Urteil des LAG Köln vom 22.03.2005

LArbG Köln: mvg, ordentliche kündigung, gleichstellung, betriebsrat, anhörung, arbeitsgericht, ersetzung, einfluss, dienstplan, wochenende

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Vorinstanz:
Normen:
Sachgebiet:
Leitsätze:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Landesarbeitsgericht Köln, 9 Sa 1296/04
22.03.2005
Landesarbeitsgericht Köln
9. Kammer
Urteil
9 Sa 1296/04
Arbeitsgericht Köln, 5 Ca 3282/04
§ 42 lit. b Kirchengesetz über Mitarbeitervertretungen in der
Evangelischen Kirche in Deutschland (MVG) vom 06.11.1992
Arbeitsrecht
1. Für die ordnungsgemäße Beteiligung der Mitarbeitervertretung vor der
Kündigung gelten grundsätzlich dieselben Maßstäbe, die das
Bundesarbeitsgericht für das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG
entwickelt hat.
2. Danach ist nach "Rücknahme" einer Kündigung die
Mitarbeitervertretung vor Ausspruch einer weiteren Kündigung erneut zu
beteiligen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das vorherige
Beteiligungsverfahren fehlerhaft war oder wenn sich neue Gründe
ergeben haben, die den nach § 41 Abs. 2 MVG zulässigen
Zustimmungsverweigerungsgründen zuzuordnen sind.
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln
vom 30. Juli 2004 – 5 Ca 3282/04 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
Die Parteien streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis durch
ordentliche Kündigung der Beklagten vom 19. März 2004 zum 30. September 2004
beendet worden ist.
Die Klägerin, geboren am 28. Juli 1954, geschieden, ist bzw. war bei der Beklagten seit
dem 1. Dezember 1994 als hauswirtschaftliche Mitarbeiterin beschäftigt zu einem
monatlichen Gehalt von zuletzt etwa EUR 1.400,00 brutto. Für die Beklagte sind in der
Regel mehr als 5 Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden tätig. Auf das
Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag Arbeiter – Kirchliche Fassung (MTArb-KF)
Anwendung.
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Mit Schreiben vom 20. Februar 2001 mahnte die Beklagte die Klägerin ab, weil sie
gemeinsam mit einem Zivildienstleistenden während des Dienstes Alkohol getrunken hatte.
Mit Schreiben vom 18. März 2003 mahnte die Beklagte die Klägerin ab, weil sie eine
Banane aus den Lebensmittelbeständen des Krankenhauses verzehrt hatte.
Eine weitere Abmahnung erfolgte mit Schreiben vom 9. Mai 2003, weil die Klägerin am 9.
März 2003 nicht zum Dienst erschienen sei, obwohl sie gemäß Dienstplan Frühdienst hätte
verrichten müssen. Mit weiterem Schreiben vom 9. Mai 2003 mahnte die Beklagte die
Klägerin ab, weil sie am 14. April 2003 eigenmächtig Frühdienst geleistet habe, obwohl sie
nach einer Anweisung der Hauswirtschaftsleiterin an diesem Tag Spätdienst habe leisten
sollen.
Am 28. Juni 2003 erschien die Klägerin nicht zur Arbeit, obwohl sie von der
Hauswirtschaftsleiterin wegen des krankheitsbedingten Ausfalls anderer Mitarbeiter für die
Spätschicht eingeteilt worden war. Die Klägerin hatte zuvor selbst bis zum 24. Juni 2003
längere Zeit krankheitsbedingt gefehlt.
Mit Schreiben vom 12. November 2003 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis aus
verhaltensbedingten Gründen zum 30. September 2004.
Die bei der Beklagten nach dem Kirchengesetz über Mitarbeitervertretungen in der
Evangelischen Kirche in Deutschland vom 6. November 1992 (im weiteren: MVG) gebildete
Mitarbeitervertretung hatte vorher die Zustimmung zu der Kündigung verweigert. Die
Zustimmung war durch Beschluss der zuständigen Schlichtungsstelle vom 6. November
2003 ersetzt worden.
