Urteil des LAG Köln vom 25.03.2004

LArbG Köln: akkordarbeit, arbeiter, waschanlage, zeitlohn, wechsel, leistungslohn, erfüllung, stundenlohn, anmerkung, maschine

Landesarbeitsgericht Köln, 10 Sa 916/02
Datum:
25.03.2004
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 Sa 916/02
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Bonn, 3 Ca 3198/01
Schlagworte:
Tarifliche Entgeldsicherung, Arbeitsplatzwechsel
Normen:
§§ 18 MTV Metall, 162, 242 BGB
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
1. § 18 MTV Metall NRW setzt für die Entgeltsicherung grundsätzlich
einen Arbeitsplatzwechsel voraus.
2. Wird ein möglicher den Entgeltsicherungsanspruch auslösender
Arbeitsplatzwechsel vom Arbeitgeber trotz Aufforderung unterlassen und
der Arbeitnehmer weiter mit betriebsärztlicherseits verbotener
Akkordarbeit beschäftigt, kann sich der Arbeitgeber nicht mit Erfolg auf
den fehlenden Arbeitsplatzwechsel berufen.
3. Bei der Besetzung "leidensgerechter" Arbeitsplätze (hier: im
Zeitlohnbereich) hat der Arbeitgeber eine soziale Auswahl zu treffen.
Tenor:
1. Auf die Berufung der Beklagten wird unter Zurückweisung der
Berufung im übrigen das am 02.05.2002 verkündete Urteil des
Arbeitsgerichts Bonn - 3 Ca 3198/01 - im Zahlungsausspruch und den
Kosten abgeändert und insoweit wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Verdienstausgleich für die
Zeit vom 01.04.2001 bis 31.03.2002 in Höhe von 853,01 EUR nebst
Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins
aus 132,85 EUR seit dem 01.07.2001,
aus 42,43 EUR seit dem 01.10.2001,
aus 182,96 EUR seit dem 01.01.2002 und
aus 494,77 EUR seit dem 01.04.2002
zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger zu
57,5 %, der Beklagten zu 42,5 % auferlegt.
2. Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d
1
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger tarifliche Entgeltsicherung wegen
gesundheitsbedingter Leistungsminderung nach § 18 des Manteltarifvertrages für die
Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Metall- und Elektroindustrie
Nordrhein-Westfalens (MTV Metall) zusteht.
2
Der am 02.10.1946 geborene Kläger ist seit dem 01.05.1973 als Arbeiter im Akkord bei
der Beklagten, die Gussteile herstellt, beschäftigt. Er hat seit dem 10.12.2001 einen GdB
von 40 %. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft beiderseitiger
Tarifgebundenheit die Tarifverträge für die Metallindustrie Nordrhein-Westfalens
Anwendung.
3
Am 04.07.2000 attestierte der Facharzt für Orthopädie-Sportmedizin T , dass es dem
Kläger aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr möglich sei, Akkordarbeit zu leisten.
Mit Schreiben vom 18.10.2000 stellte der Kläger bei der Beklagten den Antrag auf
Zuteilung einer seiner Leistungsminderung entsprechenden Tätigkeit und auf
Entgeltsicherung nach § 18 MTV Metall. Die auf Veranlassung der Beklagten vom
Betriebsarzt Dr. G durchgeführte Untersuchung am 17.01.2001 ergab, dass der Kläger
keine schwere körperliche Arbeit verrichten könne und zur Zeit arbeitsunfähig sei. Die
Nachuntersuchung durch den Betriebsarzt am 07.03.2001 ergab, dass der Kläger keine
schweren körperlichen Arbeiten wie Stemmen, Schleifen, Tätigkeiten in gebeugter
Haltung und kein Heben und Tragen von Lasten über 7,5 kg und für die Dauer von
sechs Monaten keine Tätigkeit im Akkord mehr verrichten dürfe. In einer weiteren
Nachuntersuchung am 05.09.2001 stellte der Betriebsarzt fest, dass der Kläger auf
Dauer keine Akkordarbeit mehr leisten könne. In einer fachärztlichen Bescheinigung für
die Betriebsleitung der Beklagten vom 05.03.2002 bestätigte der Betriebsarzt diesen
Befund noch einmal.
