Urteil des LAG Köln vom 16.12.2009
LArbG Köln (era, apf, höhe, volumen, juristische person, wirtschaftliche lage, kläger, arbeitnehmer, hessen, auslegung)
Landesarbeitsgericht Köln, 9 Sa 1109/09
Datum:
16.12.2009
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
9.Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 Sa 1109/09
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Köln, 12 Ca 3638/09
Schlagworte:
Tarifauslegung - ERA-Anpassungsfonds -. Strukturkomponente -
Einmalbetrag
Normen:
§ 4 lit. c TV ERA-Anpassungsfonds, § 3 Ziff. 2 Ergänzungstarifvertrag
Cegelec AT GmbH & Co. KG
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
1. Bei der weiteren Strukturkomponente, die nach § 4 lit. c TV ERA-
Anpassungsfonds ab März 2006 als Einmalzahlung in Höhe von 2,79 %
zu zahlen ist, wenn das neue Entgeltsystem ERA bis dahin nicht
eingeführt worden ist, handelt es sich um die Gewährung einer
Tariferhöhung, die bis zu diesem Zeitpunkt dem Anpassungsfonds
zuzuführen war.
2. Die in einem Ergänzungstarifvertrag für alle Standorte der Cegelec AT
GmbH & Co. KG vereinbarte Klausel, wonach die Strukturkomponente
September 2003 sowie alle zukünftigen als Strukturkomponenten (im
Volumen von 1,39 %) auszuzahlenden Einmalbeträge in vollem Umfang
entfallen, erfasst nicht diese weitere Strukturkomponente.
Tenor:
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln
vom 6. August 209 – 12 Ca 3638/09 – abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.022,25 EUR brutto nebst
Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz der EZB seit
dem 1. Dezember 2008 zu zahlen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
3. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf
Zahlung der tariflichen ERA-Strukturkomponente für das Jahr 2008 hat.
2
Der Kläger ist langjährig bei der Beklagten als Elektromonteur beschäftigt. Er ist Mitglied
der IG Metall.
3
In einem bundesweit zwischen den Landesverbänden der Metall- und Elektroindustrie
und den IG Metall Bezirksleistungen für alle Standorte der Beklagten abgeschlossenen
Ergänzungstarifvertrag vom 30. September 2003, der erstmals zum 31. Dezember 2006
kündbar war, wird ausgeführt, zur Erhaltung und Stärkung der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit der Beklagten und zur Sicherung der Arbeitsplätze seien
Geschäftsleitung, Belegschaftsvertretungen und Mitarbeiter entschlossen, einen
wirksamen Beitrag zur Verbesserung der Kostensituation zu leisten. Aus dem Grund
werde für alle Standorte der Beklagten im Bundesgebiet die Geltung der Tarifverträge
der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie für das Tarifgebiet Hessen ab dem 1. Januar
2004 vereinbart.
4
Nach dem für dieses Tarifgebiet geltenden ERA-Einführungstarifvertrag (ERA-ETV) war
das neue Entgeltrahmenabkommen (ERA) in den Betrieben der Mitgliedsunternehmen
bis zum 1. März 2009 einzuführen. Dabei sollte sichergestellt werden, dass während
eines Zeitraums von fünf Jahren nach Einführung des ERA im Betrieb keine
betrieblichen Mehrkosten entstanden, die die von den Tarifvertragsparteien im
Durchschnitt des Tarifgebiets ermittelten 2,79 % überstiegen. Zum Ausgleich der
betrieblichen Mehrkosten wurde in dem Tarifvertrag ERA-Anpassungsfonds (TV ERA-
APF) vom 22. Dezember 2003 vereinbart, dass die seit 2002 gültigen Lohn-, Gehalts-
und Ausbildungsvergütungsabkommen das jeweilige Tarif-Erhöhungsvolumen
aufspalteten in (a) eine tabellenwirksame "lineare Tariferhöhung" und in (b) eine "ERA-
Strukturkomponente". Unter der "ERA-Strukturkomponente" waren dabei (nicht
tabellenwirksam werdende) Tariferhöhungen zu verstehen, die in der jeweils ersten
Tarifperiode an die Beschäftigten in Form von Einmalzahlungen geleistet wurden und
danach bis zum 28. Februar 2006 in einem ERA-Anpassungsfonds zur Finanzierung
von Mehrkosten des ERA in Höhe von festgelegten insgesamt 2,79 % bereitgestellt
wurden. Der ERA-Anpassungsfonds war durch eine Rückstellung in der Handelsbilanz
des Unternehmens zu bilden, so dass es zu keinem Liquiditätsabfluss kam. Die
Zuführung zu dem Anpassungsfonds sollte bis zum 1. März 2006 erfolgen, und zwar mit
einem Volumen von 0,9 % aus der ab 1. Juni 2002 geltenden Tariferhöhung, von 0,5 %
aus der ab 1. Juni 2003 geltenden Tariferhöhung, von 0,7 % aus der ab 1. März 2004
geltenden Tariferhöhung und von 0,7 % aus der ab 1. März 2005 geltenden
Tariferhöhung.
