2005 – 9 AZR 253/04 –
zitiert nach juris, Rn. 25).
b. In seinem Urteil vom 20.01.2009 hat der Europäische Gerichtshof in den
Rechtssachen C-350/06 und C-520/06 dann entschieden, dass Art. 7 Abs. 1 der
Richtlinie 2003/88/EG dahin auszulegen sei, dass er einzelstaatlichen
Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten entgegen stehe, nach denen der
Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nach Ablauf des Bezugsraums und/oder im
nationalen Recht festgelegten Übertragungszeitraums auch dann erlösche, wenn
der Arbeitnehmer während des gesamten Bezugszeitraums oder eines Teils
davon krankgeschrieben gewesen sei und seine Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende
seines Arbeitsverhältnisses fortgedauert habe, weshalb er seinen Anspruch auf
bezahlten Jahresurlaub nicht habe ausüben können. Art. 7 Abs. 1 der
Arbeitszeitrichtlinie stehe einer nationalen Regelung, die für die Ausübung des mit
der Richtlinie ausdrücklich verliehenen Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub
Modalitäten vorsehe, nicht entgegen. Diese Modalitäten könnten sogar den Verlust
des Anspruchs am Ende des Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums
beinhalten. Das gelte allerdings nur unter der Voraussetzung, dass der
Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit habe, den ihm von der Richtlinie
verliehenen Urlaubsanspruch auszuüben. Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 sei
dahingehend auszulegen, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder
Gepflogenheiten entgegen stehe, nach denen für nicht genommenen Jahresurlaub
am Ende des Arbeitsverhältnisses keine finanzielle Vergütung gezahlt werde,
wenn der Arbeitnehmer während des gesamten Bezugszeitraums und/oder
Übertragungszeitraums oder eines Teils davon krankgeschrieben bzw. im
Krankheitsurlaub gewesen sei und deshalb seinen Anspruch auf bezahlten
Jahresurlaub nicht habe ausüben können (EuGH, Urteil vom 20.01.2009 – C-
350/06 – C-520/06 – Rn. 52, 43, 62).
c. Das Bundesarbeitsgericht hat aufgrund dieser Entscheidung des Europäischen
Gerichtshofs seine bisherige Rechtsprechung mit Urteil vom 24.03.2009 (9 AZR
983/07) dahingehend geändert, dass § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG so zu verstehen sei,
dass gesetzliche Urlaubsabgeltungsansprüche nicht erlöschen, wenn
Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des
Übertragungszeitraums erkrankt und deswegen arbeitsunfähig seien. Zur
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Begründung hat es angeführt, dass es offen bleiben könne, ob dieses Ergebnis
durch eine richtlinienkonforme Auslegung zu gewinnen sei, wofür zum Einen
sprechen könne, dass das Erfordernis der Erfüllbarkeit der Freistellung, der Verfall
des Urlaubsanspruchs und der Surrogationscharakter des Abgeltungsanspruchs
nicht ausdrücklich im Gesetzeswortlaut angelegt und dem
Gesetzeszusammenhang nicht in einer Weise zu entnehmen seien, die jede
andere Auslegung ausschließe; jedenfalls sei aber eine richtlinienkonforme
Rechtsfortbildung durch theologische Reduktion der zeitlichen Grenzen der §§ 7
Abs. 3 S. 1, 3 und 4 BUrlG in Fällen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit bis
zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des jeweiligen Übertragungszeitraums
geboten und vorzunehmen (BAG, Urteil vom 24.03.2009 – 9 AZR 983/07 – zitiert
nach juris, Rn. 59, 62 und 64).
