Urteil des LAG Köln vom 25.06.2009

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Landesarbeitsgericht Köln, 7 Sa 1477/08
Datum:
25.06.2009
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 Sa 1477/08
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Köln, 8 Ca 5346/07
Schlagworte:
Krankheitsbedingte Kündigung; Flugbegleiterin
Normen:
§§ 1 Abs. 2 KSchG, 84 Abs. 2 SGB IX
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Zu den Voraussetzungen einer krankheitsbedingten Kündigung
gegenüber einer auf Dauer flugdienstuntauglichen Flugbegleiterin.
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln
vom 30.10.2008 in Sachen
8 Ca 5346/07 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
1
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch um die Wirksamkeit einer
arbeitgeberseitigen personenbedingten Kündigung.
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Wegen des Sach- und Streitstandes erster Instanz, wegen der erstinstanzlich zur
Entscheidung gestellten Anträge und wegen der Gründe, die die 8. Kammer des
Arbeitsgerichts Köln dazu bewogen haben, die Klage abzuweisen, wird auf Tatbestand
und Entscheidungsgründe des angegriffenen arbeitsgerichtlichen Urteils vom
30.10.2008 Bezug genommen.
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Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde der Klägerin am 21.11.2008 zugestellt. Sie hat
hiergegen am 05.12.2008 Berufung einlegen und diese – nach Verlängerung der Frist
bis zum 23.02.2009 – am 23.02.2009 begründen lassen.
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Die Klägerin macht geltend, es stehe zwar einerseits fest, dass sie aus gesundheitlichen
Gründen auf Dauer flugdienstuntauglich sei. Ebenso stehe aber auch fest, dass sie auf
einem Bodenarbeitsplatz weiterhin einsetzbar sei. Das Arbeitsgericht habe verkannt,
dass die Kündigung der Beklagten vom 11.06.2007 rechtsunwirksam sei, weil die
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Beklagte es versäumt habe, ihr vor Kündigungsausspruch oder während der
Kündigungsfrist einen leidensgerechten Arbeitsplatz am Boden anzubieten.
Dies wäre der Beklagten nach Angaben der Klägerin auch ohne Weiteres möglich
gewesen. Die Klägerin nennt auf Seite 5 und 6 ihrer Berufungsbegründungsschrift vom
23.02.2009 insgesamt 14 bestimmte Arbeitsplätze und behauptet dazu, sie, die Klägerin
sei für die Übernahme dieser Tätigkeiten geeignet gewesen und der Beklagten sei es
möglich gewesen, ihr diese Tätigkeiten anzubieten. Wegen der Einzelheiten der von der
Klägerin benannten Stellen wird auf die entsprechenden Passagen der
Berufungsbegründungsschrift Bezug genommen.
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Die Klägerin ist dabei der Auffassung, dass die Beklagte sie auch auf Arbeitsplätze bei
der Firma E habe vermitteln können. Davon sei die Beklagte im Jahre 2006 selbst
ausgegangen, als sie, die Klägerin, ein Stellenangebot bei der E als Sachbearbeiterin
Kommunikation erhalten habe. Die Klägerin erinnert daran, dass ihr Arbeitsverhältnis
ursprünglich zu der Firma E begründet und erst später auf die Beklagte übergegangen
sei. Auch sei bei der betriebsbedingten Kündigung anerkannt, dass in die
Sozialauswahl auch Arbeitsplätze in Betriebsteilen eines anderen, an einem
Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Unternehmens mit einzubeziehen seien. Dasselbe
müsse auch für eine krankheitsbedingte Kündigung gelten. Die Beklagte habe es ferner
unterlassen, ein Wiedereingliederungsmanagement gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX
durchzuführen. Ein solches Wiedereingliederungsmanagement habe ein positives
Ergebnis bringen und dazu führen können, ihr einen leidensgerechten Arbeitsplatz zu
übertragen.
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Schließlich beanstandet die Klägerin, dass die Beklagte der Personalvertretung
fälschlicherweise mitgeteilt habe, dass sie, die Klägerin, sich nicht selbst um eine
Arbeitsplatzalternative bemüht und den Kontakt mit der Beklagten gescheut habe und
dass es keinerlei Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten gebe.