Die Klägerin, für die ein Grad der Behinderung von 30 anerkannt ist, hatte vor Zugang der
Kündigung die Gleichstellung als Schwerbehinderte beantragt und dies vor der
Schlichtungsstelle dem Beklagten mitgeteilt. Die Gleichstellung erfolgte nach Zugang der
Kündigung, die daraufhin von der Beklagten mit Schreiben vom 17. Dezember 2003
"zurückgenommen" wurde, nachdem die Klägerin Kündigungsschutzklage erhoben hatte.
Die Beklagte beantragte am 7. Januar 2004 die Zustimmung des Integrationsamtes zu
einer auf den gleichen Sachverhalt gestützten erneuten Kündigung. Durch Bescheid vom
16. März 2004 erteilte das Integrationsamt die Zustimmung mit dem Hinweis auf den
verhaltensbedingten Kündigungsgrund, der nicht im Zusammenhang mit der Behinderung
der Klägerin stehe. In dem Bescheid wird ausgeführt, die Mitarbeitervertretung sowie die
Schwerbehindertenvertretung hätten dem Antrag nicht zugestimmt, da sie die
ordnungsgemäße Abwägung der Interessen der Klägerin bezweifelten.
Daraufhin kündigte die Beklagte erneut das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 19. März
2004 zum 30. September 2004, ohne ein weiteres Verfahren auf Zustimmung bzw.
Ersetzung der Zustimmung der Mitarbeitervertretung durchgeführt zu haben.
Mit der vorliegenden Klage, die am 29. März 2004 beim Arbeitsgericht Köln eingegangen
ist, wendet sich die Klägerin, die auch gegen den Zustimmungsbescheid des
Integrationsamtes Widerspruch einlegte, gegen die Kündigung.
Sie hat erstinstanzlich geltend gemacht, die Kündigung sei bereits unwirksam, weil vor
Ausspruch nicht erneut das Verfahren auf Zustimmung der Mitarbeitervertretung
durchgeführt worden sei. Zudem sei die Kündigung nicht aus verhaltensbedingten Gründen
sozial gerechtfertigt. Sie sei nicht wiederholt eigenmächtig dem Dienst ferngeblieben. Die
Abmahnungen vom 20. Februar 2001 und vom 18. März 2003 seien bereits nicht
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einschlägig. Sie habe am 12. März 2003 eine Banane verzehrt, die ihr ein Heimbewohner
geschenkt habe. Die Abmahnungen vom 9. Mai 2003 seien unberechtigt. Die
Hauswirtschaftsleiterin habe sie für den 9. März 2003 vom Dienst frei gestellt. Zwar habe
sie die Anweisung erhalten, am 14. April 2003 Spätdienst zu verrichten. Als sie aber später
festgestellt habe, dass sie im Dienstplan für den Frühdienst am 14. April 2003 eingeteilt
gewesen sei, habe sie den Frühdienst angetreten. Danach habe sie abgelehnt, an diesem
Tag auch noch den Spätdienst zu verrichten. Nach dem Dienstplan habe sie vom 27. Juni
2003 bis zum 29. Juni 2003 keinen Dienst zu verrichten gehabt. Sie habe deshalb ihre
Tochter zu Besuch gehabt. Dennoch habe sie am 27. Juni 2003 Frühdienst verrichtet. Die
Anweisung, auch am 28. Juni 2003 und 29. Juni 2003 Spätdienst zu verrichten, habe sie
abgelehnt.
Die Klägerin hat beantragt,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die
Kündigung der Beklagten vom 19. März 2004 zum 30. September 2004 beendet worden ist,
sondern unverändert fortbesteht,
2. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) die Beklagte zu verurteilen, sie ab
dem 1. Oktober 2004 zu unveränderten Arbeitsbedingungen als hauswirtschaftliche
Mitarbeiterin weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat erstinstanzlich vorgetragen, eines erneuten Verfahrens auf Zustimmung bzw.
Ersetzung der Zustimmung der Mitarbeitervertretung habe es nicht bedurft, da der
Kündigungssachverhalt sich nicht geändert habe.
Die Kündigung sei auch aus verhaltensbedingten Gründen sozial gerechtfertigt. In den von
ihr erteilten Abmahnungen seien zutreffend wiederholte Vertragsverstöße der Klägerin
gerügt worden. Aufgrund der Erkrankung anderer Mitarbeiterinnen sei die Klägerin für den
Dienst am 28. Juni 2003 einteilt worden. Eine andere Kraft habe nicht zur Verfügung
gestanden. Nach § 8 Abs. 5 MTArb-KF sei die Klägerin verpflichtet gewesen, die
angeordneten Überstunden zu leisten.