d. Der Entscheidung lässt sich nicht explizit entnehmen, ob der nach Ablauf des
Bezugszeitraums bzw. Übertragungszeitraums nach den Grundsätzen des
Europäischen Gerichtshofs aufrecht erhaltene Abgeltungsanspruch weiterhin nur
bei Arbeitsfähigkeit erfüllbar sein soll, inwieweit also die bisher vertretene
Surrogationstheorie noch aufrecht erhalten wird. Die Frage ist nach Auffassung
der erkennenden Kammer dahingehend zu beantworten, dass der
Urlaubsabgeltungsanspruch unabhängig davon erfüllbar ist, ob bei Fortbestehen
des Arbeitsverhältnisses Urlaub gewährt werden könnte. Der Anspruch wird also
unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer arbeitsfähig ist, mit Beendigung des
Arbeitsverhältnisses sofort fällig und ist auch erfüllbar (so auch Düwell, Münchener
Handbuch für Arbeitsrecht, 3. Auflage 2009, § 80 Rn. 67; LAG Hamm, Urteil vom
29.04.2009 – 18 Sa 1594/08; so wohl auch Gaul, DB 2009, 1013, 1016). Nähme
man an, dass der nach der geänderten Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts nicht mehr verfallende Urlaubsabgeltungsanspruch
weiterhin nur erfüllt werden könnte, wenn der Arbeitnehmer seine
Arbeitsunfähigkeit wieder erlangt, trüge man der Entscheidung des Europäischen
Gerichtshofs vom 20.01.2009 nicht hinreichend Rechnung. Bei einem bis zum
Lebensende arbeitsunfähigen Arbeitnehmer wäre damit nämlich eine finanzielle
Vergütung für den Urlaub ausgeschlossen, was ausweislich der Entscheidung des
Europäischen Gerichtshofs nach Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG aber
gerade ausgeschlossen sein soll (vgl. Erfurter Kommentar/Dörner, 10. Auflage
2010, Rn. 59; Subatzus, DB 2009, 510 f.). Hiervon scheint auch das
Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 24.03.2009 (9 AZR 683/07)
auszugehen, da es den Urlaubsabgeltungsanspruch zugesprochen hat, ohne
Ausführungen zur Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit der Klägerin zu machen.
In seiner Entscheidung vom 23.03.2010 (9 AZR 128/09) hat das
Bundesarbeitsgericht nun ausweislich der vorliegenden Pressenmitteilung
offenbar entsprechend der hier vertretenen Ansicht entschieden.
e. Die Fälligkeit des Urlaubsabgeltungsanspruches tritt sofort mit Beendigung des
Arbeitsverhältnisses ein. Dies bedeutet, dass der ausgeschiedene Arbeitnehmer
seinen Abgeltungsanspruch gleich nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses
geltend machen kann und nicht etwa den Ablauf des Übertragungszeitraums
abwarten muss. Dies ergibt sich daraus, dass es sich um einen einheitlichen
Abgeltungsanspruch handelt, der nach der neueren Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts (jedenfalls bei Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers)
lediglich nicht mehr verfällt. Der Ablauf des Bezugs- bzw. Übertragungszeitraums
hat somit keine Auswirkungen auf den Anspruch, also auch nicht im Übrigen. Der
Anspruch behält seinen Charakter. Es lässt sich nicht begründen, warum es bis
zum Ablauf des Übertragungszeitraums auf die theoretische Erfüllbarkeit des
Urlaubsanspruchs bei Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses ankommen soll,
danach jedoch nicht mehr. Die bisher vom Bundesarbeitsgericht vertretene
Theorie, der Urlaubsabgeltungsanspruch unterliege als Surrogat des
Urlaubsanspruchs – abgesehen von der Beendigung des Arbeitsverhältnisses –
den gleichen Regeln wie dieser, verliert damit ihren Hauptanwendungsfall und ist
nach Ansicht der Kammer insgesamt aufzugeben. Sie wurde gerade für die Fälle
entwickelt, in denen Arbeitnehmer arbeitsunfähig aus dem Arbeitsverhältnis
ausscheiden (BAG, Urteil vom 23.06.1983 – 6 AZR 180/80). Bedeutung hat sie
zwar auch in anderen Fällen der theoretisch nicht möglichen Urlaubsgewährung,
aber auch auf diese Fälle ist die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs
übertragbar, sofern die Gründe, die der Urlaubsgewährung entgegen stehen, nur
vom Willen des Arbeitnehmers unabhängig sind (vgl. Fieberg, NZA 2009, 929,
933). Der Gesetzeswortlaut spricht ebenfalls nicht zwingend gegen eine Aufgabe
der bislang vom Bundesarbeitsgericht vertretenen Theorie. § 7 Abs. 4 BUrlG sieht
lediglich vor, dass Urlaub, der wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz
oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann, abzugelten ist. Hieraus kann nicht
zwingend abgeleitet werden, dass Voraussetzung für die Abgeltung ist, dass die
Urlaubsgewährung alleine wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht
mehr erfolgen kann. Der Abgeltungsanspruch ist ein Zahlungsanspruch, dessen
Erfüllbarkeit anderen Regeln folgen kann als der Urlaubsanspruch selbst (vgl.