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Nach der betriebsärztlichen Untersuchung im März 2001 unterrichtete die Beklagte die
Abteilung Weiterverarbeitung, in der der Kläger tätig ist, über die festgestellten
gesundheitlichen Einschränkungen. Seit April 2001 verrichtete der Kläger nur noch
leichtere Arbeiten, wird aber weiterhin auch im Akkord eingesetzt und dementsprechend
im Leistungslohn bezahlt. Die Beklagte lehnt eine Entgeltsicherung nach § 18 MTV
Metall im Wesentlichen mit der Begründung ab, es fehle an dem tariflich
vorausgesetzten Arbeitsplatzwechsel.
5
Der Kläger hat behauptet, bei der Beklagten seien freie Arbeitsplätze ohne
Akkordarbeiten vorhanden. Außerdem könne die Beklagte durch Umsetzungen einen
freien Arbeitsplatz für ihn schaffen. Tätigkeiten, die im Betrieb ohne Akkord zu erbringen
seien, gebe es im Versand, an den Gleitschliffmaschinen, bei Feil- und Bohrarbeiten
und an den Sägemaschinen. Für solche Tätigkeiten sei er auch einsetzbar. Mit seiner
Klage begehrt der Kläger neben der Feststellung des Anspruchs auf tarifliche
Entgeltsicherung nach § 18 MTV Metall die Nachzahlung von Lohn für den Zeitraum von
April 2001 bis einschließlich März 2002.
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Der Kläger hat beantragt,
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1. festzustellen, dass der Kläger ab 01.04.2001 Anspruch auf
tarifvertragliche Verdienstsicherung mit einem monatlichen
Vergütungsanspruch von 4.422,47 DM brutto hat;
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2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 4.313,04 DM nebst Zinsen
mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG aus 718,84
DM seit dem 01.05.2001, aus 1.437,68 DM seit dem 01.06.2001, aus
2.156,52 DM seit dem 01.07.2001, aus 2.875,60 DM seit dem
01.08.2001, aus 3.594,20 DM seit dem 01.09.2001 und aus 4.313,04 DM
seit dem 01.10.2001 zu zahlen;
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3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 990,54 EUR nebst Zinsen
mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG aus 360,78
EUR seit dem 01.11.2001, aus 493,97 EUR seit dem 01.01.2002 und aus
135,79 EUR seit 01.02.2002 zu zahlen;
10
4. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 578,36 DM nebst Zinsen mit
5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG seit dem
01.12.2001 zu zahlen;
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5. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 98,53 EUR nebst Zinsen mit
5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG seit dem
01.03.2002 und weitere 260,45 EUR nebst Zinsen mit 5 Prozentpunkten
über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG seit dem 01.04.2002 zu zahlen.
12
Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat behauptet, der Kläger sei für die Zeitlohnarbeitsplätze im Versand
gesundheitlich nicht geeignet. Die anderen Zeitlohnarbeitsplätze im Betrieb seien mit
Schwerbehinderten besetzt bzw. eigneten sich auf Grund der gesundheitlichen
Einschränkungen nicht für den Kläger. Sie sei auch nicht verpflichtet, bisherige
Akkordlohnarbeitsplätze in Zeitlohnarbeitsplätze umzuwandeln.
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Das Arbeitsgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Zur Begründung hat
es im Wesentlichen ausgeführt, es liege zwar kein Arbeitsplatzwechsel vor und der
Kläger habe freie und für ihn geeignete Zeitlohnarbeitsplätze substantiiert nicht
dargelegt. Die Beklagte hätte ihn aber auf seinem bisherigen Arbeitsplatz auf
Zeitlohnbasis nach der ihr obliegenden Fürsorgepflicht beschäftigen müssen, was
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einem Arbeitsplatzwechsel nach der Rechtsprechung des BAG gleichkomme. Die
Beklagte habe substantiiert nicht dargelegt, weshalb die Arbeit des Klägers in
Zeitlohnarbeit nicht möglich sei. Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der
Beklagten.