Das Arbeitsgericht Köln hat durch Urteil vom 30. Juli 2004 der Klage stattgegeben. Zur
Begründung hat es ausgeführt, zwar sei die Kündigung nicht wegen unterbliebener
Anhörung der Mitarbeitervertretung unwirksam. Es wäre eine bloße Förmelei, eine erneute
förmliche Anhörung der Mitarbeitervertretung zu verlangen.
Die Kündigung sei aber aus sachlichen Gründen nicht gerechtfertigt. Zwar sei die Klägerin
nach tariflichen Bestimmungen verpflichtet gewesen, am 28. Juni 2003 zu arbeiten. Da sich
die Klägerin aber auf ein arbeitsfreies Wochenende mit ihrer Tochter eingerichtet habe,
hätte die Beklagte auch unter Berücksichtigung der bereits erteilten Abmahnungen eine
erneute Abmahnung aussprechen müssen. Die Abmahnungen vom 20. Februar 2001 und
vom 18. März 2003 enthielten andere Vertragsverstöße als die Dienstverweigerung, die
Anlass für die Kündigung gewesen sei. Außerdem lägen sämtliche Abmahnungen bereits
länger zurück.
Der Weiterbeschäftigungsanspruch bestehe nach höchstrichterlicher Rechtsprechung.
Das Urteil ist der Beklagten am 2. Oktober 2004 zugestellt worden. Sie hat hiergegen am
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26. Oktober 2003 Berufung einlegen und diese zugleich begründen lassen.
Die Beklagte wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen zu den vorangegangenen
Abmahnungen. Die beiden Abmahnungen vom 9. Mai 2003 hätten bei Ausspruch der
verhaltensbedingten Kündigung berücksichtigt werden dürfen. Der Vertragsverstoß der
Klägerin am 28. Juni 2003 wiege schwer. Sie – die Beklagte – habe die Klägerin erst für
den Dienst eingeteilt, nachdem sie sich zuvor vergebens bemüht habe, die Dienste an dem
Wochenende anderweitig zu besetzen. Obwohl der Klägerin die personelle Notlage
bekannt gewesen sei und sie sich nach anfänglichem Weigern dann doch bereit erklärt
habe, am 28. Juni 2003 Frühdienst zu verrichten, sei sie nicht zur Arbeit erschienen. Eine
andere Arbeitnehmerin habe deshalb die angefallene Arbeit allein erledigen müssen. Dies
zeige, dass die Klägerin uneinsichtig sei und sich hartnäckig weigere, Anordnungen des
Arbeitgebers zu befolgen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 30. Juli 2004 – 5 Ca 3282/04 – abzuändern
und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Sie wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen, die Abmahnungen seien nicht einschlägig
bzw. nicht zutreffend. Sie habe dienstfrei vom 27. Juni 2003 bis zum 29. Juni 2003 gehabt.
Kurzfristig habe sie sich bereit erklärt, dennoch am 27. Juni 2003 Frühdienst zu verrichten.
Die weitere Anordnung, am 28. und 29. Juni 2003 Spätdienst zu verrichten, habe sie
abgelehnt, weil sie am Wochenende ihre in Karlsruhe lebende schwerkranke Tochter zu
Besuch gehabt habe. Die Beklagte habe trotz dieses schwerwiegenden Grundes nicht sie,
sondern eine andere Mitarbeiterin für den 28. Juni 2003 vom Dienst freigestellt.
Wegen des übrigen Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen diesen gewechselten
Schriftsätze Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. Die Berufung ist zulässig.
Sie ist gemäß § 64 Abs. 2 c ArbGG statthaft und wurde innerhalb der in
§ 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG vorgeschriebenen Fristen eingelegt und begründet.
II. Die Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
1) Durch die Kündigung vom 19. März 2004 ist das zwischen den Parteien bestehende
Arbeitsverhältnis nicht zum 30. September 2004 beendet worden.
Die Kündigung ist unwirksam, weil die Zustimmung der Mitarbeitervertretung vor Ausspruch
der Kündigung nicht erneut eingeholt und damit auch nicht erteilt bzw. ersetzt worden ist.