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Die Klägerin und Berufungsklägerin beantragt nunmehr,
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unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln vom 30.10.2008,
zugestellt am 21.11.2008, Aktenzeichen 8 Ca 5346/07, festzustellen, dass das
Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 11.06.2007, der Klägerin
zugegangen am 20.06.2007, nicht aufgelöst worden ist.
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Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
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die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
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Die Beklagte verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil und hält wie dieses die streitige
krankheitsbedingte Kündigung für wirksam. Die Beklagte und Berufungsbeklagte weist
darauf hin, dass die Klägerin nach den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen
ausschließlich für eine Tätigkeit im Flugdienst eingestellt worden sei. Auch eine
Versetzung im Wege des Direktionsrechts sei nach dem Arbeitsvertrag und den darin in
Bezug genommenen Regularien der allgemeinen Arbeitsvertragsbedingungen nur
möglich in örtlicher Hinsicht oder in Hinsicht auf eine andere Tätigkeit innerhalb des
Flugbetriebes.
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Sie, die Beklagte, habe es auch nicht versäumt, der Klägerin einen für sie
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gesundheitlich und fachlich geeigneten, im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung
freien oder im Laufe der Kündigungsfrist absehbar frei werdenden Arbeitsplatz am
Boden zuzuweisen. Ein derartiger Arbeitsplatz habe ihr nicht zur Verfügung gestanden.
Zu den von der Klägerin in ihrer Berufungsbegründung genannten einzelnen
Arbeitsplätzen führt die Beklagte aus, dass es sich hierbei entweder um Arbeitsplätze
bei anderen Konzernunternehmen gehandelt habe, auf deren
Einstellungsentscheidungen sie, die Beklagte, keinen bestimmenden Einfluss ausüben
könne; und/oder es habe sich um Arbeitsplätze gehandelt, für die die Klägerin fachlich
nicht hinreichend qualifiziert gewesen sei und sich diese fehlende fachliche Eignung
auch nicht in angemessener Zeit habe aneignen können; und/oder es handele sich um
Arbeitsplätze, die erst nach Ablauf der Kündigungsfrist frei geworden seien und zur
Ausschreibung angestanden hätten. Weiter vertritt die Beklagte die Ansicht, dass, eben
weil kein für die Klägerin geeigneter Arbeitsplatz zur Verfügung gestanden habe, auch
ein betriebliches Wiedereingliederungsmanagement im Sinne von § 84 Abs. 2 SGB IX
von vorneherein nicht habe zum Erfolg führen können.
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Schließlich verteidigt die Beklagte auch die von ihr vorgenommene
Personalratsanhörung.
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Ergänzend wird auf den vollständigen Inhalt der Berufungsbegründungsschrift, der
Berufungserwiderungsschrift und des weiteren Schriftsatzes der Klägerin und
Berufungsklägerin vom 22.06.2009 sowie die mündliche Erörterungen der Parteien im
Kammertermin vor dem Berufungsgericht Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 30.10.2008
ist zulässig. Die Berufung ist gemäß § 64 Abs. 2 c) ArbGG statthaft und wurde nach
Maßgabe des § 66 Abs. 1 ArbGG fristgerecht eingelegt und begründet.
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II. Die Berufung der Klägerin konnte jedoch keinen Erfolg haben. Das Arbeitsgericht hat
zu Recht festgestellt, dass die streitige ordentliche, krankheitsbedingte Kündigung der
Beklagten vom 11.06.2007 nicht gegen § 1 Abs. 2 KSchG verstößt und auch aus
sonstigen Rechtsgründen nicht rechtsunwirksam ist, sondern das Arbeitsverhältnis zum
Ablauf der Kündigungsfrist am 30.09.2007 wirksam aufgelöst hat. Das Arbeitsgericht ist
bei seiner Entscheidung zutreffend von den Grundsätzen der höchstrichterlichen
Rechtsprechung ausgegangen und hat diese sachgerecht auf den vorliegenden
Einzelfall angewandt. Das Vorbringen der Klägerin in der Rechtsmittelinstanz kann nicht
zu einem vom Inhalt des Urteils des Arbeitsgerichts abweichenden Ergebnis führen.