Sie vertritt die Auffassung, ein Wechsel vom Akkord- in den Zeitlohn stelle keinen
Arbeitsplatzwechsel im Sinne des § 18 MTV Metall dar. Im Falle des Klägers habe auch
kein Arbeitsplatzwechsel stattgefunden. Der Kläger mache nach wie vor dasselbe, auch
im Akkord, wenn auch unter Berücksichtigung seiner gesundheitlichen
Einschränkungen. Es gebe in ihrem Betrieb auf absehbare Zeit keinen geringer
bezahlten freien Arbeitsplatz, auf dem der Kläger leidensgerecht eingesetzt werden
könnte. Selbst wenn ein Anspruch auf Verdienstsicherung bestände, sei der
Nachzahlungsanspruch in der zuerkannten Höhe nicht begründet. Ausgehend von dem
- unwidersprochenen - Durchschnittsentgelt im Sinne des § 18 Nr. 3 MTV Metall von
4.422,47 DM brutto (2.261,17 EUR) sei die Verdienstdifferenz ab April 2001 weitaus
geringer. So habe der Kläger in der Zeit von April bis September 2001 nicht wie von
diesem angegeben einen monatlichen Durchschnittsverdienst von 3.703,63 DM,
sondern von 4.365,34 DM brutto gehabt. Wegen der weiteren Einzelheiten des
Vorbringens der Parteien wird auf das angefochtene Urteil, die im Berufungsverfahren
gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlagen und die Sitzungsprotokolle
Bezug genommen. Das Berufungsgericht hat über die von der Beklagten bestrittene
gesundheitliche Eignung des Klägers für bestimmte Zeitlohnarbeitsplätze in ihrem
Betrieb Beweis erhoben durch Einholung eines arbeitsmedizinischen
Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf
den Inhalt des Gutachtens vom 14.11.2003 verwiesen.
17
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
18
Die Berufung der Beklagten ist unbegründet, soweit sie sich gegen die Feststellung
eines Anspruchs auf tarifliche Entgeltsicherung richtet. Hinsichtlich der Höhe des
Nachzahlungsanspruchs ist die Berufung überwiegend begründet.
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Im Einzelnen:
20
I.
21
Der Kläger hat nach § 18 MTV Metall ab 01.04.2001 Anspruch auf Entgeltsicherung auf
der Grundlage eines monatlichen Durchschnittsentgelts von 2.261,17 EUR (4.422,47
DM) brutto.
22
1. § 18 Nr. 1 MTV Metall bestimmt die Anspruchsvoraussetzungen für die
Entgeltsicherung. Diese Bestimmung hat folgenden Wortlaut:
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Arbeitnehmer nach der
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Vollendung des 53. Lebensjahres
25
mit einer Betriebs-/Unternehmenszugehörigkeit von 12 Jahren
26
Vollendung des 54. Lebensjahres
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mit einer Betriebs-/Unternehmenszugehörigkeit von 11 Jahren
28
Vollendung des 55. Lebensjahres
29
mit einer Betriebs-/Unternehmenszugehörigkeit von 10 Jahren
30
haben auf Antrag Anspruch auf Entgeltsicherung, wenn sie wegen
gesundheitsbedingter ständiger Minderung ihrer Leistungsfähigkeit auf ihrem
bisherigen Arbeitsplatz nicht mehr eingesetzt werden können und deshalb auf
einen geringer bezahlten Arbeitsplatz beschäftigt werden. Wird ein Antrag auf
Arbeitsplatzwechsel gestellt, hat der Betriebsarzt - oder soweit dieser nicht
vorhanden - ein Arzt des beiderseitigen Vertrauens die Notwendigkeit des
Arbeitsplatzwechsels und die weitere Einsatzfähigkeit festzustellen.
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Der Antrag ist schriftlich zu stellen; der Anspruch auf die Entgeltsicherung entsteht
bei Erfüllung der oben genannten Voraussetzungen mit Beginn des
nächstfolgenden Lohn- oder Gehaltsabrechnungszeitraumes.
