Urteil des LAG Köln vom 18.01.2006

LArbG Köln: verlängerung der frist, schwellenwert, kündigungsschutz, mitarbeit, arbeitsgericht, zahl, gehalt, organisation, form, teilhaber

Landesarbeitsgericht Köln, 7 Sa 844/05
Datum:
18.01.2006
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 Sa 844/05
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Köln, 12 Ca 13313/04
Schlagworte:
Kündigungsschutzgesetz; Kleinbetriebsklausel; Schwellenwert;
Übergangsregelung; Umgehung
Normen:
§ 23 Abs. 1, S. 1 und 3 KSchG; § 21 Abs. 1 und 7 BErzGG
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
1.) Für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis vor dem 01.01.2004
begonnen hat, ist der Schwellenwert von fünf Arbeitnehmern nach § 23
Abs. 1, S. 2 KSchG maßgeblich, sofern im Betrieb nicht ohnehin
insgesamt mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt sind. Dabei können
gemäß § 23 Abs. 1, S. 3, letzter HS KSchG stets aber nur solche
Arbeitnehmer berücksichtigt werden, deren Arbeitsverhältnis ebenfalls
vor dem 01.01.2004 begründet wurde.
2.) Es stellt noch keine rechtsmissbräuchliche Umgehung von § 23 Abs.
1, S. 2 KSchG dar, wenn der Arbeitgeber mehrere vor dem 01.01.2004
begründete befristete Arbeitsverhältnisse mit Befristungsende nach dem
01.01.2004 auslaufen lässt und stattdessen wenig später in
entsprechender Anzahl Neu-Einstellungen vornimmt.
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln
vom 04.05.2005 in Sachen
12 Ca 13313/04 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d :
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Die Parteien streiten um den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses.
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Der Beklagte betreibt in K eine Facharztpraxis für operative und konservative
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Orthopädie. Die am 19.05.1970 geborene Klägerin war seit dem 05.05.1995 in der
Praxis des Beklagten als Arzthelferin beschäftigt. Ihr Verdienst betrug zuletzt ca.
2.450,00 € brutto monatlich.
Am 20.12.2004 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin ordentlich
zum 31.03.2005.
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Im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung waren in der Praxis des Beklagten neben
der Klägerin die ebenfalls vollzeitbeschäftigten Mitarbeiterinnen S , W , F , F , S und R
und die teilzeitbeschäftigte Mitarbeiterin Freire als Arbeitnehmerinnen beschäftigt.
Ferner bestanden ruhende Arbeitsverhältnisse mit den sich in
Erziehungsurlaub/Elternzeit befindlichen Arbeitnehmerinnen L und H . Ferner
verrichtete eine Frau B Schreibarbeiten (Arztbriefe, OP-Berichte, Gutachten u. ä.) in
ihrem eigenen Büro gegen Rechnungsstellung für die Praxis des Beklagten. In der
Praxis war ferner auch die Ehefrau des Beklagten, Frau Dr. A aktiv, welche als stille
Gesellschafterin an der Praxis beteiligt ist.
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Die Arbeitnehmerinnen F , F , S und R waren erst im Laufe des Jahres 2004 eingestellt
worden. Andererseits hatten die auch schon am 31.12.2003 bei dem Beklagten
vollzeitbeschäftigten Mitarbeiterinnen G , P und K mit Ablauf ihrer befristeten
Arbeitsverträge am 30.04.2004, 30.06.2004 bzw. 14.06.2004 die Praxis verlassen.
Schließlich hatte ein in der Praxis beschäftigter Arzt Dr. B aufgrund einer
Eigenkündigung vom 14.11.2003 sein Arbeitsverhältnis mit dem Beklagten zum
31.12.2003 beendet (vgl. Bl. 178 d. A.).
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Wie aus dem vom Beklagten vorgelegten Verlängerungsvertrag vom 07.09.2004 (Bl.
179 f. d. A.) hervorgeht, ist das Arbeitsverhältnis der Mitarbeiterin S aus dem Sachgrund
der Vertretung der sich in Elternzeit befindlichen Mitarbeiterin L bis zum 21.01.2007
zweckbefristet. Nach Darstellung der Beklagten ist ferner auch das Arbeitsverhältnis der
Mitarbeiterin W zweckbefristet für die Dauer des Erziehungsurlaubs der Arbeitnehmerin
H .