Rummel, AUR 2009, 160 f., 164). Aus diesem Grunde ist auch schwer
nachvollziehbar, warum die Erfüllbarkeit eines einmal entstandenen
Zahlungsanspruchs von der hypothetischen Erfüllbarkeit eines Anspruchs auf
Freizeitgewährung abhängen soll. Auch die frühere Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts war davon ausgegangen, dass auch bei dauernder
Arbeitsunfähigkeit ein Anspruch auf Abgeltung des zuvor nicht gewährten Urlaubs
bestehe (BAG, Urteil vom 06.06.1968 – 5 AZR 410/67). Der
Urlaubsabgeltungsanspruch ist mithin als ein Geldanspruch anzusehen, der nicht
mehr an die urlaubsrechtlichen Vorgaben gebunden ist (so auch Arbeitsgericht
Regensburg, Urteil vom 04.02.2010 – 8 Ca 1022/09; Düwell, Münchener
Handbuch für Arbeitsrecht, 3. Auflage 2009, § 80 Rn. 66; Schlachter, RdA-Beilage
2009, 31 f.; a. A. Dornbusch/Ahner, NZA 2009, 180, 182).
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3. Der Urlaubsabgeltungsanspruch der Klägerin unterfällt auch tariflichen
Ausschlussfristen. Ob ein Urlaubsabgeltungsanspruch Ausschlussfristen
unterfallen kann, hat das Bundesarbeitsgericht zuletzt in seiner Entscheidung vom
24.03.2009 (9 AZR 983/07, zitiert nach juris, Rn. 77) ausdrücklich offen gelassen.
In seiner bisherigen Rechtsprechung hat das Bundesarbeitsgericht dies jedoch
aus zwei Gründen abgelehnt. Es begründete dies zum Einen damit, dass eine
tarifliche Ausschlussfrist den gesetzlichen Urlaubsabgeltungsanspruch nicht
erfassen könne, da dieser unabdingbar sei (vgl. BAG, Urteil vom 20.05.2008 – 9
AZR 219/07 – zitiert nach juris, Rn. 48; BAG, Urteil vom 24.03.1988 – 2 AZR
630/87 – unter Hinweis auf BAG, Urteil vom 05.04.1984 – 6 AZR 443/81). Zum
Anderen ergebe sich die Nichtanwendbarkeit der Ausschlussfristen daraus, dass
das Gesetz in § 7 Abs. 3 BUrlG eigenständige Verfallfristen vorsehe (BAG, Urteil
vom 20.01.2009 – 9 AZR 650/07 – zitiert nach juris, Rn. 27; BAG, Urteil vom
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24.11.1992 – 9 AZR 549/91).