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Die Antragstellung schließt für den Fall der Gewährung einer Entgeltsicherung die
Zustimmung des Arbeitnehmers zum Wechsel des Arbeitsplatzes und damit
eventuell verbundenem Wechsel des Entlohnungsgrundsatzes und ggf. zur
Umgruppierung ein.
33
Nach Gewährung einer Entgeltsicherung kann ein erneuter Antrag auf
Entgeltsicherung nicht vor Ablauf von fünf Jahren gestellt werden. Bis zur
Gewährung einer erneuten Entgeltsicherung gilt die bisherige Entgeltsicherung.
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2. Die persönlichen Anspruchsvoraussetzungen nach Lebensalter und
Betriebszugehörigkeit liegen in der Person des Klägers vor. Die tarifvertraglich
vorausgesetzte betriebsärztliche Feststellung der Notwendigkeit des
Arbeitsplatzwechsels ist ebenfalls gegeben. Der Betriebsarzt Dr. G hat sowohl bei der
Untersuchung am 07.03.2001 als auch bei der Nachuntersuchung am 05.09.2001
festgestellt, dass der Kläger keine Akkordarbeit mehr leisten darf. Damit steht fest, dass
wegen gesundheitsbedingter ständiger Minderung der Leistungsfähigkeit der Kläger auf
seinem bisherigen durch Akkordarbeit geprägten Arbeitsplatz nicht mehr eingesetzt
werden kann. Der Betriebsarzt hat auch Feststellungen über die weitere
Einsatzmöglichkeit des Klägers getroffen, indem er bestimmte, unter welchen Auflagen
der Kläger eingesetzt werden darf. Der Betriebsarzt hat zwar keinen konkreten
Arbeitsplatz benannt und sich angesichts der Auffassung der Beklagten, dass ein freier
Arbeitsplatz ohne Akkordarbeit nicht zur Verfügung stehe, insoweit herausgehalten und
den weiteren Einsatz des Klägers im Akkord offenbar "hingenommen". Bei der
vorliegenden Konstellation, bei der die Arbeitgeberin die Möglichkeit eines
Arbeitsplatzwechsels verneint, muss es genügen, dass der Betriebsarzt wie vorliegend
aufzeigt, unter welchen Auflagen der Kläger aus gesundheitlicher Sicht im Betrieb
eingesetzt werden kann.
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3. Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg auf einen fehlenden "Arbeitsplatzwechsel"
berufen.
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a. Im Ausgangspunkt teilt die Kammer die Auffassung der Beklagten, dass ein
Arbeitsplatzwechsel nicht vorliegt, auch wenn der Kläger nach Bekanntwerden seiner
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gesundheitlichen Einschränkungen seit April 2001 nicht mehr wie früher mit der
Bearbeitung größerer Guss-Stücke betraut und häufiger als andere Produktionsarbeiter
auf Stundenlohnarbeitsplätzen eingesetzt wurde. Von einem festen Arbeitsplatz kann in
der Weiterverarbeitung ohnehin keine Rede sein. In der Weiterverarbeitung bei der
Beklagten wechselt der Einsatz der einzelnen Arbeitnehmer nach Art und Umfang je
nach Kundenauftrag. Insoweit hat sich beim Kläger im Wesentlichen nur der
Schwerpunkt bei der Heranziehung zu den jeweiligen Arbeiten verschoben. Einen
Übergang vom Leistungslohn zum Zeitlohn, den das Bundesarbeitsgericht wiederholt
als Wechsel des Arbeitsplatzes angesehen hat (Urteil vom 06.02.1985 - 4 AZR 155/83 -
AP Nr. 3 zu § 1 TVG Tarifverträge Textilindustrie; Urteil vom 30.11.1983 - 4 AZR 374/81
- AP Nr. 20 zu § 1 TVG Tarifverträge Metallindustrie), hat es beim Kläger nicht gegeben.