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Gegen die Kündigung vom 20.12.2004 hat die Klägerin am 22.12.2004 die vorliegende
Klage erhoben. Die Klägerin hat geltend gemacht, die Kündigung des Beklagten sei
gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial ungerechtfertigt. Die Klägerin hat die Auffassung
vertreten, dass das Kündigungsschutzgesetz auf ihren Fall anwendbar sei. Die
Übergangsregelung in § 23 Abs. 1 S. 2 u. 3 KSchG sei unter
Vertrauensschutzgesichtspunkten bestandserhaltend auszulegen. Arbeitnehmer wie die
Klägerin, die am 31.12.2003 bereits Kündigungsschutz nach dem alten Rechtszustand
erworben gehabt hätten, behielten diesen nach Maßgabe des bisherigen Rechtes weiter
ohne zeitliche Einschränkung. Sowohl am 31.12.2003 als auch im Zeitpunkt des
Ausspruchs der Kündigung am 20.12.2004 habe der Beklagte unstreitig mehr als 5
Arbeitnehmer/- innen beschäftigt. Richtigerweise seien dabei auch Frau B und die
Ehefrau des Beklagten als Arbeitnehmerinnen mitzuzählen.
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Die Klägerin hat beantragt,
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1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch
10
die Kündigung vom 20.12.2004 nicht mit dem 31.03.2005 sein Ende gefunden hat;
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2. den Beklagte zu verurteilen, die Klägerin zu unveränderten Bedingungen als
Arzthelferin bis zum rechtskräftigen Abschluss des vorliegenden Verfahrens weiter
zu beschäftigen.
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Der Beklagte hat beantragt,
14
die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte hat sich darauf berufen, dass auf die streitige Kündigung die Regeln des
Kündigungsschutzgesetzes nicht anwendbar seien. Im Zeitpunkt der Kündigung seien
weniger als 10 Arbeitnehmer/- innen beschäftigt gewesen. Von den im Zeitpunkt der
Kündigung Beschäftigten seien einschließlich der Klägerin nur 3,5 mitzählende
Arbeitskräfte auch bereits am 31.12.2003 Arbeitnehmer/- innen des Betriebs gewesen.
Frau B und Frau Dr. A hätten zu keinem Zeitpunkt in einem Arbeitsverhältnis zur Praxis
gestanden.
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Das Arbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 04.05.2005 die Klage abgewiesen. Auf die
Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
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Das arbeitsgerichtliche Urteil wurde der Klägerin am 15.06.2005 zugestellt. Sie hat
hiergegen am 21.06.2005 Berufung einlegen und diese nach Verlängerung der Frist bis
zum 15.09.2005 am 06.09.2005 begründen lassen.
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Die Klägerin bleibt bei ihrer Auffassung zur Auslegung des § 23 Abs. 1 S. 2 und 3
KSchG. Unabhängig davon seien in dem Zeitpunkt der Kündigung am 20.12.2004 auch
noch mehr als 5 "Alt"–Arbeitnehmer bei dem Beklagten beschäftigt gewesen. Frau B
und Frau Dr. A seien nämlich als Vollzeitarbeitnehmerinnen mitzuzählen. Die Zeugin
Dr. A sei seit Jahren mit der vollständigen Organisation und kaufmännischen Leitung
der Praxis befasst gewesen und abgesehen von rein medizinisch-fachlichen
Fragestellungen die erste Ansprechpartnerin für sie, die Klägerin, und ihre Kolleginnen
gewesen. Die Zeugin B habe umfassend Korrespondenz und Schreibarbeiten für den
Beklagten erledigt, was es fernliegend erscheinen lasse, dass sie auch für weitere
Auftraggeber in nennenswertem Umfang Arbeiten erbringen könne.