Dies ist mit den Parteien in der Berufungsverhandlung am 22. März 2005 eingehend
erörtert worden.
a) Nach § 42 lit. b MVG hat die Mitarbeitervertretung bei ordentlichen Kündigungen nach
Ablauf der Probezeit ein – eingeschränktes – Mitbestimmungsrecht. Nach § 41 Abs. 2 MVG
darf die Mitarbeitervertretung ihre Zustimmung nur verweigern, wenn die Kündigung gegen
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eine Rechtsvorschrift, eine arbeitsrechtliche Regelung, eine andere bindende Bestimmung
oder gegen eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung verstößt. Für das Verfahren bei
der eingeschränkten Mitbestimmung gilt § 38 MVG entsprechend (§ 41 Abs. 3 MVG).
Nach § 38 Abs. 1 MVG darf eine Maßnahme, die der Mitbestimmung der
Mitarbeitervertretung unterliegt, erst vollzogen werden, wenn die Zustimmung der
Mitarbeitervertretung vorliegt oder durch die Schlichtungsstelle ersetzt worden ist. Eine der
Mitbestimmung unterliegende Maßnahme ist unwirksam, wenn die Mitarbeitervertretung
nicht beteiligt worden ist.
b) Entgegen der Ansicht der Beklagten war eine erneute Beteiligung der
Mitarbeitervertretung nach § 42 lit. b MVG nicht aufgrund der früher erfolgten Ersetzung der
Zustimmung zu der Kündigung vom 12. November 2003 durch die Schlichtungsstelle
entbehrlich. Die erneute Beteiligung der Mitarbeitervertretung stellte auch keine bloße
"Förmelei" dar, wie das Arbeitsgericht meint.
aa) Für die ordnungsgemäße Beteiligung der Mitarbeitervertretung vor der Kündigung
gelten grundsätzlich dieselben Maßstäbe, die das Bundesarbeitsgericht für das
Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG entwickelt hat (vgl. LAG Köln, Urteil vom 18.
Januar 1995 - AP Nr. 75 zu § 102 BetrVG 1972). Das Vorliegen einer Zustimmung reicht
daher nicht aus. Die Wirksamkeit der Kündigung setzt vielmehr voraus, dass das
Mitbestimmungsverfahren fehlerfrei verlaufen ist.
bb) Nach § 102 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Deshalb gebietet
schon der Wortlaut dieser gesetzlichen Vorschrift, den Betriebsrat vor Ausspruch einer
erneuten Kündigung auch erneut anzuhören, nachdem die vorherige Kündigung durch
einverständliche "Rücknahme" gegenstandslos geworden ist. Jedoch gebieten auch der
erkennbare Sinn und Zweck der Vorschrift die erneute Anhörung des Betriebsrats. Dem
Betriebsrat soll durch die Anhörung Gelegenheit gegeben werden, auf den
Kündigungsentschluss des Arbeitgebers Einfluss zu nehmen. Wird eine Kündigung
gegenstandslos, so steht der Arbeitgeber vor der Entscheidung, ob er erneut kündigt oder
ob er dies unterlässt. Auf diese neu zu treffende Entscheidung soll der Betriebsrat Einfluss
nehmen können. Es gibt keine Anhörung gleichsam auf Vorrat (vgl. dazu: BAG, Urteil vom
16. September 1993 – 2 AZR 267/93 -).
Eine Ausnahme von diesem allgemeinen Grundsatz einer Anhörungspflicht vor jeder
Kündigung kann angenommen werden, wenn der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört
worden ist und er der Kündigung ausdrücklich und vorbehaltlos zugestimmt hatte, die
Kündigung wegen fehlenden Zugangs an den Kündigungsgegner unwirksam war und in
engem zeitlichen Zusammenhang eine erneute Kündigung ausgesprochen wird, die auf
denselben Sachverhalt gestützt wird (vgl. BAG, Urteil vom 16. September 1993 – 2 AZR
267/93 -).
Eine solche Ausnahme liegt nicht vor, wenn die erste Kündigung zugegangen ist und damit
das einseitige Gestaltungsrecht ausgeübt und "verbraucht" ist (vgl. BAG, Urteil vom 16.
