Urteil des LAG Köln vom 20.02.1997

LArbG Köln (unbestimmter rechtsbegriff, arbeitsgericht, land, zpo, rauschgift, zweifel, umfang, begriff, kläger, gutachten)

Landesarbeitsgericht Köln, 10 Sa 237/96
Datum:
20.02.1997
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 Sa 237/96
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Bonn, 3 Ca 25/93
Schlagworte:
BAT-Eingruppierung; VGr. V c
Normen:
BAT 1975 §§ 22, 23; VGr. V c
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Kein Leitsatz
Tenor:
1. Die Berufung des beklagten Landes
gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Bonn vom 04.10.1995 - 3 Ca 25/93 -
wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten der Berufung trägt das
beklagte Land.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
1
Von einer Darstellung des Tatbestandes (§ 313 Abs. 1 Nr. 5 ZPO) wird gemäß § 543
Abs. 1 ZPO abgesehen. Der Sach- und Streitstand ist aus dem angefochtenen Urteil
und den beiderseitigen Schriftsätzen des Berufungsverfahrens ersichtlich.
2
Die an sich statthafte und auch im übrigen zulässige Berufung des beklagten Landes ist
in der Sache erfolglos. Das angefochtene Urteil war in vollem Umfang zu bestätigen.
3
Die Klage ist begründet. Das Arbeitsgericht ist mit zutreffenden Erwägungen zu dem
richtigen Ergebnis gelangt, daß das beklagte Land nach dem unstreitigen
Parteivorbringen und dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme verpflichtet
ist, den Kläger ab 01.06.1989 nach der Vergütungsgruppe V c BAT zu vergüten. Das
Arbeitsgericht hat unter Berücksichtigung von § 22 Abs. 2 BAT insbesondere die
Arbeitsvorgänge richtig bestimmt, die Tätigkeitsmerkmale der Vergütungsgruppe V c mit
4
der Fallgruppe 1 b auf dem allgemeinen Teil der Anlage 1 a zum BAT mit den für den
vorliegenden Fall geltenden Besonderheiten zutreffend erkannt und in der vorliegenden
Entscheidung berücksichtigt. Insbesondere hat das Arbeitsgericht die Arbeitsvorgänge
richtig bestimmt und die Tätigkeiten des Klägers rechtlich zutreffend bewertet, und zwar
auch im Hinblick auf den erforderlichen Anteil der selbständigen Leistungen und den
Beginn des in der Vergangenheit liegenden Anspruchszeitraumes. Die mit der
Berufungsbegründung vorgebrachte Urteilskritik kann weder in tatsächlicher noch in
rechtlicher Hinsicht zu davon abweichenden Feststellungen führen.
Wegen der wesentlichen Entscheidungsgründe ist zunächst auf die Erwägungen des
angefochtenen Urteils, denen sich das Berufungsgericht anschließt, zu verweisen
(§ 543 Abs. 1 ZPO). Das beklagte Land kritisiert mit der Berufungsbegründung im
wesentlichen die seitens des Arbeitsgerichts getroffenen Feststellungen zu dem
Arbeitsvorgang "Datenerfassung mit Recherche". Zunächst soll nach Auffassung der
Berufung eine fehlerhafte Begriffsbestimmung sowohl im Hinblick auf die "Recherche"
als auch im Hinblick auf den tariflichen Begriff der "selbständigen Leistungen" zu
erkennen sein, wenn man dem erstinstanzlichen Gutachten des Sachverständigen K
und den hierauf gegründeten Erwägungen der Vorinstanz folgte. Ferner soll eine
fehlerhafte Subsumtion insofern vorliegen, als die Merkmale der Tätigkeiten des Klägers
für die Datenerfassung in der Falldatei Rauschgift einer weiteren und das
festzustellende Zeitmaß vermindernden Differenzierung bedurft hätten. Schließlich
sollen die tatsächlich festgestellten Prozentzahlen zum Zeitanteil des entsprechenden
Arbeitsvorganges unrichtig sein. Hierzu ist nach den Feststellungen des
Berufungsgerichts folgendes zu bemerken:
5
Die Berufung verkennt die rechtlichen Konsequenzen, die sich mit der zutreffenden
Feststellung des Arbeitsvorganges "Datenerfassung mit Recherche" für die Anwendung
der Tätigkeitsmerkmale im Rahmen des § 22 Abs. 2 BAT ergeben. Es ist richtig, daß die
einzelnen Arbeitsvorgänge in rechtlicher Hinsicht "für sich genommen" den
Anforderungen der Tätigkeitsmerkmale entsprechen müssen. Dies bedeutet jedoch, wie
auch das angefochtene Urteil zutreffend hervorgehoben hat, keineswegs, daß innerhalb
eines Arbeitsvorganges beispielsweise der Zeitanteil von 1/3 selbständiger Leistungen
erfüllt sein müßte. Es genügt vielmehr nach der ständigen Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts, daß dies nur in einem "rechtserheblichen Ausmaß" zutrifft.