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Die Klägerin wirft dem Beklagten vor, dass er jedenfalls die Anwendbarkeit des
Kündigungsschutzgesetzes rechtsmissbräuchlich umgangen habe, indem er im Laufe
des Jahres 2004 fast die halbe Belegschaft ausgewechselt habe. Sie gehe auch davon
aus, dass nicht Frau W , sondern die Anfang 2004 eingestellte Frau F als Vertreterin für
die in Erziehungsurlaub befindliche Frau H fungiere.
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Die Klägerin und Berufungsklägerin beantragt nunmehr,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 04.05.2005 – 12 Ca 13313/04 –
abzuändern und festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende
Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 20.12.2004 nicht mit dem
31.03.2005 sein Ende gefunden habe.
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Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
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die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
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Die Berufungsbeklagte verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil und führt aus, dass § 23
Abs. 1 S. 3 KSchG nur so ausgelegt werden könne, dass der Kündigungsschutz der
"Alt"–Mitarbeiter davon abhänge, ob weiterhin mehr als 5 solcher "Alt"–Mitarbeiter
beschäftigt würden. Es liege auch kein Rechtsmissbrauch vor. Die im Jahre 2004
ausgeschiedenen Mitarbeiter seien aufgrund von Befristungen ausgeschieden und
hätten selbst nicht den Wunsch gehabt, das Arbeitsverhältnis zu verlängern.
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Frau Dr. A sei niemals als weisungsgebundene Arbeitnehmerin in der Praxis tätig
geworden oder in den Praxisbetrieb eingegliedert gewesen. Sie sei auch niemals als
Arbeitnehmerin geführt worden und habe niemals Gehalt bezogen. Frau B betreibe
selbstständig ein eigenes Schreibbüro und erbringe für Rechnung für ihn, den
Beklagten, Leistungen im Umfang eines Gegenwerts von monatlich zwischen 100,- €
und 150,- €. Auch sie sei niemals weisungsabhängig in die Praxis eingegliedert
gewesen.
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Auf den weiteren Inhalt der von den Parteien in der Berufungsinstanz zu den Akten
gereichten Schriftsätzen nebst ihren Anlagen wird ergänzend Bezug genommen.
27
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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I. Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 2 c) ArbGG statthaft
und wurde im Rahmen der in § 66 Abs. 1 ArbGG vorgeschriebenen Fristen eingelegt
und begründet.
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II. Die Berufung der Klägerin ist in der Sache unbegründet und konnte keinen Erfolg
haben. Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage mit der zutreffenden
Begründung abgewiesen, dass die Klägerin sich nicht auf die Schutzvorschriften des
Kündigungsschutzgesetzes berufen könne, da der Betrieb der Beklagten die in § 23
Abs. 1 S. 2 und 3 vorgeschriebenen Schwellenwerte im Zeitpunkt der Kündigung nicht
erreicht.
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1. In dem für die Beurteilung grundsätzlich maßgebenden Zeitpunkt des Ausspruchs der
Kündigung, also am 20.12.2004, beschäftigte der Betrieb des Beklagten nicht mehr als
10 Arbeitnehmer. Dies gilt selbst dann, wenn man den Behauptungen der Klägerin
folgen könnte, wonach auch Frau B und Frau Dr. A als Arbeitnehmerinnen mitzuzählen
wären. Ohne die Zeuginnen B und Dr. A waren am 20.12.2004 nur 7,5 Arbeitnehmer für
den Beklagten tätig, nämlich neben der halbtagsbeschäftigten Mitarbeiterin F , die
vollzeitbeschäftigte Klägerin und die ebenfalls vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmerinnen
S , W , F , F , S und R .
31
2. An dem Tatbestand, dass im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung bei dem
Beklagten nicht mehr als 10 Arbeitnehmer im Sinne von § 23 Abs. 1 S. 3 KSchG
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beschäftigt waren, ändert auch der Umstand nichts, dass zu diesem Zeitpunkt – und
auch heute noch – zusätzlich noch zwei ruhende Arbeitsverhältnisse der sich in
Erziehungsurlaub/Elternzeit befindlichen Mitarbeiterinnen L und H bestanden. Unstreitig
wird die Mitarbeiterin L nämlich vorübergehend durch die in Vertretungsbefristung
beschäftigte Mitarbeiterin S ersetzt, die Mitarbeiterin H entweder durch die
Arbeitnehmerin W (so die Behauptung der Beklagten) oder durch die Arbeitnehmerin F
(so die Behauptung der Klägerin). Werden die Arbeitsplätze der sich in Elternzeit
befindlichen Arbeitnehmerinnen jedoch durch gemäß § 21 Abs. 1 BErzGG sachlich
befristet beschäftigte Vertreterinnen besetzt, so sind bei der Ermittlung der Zahlen der
Arbeitnehmer nach § 23 Abs. 1 S. 3 KSchG die sich in Elternzeit befindlichen
Mitarbeiterinnen nicht mitzuzählen. Dies ergibt sich aus § 21 Abs. 7 BErzGG.
