Urteil des LAG Köln vom 28.05.2003

LArbG Köln: treu und glauben, kündigung zur unzeit, schutz des arbeitnehmers, widersprüchliches verhalten, beweislast, anwendungsbereich, arbeitsgericht, prozessrecht, sozialstaatsprinzip, datum

Landesarbeitsgericht Köln, 3 Sa 723/02
Datum:
28.05.2003
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
3. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 Sa 723/02
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Köln, 6 Ca 6486/01
Schlagworte:
Kündigung; Kleinbetrieb, Treu und Glauben, Darlegungs- und
Beweislast
Normen:
§ 242 BGB, §§ 1, 23 KSchG
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Außerhalb des Anwendungsbereichs des KSchG hat grundsätzlich der
Arbeitnehmer die von ihm behaupteten Unwirksamkeitsgründe
darzulegen und zu beweisen. Zu seinen Gunsten kommen allerdings die
Grundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweislast zur
Anwendung.
Tenor:
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln
vom 31.01.2002 - 6 Ca 6486/01 - wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
1
1. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen arbeitgeberseitigen
Kündigung im Kleinbetrieb des Beklagten. Von einer erneuten Darstellung des
Sachverhalts wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen.
2
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 31.01.2002 in vollem Umfang
abgewiesen. Wegen der Begründung wird auf Bl. 20 f. d. A. Bezug genommen.
3
1. Die Berufung der Klägerin ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG)
und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64
Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
4
1. Das Rechtsmittel hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsverhältnis der
Parteien ist durch die rechtswirksame Kündigung des Beklagten vom 29.06.2001
zum 31.07.2001 beendet worden.
5
1. Die Kündigung ist nicht gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial ungerechtfertigt, denn das
Kündigungsschutzgesetz findet gemäß § 23 Abs. 1 KSchG auf den unstreitig
vorliegenden Kleinbetrieb des Beklagten keine Anwendung.
6
1. Die streitgegenständliche Kündigung vom 29.06.2001 ist auch nicht wegen
Verstoßes gegen Treu und Glauben gemäß § 242 BGB rechtsunwirksam.
7
1. Zwar bildet der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) eine allen Rechten,
Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung, wobei eine gegen
§ 242 BGB verstoßende Rechtsausübung oder Ausnutzung einer Rechtslage
wegen der Rechtsüberschreitung als unzulässig anzusehen ist. Jedoch ist im
Kündigungsrecht zu berücksichtigen, dass die Vorschrift des § 242 BGB auf
Kündigungen neben § 1 KSchG nur in beschränktem Umfang anwendbar ist.
Denn das Kündigungsschutzgesetz hat die Voraussetzungen und Wirkungen des
Grundsatzes von Treu und Glauben konkretisiert und, soweit es um den
Bestandsschutz und das Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines
Arbeitsplatzes geht, abschließend geregelt. Umstände, die im Rahmen des § 1
KSchG zu würdigen sind und die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt
erscheinen lassen, kommen als Verstöße gegen Treu und Glauben grundsätzlich
nicht in Betracht. Eine Kündigung verstößt dann gegen § 242 BGB und ist nichtig,
wenn sie aus Gründen, die von § 1 KSchG nicht erfasst sind, Treu und Glauben
verletzt (BAG, Urteil vom 21.02.2001 - 2 AZR 15/00 -, EzA § 242 BGB Kündigung
Nr. 1; LAG Köln, Urteil vom 16.08.2002 - 11 Sa 487/02 -; LAG Düsseldorf, Urteil
vom 08.10.2002 - 8 Sa 914/02 -). Typische Tatbestände der treuwidrigen
Kündigung sind daher insbesondere ein widersprüchliches Verhalten des
Arbeitgebers, der Ausspruch einer Kündigung zur Unzeit oder in ehrverletzender
Form sowie eine Kündigung, die den Arbeitnehmer diskriminiert.
8
Für Kündigungen gegenüber Arbeitnehmern im Kleinbetrieb ist dieser Grundsatz nicht
uneingeschränkt anzuwenden. Denn insoweit sind bei der Bestimmung des Inhalts und
der Grenzen eines Kündigungsschutzes außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes
9
auch grundrechtliche Schutzpflichten zu beachten. Soweit unter mehreren
Arbeitnehmern eine Auswahl zu treffen ist, gebietet der verfassungsrechtliche Schutz
des Arbeitsplatzes in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip ein gewisses Maß an
sozialer Rücksichtsnahme (BVerfG, Beschluss vom 27.01.1998 - I BvL 15/87 -, BVerfGE
79, 169; BAG, Urteil vom 21.02.2001 - 2 AZR 15/00 -, EzA § 242 BGB Kündigung Nr. 1).
Dies bedeutet allerdings nicht, dass damit im Kleinbetrieb die Grundsätze des § 1
KSchG über die Sozialauswahl entsprechend anwendbar sind. Die Herausnahme des
Kleinbetriebs aus dem Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes trägt nämlich
ihrerseits gewichtigen, durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Belangen des
Kleinunternehmers Rechnung, dessen Kündigungsrecht in hohem Maße schutzwürdig
ist (vgl. BAG, a. a. o.). Nach allem kann daher die Auswahl der Entscheidung des
Arbeitgebers bei einer Kündigung im Kleinbetrieb nur darauf überprüft werden, ob sie
unter Berücksichtigung sowohl der Belage des Arbeitnehmers am Erhalt seines
Arbeitsplatzes als auch der gleichermaßen schutzwürdigen Interessen des
Kleinunternehmers gegen Treu und Glauben verstößt.