Soweit der Kläger weiterhin an Akkordarbeitsplätzen eingesetzt war, blieb es beim
Leistungslohn als Entlohnungsgrundsatz.
b. Ob ein Arbeitsplatzwechsel anzunehmen wäre, wenn die Beklagte den Kläger ab
April 2001 zu mehr als der Hälfte seiner Arbeitszeit auf Zeitlohnarbeitsplätzen eingesetzt
hätte, kann letztlich dahingestellt bleiben, weil es insoweit an einer schlüssigen
Darlegung durch den Kläger fehlt. Seine Behauptung, er sei im Zeitraum Oktober 2000
bis Januar 2003 mehr auf Stundenlohn- als auf Akkordarbeitsplätzen eingesetzt
gewesen, ist von ihm nicht substantiiert worden. Demgegenüber hat die Beklagte
dargelegt, dass der Kläger in dem angegebenen Zeitraum nur etwa ca. 12 % im
Stundenlohn gearbeitet hat, und zwar 365,92 Stunden bei insgesamt 3.103,33 Stunden.
Insbesondere ist der Kläger den Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom
30.09.2003, Seiten 8 - 10, nicht entgegengetreten, dass es sich bei der Angabe
"Durchschnitt" in den Lohnlisten nach näherer Bezeichnung um verschiedene
Sachverhalte handelt und nicht um Zeitlohn auf Zeitlohnarbeitsplätzen.
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c. Die Beklagte kann sich vielmehr deshalb nicht mit Erfolg auf einen fehlenden
Arbeitsplatzwechsel berufen, weil sie den Kläger auf einem reinen Zeitlohnarbeitsplatz,
und zwar an der Gleitschliffanlage, hätte einsetzen können. Zunächst ist festzustellen,
dass die Beklagte weder verpflichtet ist, einen zusätzlichen Zeitlohnarbeitsplatz zu
schaffen noch vorhandne Akkordlohnarbeitsplätze in Zeitlohnarbeitsplätze
umzuwandeln. Unabhängig davon, dass auf den einzelnen Arbeitsplätzen die
Entlohnungsform nach dem Vortrag der Beklagten mit dem Betriebsrat vereinbart
worden ist, ist die Entscheidung der Beklagten, an bestimmten Arbeitsplätzen in der
Weiterverarbeitung aus wirtschaftlichen Gründen nur im Akkord arbeiten zu lassen, als
Unternehmerentscheidung hinzunehmen. Bei der Besetzung "leidensgerechter"
Arbeitsplätze im Zeitlohnbereich hat der Arbeitgeber aber unter sozialen
Gesichtspunkten eine Auswahl zu treffen (Ziepke/Weiss, Kommentar zum MTV Metall,
4. Auflage, § 18 Anmerkung 7, Seite 709). Nach diesen Grundsätzen hätte die Beklagte
den Kläger ganz aus dem ärztlicherseits untersagten Akkordlohnbereich herausnehmen
und auf einem Arbeitsplatz an der Gleitschliffanlage einsetzen müssen. Die Tatsache,
dass sie dies nicht getan hat, kann nach §§ 162, 242 BGB nicht zur Vereitelung des
Entgeltsicherungsanspruchs nach § 18 MTV Metall führen.
39
Im Einzelnen:
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aa. An den Arbeitsplätzen in der Gleitschliffanlage/Waschanlage wird im Zeitlohn
gearbeitet. In dieser Anlage werden die auf dem Förderband liegenden Gussteile
maschinell mit Schleifkörpern geschliffen und gewaschen. Das Band wird beladen,
indem die mit Gussteilen gefüllte Box hydraulisch angehoben und deren Inhalt auf das
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Transportband entleert wird. Nach dem Durchlauf durch die Maschine fallen die
geschliffenen und gewaschenen Stücke von dem Transportband in den bereitstehenden
Container bzw. die Gitterbox. Auf einem in den Container bzw. die Gitterbox gestellten
Brett rutschen die Teile sicher in die Box und nicht daneben auf den Hallenboden. Der
Arbeiter beaufsichtigt stehend oder gehend den Maschinenbetrieb. Dabei hat er nach
dem Vortrag der Beklagten auch darauf zu achten, dass das Schüttgut möglichst
gleichmäßig auf dem Förderband und in der Gitterbox verteilt ist, wobei er bei
Anhäufungen manuell für eine gleichmäßige Verteilung zu sorgen hat. Ca. 20 mal pro
Schicht stellt der Arbeiter an der Gleitschliffanlage/Waschanlage das ca. 1,50 m hohe
und 80 cm breite Brett in den Container. Zwischendurch kehrt er mit einem Besen den
Hallenboden oder fährt die gefüllte Box auf einem hydraulischen Hubwagen ca. 15 m
weit zum Abstellplatz. Die maschinelle Befüllung und Entladung des Förderbandes mit
den Gussteilen ist aus den Fotos 3 und 4 der Anlage 1.5 des
Sachverständigengutachtens ersichtlich.
