Urteil des LAG Köln vom 15.04.2004

LArbG Köln: treu und glauben, vergütung, tarifvertrag, zulage, arbeitsgericht, datum, ortszuschlag, feststellungsklage, krankenpflegepersonal, betriebsrat

Landesarbeitsgericht Köln, 5 Sa 1359/03
Datum:
15.04.2004
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 Sa 1359/03
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Bonn, 2 Ca 1443/03
Schlagworte:
Bezugnahme; tarifliche Vergütung; BAT
Normen:
§ 22 BAT; §§ 133, 157 BGB
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Bei Bezugnahme auf eine bestimmte in der Lohnabrechnung
bezeichnete Vergütungsgruppe des BAT ist in der Regel so zu
verstehen, dass sich die Vergütung nach dem jeweiligen Tarifstand des
BAT richten soll. (Anschluss an BAT v. 13.11.2002 - 4 AZR 351/01)
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn
vom 23.10.2003 - 3 Ca 1443/03 - abgewiesen, soweit der Beklagte zur
Zahlung von 714,92 EUR verurteilt worden ist.
Im übrigen wird die Berufung des Beklagten mit der Maßgabe
zurückgewiesen, dass festgestellt wird, dass der Beklagte verpflichtet ist,
an den Kläger die jeweilige tarifliche Vergütung nach der
Vergütungsgruppe KR IV zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger zu 1/3, der Beklagte zu 2/3.
Streitwert: 2.120,40 EUR.
Die Revision wird nicht zugelassen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
1
Wegen der Darstellung des Tatbestandes wird auf die angefochtene Entscheidung
Bezug genommen.
2
Die nach dem Beschwerdewert an sich statthafte Berufung der Beklagten ist in
gesetzlicher Form und Frist eingelegt und begründet worden, sie ist somit insgesamt
zulässig. Sie hat jedoch in der Sache nur zum Teil Erfolg. Soweit sie sich gegen den
Feststellungstenor (zu Ziffer 1) des angefochtenen Urteils) richtet, ist sie unbegründet.
Im Übrigen - hinsichtlich der Zahlungsforderung des Klägers - ist die Klage auf die
begründete Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
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1. Die Klage ist als Feststellungsklage zulässig. Das Feststellungsinteresse ist
gegeben, weil es sich um die zwischen den Parteien umstrittene Auslegung der
arbeitsvertraglichen Abreden handelt, die auch Auswirkungen auf die zukünftige
Vergütung des Klägers haben (vgl. Urteil des LAG Köln vom 09.10.2003 - 5 Sa 737/03 -
). Dem Feststellungsanspruch steht auch nicht entgegen, dass der Kläger seine
Vergütungsansprüche mit dem Klageantrag zu 2) teilweise beziffert hat, weil sich der
Feststellungsantrag nicht auf den Zeitraum beschränkt, für den mit dem Leistungsantrag
konkrete Vergütungsansprüche geltend gemacht werden (BAG vom 20.06.2001 - 4 AZR
290/00 - NZA 2002, 351).
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Die Feststellungsklage ist auch begründet. Nach den Erörterungen in der
Berufungsverhandlung ist davon auszugehen, dass zwischen den Parteien ein
schriftlicher Arbeitsvertrag - insbesondere der vom Kläger in den Prozess eingeführte,
aber lediglich von der Beklagten unterschriebene Muster- "Arbeitsvertrag" mit Datum
vom 29.09.1989 - nicht abgeschlossen worden ist. Der Kläger hat hierzu unbestritten
ausgeführt, dass ihm bei seiner Einstellung im Jahr 1989 ein schriftlicher Arbeitsvertrag
nicht vorgelegt worden ist, der von ihm überreichte Arbeitsvertrag wurde ihm erst nach
Erhebung der vorliegenden Klage überlassen. Da der Vertrag im Übrigen - unter § 14 -
auf einen erst im Juli 1990 in Kraft getretenen Tarifvertrag verweist, erscheint es im
Übrigen auch nicht nachvollziehbar, wieso der Arbeitsvertrag schon im September 1989
hätte abgeschlossen werden können. Im Übrigen hat auch die Beklagte in der
Berufungsverhandlung ausdrücklich erklärt, dass sie nicht behaupten könne, dass bei
Beginn des Arbeitsverhältnisses ein schriftlicher Arbeitsvertrag, zu dessen Vorlage sie
im Schriftsatz des Klägers vom 22.10.2003 ausdrücklich aufgefordert worden war,
abgeschlossen worden ist. Deshalb ist von dem weiteren Vorbringen des Klägers in
dem genannten Schriftsatz auszugehen, wonach zwischen den Parteien lediglich ein
mündlich abgeschlossener Arbeitsvertrag existiert, auf Grund dessen dem Kläger in der