3. Die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes könnte sich für die Klägerin somit
nur aus § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG ergeben.
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a. An dem in § 23 Abs. 1 S. 3 KSchG erwähnten Stichtag 31.12.2003 waren im Betrieb
des Beklagten unstreitig mehr als 5 Arbeitnehmerinnen beschäftigt. § 23 Abs. 1 S. 3
letzter HS KSchG bestimmt jedoch, dass diejenigen Arbeitnehmer, deren
Arbeitsverhältnis nach dem 31.12.2003 begonnen hat, bei der Feststellung der Zahl der
beschäftigten Arbeitnehmer nach § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG bis zur Beschäftigung von in
der Regel 10 Arbeitnehmern nicht zu berücksichtigen sind. Dies bedeutet einerseits,
dass für die Klägerin, deren Arbeitsverhältnis vor dem 01.01.2004 begonnen hat, der
Schwellenwert von 5 Arbeitnehmern nach § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG maßgeblich ist,
sofern im Betrieb nicht insgesamt mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt sind.
Andererseits dürfen nach dem eindeutigen und sprachlich nicht anders auslegbaren
Wortlaut des § 23 Abs. 1 S. 3 letzter HS KSchG dabei aber nur solche Arbeitnehmer
berücksichtigt werden, deren Arbeitsverhältnis ebenfalls bereits vor dem 01.01.2004
begründet wurde (ebenso: Bader NZA 2004, 66; HWK/Pods/Quecke, § 23 KSchG, Rdnr.
11 f.; KR – Weigand, § 23 KSchG, Rdnr. 33 b, 33 c, 33 f; APS – Moll, § 23 KSchG, Rdnr.
32 f.; a. A.(ohne Begründung): Kittner/Däubler/Zwanziger, Kündigungsschutzrecht, § 23
KSchG, Rdnr. 27 c). Richtig ist zwar, dass nach der Übergangsregelung in § 23 Abs. 1
S. 3 KSchG diejenigen Arbeitnehmer, die am 31.12.2003 unter Zugrundelegung des
alten Rechtszustandes Kündigungsschutz genossen, diesen auch nach Anhebung des
Schwellenwerts für die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes ohne zeitliche
Begrenzung behalten, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass sich die am
31.12.2003 bestehenden Verhältnisse
hinsichtlich der an diesem Stichtag
Beschäftigten
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b. Am 20.12.2004 waren bei dem Beklagten jedoch nicht mehr als 5 Arbeitnehmerinnen
tätig, deren Arbeitsverhältnis auch schon am 31.12.2003 bestanden hatte, nämlich
außer der Klägerin nur noch die beiden vollzeitbeschäftigten Mitarbeiterinnen S und W
sowie die halbtagsbeschäftigte Mitarbeiterin F . Unterstellt man zu Gunsten der Klägerin,
dass deren Behauptung richtig ist, wonach nicht die Mitarbeiterin W , sondern die erst im
Januar 2004 eingestellte Mitarbeiterin F als nach § 21 Abs. 1 BErzGG zweckbefristete
Vertreterin der sich in Erziehungsurlaub/Elternzeit befindlichen Arbeitnehmerin H
fungiert, so wäre wegen § 21 Abs. 7 S. 2 BErzGG i. V. m. § 23 Abs. 1 S. 3 letzter HS
KSchG zusätzlich die Mitarbeiterin H mitzuzählen, sodass dann von 4,5 "Alt"–
Arbeitnehmerinnen auszugehen wäre, sodass auch dann der für die Klägerin
maßgebliche Schwellenwert von fünf noch nicht überschritten würde.