bb. Der Arbeitsplatz an der Gleitschliffanlage/Waschanlage entspricht den
gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers aus betriebsärztlicher Sicht. Es handelt
sich weder um Akkordarbeit noch um schwere körperliche Tätigkeit, das heißt weder um
Stemmarbeiten noch um manuelle Schleiftätigkeiten, da diese von der Maschine
erledigt werden, noch um Tätigkeiten in gebeugter Haltung oder um Heben und Tragen
von Lasten über 7,5 kg. Auch das von beiden Parteien beantragte arbeitsmedizinische
Sachverständigengutachten, das auf der Grundlage einer Arbeitsplatzbesichtigung, an
der auch der Betriebsarzt teilnahm, erstellt wurde, bestätigt jedenfalls hinsichtlich des
Arbeitsplatzes an der Gleitschliffanlage die gesundheitliche Eignung für den Kläger. Der
Kläger hat ein Bluthochdruckleiden, das Akkordarbeit verbietet, und chronische
Beschwerden der Lendenwirbelsäule. Das Gutachten (Anlage 1, Seiten 12, 13)
bestätigt, dass am Arbeitsplatz Gleitschliffanlage eine relevante negative Beeinflussung
der Wirbelsäule nicht erkennbar sei; regelmäßiges Heben, Tragen oder Bücken fielen
nicht an; der Arbeitnehmer stehe oder gehe und habe dabei ausreichend
Bewegungsfläche; eine andere Gesundheitsgefährdung des Skelettsystems am
Arbeitsplatz Gleitschliffanlage sei nicht erkennbar, sofern das Transportband
automatisch und nicht manuell beladen werde.
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cc. Die Beklagte war gehalten, dem Kläger nach Bekanntwerden seiner
gesundheitlichen Einschränkungen und seinem Antrag vom 18.10.2000 eine seinen
Beschwerden entsprechende Tätigkeit ohne Akkordarbeit zuzuteilen sowie auf Grund
der betriebsärztlichen Untersuchung am 07.03.2001 auf einen Arbeitsplatz an der
Gleitschliffanlage/Waschanlage umzusetzen. Zu dieser Zeit gab es dort an drei
Maschinen in zwei Schichten insgesamt sechs Arbeitsplätze. Eingesetzt waren dort die
Arbeitnehmer M , geb. , betriebszugehörig seit 01.03.1989, L , geb. , betriebszugehörig
seit Januar 1989, M , geb. , betriebszugehörig seit dem 01.10.1987, B , geb. ,
betriebszugehörig seit dem 16.08.1989. Da die weiteren von der Beklagten benannten
Arbeitnehmer A , schwerbehindert, geb. , betriebszugehörig seit 22.10.1984, erst seit
September 2001 und Herr M , geb. , betriebszugehörig seit 05.02.1986, erst seit
November 2001 an der Gleitschliffanlage tätig sind, ist es nach den Grundsätzen
abgestufter Darlegungslast zunächst Sache der Beklagten, die noch fehlenden zwei
weiteren Arbeitnehmer zu benennen. Insoweit hat die Beklagte die Mitarbeiter C , geb. ,
betriebszugehörig seit dem 04.09.1989, und O , geb. , betriebszugehörig seit dem
21.08.1989, genannt, die allerdings nicht nur an der Gleitschliffanlage, sondern auch am
CNC-Bearbeitungszentrum und als Staplerfahrer im innerbetrieblichen Transport (O )
tätig seien.