a. Das erstgenannte dieser Argumente vermag nicht zu überzeugen. Zwar ist der
Urlaubsabgeltungsanspruch in Höhe des gesetzlichen Mindesturlaubs
unabdingbar (BAG, Urteil vom 09.06.1998 - 9 AZR 43/97), aber auch gesetzlich
unabdingbare Ansprüche können einer Ausschlussfrist unterliegen. Dies hat das
Bundesarbeitsgericht etwa für den ebenfalls gemäß § 12 EFZG unabdingbaren
Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall angenommen. Das hierfür
angeführte Argument, die tarifliche Ausschlussfrist betreffe nicht den Inhalt des
Anspruchs sondern dessen Geltendmachung und zeitliche Begrenzung (BAG,
Urteil vom 16.01.2002 – 5 AZR 230/00 – zitiert nach juris, Rn. 20; generell zu
Ausschlussfristen: BAG, Urteil vom 26.09.2007 - 5 AZR 881/06) trifft auch beim
Urlaubsabgeltungsanspruch zu.
b. Das zweite Argument kann hingegen nur durchgreifen, wenn man – nach Ansicht
der Kammer unzutreffenderweise - weiterhin annimmt, der
Urlaubsabgeltungsanspruch verfalle wie der Urlaubsanspruch mit Ende des
Urlaubsjahres bzw. des Übertragungszeitraums, sofern der Arbeitnehmer
arbeitsfähig ist. Das Bundesarbeitsgericht geht in ständiger Rechtsprechung
davon aus, dass der Urlaubsanspruch auf das Kalenderjahr befristet ist und
gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG bei Vorliegen der dort genannten Gründe auf das erste
Vierteljahr des Folgejahres übertragen wird, ansonsten jedoch verfällt (so schon
BAG, Urteil vom 26.06.1969 – 5 AZR 393/68). Die Befristung des
Urlaubsanspruchs hat das Gericht daraus abgeleitet, dass gemäß §§ 1, 7 Abs. 3
BUrlG jeder Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten
Erholungsurlaub habe. Nach § 7 Abs. 3 BUrlG müsse der Urlaub im laufenden
Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Der Urlaubsanspruch bestehe im
Urlaubsjahr, nicht jedoch für das Urlaubsjahr (BAG, Urteil vom 13.05.1982 – 6
AZR 360/80 – zitiert nach juris, Rn. 13). Ursprünglich war das
Bundesarbeitsgericht noch davon ausgegangen, dass bei Unmöglichkeit der
Urlaubsverwirklichung im Kalenderjahr infolge langdauernder Arbeitsunfähigkeit
der Urlaub ohne Beschränkung auf die Dreimonatsfrist des § 7 Abs. 3 S. 3 BUrlG
übergehe (BAG, Urteil vom 13.11.1969 – 5 AZR 82/69). Erst später entschied es,
dass der Urlaub auch im Falle der Arbeitsunfähigkeit nach Ablauf der ersten drei
Monate des Folgejahres erlösche (BAG, Urteil vom 13.05.1982 – 6 AZR 360/80 –
zitiert nach juris, Rn. 15). Demgegenüber nimmt die 12. Kammer des
Landesarbeitsgerichts Düsseldorf in ständiger Rechtsprechung an, dass der
Urlaubsanspruch überhaupt nicht befristet ist (vgl. LAG Düsseldorf, Urteil vom
02.02.2009 – 12 Sa 486/06 – zitiert nach juris Rn. 20 f. m. w. N.). Das
Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung vom 24.03.2009 (9 AZR 983/07,
zitiert nach juris, Rn. 62) konzediert, dass der Verfall des Urlaubsanspruchs im
Gesetzeswortlaut nicht ausdrücklich angelegt und dem Gesetzeszusammenhang
nicht in einer Weise zu entnehmen sind, die jede andere Auslegung ausschließt.