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c. Entgegen der Annahme der Klägerin wird der Schwellenwert von fünf "Alt"–
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Arbeitnehmerinnen auch nicht dadurch überschritten, dass sowohl am 31.12.2003 als
auch im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung die Zeugen B und Dr. A ebenfalls für
die Praxis des Beklagten tätig waren. Der Sachvortrag der Klägerin reicht nämlich nicht
aus, um annehmen zu können, dass Frau B und Frau Dr. A als Arbeitnehmerinnen tätig
waren.
aa. Was die Tätigkeit der Frau B für den Betrieb des Beklagten angeht, so hat der
Beklagte substantiiert dargelegt, dass Frau B in einem von ihr selbständig betriebenen
Schreibbüro in Auftragsarbeit bestimmte Arten von Schriftverkehr für die Praxis des
Beklagten erledigt hat und diese einmal monatlich zu Stückpreisen in Rechnung gestellt
hat, wobei durchschnittliche Rechnungsbeträge zwischen 100,- € und 150,- € die Regel
waren. Diesem substantiierten Sachvortrag ist die Klägerin in keiner Weise ausreichend
entgegengetreten. Sie hat nichts vorgetragen, aus dem hervorginge, dass die Zeugin B
entgegen der Behauptung des Beklagten nicht in einem eigenen Büro tätig war, sondern
in den Räumen der Praxis in deren Organisation und Geschäftsbereich integriert war
und wie eine Arbeitnehmerin weisungsabhängige Arbeiten verrichten musste. Aus dem
Sachvortrag der Klägerin ergibt sich keinerlei konkreter Anhaltspunkt dafür, dass die von
der Zeugin B praktizierte, vom Beklagten durch Vorlage einzelner Rechnungen
dokumentierte Abrechnungsmethode nicht den tatsächlichen rechtlichen
Vertragsverhältnissen entsprach, sondern in Wirklichkeit gleichwohl ein
Arbeitsverhältnis vorgelegen hätte.
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bb. Ebenso reicht der Sachvortrag der Klägerin nicht aus, um von einer
Arbeitnehmerstellung der Frau Dr. A ausgehen zu können.
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Bei dieser Zeugin handelt es sich bekanntlich um die Ehefrau des Beklagten, die
unstreitig gesellschaftsrechtlich an der Praxis beteiligt ist. Arbeitet ein Ehegatte in dem
Betrieb seines Partners mit, so kann dies auf den unterschiedlichsten rechtlichen
Grundlagen beruhen: Es kann sich um eine Mitarbeit handeln, die allein durch die
familiäre Verbundenheit der Parteien geprägt ist, es kann sich um ein vollgültiges
Arbeitsverhältnis handeln, bei dem für den Arbeitnehmer–Ehegatten
Sozialversicherungsbeiträge und oft auch ein Gehalt gezahlt werden. Ist der
mitarbeitende Ehegatte überdies in irgendeiner Form gesellschaftsrechtlich als
Teilhaber des Betriebes über die rein familienrechtliche Bindung hinaus an dessen
wirtschaftlichen Erfolg und Misserfolg unmittelbar beteiligt, so kann es sich auch um
eine Mitarbeit handeln, die der Ehegatte–Mitgesellschafter in Erfüllung formeller oder
informeller Gesellschafterpflichten erbringt.
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Konkrete und belastbare Anhaltspunkte dafür, dass sich die Mitarbeit der Frau Dr. A in
der Praxis des Beklagten gerade als diejenige einer "normalen" Arbeitnehmerin erweist
und nicht auf der Basis einer der denkbaren anderen Varianten erbracht wird, hat die
Klägerin ebenfalls nicht vorgetragen. So kann der Hinweis der Klägerin, Frau Dr. A übe
in nicht- medizinischen Belangen die volle organisatorische und kaufmännische Leitung
der Praxis aus und sei erste Ansprechpartnerin für die Beschäftigten gewesen, gerade
auch darauf hindeuten, dass Frau Dr. A ihrerseits eine Arbeitgeberfunktion ausübte und
eben nicht als weisungsabhängige Arbeitnehmerin tätig wurde.