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Auf Grund dieser Daten ergibt sich nach Auffassung der Kammer zunächst, dass die
Beklagte an Stelle des Arbeitnehmers Müller den Kläger auf den unstreitig freien
Arbeitsplatz an der Gleitschliffanlage hätte umsetzen müssen. Dafür sprechen die
Sozialdaten des Klägers, der 11 Jahre älter und 13 Jahre länger bei der Beklagten
beschäftigt ist und außerdem drei unterhaltsberechtigte Kinder hat. Aus dem Vortrag der
Beklagten ist nicht ersichtlich, weshalb sie den Kläger nicht bereits ab April 2001 auf
den (wann und durch wen) frei gewordenen Arbeitsplatz im Gleitschliff hätte umsetzen
können. Die Beklagte hätte jedenfalls dem Umstand Rechnung tragen müssen, dass
dem Kläger Akkordarbeit verboten worden war und die auf Zeitlohnarbeitsplätzen im
Gleitschliff tätigen Arbeitnehmer teilweise sowohl sozial stärker als auch auf einen
Zeitlohnarbeitsplatz nicht angewiesen sind. So sind die Arbeitnehmer M und B 19 bzw.
21 Jahre jünger als der Kläger und weisen eine um 14 bzw. 16 Jahre kürzere
Betriebszugehörigkeit auf. Die Beklagte hat auch nicht vorgetragen, dass bei diesen
beiden Arbeitnehmern ein Verbot von Akkordarbeit bestehe. Die Argumentation der
Beklagten, der Kläger habe den Arbeitsplatz nicht einnehmen können, weil er nicht
Teile mit einem Gewicht von mehr als 1 kg heben, tragen und bearbeiten dürfe
(Schriftsatz vom 30.09.2003, Seite 5, Blatt 416 d. A.) steht nicht im Einklang mit den
betriebsärztlichen Feststellungen und dem Sachverständigengutachten, in denen von
7,5 kg (Betriebsarzt) bzw. 5 und 10 kg (Sachverständigengutachten) die Rede ist. Der
Kläger ist auch sozial stärker als Herr M , denn er ist zwei Jahre älter und 16 Jahre
länger beschäftigt. Auch bei Herrn M ist nicht vorgetragen, dass bei ihm ein
grundsätzliches Verbot zur Akkordarbeit besteht. Nach der Erklärung der Beklagten im
Termin der letzten mündlichen Verhandlung ist Herr M seit Anfang 2004 auch wieder auf
einem Akkordarbeitsplatz eingesetzt. Der Umstand allein, dass ihm im Jahre 2000
seitens des Betriebsarztes ein leichterer Arbeitsplatz empfohlen worden ist und er
daraufhin in den Gleitschliff umgesetzt wurde, entbindet die Beklagte nicht von einer
neuen Beurteilung des Einsatzes von Arbeitnehmern, wenn diese wie im Fall des
Klägers an ihren bisherigen Akkordarbeitsplätzen nicht weiterbeschäftigt werden dürfen.
Soweit die Beklagte vorträgt, dass es bei den betroffenen Arbeitnehmern mit
gesundheitlicher Einschränkung immer auch um die Frage der Möglichkeit einer
Weiterbeschäftigung zur Vermeidung einer personenbedingten Kündigung geht, ändert
dies nichts daran, dass bei der Frage des Einsatzes auf leidensgerechten
Arbeitsplätzen Gesichtspunkte der sozialen Auswahl zu berücksichtigen sind.
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4. Hätte die Beklagte daher dem Antrag des Kläger auf Zuweisung eines Arbeitsplatzes
ohne Akkordarbeit pflichtgemäß stattgegeben, stünde ihm der geltend gemachte
Entgeltsicherungsanspruch ab 01.04.2001 zu. Über die Höhe des bisherigen
Durchschnittsentgelts als Berechnungsgrundlage im Sinne des § 18 Nr. 3 MTV Metall
von 2.261,17 EUR (4.422,67 DM) besteht zwischen den Parteien kein Streit.