5
Am 1. März 2006 endete die Zuführung zu dem Anpassungsfonds, der mit etwa 4 % der
tariflichen Jahresentgeltsumme gefüllt sein sollte. Sein Volumen war zur Deckung
betrieblicher Mehrkosten aus der ERA-Einführung oder zur Auszahlung an die
Beschäftigten zu verwenden (§ 4 lit. b TV ERA-APF).
6
Wurde ERA bis zum 1. März 2006 noch nicht eingeführt, so war nach § 4 lit. c TV ERA-
APF in den folgenden Tarifperioden eine Einmalzahlung von 2,79 % bis zur
betrieblichen Einführung des Entgeltrahmenabkommens an die Beschäftigten
auszuzahlen. Die Betriebsparteien konnten stattdessen durch freiwillige
7
Betriebsvereinbarung festlegen, dass auch diese "weitere ERA-Strukturkomponente"
vorläufig nicht ausgezahlt wurde, sondern dem ERA-Anpassungsfonds zugeführt wurde,
um sie ebenso wie die auf jeden Fall zuvor angefallenen, jedoch nicht ausgezahlten
ERA-Strukturkomponenten zu verwenden.
In einer für das Tarifgebiet Hessen geltenden Tarifvereinbarung vom 7. Dezember 2007
zum Umgang mit den ERA-Strukturkomponenten ab Januar 2008 wurde bestimmt, dass
bei keiner abweichenden betrieblichen Regelung der Einmalbetrag nach § 4 lit. c ERA-
APF zum Auszahlungszeitpunkt der betrieblichen Sonderzahlung an die Arbeitnehmer
auszuzahlen war und wie er im Einzelnen zu berechnen war.
8
Der eingangs erwähnte, bundesweit für die Betriebe der Beklagten geltende
Ergänzungstarifvertrag vom 30. September 2003 enthält unter § 3 Ziff. 2 folgende
abändernden Regelungen über die ab 2004 umzusetzenden Tariferhöhungen und über
die ERA-Strukturkomponenten:
9
"Eine nach Auslaufen des derzeit gültigen Tarifvertrages über Löhne, Gehälter und
Ausbildungsvergütungen für die Eisen-, Metall und Elektroindustrie des Landes Hessen
zu erwartende Tariferhöhung wird erst zum 1. Juli 2004 umgesetzt.
10
Alle weiteren bis 31. Dezember 2006 zu erwartenden Tariferhöhungen werden jeweils
sechs Monate später umgesetzt.
11
Die Strukturkomponente September 2003 sowie alle zukünftigen als
Strukturkomponenten (im Volumen von 1,39 %) auszuzahlenden Einmalbeträge
entfallen in vollem Umfang…."
12
In den Betrieben der Beklagten wurde ERA erst zum 1. April 2009 eingeführt.
13
Mit der vorliegenden Klage, die am 18. April 2009 beim Arbeitsgericht Köln
eingegangen ist, verlangt der Kläger von der Beklagten Zahlung von EUR 1.022,25
brutto gemäß § 4 lit. c TV ERA-APF i.V.m. der Tarifvereinbarung zum Umgang mit den
ERA-Strukturkomponenten ab Januar 2008.