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cc. Selbst wenn man entgegen der wohl noch herrschenden Meinung nicht den
Arbeitnehmer als beweisbelastet dafür ansieht, dass der für ihn maßgebliche
Schwellenwert des § 23 Abs. 1 KSchG überschritten wird, sondern mit der im
Vorbringen befindlichen gegenteiligen Auffassung davon ausgeht, dass der Arbeitgeber
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das Nichterreichen des Schwellenwertes zu beweisen hat, so hat der Arbeitnehmer
doch nach den Grundsätzen der abgestuften Darlegungslast einen substantiierten
Tatsachenvortrag zu leisten, der in sich schlüssig für die Annahme spricht, dass im
maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt eine bestimmte Person in dem Betrieb des
Arbeitgebers als Arbeitnehmer beschäftigt war. Der Sachvortrag der Klägerin über die
Rolle der Frau Dr. A in der Praxis des Beklagten enthält jedoch keine aussagekräftigen
Indizien dafür, dass die Ehefrau des Beklagten gerade nicht als Mit-Arbeitgeberin und
auch nicht lediglich als aus familiärer Verbundenheit mitarbeitende Angehörige,
sondern als "normale" Arbeitnehmerin in der Praxis tätig wurde.
4. Schließlich kann im vorliegenden Fall die Anwendbarkeit des
Kündigungsschutzgesetzes zu Gunsten der Klägerin auch nicht aus dem Gesichtspunkt
einer rechtsmissbräuchlichen Umgehung des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG durch den
Beklagten hergeleitet werden.
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a. Zwar ist grundsätzlich die Gefahr einer "Flucht aus dem Kündigungsschutz" gegeben.
Ihr kann jedoch durch eine entsprechende Anwendung des in § 162 Abs. 2 BGB
enthaltenen Rechtsgedankens entgegengetreten werden (HWK/Pods/Quecke, § 23
KSchG, Rdnr. 12).
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b. Vorliegend kann jedoch darin, dass der Beklagte die drei im Laufe des Jahres 2004
auslaufenden befristeten Arbeitsverträge der Mitarbeiterinnen G , P und K nicht
verlängert hat, kein in diesem Sinne treuwidriges Verhalten gesehen werden. Bedenkt
man, dass wirksam befristete Arbeitsverhältnisse mit Ablauf des Befristungszeitraums
selbst dann auslaufen, wenn eine zum gleichen Zeitpunkt ausgesprochene Kündigung
aufgrund bestehender Sonderschutzrechte unheilbar nichtig wäre (z. B. im Rahmen des
Mutterschutzes, der Elternzeit etc.), so kann die Nichtverlängerung eines befristeten
Vertrages für sich allein den Tatbestand des Rechtsmissbrauchs nicht erfüllen. Es
kommt somit nicht darauf an, ob die im Jahre 2004 aufgrund Befristungsablaufs
ausgeschiedenen Mitarbeiterinnen des Beklagten selbst keine weitere Beschäftigung
wünschten oder ob die Entscheidung zur Nichtverlängerung vom Beklagten ausging.
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c. Es ist schließlich auch nicht ersichtlich, dass es durchgreifenden
verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegen könnte, wenn nach dem vorstehend
angewandten gesetzlichen Modell der Regelung in § 23 Abs. 1 S. 2 u. 3 KSchG der von
Arbeitnehmern in kleineren Betrieben am 31.12.2003 bestehende Bestandsschutz
aufgrund einer Personalfluktuation im Betrieb verloren gehen kann (hierzu Quecke, RdA
2004, 104 f.; HWK/Pods/Quecke § 23 KSchG, Rdnr. 12).
45
Demnach erweist sich die arbeitsgerichtliche Entscheidung, die die Anwendbarkeit des
Kündigungsschutzgesetzes zu Gunsten der Klägerin verneint hat, als richtig.
46
III. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.
47
Einem Antrag der Klägerin entsprechend war nach der Auffassung des
Berufungsgerichts auf der Grundlage von § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG die Revision
zuzulassen.
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(Dr. Czinczoll) (Bück) (Göbel)
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