45
II.
46
Die Höhe des geltend gemachten Nachzahlungsanspruchs ist nur teilweise begründet.
Nach § 18 Nr. 1 Abs. 2 entsteht der Anspruch auf Entgeltsicherung bei Erfüllung der
Voraussetzungen des Absatzes 1 mit Beginn des nächstfolgenden Lohn- und
Gehaltsabrechnungszeitraums, d. h. ab 01.04.2001. Der Ausgleichsanspruch nach § 18
Nr. 2 MTV Metall ist für die Folgezeit unter Berücksichtigung des Durchschnittsentgelts
für je drei abgerechnete Monate zu ermitteln und zum Referenzlohn in Beziehung zu
setzen. Dies hat der Kläger in seinem Rechenwerk nicht berücksichtigt. Außerdem hat
er für die Zeit von April bis September 2001 nicht den real erzielten Lohn zu Grunde
47
gelegt, sondern eine Hochrechnung auf Jahresbasis vorgenommen. Real hat der Kläger
in der Zeit von April bis September 2001 im Monatsdurchschnitt nicht 3.703,63 DM,
sondern - wie die Beklagte zutreffend ausführt - 4.365,34 DM verdient. Auf der
Grundlage des tatsächlich erzielten Lohns ergeben sich für je drei Monate folgende
Verdienste und Ausgleichsbeträge:
April bis Juni 2001: Durchschnittsentgelt 4.335,86 DM = monatlicher Ausgleichsbetrag
86,61 DM x 3 = 259,83 DM = 132,85 EUR.
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Juli bis September 2001: monatlicher Durchschnittslohn 4.394,81 DM = monatlicher
Ausgleichsbetrag 27,66 DM x 3 = 82,98 DM = 42,43 EUR.
49
Die Höhe des Verdienstausgleichs für die Zeit von Oktober 2001 bis März 2002 ist von
der Beklagten in der Berufung nicht angegriffen worden. Auf Grund der vorliegenden
Verdienstabrechnungen ergibt sich aufgeteilt auf je drei Monate folgender
Ausgleichsanspruch:
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Oktober bis Dezember 2001: monatliches Durchschnittsentgelt 4.303,19 DM =
monatlicher Ausgleichsbetrag 119,28 DM x 3 = 357,84 DM = 182,96EUR.
51
Für Januar bis März 2002 ergibt sich der vom Kläger errechnete Ausgleichsbetrag von
494,77 EUR.
52
Da für die Ermittlung des Durchschnittsentgelts auf die jeweiligen drei abgerechneten
Monate zurückzugreifen ist und daher der Ausgleichsanspruch vorher nicht berechnet
werden kann und fällig ist (Ziepke/Weiss a.a.O. § 18 Anmerkung 18), war dem beim
Zinsanspruch Rechnung zu tragen (§§ 286, 288 BGB in Verbindung mit § 18 Nr. 2 mit
Nr. 3 Abs. 2 MTV Metall).
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III.
wurden 1.364,82 EUR (2 x 853,01 EUR mit Abschlag von 20 % wegen Feststellung)
und für das Zahlungsbegehren entsprechend dem Zahlungsantrag 3.850,45 EUR,
insgesamt 5.215,27 EUR zu Grunde gelegt.
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RECHTSMITTELBELEHRUNG
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Gegen dieses Urteil kann von der klagenden Partei wegen der Grundsatzfrage der
Anspruchsvoraussetzungen für die Entgeltsicherung nach § 18 Nr. 1 MTV Metall
56
R E V I S I O N
57
eingelegt werden.
58
Für die beklagte Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
59
Die Revision muss
60
innerhalb einer Notfrist* von einem Monat
61
schriftlich beim
62
Bundesarbeitsgericht
63
Hugo-Preuß-Platz 1
64
99084 Erfurt
65
Fax: (0361) 2636 - 2000
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eingelegt werden.
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Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils,
spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. § 9 Abs. 5 ArbGG bleibt
unberührt.
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Die Revisionsschrift muss von einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen
Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
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* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
70
(Schroeder) (Breuer) (Voßkötter)
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