14
Er ist der Ansicht, die Beklagte sei aufgrund der Regelung in dem kraft beiderseitiger
Verbandsmitgliedschaft geltenden TV ERA-APF verpflichtet, die Einmalzahlung für das
Jahr 2008 zu zahlen, da bei ihr ERA erst im Jahr 2009 eingeführt worden sei. Eine
Betriebsvereinbarung, wonach auch diese weitere ERA-Strukturkomponente vorläufig
nicht ausgezahlt, sondern dem ERA-Anpassungsfonds zugeführt werde, sei bei der
Beklagten nicht abgeschlossen worden. Die Regelung in dem Ergänzungstarifvertrag
vom 30. September 2003 über den Wegfall "der Strukturkomponente September 2003
sowie aller zukünftigen als Strukturkomponenten (im Volumen von 1,39 %)
auszuzahlenden Einmalbeträge" erfasse ausschließlich die in der jeweils ersten
Tarifperiode anstelle der nicht tabellenwirksam werdenden Tariferhöhung zu zahlenden
Einmalbeträge.
15
Dagegen ist die Beklagte der Ansicht, die Regelung in dem Ergänzungstarifvertrag über
den Wegfall aller zukünftigen Strukturkomponenten betreffe auch die nach § 4 lit. c TV
ERA APF zu erbringenden Einmalzahlungen, da es sich ausweislich dieses
Tarifvertrages um "weitere ERA-Strukturkomponenten" handle.
16
Das Arbeitsgericht Köln hat durch Urteil vom 6. August 2009 die Klage abgewiesen und
zur Begründung ausgeführt, jegliche Einmalzahlung einer Strukturkomponente sei nach
dem Ergänzungstarifvertrag ausgeschlossen. Dies sei der Sanierungsbeitrag der
Arbeitnehmer. Unerheblich sei, ob die Beklagte in dem jeweiligen Zeitraum Zahlungen
in den Anpassungsfonds geleistet habe. Sofern sich dieses Ergebnis nicht bereits aus
dem Ergänzungstarifvertrag direkt ergebe, sei jedenfalls eine dann vorliegende
unbewusste Tariflücke in diesem Sinne zu füllen.
17
Das Urteil ist dem Kläger am 3. September 2009 zugestellt worden. Er hat hiergegen am
21. September 2009 Berufung einlegen und diese am 2. Oktober 2009 begründen
lassen.
18
Der Kläger beantragt,
19
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts
20
Köln vom 6. August 2009 – 12 Ca 3638/09 – die Beklagte
21
zu verurteilen, an ihn EUR 1.022,25 brutto nebst Zinsen in
22
Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz der EZB
23
seit dem 1. Dezember 2008 zu zahlen.
24
Die Beklagte beantragt,
25
die Berufung zurückzuweisen.
26
Sie verteidigt das erstinstanzliche Vorbringen und vertieft ihre erstinstanzlichen
Rechtsausführungen.
27
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt
verwiesen.
28
Entscheidungsgründe
29
I.
30
Sie ist nach § 64 Abs. 2 b ArbGG statthaft und wurde innerhalb der Fristen nach § 66
Abs. 1 S. 1 ArbGG eingelegt und begründet.
31
II.
32
Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Zahlung von EUR 1.022,25 brutto
als Einmalzahlung nach § 4 lit. c TV ERA-APF i.V.m. der Tarifvereinbarung vom 7.
Dezember 2007 zum Umgang mit den ERA-Strukturkomponenten ab Januar 2008 zu.
33
1.
und der Tarifvereinbarung vom 7. Dezember 2007 zum Umgang mit den ERA-
Strukturkomponenten ab Januar 2008 dem Kläger für das Jahr 2008 der von ihm geltend
34
gemachte Anspruch auf Einmalzahlung/weitere Strukturkomponente auch der Höhe
nach zusteht.
