Urteil des LAG Köln vom 30.04.2004

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Landesarbeitsgericht Köln, 4 Sa 955/03
Datum:
30.04.2004
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
4. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 Sa 955/03
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Köln, 11 Ca 3612/02
Schlagworte:
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Normen:
§ 233 ZPO
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Zu den Anforderungen der Fristennotierung und Ausgangskontrolle.
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeits-
gerichts Köln vom 16.07.2003 - 11 Ca 3612/02 - wird
auf Kosten des Klägers als unzulässig verworfen.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
hinsichtlich der versäumten Berufungsbegründungsfrist
wird zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
1
Die Parteien streiten in der Hauptsache darum, ob das zwischen ihnen begründete
Arbeitsverhältnis durch eine ordentliche, krankheitsbedingte Kündigung der Beklagten
vom 27.03.2002 zum 30.06.2002 beendet worden ist.
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Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage durch Urteil vom 16.07.2003
abgewiesen, welches dem Prozessbevollmächtigten des Klägers laut
Empfangsbekenntnis (Blatt 98 d. A.) am 30.10.2003 zugestellt wurde. Dagegen hat der
Kläger durch seine Prozessbevollmächtigten mit einem an das Arbeitsgericht
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gerichteten Schriftsatz Berufung einlegen lassen, die - per Fax - am 01.09.2003 beim
Arbeitsgericht und am 03.09.2003 beim Landesarbeitsgericht einging. Nachdem bis zum
30.12.2003 eine Berufungsbegründung nicht eingegangen war, wurde der
Prozessbevollmächtigte des Klägers mit gerichtlichem Schreiben vom 07.01.2003
darauf hingewiesen. Mit am 13.01.2003 per Fax eingegangenen Schriftsatz beantragt
der Prozessbevollmächtigte des Klägers Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand
hinsichtlich der Berufungsbegründungsfrist. Diesem Schriftsatz war beigefügt - ebenfalls
per Fax - ein unterschriebener Schriftsatz vom 04.11.2003, der eine
Berufungsbegründung enthält.
Zur Wiedereinsetzung wird in dem Schriftsatz vom 13.01.2003 folgendes vorgetragen:
Die Fristüberwachung überliege der erfahrenen und im Büro des
Prozessbevollmächtigten des Klägers langjährig tätigen Rechtsanwaltsfachangestellten
Frau S B . Das Urteil vom 16.07.2003 sei am 30.10.2003 zugestellt worden, wie das
Empfangsbekenntnis ergebe. Wider Erwarten sei keinerlei Frist notiert worden, auch
nicht trotz der beigefügten Rechtsmittelbelehrung - trotz Kenntnis F B von der
Berufungsbegründungsfrist.
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Die gefertigte Berufungsbegründung sei unter dem 04.11.2003 an die hinter dem Kläger
stehende Rechtsschutzversicherung als Entwurf übermittelt worden. Nach Eingang der
Deckungszusage vom 14.11.2003 habe der Prozessbevollmächtigte des Klägers
Anweisung erteilt, die Begründung an das Landesarbeitsgericht zu übermitteln. Dazu
nimmt der Prozessbevollmächtigte des Klägers Bezug auf das in Kopie beigefügte
Schreiben der Rechtsschutzversicherung vom 14.11.2003, das den handschriftlichen
Zusatz enthält: "B'Begr. raus" (Blatt 127 d. A.).
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Der Entwurf der Berufungsbegründung, die Korrespondenz der
Rechtsschutzversicherung und die Aktenbearbeitung habe, insbesondere hinsichtlich
der Fristen, der vorerwähnten Frau B oblegen.
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In der beigefügten eidesstattlichen Versicherung der Frau S B vom 12.01.2004 (Blatt
111 d. A.) heißt es:
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"Mir ist völlig unverständlich, dass keine Fristen eingetragen wurden entgegen
meinen sonstigen Gepflogenheiten.
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Ich kann nur im Nachhinein versuchen, eine Erklärung zu finden, dass ich das
Urteil dieser Akte übersehen haben muss, ebenso den Vermerk auf der
Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung vom 14.11.03.
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In meiner langjährigen Tätigkeit in der Kanzlei L ist mir so etwas noch nicht
passiert.
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Ich will die Schuld nicht auf andere schieben, es ist aber möglich, dass unsere
Auszubildende - im 3. Lehrjahr - den Vorgang abgeheftet hatte ohne mir die Akte
vorzulegen.
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Dieses konnte ich aber nicht aufklären."
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Der Kläger beantragt,
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1. Hinsichtlich der versäumten Berufungsbegründungsfrist
Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren;
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2. das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 16.07.2003 - 11 Ca 3612/02 -
abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den
Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 27m03.2003
beendet worden ist, sondern unverändert fortbesteht.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung als unzulässig zu verwerfen.
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Wegen des übrigen Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen diesen
gewechselten Schriftsätze Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen
Verhandlung waren.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Berufung war als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht innerhalb der
Berufungsbegründungsfrist von zwei Monaten gemäß § 66 Abs. 1 ArbGG begründet
worden ist.
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Zugleich war der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand abzuweisen.