Folgezeit die einzelnen Lohnabrechnungen zur Verfügung gestellt worden sind. Insofern
ist zwischen den Parteien unstreitig, dass auf sämtlichen Verdienstabrechnungen des
Klägers - seit seiner Einstellung - die gezahlte Vergütung unter Bezugnahme auf die
Tarifgruppe (zunächst "KR II/3", zuletzt - in der Verdienstabrechnung von Mai 2003, Blatt
15 GA - "Tarif BAT KR (Anlage 1 b) Gruppe 04 Stufe 9") ausgewiesen ist. Aus dieser
Angabe der für das Krankenpflegepersonal im Bereich der öffentlichen Arbeitgeber
gültigen tariflichen Regelungen und der jedenfalls bis zum 31.12.2002 durchgeführten
jeweiligen tariflichen Anpassungen musste der Kläger als Empfänger der
Abrechnungen gemäß §§ 133, 157 BGB nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die
Verkehrssitte den Schluss ziehen, dass die Beklagte sich jedenfalls hinsichtlich der
Höhe der Grundvergütung an der jeweiligen BAT-Vergütung für das nach BAT
angestellte Pflegerpersonal orientieren wollte.
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Denn die Abrechnungen verweisen nicht etwa auf einen bestimmten Tarifbetrag, der ab
einem bestimmten Zeitpunkt - etwa dem Zeitpunkt der Vereinbarung - gültig war,
sondern ganz allgemein auf das Tarifgehalt nach einer bestimmten Tarifgruppe (vgl.
BAG vom 20.06.2001 - 4 AZR 290/00 - EzA § 242 BGB Betriebliche Übung Nr. 45).
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Damit ist die rechtliche Situation in Bezug auf die für den Kläger maßgebliche
Erwartung im vorliegenden Fall keine andere, als wenn die Parteien allgemein auf diese
Tarifgruppe im Arbeitsvertrag Bezug genommen hätten. In einem solchen Fall ist, auch
wenn in dem Arbeitsvertrag einschränkend formuliert wird, dass die Vergütung "in
Anlehnung" an den Tarifvertrag (BAT) gezahlt wird und "frei vereinbart" ist, die
Bezugnahme auf die tariflichen Regelungen so zu verstehen, dass der Beklagte als
nicht tarifgebundener Arbeitgeber auf ein intern von ihm praktiziertes Vergütungssystem
rekurriert, ohne dass damit indessen vereinbart wird, dass sich die Vergütung nach der
Eingruppierungsautomatik des § 22 BAT richten soll (BAG vom 13.11.2002 - 4 AZR
351/01 - AP Nr. 24 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag). Eine solche Vereinbarung
ist - nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (a.a.O.) dahin zu verstehen,
dass sich die derart bemessene Vergütung nach dem jeweiligen Tarifstand des BAT
richtet. Denn Bezugnahmen auf anderweitige normative Regelungen - hier auf die
benannte Vergütungsgruppe des BAT - sind in der Regel dynamisch zu verstehen, und
zwar auch dann, wenn nur ein Teil des Tarifvertrages in Bezug genommen wird (BAG
a.a.O.). Für eine einschränkende Auslegung dieser Vergütungszusage ist hier umso
weniger Raum, als es nach dem Vorbringen der Beklagten an einer entsprechenden
mündlichen oder schriftlichen Vereinbarung - anders als in dem vom BAG
entschiedenen Fall - fehlt. Abgesehen davon ist fraglich, ob die Beklagte dem Kläger
mangels eines den Bestimmungen des Nachweisgesetzes entsprechenden schriftlichen
Arbeitsvertrages solche einschränkenden Regelungen entgegenhalten könnte. Dem
steht nicht entgegen, dass die Höherstufungen des Klägers gegenüber der ursprünglich
bei Beginn des Arbeitsverhältnisses vorgesehenen Vergütungsgruppe KR II nicht
entsprechend den tariflichen Regelungen erfolgt sind. Denn die
Eingruppierungsautomatik ist - wie in der zuletzt angeführten Entscheidung des
Bundesarbeitsgerichts (a.a.O.) ausgeführt wird - in der Regel nicht Gegenstand der
Vereinbarung eines zeitdynamischen Entgeltanspruchs nach einer bestimmten
Vergütungsgruppe des BAT. Die Frage, ob der dem Kläger gezahlte Ortszuschlag den
Bestimmungen des BAT entspricht, ist vorliegend nicht entscheidungserheblich, weil es
nach dem vom Kläger gestellten Feststellungsantrag lediglich darauf ankommt, ob der
Beklagte zur Zahlung der "tariflichen Vergütung nach der Vergütungsgruppe KR IV"
verpflichtet ist, wobei es zunächst lediglich auf die Grundvergütung ankommt, nicht
dagegen die Höhe des Ortszuschlages und der allgemeinen Zulage, die im Übrigen
jedenfalls in erster Instanz zwischen den Parteien nicht umstritten war.