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Aus der Sicht der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht gilt
zusammenfassend und ergänzend das Folgende:
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1. Es war im Zeitpunkt des Ausspruchs der streitigen Kündigung und ist auch heute
nicht damit zu rechnen, dass die Klägerin nochmals gesundheitlich in der Lage sein
wird, die arbeitsvertraglich vereinbarte Tätigkeit einer Flugbegleiterin/eines Pursers
auszuüben. Die Klägerin ist unstreitig aus gesundheitlichen Gründen auf Dauer
flugdienstuntauglich.
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2. Arbeitsvertraglich vereinbart ist jedoch ausschließlich eine Tätigkeit im Flugdienst.
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Auch soweit der Arbeitsvertrag selbst oder aufgrund seiner Bezugnahme auf die bei der
Beklagten geltenden allgemeinen Arbeitsvertragsbedingungen eine Versetzungsklausel
enthält, bezieht sich diese nur auf eine Versetzung in örtlicher Hinsicht oder auf eine
Versetzung in eine andere Tätigkeit innerhalb des Flugbetriebes. Die Beklagte wäre bei
Beachtung der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen der Parteien somit nicht in der Lage
gewesen, der Klägerin einseitig im Wege des Direktionsrechts eine anderweitige
Tätigkeit außerhalb des Flugbetriebes, also am Boden, zuzuweisen.
3. Steht nach menschlichem Ermessen fest, dass der Arbeitnehmer aus
gesundheitlichen Gründen auf Dauer nicht mehr in der Lage sein wird, die
arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit zu erbringen, so ist das arbeitsvertragliche
Austauschverhältnis von Leistung und Gegenleistung für die Zukunft in der bisherigen
Form sinnentleert. Dem Vertragspartner kann dann nicht zugemutet werden, an einem
solchen sinnentleerten Vertragsverhältnis festzuhalten. Einer Darlegung zusätzlicher
konkreter betrieblicher Belastungen bedarf es in einem solchen Fall grundsätzlich nicht.
Kann der gesundheitlich beeinträchtigte Arbeitnehmer die von ihm arbeitsvertraglich
übernommenen Aufgaben dauerhaft nicht mehr erfüllen, so ist der Arbeitgeber gehalten,
diese Aufgaben dauerhaft auf einen oder mehrere andere Arbeitnehmer zu übertragen.
Bestünde auf Seiten des Arbeitgebers hierfür kein Bedürfnis, bedeutete dies zugleich,
dass der bisherige Arbeitsplatz des erkrankten Arbeitnehmers auf Dauer gesehen
überflüssig und entbehrlich wäre. Dies hätte dann zur Folge, dass jedenfalls eine
betriebsbedingte Kündigung erfolgen könnte.
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4. Gleichwohl gebietet es die mit Abschluss des Arbeitsvertrages übernommene Pflicht
zur gegenseitigen Fürsorge und Rücksichtnahme, dass der Arbeitgeber auch in einem
solchen Fall den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten hat. Ist im Zeitpunkt der
Entscheidung des Arbeitgebers über den Ausspruch einer krankheitsbedingten
Kündigung ein Arbeitsplatz frei, der für den betroffenen Arbeitnehmer gesundheitlich
und fachlich geeignet wäre, oder ist absehbar, dass während des Laufes der bei
Ausspruch einer Kündigung einzuhaltenden Kündigungsfrist ein solcher Arbeitsplatz frei
werden würde, so wird der Arbeitgeber nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in aller
Regel auch verpflichtet sein, dem Arbeitnehmer einen solchen freien oder
freiwerdenden Arbeitsplatz anzubieten, und sei es im Wege einer Änderungskündigung.
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Im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin kann nach dem der Entscheidung zugrunde
zu legenden Sachverhalt jedoch vorliegend nicht davon ausgegangen werden, dass die
Beklagte die streitgegenständliche Kündigung vom 11.06.2007 dadurch hätte
vermeiden können, dass sie der Klägerin einen für sie gesundheitlich und fachlich
geeigneten freien oder frei werdenden Arbeitsplatz hätte anbieten können und müssen.