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Gemäß § 233 ZPO ist einer Partei Wiedereinsetzung den vorigen Stand zu gewähren,
wenn sie ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist zu wahren. Wegen § 85 Abs. 2
ZPO steht das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten dem Verschulden der
Partei gleich.
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Zur Schlüssigkeit eines Wiedereinsetzungsgesuchs gehört es, dass der Antragsteller
einen Verfahrensablauf vorträgt, der ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten
zweifelsfrei ausschließt. Unklarheiten gehen im Rahmen eines
Wiedereinsetzungsgesuchs zu Lasten der Partei (BGH Versicherungsrecht 1983, 401;
BAG 10.01.2003, NJW 2003, 12.70).
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An einem solchen schlüssigen Vortrag fehlt es.
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1. Da es für den Fristbeginn darauf ankommt, wann der Rechtsanwalt das
Empfangsbekenntnis unterzeichnet hat, bedarf es darüber eines besonderen Vermerks.
Um zu gewährleisten, dass ein solcher Vermerk angefertigt wird und das maßgebliche
Datum zutreffend wiedergibt, darf ein Rechtsanwalt nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs (BGH, NJW 2003, 453; NJW 1998, 1900) und des
Bundesarbeitsgerichts (10.01.2003, NJW 2003, 1269) das Empfangsbekenntnis über
die Urteilszustellung nur unterzeichnen und zurückgeben, wenn in den Handakten die
Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt ist, dass sie im Fristenkalender notiert wurde.
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Daran fehlt es. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers trägt vor, es sei keinerlei Frist
notiert worden. Dementsprechend hat er seine Kontrollpflicht bei der Unterzeichnung
des Empfangsbekenntnisses versäumt.
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Hätte er seine Kontrollpflicht wahrgenommen, wäre die Frist im Fristenkalender (mit der
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erforderlichen Vorfrist) vermerkt worden und damit mit hoher Wahrscheinlichkeit das
vorliegende Fristversäumnis ausgeschlossen worden.
2. Erneut versäumte der Prozessbevollmächtigte des Klägers Sorgfaltspflichten, als er
die Berufungsbegründung vor dem 04.11.2003 fertigte. Denn dafür benötigte er die
Handakten. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH und des BAG hat der
Rechtsanwalt, dem die Handakten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen
Prozesshandlung vorgelegt werden, eigenverantwortlich den Fristablauf zu überprüfen
(BAG a.a.O. m. w. N.). Auch bei dieser Überprüfung hätte dem Prozessbevollmächtigten
des Klägers wiederum auffallen müssen, dass eine Frist in den Handakten nicht notiert
war.
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3. Schließlich entlastet den Prozessbevollmächtigten des Klägers der Vermerk auf dem
Schreiben der Rechtsschutzversicherung vom 14.11.2003 nicht.
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a) Schon die Anweisung selbst enthält keinen Hinweis auf bei der Absendung
einzuhaltende Fristen.
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b) Ebenso ist nicht festzustellen, dass in irgendeiner Weise durch hinreichende
organisatorische Maßnahmen gesichert worden wäre, dass dieser Schriftsatz jedenfalls
noch innerhalb der einzuhaltenden Rechtsmittelfrist das Landesarbeitsgericht erreichte.
Es fehlt jeglicher Vortrag zur Sicherung der Ausgangskontrolle in Bezug auf die
einzuhaltende Frist.
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c) Schließlich fehlt es - abgesehen davon, dass auch zur Überwachung Frau B nichts
vorgetragen worden ist - jeglicher Vortrag dazu, wie durch organisatorische Maßnahmen
sichergestellt worden wäre, dass Fristsachen und insbesondere Schriftsätze, die Fristen
einhalten sollen, tatsächlich auch von Frau B bearbeitet wurden und nicht allein durch
die Auszubildende.
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d) Darüber hinaus ist nichts dafür ersichtlich, dass Vorkehrungen dafür getroffen worden
wären, dass der Vermerk "B'Begr. raus", der sich nicht auf der Berufungsbegründung als
solcher, sondern auf einem Schreiben der Rechtsschutzversicherung befand, von der
zuständigen Kanzleikraft sicher wahrgenommen wurde.
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e) Schließlich würde, selbst wenn hinsichtlich dieser Anweisung der
Prozessbevollmächtigte des Klägers in jeder Hinsicht verschuldensfrei gehandelt hätte,
dieses ihn letztlich nicht entlasten. Denn die nach dem oben Gesagten dem
Prozessbevollmächtigten des Klägers zuzurechnenden Fehler bei der Fristennotierung
bleiben gleichwohl nicht nur im Sinne einer Conditio sine qua non, sondern auch im
Sinne von Adäquanz für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist kausal.
Spätestens bei der auf Grund der Fristeintragung vorzunehmenden Fristenkontrolle
wäre aufgefallen, dass die Berufungsbegründung nicht herausgeschickt worden war.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
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Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben. Auf den Rechtsbehelf der
Nichtzulassungsbeschwerde gem. § 72a ArbGG wird hingewiesen.
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(Dr. Backhaus) (Modemann) (Keupgen)
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