Erst Recht gilt dies aber für den Urlaubsabgeltungsanspruch. § 7 Abs. 3 S. 1
BUrlG, aus dem die Befristung des Urlaubs maßgeblich abgeleitet wird, sieht
nämlich nur vor, dass der Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und
genommen werden muss. Auf einen Geldanspruch passt diese Formulierung
nicht. Ebenso wenig macht die Übertragung des Urlaubs auf das nächste
Kalenderjahr, die in § 7 Abs.3 S. 2 BUrlG für den Fall vorgesehen ist, dass
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dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe
dies rechtfertigen, bei einem Zahlungsanspruch Sinn, dessen Erfüllbarkeit
unabhängig von der Möglichkeit ist, im fortbestehenden Arbeitsverhältnis Urlaub
zu gewähren. Auch die Erwägungen, die dafür sprechen können, den
Urlaubsanspruch selbst zu befristen, sind beim Abgeltungsanspruch nicht
einschlägig. Beim Urlaubsanspruch macht eine Befristung insoweit Sinn, als der
Arbeitnehmer durch sie angehalten wird, seinen Urlaub im jeweiligen Urlaubsjahr
zu nehmen. Damit wird sichergestellt, dass der Anspruch nicht über Jahre
angehäuft und somit der Zweck, dem Arbeitnehmer regelmäßige
Erholungsphasen zu gewähren, gefährdet wird. Beim Urlaubsabgeltungsanspruch
kann jedoch nur der Urlaub abgegolten werden, der noch nicht genommen bzw.
verfallen ist. Weitere Urlaubsansprüche können nicht mehr hinzutreten. Der
Arbeitnehmer muss auch nicht angehalten werden, den Abgeltungsanspruch
innerhalb eines bestimmten Zeitraums zu verwirklichen, da er das auszuzahlende
Geld zwar nutzen kann, um seine Freizeit damit zu bestreiten, dies jedoch nicht
muss. Selbst wenn er sich dafür entscheidet, das Geld zur Freizeitgestaltung zu
verwenden, ist der Zeitpunkt der Verwendung unabhängig vom Zeitpunkt der
Auszahlung durch den ehemaligen Arbeitgeber. Die erkennende Kammer ist
daher der Auffassung, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch des Arbeitnehmers
nicht gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG befristet ist und abgesehen von den aus § 13 Abs. 1
BUrlG sich ergebenden Einschränkungen zu behandeln ist, wie jeder andere
Zahlungsanspruch auch. Zu Recht wird daher von einem Teil der Literatur
angenommen, dass (jedenfalls tarifvertragliche) Ausschlussfristen den
Abgeltungsanspruch zum Erlöschen bringen können (Grobys, NJW 2009, 2177,
2179; Gaul/Bonanni/Ludwig, DB 2009, 1013, 1016; Schlachter, RdA-Beilage
2009, 31, 36; Bauer/Arnold, NJW 2009, 631, 635; Gaul/ Josten/Strauf, DB 2009,
497, 500; im Ergebnis wie hier auch Arbeitsgericht Regensburg, Urteil vom
04.02.2010 – 8 Ca 1022/09; a. A.: Zöller, Personalbuch 2009, Urlaubsabgeltung,
Rn. 7; Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 22.04.2009 – 56 Ca 21280/08; für einen
Fall nur der über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehenden Anspruch:
Dreier/Dassau/Kiefer/Thivessen, TV-L, Stand Aktualisierung 6/2009, Anhang 1 zu
§ 26 TV-L, S. 119).