Der gegenteilige Sachvortrag der Klägerin in ihrer Berufungsbegründung erweist sich
bei näherer Betrachtung aus verschiedenen Gründen als nicht stichhaltig. Keinen der
von der Klägerin auf Seite 5 und 6 der Berufungsbegründung aufgeführten
Alternativarbeitsplätze hätte die Beklagte ihr zur Vermeidung der krankheitsbedingten
Kündigung vom 11.06.2007 anbieten können und müssen.
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a. Für einen Großteil der von der Klägerin konkret benannten Arbeitsplätze folgt dies
schon daraus, dass diese nicht von der Beklagten zu besetzen, sondern in anderen
Unternehmen angesiedelt waren. So handelt es sich, die Ordnungsziffern der Auflistung
der Klägerin aufgreifend, bei den Arbeitsplätzen Nr. 2, Nr. 4, Nr. 5, Nr. 6, Nr. 8, Nr. 9, Nr.
10, sowie bei der Stellenausschreibung vom 14.09.2007 für einen Sachbearbeiter/in
Facilities durchweg um Stellen, die bei den Firmen E , L , L oder der L AG angesiedelt
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sind.
b. Das Kündigungsschutzrecht ist grundsätzlich unternehmensbezogen angelegt, in
Teilen sogar betriebsbezogen. Eine durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
auferlegte Verpflichtung des Arbeitgebers, geeignete freie Alternativarbeitsplätze
anzubieten, kann sich daher grundsätzlich immer nur auf Arbeitsplätze im eigenen
Unternehmen beziehen.
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c. Etwas anderes kann ausnahmsweise dann gelten, wenn in dem Arbeitsvertrag des
Arbeitnehmers eine Konzernversetzungsklausel vereinbart ist oder wenn das
Arbeitgeberunternehmen einen beherrschenden Einfluss auf die
Einstellungsentscheidungen bestimmter anderer Unternehmen ausüben kann und sich
aus den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen mit dem betroffenen Arbeitnehmer ergibt,
dass es u. U. verpflichtet ist, von dieser Entscheidungshoheit auch im Rahmen seiner
arbeitgeberseitigen Fürsorgepflicht Gebrauch zu machen.
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aa. Keine dieser Ausnahmen trifft jedoch auf den vorliegenden Fall zu. Weder weist der
Arbeitsvertrag der Klägerin eine Konzernversetzungsklausel auf, noch ist ersichtlich,
dass die Beklagte rechtlich und/oder tatsächlich in der Lage wäre, eines der genannten
anderen Unternehmen dazu zu zwingen, der Klägerin einen Arbeitsplatz zur Verfügung
zu stellen.
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bb. Das gilt auch und insbesondere für das Verhältnis der Beklagten zur Firma E . Auch
wenn die Klägerin ursprünglich von der Firma E eingestellt worden sein mag, so ist
doch ebenso unstreitig das Arbeitsverhältnis in der Folgezeit vollständig auf die jetzige
Beklagte übergegangen und auch nicht etwa teilweise bei der Firma E verblieben.
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d. Ebenso wenig hat die Klägerin objektive Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass sie
bislang in einem von der Beklagten und der Firma E geführten sogenannten
Gemeinschaftsbetrieb beschäftigt gewesen sein könnte.
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e. Auch aus dem Umstand, dass im L -Konzern Stellen konzernweit ausgeschrieben
werden, folgt noch nicht, dass gerade die hiesige Beklagte über eine unverbindliche
reine Vermittlungstätigkeit hinaus bestimmenden Einfluss auf die
Einstellungsentscheidungen der anderen Konzerngesellschaften ausüben könnte.
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f. Gegenteiliges kann auch nicht daraus geschlossen werden, dass die Firma E der
Klägerin – gegebenenfalls auf Vermittlung der Beklagten – im Sommer 2006 einen
unterschriftsreifen Boden-Arbeitsplatz angeboten hatte. Bezeichnenderweise war dieser
der Klägerin im Jahre 2006 angebotene Arbeitsvertrag als eine Neueinstellung
konzipiert.