September 1993 – 2 AZR 267/93 -).
cc) Auch das Mitbestimmungsverfahren nach § 42 lit. b MVG erfordert eine erneute
Beteiligung der Mitarbeitervertretung bei Ausspruch einer neuen Kündigung.
Zwar ist nicht ausdrücklich bestimmt, dass bei "jeder" Kündigung die Mitarbeitervertretung
ein Mitbestimmungsrecht hat. Jedoch gebieten auch hier Sinn und Zweck der Vorschrift
eine erneute Beteiligung der Mitarbeitervertretung. Sie muss Gelegenheit haben, auf den
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erneut gefassten Kündigungsentschluss des Arbeitgebers Einfluss zu nehmen. Dies muss
jedenfalls dann gelten, wenn das vorherige Beteiligungsverfahren fehlerhaft war oder wenn
sich neue Gründe ergeben haben, die den nach § 41 Abs. 2 MVG zulässigen
Zustimmungsverweigerungsgründen zuzuordnen sind. Die Mitarbeitervertretung muss die
Gelegenheit haben, mit diesen neuen Gründen auf den Kündigungsentschluss des
Arbeitgebers einzuwirken und sie ggf. auch in einem erneuten Schlichtungsverfahren
vorzubringen.
dd) Danach war die Beklagte zur Durchführung eines erneuten Beteiligungsverfahrens
verpflichtet. Die erste Kündigung vom 12. November 2003 war durch die einvernehmliche
"Rücknahme" gegenstandslos und verbraucht. Zu der ordnungsgemäßen Unterrichtung der
Mitarbeitervertretung gehörte nunmehr auch die Mitteilung über die anerkannte
Gleichstellung der Klägerin als Schwerbehinderte, die im vorangegangenen
Beteiligungsverfahren nicht erfolgen konnte, weil die Gleichstellung damals noch nicht
vorlag (vgl. zum Umfang der Unterrichtungspflicht: BAG, Urteil vom 16. September 1993 – 2
AZR 267/93 – und Fey/Rehren, MVG-EKD, § 42 Rdn. 20 a). Zudem ergab sich aufgrund
der Gleichstellung ein neuer Zustimmungsverweigerungsgrund für die
Mitarbeitervertretung. Nach § 41 Abs. 2 MVG kann die Zustimmung wegen Verstoßes
gegen arbeitsrechtliche Schutzvorschriften verweigert werden, wozu sowohl die
Bestimmungen über den besonderen Schutz der schwerbehinderten Menschen (§§ 85 ff.
und § 91 SGB X) als auch die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes gehören, die
u. a. auch bei verhaltensbedingten Kündigungen eine Abwägung der Interessen des
Arbeitgebers mit denen des Arbeitnehmers vorsehen (vgl. KR-Etzel, 6. Aufl., § 1 KSchG
Rdn. 409). Dass bei der Interessenabwägung eine anerkannte Gleichstellung als
Schwerbehinderter zu berücksichtigen ist, die der Förderung der Beschäftigung dient (§ 2
Abs. 3 SGB IX), braucht nicht weiter ausgeführt zu werden.
Da die Beklagte die Mitarbeitervertretung, die ausweislich des Bescheides des
Integrationsamtes insbesondere eine hinreichende Berücksichtigung der Interessen der
Klägerin bezweifelte, nicht erneut beteiligt hat, ist die Kündigung unwirksam.
2) Die Beklagte hat sich in der Berufungsbegründung nicht gesondert mit dem Ausspruch
des erstinstanzlichen Gerichts "über den unveränderten Fortbestand des
Arbeitsverhältnisses" und über den Weiterbeschäftigungsanspruch auseinandergesetzt.
Daraus ist zu schließen, dass keine weiteren Beendigungsgründe vorliegen und weder die
genannte zusätzliche Feststellung noch das Verlangen des Klägers auf
Weiterbeschäftigung bereits während des Kündigungsrechtsstreits gesondert angegriffen
werden.
Die Berufung ist daher mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g :
Die Revision wurde nicht zugelassen. Die entscheidungserhebliche Rechtsfrage über die
Beteiligung der Mitarbeitervertretung ist nach den zitierten höchstrichterlichen
Entscheidungen bereits beantwortet gewesen. Auf die Möglichkeit der
Nichtzulassungsbeschwerde nach § 72 a ArbGG wird hingewiesen.
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