Diese für das Tarifgebiet Hessen abgeschlossenen Verbandstarifverträge finden
Anwendung auf das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgrund des
Ergänzungstarifvertrages vom 30. September 2003, der kraft beiderseitiger
Verbandszugehörigkeit der Parteien gilt und der die Geltung der hessischen
Tarifverträge für alle Betriebe der Beklagten im Bundesgebiet bestimmt, allerdings mit
einschränkenden Regelungen.
35
Eine derart einschränkende Regelung ist die Bestimmung unter § 3 Ziff. 2 des
Ergänzungstarifvertrages vom 30. September 2003, wonach "die Strukturkomponente
September 2003 sowie alle zukünftigen als Strukturkomponenten (im Volumen von 1,39
%) auszuzahlenden Einmalbeträge in vollem Umfang entfallen."
36
2.
nach § 4 lit. c TV ERA-APF bei einer ERA-Einführung nach Februar 2006 zu
gewährende Einmalzahlung in Höhe von 2,79 % betrifft.
37
Die Auslegung des Tarifvertrages ergibt sich, dass entgegen der Ansicht der Beklagten
ein solcher Anspruchsausschluss nicht gilt.
38
a.
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen
geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der
maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei
nicht eindeutigem Wortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu
berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat.
Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser
Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn
und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie
Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne
Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des
Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die
Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel
gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen,
sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (z. B. BAG,
Urteil vom 9. April 2008 – 4 AZR 149/07 - ).
39
b.
eindeutig. Danach sollen neben der Strukturkomponente September 2003 auch alle
zukünftigen als Strukturkomponenten auszuzahlenden Einmalbeträge in vollem Umfang
entfallen. Die nach § 4 lit. c ERA-APF bei einer ERA-Einführung nach Februar 2006 zu
gewährende Einmalzahlung wird in dieser tariflichen Bestimmung als "weitere ERA-
Strukturkomponente" bezeichnet. Jedoch sollen nach der Bestimmung unter § 3 Ziff. 2
des Ergänzungstarifvertrages alle zukünftigen Strukturkomponenten nur im Gesamt-
Volumen von 1,39 % entfallen. Die Einmalzahlungen nach § 4 lit. c TV ERA-APF
betragen für sich jedoch bereits in den nach Februar 2006 folgenden Tarifperioden 2,79
%.
40
c.
41
c.
Ergänzungstarifvertrages mit den Regelungen des TV ERA-APF steht, ergibt sich, dass
der Anspruchsausschluss nicht greift.
41
aa.
werdende) Tariferhöhungen, die in der jeweils ersten Tarifperiode an die Beschäftigten
in Form von Einmalzahlungen geleistet und danach bis zum 28. Februar 2006 im ERA-
Anpassungsfonds zur Finanzierung von Mehrkosten des ERA in Höhe von festgelegten
insgesamt 2,79 % bereit zu stellen waren.
42
Mit dem Monat Februar 2006 endete die Zuführung zum Anpassungsfonds, der dann mit
etwa 4 % der tariflichen Jahresentgeltsumme gefüllt war.
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Da damit die weitere Sonderverwendung für diese Tariferhöhungen aus den Jahren
2002 bis 2005 entfiel, ist folgerichtig unter § 4 lit. c TV ERA-APF festgelegt worden, dass
sie mit einem Gesamtvolumen von 2,79 % in den nach Februar 2006 folgenden
Tarifperioden bis zur späteren betrieblichen ERA-Einführung als Einmalzahlung an die
Beschäftigten zu zahlen waren. Dadurch entstanden keine Personalmehrkosten für die
Unternehmen. Es änderte sich allein der Verwendungszweck der Tariferhöhungen.
Dienten sie bis zum 28. Februar 2006 der Bildung eines durch Bilanzrückstellung zu
bildenden Anpassungsfonds, aus dem die Mehrkosten der ERA zu finanzieren waren
und dessen verbleibender Betrag sodann an die Arbeitnehmer auszuzahlen war, so
waren sie nunmehr ihrem Zweck entsprechend an die Beschäftigten weiterzugeben.