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g. Die Beklagte war darüber hinaus aber auch nicht verpflichtet, der Klägerin eine
derjenigen in ihrer Liste aufgeführten Stellen anzubieten, die bei ihr selbst angesiedelt
waren.
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aa. Für die von der Klägerin aufgeführten Positionen Nr. 11, Nr.12 und Nr. 13 gilt dies
schon deshalb, weil die Stellen erst geraume Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist der
Klägerin ausgeschrieben wurden und zu besetzen waren. Es kann deshalb
dahingestellt bleiben, ob die Klägerin das Anforderungsprofil dieser Stellen erfüllte.
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bb. Bei den verbleibenden Stellen Nr. 1 (Supervisor – Stellenausschreibung 58/07), Nr.
3 (Sachbearbeiter Geschäftsbuchhaltung – Stellenausschreibung 63/07) und Nr. 7
(Mitarbeiter Vertriebsbetreuung – Stellenausschreibung vom 20.08.2007) konnte die
Beklagte nicht davon ausgehen, dass die Klägerin aufgrund ihrer Ausbildung als
Arzthelferin bzw. Stationssekretärin in einem Krankenhaus und aufgrund ihres
bisherigen beruflichen Werdegangs das Anforderungsprofil der jeweiligen Stellen
erfüllte. Dabei ist klarzustellen, dass es Sache der unternehmerischen Entscheidung
des Arbeitgebers ist, das Anforderungsprofil für von ihm neu zu besetzende Stellen
festzulegen.
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(1) Für die Stelle eines Sachbearbeiters Geschäftsbuchhaltung, die die Beklagte mit
ihrer Stellenausschreibung Nr. 63/07 vom 07.09.2007 zu besetzen trachtete, verlangte
sie naheliegender Weise eine abgeschlossene kaufmännische Berufsausbildung nebst
einschlägiger Berufungserfahrung und mehrjährige Berufungserfahrung im Bereich
Kontokorrentbuchhaltung. Über beide Voraussetzungen verfügt die Klägerin nicht. Es ist
auch nicht möglich, eine kaufmännische Berufsausbildung und erst recht nicht eine
zugehörige einschlägige Berufungserfahrung ad hoc in einem angemessenen Zeitraum
zu erwerben; denn als angemessen gilt in diesem Zusammenhang ein Zeitraum, der in
etwa der einzuhaltenden Kündigungsfrist entspricht.
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(2) Entsprechendes gilt für die Stelle als Supervisor gemäß Stellenausschreibung 58/07
und letztlich auch für die Stelle Mitarbeiter Vertriebsbetreuung gemäß
Stellenausschreibung vom 20.08.2007. Die Klägerin, die bisher als Arzthelferin,
Krankenhaussekretärin und Flugbegleiterin gearbeitet hat, verfügt über keine
abgeschlossene Berufungsausbildung als Reiseverkehrskauffrau, hat dementsprechend
auch keine einschlägigen Berufungserfahrungen erwerben können und hat in ihrer
bisherigen Berufslaufbahn noch keine hauptberufliche Vertriebstätigkeit ausüben
müssen. Desgleichen ist aus objektiver Sicht nicht erkennbar, dass die Klägerin über
die geforderten guten Kenntnisse etwa der Reservierungssysteme Amadeus und Toma
verfügt sowie über entsprechende gute Kenntnisse der deutschen Touristikbranche, die
gefordert sind, um die ausgeschriebenen Stellen erfolgreich besetzen zu können.
Unabhängig von der Frage, wer für die Eignung der Klägerin für die jeweiligen Stellen
letztlich die Beweislast trägt, reicht es jedenfalls nicht aus, wenn die Klägerin jeweils –
gewissermaßen ins Blaue hinein – die Behauptung aufstellt, sie sei in der Lage, die
Anforderungen der jeweiligen Stelle zu erfüllen, ohne jedoch hinreichende und
aussagekräftige objektive Anhaltspunkte dafür vorzutragen, warum dies so sein soll.