2. Die Berufung ist begründet, soweit das Arbeitsgericht dem Kläger einen
Zahlungsanspruch in Höhe von 714,92 EUR zugesprochen hat. Hierbei handelt es sich
um die vom Kläger geltend gemachten Differenzbeträge zur gezahlten Vergütung
(Grundvergütung monatlich 39,04 EUR, Ortszuschlag monatlich 17,37 EUR, allgemeine
Zulage monatlich 2,47 EUR, Einmalzahlung in Höhe von 185,00 EUR) für die Dauer
von neun Monaten, d. h. für die Zeit vom 01.01. bis 30.09.2003. Insoweit dringt die
Berufung gegenüber dem Klageantrag schon deshalb durch, weil die Beklagte
berechtigt war, die zum 01.01.2003 erfolgte Tariflohnerhöhung auf die von ihr gewährten
allgemeinen Zulagen in Höhe von 153,39 EUR - in der Verdienstabrechnung als
"freiwillige Zulage (AT)" bezeichnet, anzurechnen, möglicherweise auch auf die
freiwillige Sonderzulage in Höhe von zuletzt (Abrechnungsmonat Mai 2003) 46,02 EUR.
Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann der
Arbeitgeber, auch wenn er jahrelang tarifliche Lohnerhöhungen an den Arbeitnehmer
weitergegeben hat, zumindest die von ihm als übertarifliche Zulagen bezeichneten
Gehaltsbestandteile auf die Tariflohnerhöhungen anrechnen (u.a. BAG AP Nr. 15 zu § 4
TVG). Die Anrechenbarkeit gilt nach der neueren Rechtsprechung auch für die Fälle, in
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denen durch eine Einmalzahlung alle Arbeitnehmer gleich hohe monatliche
Pauschalbeträge erhalten (BAG vom 25.06.2002 - 3 AZR 167/01 - NZA 2002, 1216).
Der mit der Berufungsbegründung geltend gemachten Anrechnung ist der Kläger in der
Berufungserwiderung nicht entgegengetreten. Soweit er erstmalig in der
Berufungsverhandlung geltend gemacht hat, bei den gezahlten Zulagen handele es sich
um solche, die auf Grund bestimmter Leistungen oder im Hinblick auf eine höher zu
bewertende Tätigkeit gezahlt wurden, erscheint es zunächst fraglich, ob dies der
Anrechnung der Zulagen auf Tariflohnerhöhungen entgegensteht. Diese Frage muss
jedoch nicht vertieft werden, weil der entsprechende, bestrittene Vortrag des Klägers
jedenfalls als verspätet nach § 67 Abs. 4 Satz 2 ArbGG zurückgewiesen werden muss,
weil die Einwände des Klägers gegenüber einer Anrechnung bereits in der
Berufungserwiderung hätten erfolgen können und weil das verspätete Vorbringen die
Erledigung des Rechtsstreits wegen einer erforderlichen weiteren Aufklärung verzögern
würde und im Übrigen auch auf dem Verschulden der Partei bzw. ihres
Prozessbevollmächtigten beruht. Das würde im Übrigen entsprechend auch für den
Einwand gelten, dass die Anrechnung der Zulagen auf die Tariflohnerhöhung
betriebsverfassungsrechtlich unwirksam ist, etwa weil ein im Betrieb des Beklagten
vorhandener Betriebsrat daran nicht oder nicht in der erforderlichen Weise beteiligt
worden ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
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R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
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Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben. Auf die
Nichtzulassungsbeschwerde als Rechtsbehelf, § 72 a ArbGG, wird hingewiesen.
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(Rietschel) (Hahn) (Etheber-Schavier)
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