Damit war allerdings ein Liquiditätsabfluss für die Unternehmen ab März 2006
verbunden. Für die Arbeitnehmer ergab sich, dass sie ab März 2006 die in den
Vorjahren vereinbarten Tariferhöhungen in vollem Umfang ausgezahlt erhielten.
44
Um diesen Liquiditätsabfluss zunächst aufzuschieben, ist unter § 4 lit. c TV ERA-APF
bestimmt, dass auf betrieblicher Ebene durch freiwillige Betriebsvereinbarung die
Zuführung zum Anpassungsfonds über den 28. Februar 2006 hinaus festgelegt werden
konnte. Davon ist im vorliegenden Fall für den Beschäftigungsbetrieb des Klägers nicht
Gebrauch gemacht worden.
45
bb.
Lage für die Beklagte abgeschlossenen Ergänzungstarifvertrag sind Regelungen
getroffen worden, die sowohl die tabellenwirksamen "linearen" Tariferhöhungen ab
2004 bis 2006 als auch den weiteren Tariferhöhungsanteil "ERA-Strukturkomponente"
betreffen.
46
Für die tabellenwirksamen "linearen" Tariferhöhungen ist (lediglich) festgelegt worden,
dass sie erst ab einem späteren Zeitpunkt gelten, und zwar mit einer maximalen
Verzögerung von sechs Monaten. Ab dann sind sie auf Dauer ungekürzt zu zahlen. Für
die Beklagte ergibt sich eine finanzielle Entlastung dadurch, dass sie die Tariferhöhung
während des Verzögerungszeitraums nicht zu zahlen hat und später auch nicht
nachzahlen muss.
47
Auch für den Tariferhöhungsanteil "ERA-Strukturkomponente" ist in dem
Ergänzungstarifvertrag eine Regelung getroffen worden, die in der jeweils ersten
Tarifperiode zu einer finanziellen Entlastung führt. Die Beklagte hat nicht – wie in dem
TV ERA-APF vorgesehen – diesen Tariferhöhungsanteil als Einmalzahlung zu
gewähren, braucht ihn auch nicht dem Anpassungsfonds zuzuführen und hat ihn auch
48
nicht später nachzuzahlen. Allerdings hat sie in den folgenden Tarifperioden –
entsprechend dem TV ERA-APF – diesen Tariferhöhungsanteil dem ERA-
Anpassungsfonds zuzuführen, was – wie bereits aufgezeigt - nur vorübergehend einen
Liquiditätsabfluss verhindert. Auch die Beklagte bestreitet nicht, dass sie in den
folgenden Tarifperioden zur Zuführung zum Anpassungsfonds verpflichtet war, der
entsprechend der Zweckbestimmung später zur Finanzierung der Mehrkosten des ERA
zu verwenden war und dessen restlicher Betrag an die Arbeitnehmer auszuzahlen war.
Soweit in dem Ergänzungstarifvertrag das Volumen der nach dem 30. September 2003
einzusparenden Einmalbeträge mit 1,39 % angegeben worden ist, lag dem ersichtlich
folgende Überlegung der Tarifvertragsparteien zugrunde: Sie sind – entsprechend der
Regelung in dem TV ERA-APF – davon ausgegangen, dass das durch die
Strukturkomponenten abgebildete Tariferhöhungsvolumen ab 1. Juni 2002 bis zum 28.
Februar 2006 insgesamt 2,79 % erreichte. Da das Tariferhöhungsvolumen im Jahr 2002
durch eine Einmalzahlung für die erste Tarifperiode in Höhe von 0,9 % weitergegeben
worden war und die Strukturkomponente September 2003 mit 0,5 % bereits feststand,
blieb demnach noch ein bis zum 28. Februar 2006 abzubildendes Volumen von 1,39 %,
wobei in gleicher prozentualer Höhe - mit Ausnahme des Jahre 2002 - die jeweiligen
Einmalzahlungen dauerhaft entfallen sollten. Es ist daher unerheblich, dass tatsächlich
die Addition der Strukturkomponenten nach ihrer jeweiligen prozentualen Höhe 2,8 %
ergibt (0,9 + 0,5 + 0,7 + 0,7).