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5. In Anbetracht der geschilderten Umstände scheitert die Wirksamkeit der
arbeitgeberseitigen Kündigung vom 11.06.2007 auch nicht daran, dass die Beklagte
unstreitig kein betriebliches Eingliederungsmanagement im Sinne des § 84 Abs. 2 SGB
IX durchgeführt hat.
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Die sinnvolle Durchführung eines solchen Eingliederungsmanagements setzt voraus,
dass ein avisierter zukünftiger Aufgabenbereich vorhanden ist, der als Bezugspunkt der
Wiedereingliederungsbemühungen dienen kann. Die Klägerin ist jedoch unstreitig für
den gesamten arbeitsvertraglich vereinbarten Aufgabenbereich auf Dauer
gesundheitlich ungeeignet. Hieran hätten unstreitig auch betriebliche
Eingliederungsmaßnahmen nichts ändern können. Wie bereits aufgezeigt stand der
Beklagten aber auch kein alternativer Aufgabenbereich zur Verfügung, den sie der
Klägerin hätte anbieten und auf den hin sie – die Annahme des Angebots vorausgesetzt
– die Klägerin in den Arbeitsprozess hätte wiedereingliedern können.
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6. Zu Recht hat das Arbeitsgericht schließlich ausgeführt, dass in Anbetracht der
Umstände des Einzelfalls auch die abschließend vorzunehmende Abwägung der
Interessen beider Parteien zu Lasten der Klägerin ausfallen muss.
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a. Ist der Arbeitnehmer auf Dauer nicht mehr in der Lage, diejenigen Aufgaben zu
erfüllen, für die er arbeitsvertraglich eingestellt worden ist, so hat das arbeitsvertragliche
Austauschverhältnis seinen Sinn verloren und kann eine Abwägung der beiderseitigen
Interessen nur in eher seltenen Ausnahmefällen zu der Annahme führen, dass es dem
Arbeitgeber gleichwohl zumutbar wäre, an dem Arbeitsverhältnis festzuhalten. Die
Voraussetzungen eines solchen Ausnahmefalls sind vorliegend nicht ersichtlich. Die
krankheitsbedingte Fluguntauglichkeit der Klägerin beruht auch auf schicksalhaften
Verhältnissen, an denen die Beklagte keine Schuld trifft.
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b. Zwar wird wie jeder Arbeitnehmer so auch die Klägerin von dem Verlust ihres
Arbeitsplatzes in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht hart getroffen. Auf der anderen
Seite sind die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin augenscheinlich derart
spezifischer Art, dass sie sie z. B. nicht hindern dürften, in ihrem angestammten
Ausbildungsberuf als Arzthelferin und Krankenhaussekretärin oder einem ähnlichem
Berufsumfeld wiederum Fuß zu fassen. Die Klägerin war im Zeitpunkt des Ausspruchs
der hier streitigen Kündigung erst 36 Jahre alt, so dass Altersgründe ihre
Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt nicht ausschlaggebend einschränken. Zu
bedenken bleibt schließlich auch, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien im Zeitpunkt
des Ausspruchs der Kündigung zwar bereits seit etwas mehr als sieben Jahren bestand,
die Klägerin ihre Arbeitsleistung aber nur in weniger als der Hälfte des genannten
Zeitraumes tatsächlich erbringen konnte.
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7. Auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts wird ergänzend Bezug genommen.
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8. Die Wirksamkeit der streitigen Kündigung scheitert schließlich auch nicht etwa an
einer fehlerhaften Personalratsbeteiligung.
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Die Angabe gegenüber dem Personalrat, dass es an adäquaten
Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten fehle, ist nach dem oben Gesagten nicht zu
beanstanden. Die subjektiv determinierte Aussage der Arbeitgeberin über ein aus ihrer
Sicht unbefriedigendes Kommunikationsverhalten der Klägerin betrifft im Übrigen
keinen in der vorliegenden Fallkonstellation in irgendeiner Weise
entscheidungserheblichen Sachverhalt.
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III. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision ist nicht gegeben.
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R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g :
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Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
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Dr. Czinczoll Dr. Scharnke Kroll
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