Dabei ist, wie das Bundesarbeitsgericht überzeugend feststellt, der Begriff des
rechtserheblichen Ausmaßes ein unbestimmter Rechtsbegriff, der in aller Regel die
Bestimmung eines Prozentsatzes der Arbeitszeit, bei dessen Vorliegen das Merkmal
selbständige Leistungen in erheblichem Ausmaß gegeben wäre, nicht erlaubt (BAG,
Beschluß vom 11.03.1995 - 4 AZN 1105/94 = AP Nr. 193 zu §§ 22, 23 BAT 1975). Dies
bedeutet für den vorliegenden Fall, daß es, nachdem die Arbeitsvorgänge feststehen,
allein noch geklärt werden muß, ob nach der Einschätzung des Gerichts dieser
Arbeitsvorgang in einem rechtserheblichen Umfang auch selbständige Leistungen
erfordert.
6
Zweifelhaft kann dies nach der übereinstimmenden Auffassung der Parteien und nach
allen Feststellungen des angefochtenen Urteils nur noch für den Arbeitsvorgang
"Datenerfassung mit Recherche" sein.
7
Der Kritik der Berufung, wonach das Arbeitsgericht den Begriff der "selbständigen
Leistung" im vorliegenden tariflichen Zusammenhang nicht zutreffend gewürdigt hätte,
kann nicht gefolgt werden. Das Arbeitsgericht hat vielmehr ebenso wie das
8
Sachverständigengutachten zunächst einmal unter Berücksichtigung der
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den Begriff der selbständigen Leistungen
ermittelt, um auf dieser Grundlage zu erkennen, daß die Datenerfassung mit Recherche
als ein für den Tätigkeitsbereich des Klägers spezifisches Arbeitsergebnis zu betrachten
ist, welches durch eine charakteristische Selbständigkeit dieser Recherche
gekennzeichnet wird. Hierauf gründet sich die weitere Feststellung des Urteils, daß eine
solche "selbständige" Recherche, wie sie erwiesenermaßen und im wesentlichen auch
unstreitig vom Kläger durchzuführen ist, den erkannten Merkmalen einer "selbständigen
Leistung" entspricht. Auch die Berufung erhebt in dieser Hinsicht substantiierte
Einwendungen lediglich im Hinblick auf die "Falldatei Rauschgift". Allerdings hat sie
hierbei nicht richtig gesehen, daß die gewünschte "Differenzierung" der Tätigkeiten des
Klägers bereits mit der Feststellung der Arbeitsvorgänge getroffen worden ist. Der ganze
Arbeitsvorgang "Datenerfassung mit Recherche" ist "für sich genommen" zu würdigen.
Eine weitere Differenzierung oder Herausnahme von "selbständigen" oder
"unselbständigen" Recherchen kann danach nicht mehr vorgenommen werden.
Entscheidend ist vielmehr, ob die "selbständigen" und zugleich dem Begriff der
"selbständigen Leistungen" zuzuordnenden Recherchen in rechtserheblichem Umfang
vorliegen. Hier kann auch nicht von einer "Doppelberücksichtigung" des Merkmals der
Selbständigkeit gesprochen werden.
Soweit die Beklagtenseite auf Beweisfeststellungen und das rechtliche Ergebnis einer
Entscheidung des LAG Hamm vom 28.01.1993 verweist, ist auf die unterschiedliche
Entscheidungsgrundlage des vorliegenden Falles hinzuweisen. Nach dem
Beweisergebnis des vorliegenden Rechtsstreits kann nicht mehr zutreffend davon die
Rede sein, daß die Tätigkeitsanforderungen im Rahmen der "selbständigen Recherche"
bei der Datenerfassung zur Falldatei Rauschgift ausschließlich mit der Anwendung der
erforderlichen Fachkenntnisse bewältigt würden. Für das Berufungsgericht ergibt sich
kein Zweifel, daß hier auch selbständige Leistungen in einem rechtserheblichen
Umfang erforderlich sind. Da die Beklagte ausschließlich Teiltätigkeiten im
Zusammenhang der Falldatei Rauschgift kritisch würdigt und im übrigen mit den
Feststellungen der Vorinstanz übereinstimmt, war das angefochtene Urteil in dieser
Frage zu bestätigen.
9
Auch die Kritik der Berufung an den erstinstanzlich festgestellten Prozentzahlen bleibt
erfolglos. Zutreffend hat das Arbeitsgericht insbesondere erkannt, daß der erforderliche
Anteil von 1/3 selbständiger Leistungen selbst dann erreicht wird, wenn man den
Arbeitsvorgang "Datenerfassung mit Recherche" im wesentlichen mit der Tätigkeit des
Klägers für die Falldatei Rauschgift gleichsetzt und dafür lediglich den von der
Beklagtenseite behaupteten Zeitanteil von 16 - 18 % berücksichtigt. Mit diesen
Erwägungen sind nicht nur die erstinstanzlich vorgetragenen "Zweifel" zutreffend
gewürdigt, welche die Beklagtenseite gegenüber den Beweisfeststellungen äußert,
obwohl sie der Verfahrensweise des Sachverständigen bei der Tatsachenerhebung
ausdrücklich zugestimmt hatte. Für das Berufungsgericht ergibt sich vielmehr zusätzlich,
daß auch die Einwendungen der Berufungsbegründung kein substantiiertes Bestreiten
enthalten, welches zu einer weiteren Beweisaufnahme veranlassen könnte.