10
1. Außerhalb des Anwendungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes hat
grundsätzlich der Arbeitnehmer die von ihm behaupteten Unwirksamkeitsgründe
darzulegen und zu beweisen. Die Regel des § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG, wonach im
Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes der Arbeitgeber die
Tatsachen zu beweisen hat, die die Kündigung bedingen, gilt außerhalb des
Kündigungsschutzgesetzes nicht. Gleichwohl findet der verfassungsrechtlich
gebundene Schutz des Arbeitnehmers auch im Prozessrecht seinen Niederschlag.
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung, der die Kammer folgt, kommen
insoweit die Grundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweislast zur
Anwendung (BAG, Urteil vom 21.02.2001 - 2 AZR 15/00 - EzA § 242 BGB
Kündigung Nr. 1; BAG, Urteil vom 25.04.2001 - 5 AZR 360/99 - EzA § 242 BGB
Kündigung Nr. 4). Danach muss der Arbeitnehmer, der die Überlegungen des
Arbeitgebers, die zu seiner Kündigung geführt haben, regelmäßig nicht kennt, in
einem ersten Schritt lediglich einen Sachverhalt vortragen, der die Treuwidrigkeit
der Kündigung nach § 242 BGB indiziert. Der Arbeitgeber muss sich sodann nach
§ 138 Abs. 2 ZPO qualifiziert auf diesen Vortrag einlassen, um ihn zu entkräften.
Ist dies erfolgt, so hat der Arbeitnehmer wiederum die Tatsachen, aus denen sich
die Treuwidrigkeit der Kündigung ergeben soll, zu beweisen (BAG, a.a.O. mit
weiteren Nachweisen).
11
1. Wendet man diese Grundsätze im vorliegenden Fall an, greift der
Treuwidrigkeitseinwand der Klägerin nicht durch.
12
Dies gilt zunächst für den Haupteinwand der Klägerin, der Beklagte habe bei
seiner Auswahlentscheidung soziale Gesichtspunkte nicht angemessen
berücksichtigt und von daher sei die zu ihren Lasten ausgegangene Entscheidung
13
willkürlich. Die Klägerin ist hiermit ihrer grundsätzlichen Darlegungslast nicht
ausreichend nachgekommen. Denn von einer indizierten Treuwidrigkeit kann nur
dann ausgegangen werden, wenn der Arbeitgeber in evidenter Weise einen
erheblich weniger schutzwürdigen, vergleichbaren Arbeitnehmer weiter
beschäftigt. Nur dann sprechen Sachumstände dafür, dass der Arbeitgeber das
erforderliche Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme außer acht gelassen hat
(vgl. BAG, Urteil vom 21.02.2001 - 2 AZR 15/00 - EzA § 242 BGB Kündigung Nr.
1). Ein derart evidentes Außerachtlassen sozialer Kriterien liegt nach dem eigenen
Sachvortrag der Klägerin jedoch nicht vor. Sie beruft sich lediglich auf eine um vier
Jahre längere Betriebszugehörigkeit gegenüber der vergleichbaren
Arbeitnehmerin K bei ansonsten nahezu gleichen Sozialdaten. Diese längere
Betriebszugehörigkeit der Klägerin könnte möglicherweise bei einer im
Anwendungsbereich des § 1 Abs. 3 KSchG zu treffenden Auswahlentscheidung
den Ausschlag zugunsten der Klägerin ergeben. Eine solche Sozialauswahl ist
aber im Kleinbetrieb gerade nicht vorzunehmen und wird auch von den
verfassungsrechtlichen Grundsätzen nicht gefordert. Das danach lediglich
geschützte Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme ist bei diesem Sachverhalt
jedenfalls noch nicht berührt. Insgesamt scheitert der Einwand der Klägerin daher
bereits auf die erste Stufe, der sie treffenden abgestuften Darlegungs- und
Beweislast. Auf die weitere Einlassung des Beklagten kommt es daher insoweit
nicht an.
Auch eine Maßregelungskündigung des Beklagten liegt nicht vor. Zwar ist
zwischen den Parteien im Streit, ob die Klägerin die Ausübung einer zusätzlichen
Fahrtätigkeit verweigert hat, jedoch ist dies selbst bei unterstelltem Verhalten der
Klägerin nach dem unstreitigen Sachverhalt nicht der Kündigungsgrund. Ursache
der Kündigung ist vielmehr die schlechte wirtschaftliche Situation des Beklagten,
wie sie sich letztlich auch in der zum 01.01.2003 erfolgten Betriebsstilllegung
manifestiert hat.
14
Insgesamt scheidet damit eine Unwirksamkeit der streitgegenständlichen
Kündigung wegen eines Verstoßes gegen Treu und Glauben aus.
15
1. Anhaltspunkte für das Vorliegen sonstiger Unwirksamkeitsgründe sind ebenfalls
nicht ersichtlich.
16
1. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die gesetzlichen
Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
17
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g :
18
Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben. Auf die Möglichkeit der
Nichtzulassungsbeschwerde nach § 72 a ArbGG wird verwiesen.
19
(Dr. Kreitner) (Anspach) (Baurmann)
20