c. Gegen den Verfall des Urlaubsabgeltungsanspruchs, auch soweit er den
gesetzlichen Mindesturlaub betrifft, sprechen auch keine europarechtlichen
Bedenken. Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG steht nämlich nationalen Regelungen
nicht entgegen, die den Arbeitnehmer verpflichten, seinen Mindesturlaub innerhalb
einer bestimmten Zeitspanne geltend zu machen. Dabei spielt es europarechtlich
keine Rolle, ob die nationalen Regelungen durch Gesetz, Tarifvertrag oder
Betriebsvereinbarung oder Arbeitsvertrag getroffen werden. Wenn diese
Gestaltungsfreiheit bereits für den Urlaubsanspruch eingeräumt wird, gilt sie
entsprechend auch für den Abgeltungsanspruch. Voraussetzung ist nur, dass der
Arbeitnehmer als Folge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses den
Abgeltungsanspruch geltend machen kann (wie hier: Gaul/Bonanni/Ludwig, DB
2009, 1013, 1016; EuGH, Urteil vom 20.01.2009, a. a. O., Rn. 43).
Da die Klägerin ihren mit Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses zum 31.03.2008
fällig gewordenen Urlaubsabgeltungsanspruch nicht binnen sechs Monaten nach
Fälligkeit geltend gemacht hat, ist der Anspruch gemäß § 37 Abs. 1 TV-L, der alle
Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erfasst, verfallen.
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Hiergegen sprechen auch keine Vertrauensschutzgesichtspunkte. In seinem Urteil
vom 24.03.2009 (9 AZR 983/07, a. a. O., Rn. 69 f.) hat das Bundesarbeitsgericht
erwogen, Arbeitgebern im Hinblick auf die bisherige Rechtsprechung, nach der
Urlaubsansprüche nach Ablauf des Übertragungszeitraums verfielen, Vertrauensschutz
zu gewähren, diesen Schutz jedoch für bei Bekanntwerden des
Vorabentscheidungsersuchens des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 02.08.2006
in der Sache S (12 Sa 486/06, LAGE Bundesurlaubsgesetz § 7 Nr. 43) noch nicht
verfallene Urlaubsansprüche abgelehnt. Bestand ab diesem Zeitpunkt kein Grund mehr,
auf den Fortbestand der bisherigen Rechtsprechung zu vertrauen, gilt das Gleiche für
das Eingreifen von einzelvertraglichen oder tariflichen Ausschlussfristen (vgl. Grobys,
NJW 2009, 2177, 2179). Gegen eine Gewährung von Vertrauensschutz zugunsten der
Klägerin spricht zudem, dass ihr durch die Änderung der Rechtsprechung nichts
genommen wird, was ihr bei Fortbestehen der bisherigen Rechtsprechung zugestanden
hätte. Auch dann wären nämlich die Urlaubsansprüche für 2007 und 2008 aufgrund
ihrer fortdauernden Arbeitsunfähigkeit, wenn auch nicht nach § 37 Abs. 1 TV-L, sondern
nach § 26 TV-L mit Ablauf des 31.05.2008 bzw. 31.05.2009 verfallen.
Auf die Berufung der Beklagten war daher das Urteil abzuändern und die Klage
insgesamt abzuweisen, während die Anschlussberufung der Klägerin unbegründet ist.
31
II. Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit §
91 ZPO.
32
III. Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Ziffern 1 und 2 zuzulassen, da die Sache
zum Einen grundsätzliche Bedeutung hat und zum Anderen die Entscheidung von
der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts abweicht.
33
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
34
Gegen dieses Urteil kann von der klagenden Partei
35
R E V I S I O N
36
eingelegt werden.
37
Die Revision muss
innerhalb einer Notfrist* von einem Monat
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Bundesarbeitsgericht
39
Hugo-Preuß-Platz 1
40
99084 Erfurt
41
Fax: 0361 2636 2000
42
eingelegt werden.
43
Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils,
spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
44
Die Revisionsschrift
muss
Bevollmächtigte
45
1. Rechtsanwälte,
2. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse
solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder
Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
3. juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer
der in Nr. 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person
ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder dieser
Organisation oder eines anderen Verbandes oder Zusammenschlusses mit
vergleichbarer Ausrichtung entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die
Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
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In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Revisionsschrift
unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.
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Eine Partei die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
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* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
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Dr. Rech Reintgen Reuber
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