Selbstverständlich ist es möglich, daß es auch an dem 28.08.1994, nämlich bei der
Feststellung von Tätigkeiten in der "Datenerfassung ohne Recherche" zu
Fehlaufschreibungen gekommen sein könnte. Dieser Hinweis kann jedoch ohne eine
nähere Begründung nicht ausreichen, um ein ansonsten mit dem Gutachten
überzeugend bewiesenes Aufschreibungsergebnis in Zweifel zu stellen.
Beweisfeststellungen machen es nicht erforderlich, jeden denkbaren Zweifel
10
auszuschließen; es genügt vielmehr, daß nach der Überzeugung des Gerichts kein
ernsthafter und sachlich begründeter Zweifel mehr besteht. Unsubstantiiert ist in dieser
Hinsicht auch die Feststellung der Berufungsbegründung, der Sachverständige habe
nicht ausschließen können, daß der Kläger mit seinem Kollegen in der Datenstation B
oder sogar landesweit mit den Kollegen anderer Datenstationen die im
Beobachtungszeitraum anfallenden selbständigen Leistungen erfolgreich manipuliert
hätte. Das insoweit vom beklagten Land beantragte Sachverständigengutachten mit der
Maßgabe, auch Parallelbeobachtungen aus anderen Datenstationen einzubeziehen,
wäre ein unzulässiger Ausforschungsbeweis. Immerhin hat der Kläger ein weiteres
Sachverständigengutachten des Sachverständigen H K vorlegen können, welches sich
auf Ermittlungen stützt, die am 22.01.1996 mit einer ebenfalls durch die Beklagtenseite
mit getragenen Verfahrensweise in der Datenstation der Kreispolizeibehörde S
durchgeführt worden sind. Mit diesem Gutachten aus dem April 1996 wird auch unter
Berücksichtigung der unterschiedlichen Sachverhalte zumindest eindeutig belegt, daß
der Anteil der selbständigen Leistungen nicht einmal geringer werden muß, wenn man
den Prozentsatz der Zeitanteile für die Falldatei Rauschgift oder überhaupt für die
Datenerfassung mit Recherche verringert. Es kann sich daraus vielmehr ebensogut eine
beträchtliche Erhöhung des Zeitanteiles in dem Arbeitsvorgang "Auskunft mit
Recherche" ergeben. Ferner ist unstreitig, daß der vom beklagten Land bezeichnete
Arbeitstag vom 28.08.1994 eine Nachtschicht des Klägers umfaßt, in der
erfahrungsgemäß kaum eine Datenerfassung mit Recherche anfällt. Unstreitig ist auch,
daß sich derartige Unterschiede und Schwankungen in der Arbeitsanforderung an den
verschiedenen Arbeitsplätzen auf die Dauer ausgleichen. Unter diesen Umständen muß
das Berufungsgericht nicht einmal die Frage prüfen, ob und in welchem Umfang es sich
bei den Einlassungen des Landes in der ersten Instanz um gerichtliche Geständnisse im
Sinne der §§ 288 ff. ZPO gehandelt hat, die nach § 532 ZPO ihre Wirksamkeit auch für
die Berufungsinstanz behalten hätten.
Auch der Feststellung des Arbeitsgerichts, daß der Kläger im vorliegenden Fall die
Eingruppierung in die Vergütungsgruppe V c unter Berücksichtigung der Ausschlußfrist
des § 70 BAT bereits mit dem 01.06.1989 beanspruchen kann, ist unverändert
zuzustimmen. Das beklagte Land hat nicht substantiiert vorgetragen, daß sich die
Relation der Arbeitsvorgänge mit und ohne Recherche zueinander im Laufe der Zeit
verändert hätte, und ab welchem Zeitpunkt dies aus welchen konkreten tatsächlichen
Gründen möglich gewesen wäre. Unstreitig ist lediglich, daß die mengenmäßige
Arbeitsbelastung für die Mitarbeiter an den Datenstationen beispielsweise ab 1991
deutlich gestiegen ist. Dies besagt jedoch nichts über das Verhältnis der Anteile von
Arbeitsvorgängen an der Gesamtarbeitszeit oder an der überwiegenden Tätigkeit.
11
Die Berufung war nach alledem mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO
zurückzuweisen.
12
Für eine Zulassung der Revision hat keine gesetzliche Veranlassung bestanden (§ 72
Abs. 2 ArbGG); auf die Vorschriften über die Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 72 a
ArbGG wird hingewiesen.
13
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
14
Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben.
15
Streitwert: 7.200,00 DM.
16
(Dr. Esser) (Schumacher) (Jost)
17