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Die Ansicht der Beklagten, von den Tarifvertragsparteien sei darüber hinaus auch
festgelegt worden, dass die nach § 4 lit. c TV ERA-APF bei einer ERA-Einführung nach
Februar 2006 nunmehr mit 2,79 % auszuzahlende Tariferhöhung entfalle, und zwar auf
Dauer, steht eindeutig im Widerspruch mit zu der Beschränkung des Volumens in dem
Klammerzusatz auf 1,39 %.
50
Auch aus den sonstigen Regelungen des Ergänzungstarifvertrages ergibt sich kein
Anhaltspunkt für die Richtigkeit der Ansicht der Beklagten. Insbesondere ist nicht ein
von der Regelung für das Tarifgebiet Hessen abweichender späterer Zeitpunkt für die
Einführung von ERA festgelegt worden, schon gar nicht im Zusammenhang mit einer
Regelung über die ERA-Strukturkomponenten. Der Umstand, dass der
Ergänzungstarifvertrag erstmals zum 31. Dezember 2006 kündbar war, ist insoweit ohne
Aussagewert.
51
Im Übrigen stünde die von der Beklagten geltend gemachte Begünstigung auch im
Widerspruch zu den anderen Regelungen und hätte die Beklagte geradezu anreizen
müssen, ERA erst zum spätesten Zeitpunkt einzuführen. Die linearen Tariferhöhungen
sollten nach dem Ergänzungstarifvertrag nur maximal sechs Monate später gewährt
werden. Die als Strukturkomponente abgebildeten Tariferhöhungen waren nach Ablauf
der jeweils ersten Tarifperiode bis zum 28. Februar 2006 dem Anpassungsfonds
zuzuführen, der auch den Arbeitnehmern zu Gute kam: Er diente zur Finanzierung der
Personalmehrkosten durch die Einführung von ERA und war hinsichtlich des
verbleibenden Betrages an sie auszuzahlen. Welchen Sinn sollte es machen, ab März
2006 bis zur betrieblichen Einführung von ERA (hier: 3 Jahre) den Arbeitnehmern
endgültig den in den Jahren 2002 bis 2005 jeweils als Strukturkomponente vereinbarten
Tariferhöhungsanteil von insgesamt 2,79 % vorzuenthalten und ihn nicht einmal dem
Anpassungsfonds weiter zuführen zu lassen?! Das bei weitem größte Einsparvolumen
für die Beklagte wäre nicht zeitnah in der Krisensituation im Jahr 2003 zu realisieren
gewesen, sondern erst ab den ab März 2006 beginnenden Tarifperioden, in denen sich
52
die wirtschaftliche Lage bereits erheblich geändert haben konnte.
Folglich führt auch nur diese Auslegung zu einem vernünftigen, sachgerechten,
zweckorientierten und praktisch brauchbarem Ergebnis.
53
Nach alledem war unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils der Klage
stattzugeben.
54
4.
55
Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Rechtsstreits für die
Auslegung des bundesweit geltenden Ergänzungstarifvertrages zuzulassen.
56
RECHTSMITTELBELEHRUNG
57
Gegen dieses Urteil kann von
58
R E V I S I O N
59
eingelegt werden.
60
Die Revision muss
innerhalb einer Notfrist* von einem Monat
61
Bundesarbeitsgericht
62
Hugo-Preuß-Platz 1
63
99084 Erfurt
64
Fax: 0361 2636 2000
65
eingelegt werden.
66
Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils,
spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
67
Die Revisionsschrift
muss
Bevollmächtigte
68
1. Rechtsanwälte,
2. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse
solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder
Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
3. juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer
der in Nr. 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person
ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder dieser
Organisation oder eines anderen Verbandes oder Zusammenschlusses mit
vergleichbarer Ausrichtung entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die
69
Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
70
In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Revisionsschrift
unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.
71
Eine Partei die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
72
* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
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Schwartz Kern Schäfer
74