Urteil des LAG Köln vom 03.05.2002

LArbG Köln: vertrag eigener art, abhängigkeit, produktion, arbeitsgericht, verfügung, künstler, produzent, ausnahme, vergütung, hauptsache

Landesarbeitsgericht Köln, 10 Ta 16/02
Datum:
03.05.2002
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
10 Ta 16/02
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Siegburg, 3 Ca 3385/01
Schlagworte:
Rechtsweg, Arbeitnehmerähnliche Person, Berufssänger,
Tonträgerproduktions- und Verwertungsvertrag
Normen:
§ 5 I 2 ArbGG
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Zur Arbeitnehmerähnlichkeit eines Berufssängers mit Künstler-
Exklusivvertrag.
Tenor:
Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des
Arbeitsgerichts Siegburg vom 14.12.2001 - 3 Ca 3385/01 - wird
kostenpflichtig zurückgewiesen. Beschwerdewert: 73.432,76 EUR.
G r ü n d e :
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Die nach § 17 a Abs. 4 S. 3 GVG statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und
daher zulässige sofortige Beschwerde der Beklagten ist unbegründet.
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Das Arbeitsgericht hat zu Recht entschieden, dass der Rechtsweg zu den
Arbeitsgerichten zulässig ist. Das Beschwerdegericht nimmt zur Vermeidung vom
Wiederholungen auf die Gründe der Vorinstanz Bezug, denn es kommt auch unter
Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens zu übereinstimmenden Feststellungen
(entsprechend § 69 Abs. 2 ArbGG). Die Beklagte trägt in der Beschwerde keine neuen
Gesichtspunkte vor, die geeignet sind, die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung
in Frage zu stellen. Zu Recht hat das Arbeitsgericht einerseits mit der Beklagten die
Auffassung vertreten, dass durch den Verweisungsbeschluss des Landgerichts Bonn im
Prozesskostenhilfeverfahren keine Bindungswirkung für das Hauptsacheverfahren
eingetreten ist und daher eine Sachprüfung stattzufinden hat (BAG, Beschluss vom
27.10.1992 - 5 AS 5/92 - NZA 1993, S. 285 - 287). In der Sache hat das Arbeitsgericht
sodann zutreffend festgestellt, dass es sich beim Kläger um eine arbeitnehmerähnliche
Person handelt mit der Konsequenz, dass sich die Rechtswegzuständigkeit der Gerichte
für Arbeitssachen aus § 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG ergibt.
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Arbeitnehmerähnliche Personen sind Selbstständige. Sie unterscheiden sich von
Arbeitnehmern durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit. Arbeitnehmerähnliche
Personen sind - in der Regel wegen ihrer fehlenden oder gegenüber Arbeitnehmern
geringeren Weisungsgebundenheit, oft auch wegen fehlender oder geringerer
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Eingliederung in eine betriebliche Organisation - in wesentlich geringerem Maß
persönlich abhängig als Arbeitnehmer. An die Stelle der persönlichen Abhängigkeit tritt
das Merkmal der wirtschaftlichen Abhängigkeit. Eine arbeitnehmerähnliche Person kann
für mehrere Auftraggeber tätig sein, wenn die Beschäftigung für einen von ihnen
überwiegt und die daraus fließende Vergütung die entscheidende Existenzgrundlage
darstellt. Der wirtschaftlich Abhängige muss außerdem seiner gesamten sozialen
Stellung nach einem Arbeitnehmer vergleichbar schutzbedürftig sein (BAG, Beschluss
vom 30.08.2000 - 5 AZB 12/00 - NZA 2000, S. 1359, 1360).
Der Kläger ist zumindest arbeitnehmerähnliche Person. Bei dem zwischen den Parteien
abgeschlossenen Tonträgerproduktions- und Verwertungsvertrag handelt es sich um
einen Vertrag eigener Art (BGH, Urteil vom 01.12.1988 - I ZR 190/87 GRUR 1989 S.
198, 201). Hauptvertragsgegenstand ist nach Nr. 1 des Vertrages die Produktion von
Tonaufnahmen mit dem Kläger als Künstler zum Zwecke der Verwertung dieser
Tonaufnahmen auf Tonträgern, wobei der Kläger als Teilnehmer des Beklagten-Projekts
"HYPE" (später "SOULTANS") handelt, sowie die Übertragung aller damit verbundenen
Rechte und Ansprüche des Klägers auf die Beklagte. Zu diesem Zweck hat sich der
Kläger für künstlerische Darbietungen (der Kläger ist Berufssänger) zur Herstellung von
Musikaufnahmen und für die Produktion von Musikvideos (Bildaufnahmen in
Kombination mit Tonaufnahmen) zur Verfügung zu stellen (Nr. 2.1 und Nr. 2.3 des
Vertrages). Insoweit enthält der Vertrag dienstvertragliche Verpflichtungen. Nichts
anderes ergibt sich aus der von der Beklagten in der Beschwerde herangezogenen
Zitierstelle von Hertin im Münchener Vertragshandbuch (Band 3 Wirtschaftsrecht 1.
Halbband IX 23 Anm. 4). Soweit dort ein Arbeitsvertrag unter Berufung auf Deutsch
verneint wird, ist dies weder inhaltlich richtig noch kommt es darauf vorliegend an.
Entgegen Hertin hat Deutsch in seiner Anmerkung zu der Entscheidung des
Landgerichts Hamburg vom 26.05.1972 - 74 O 553/71 - LGZ 131 gerade nicht ein
Arbeitsverhältnis verneint, sondern lediglich ausgeführt, dass der dortige Produzent der
Schallaufnahmen mit Ausschließlichkeitsvereinbarung nicht unerlaubte
Arbeitsvermittlung betreibe, sondern selbst "Exclusiv"-Arbeitgeber des Sängers sei
(LGZ 131, S. 14).
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Ob der Vertrag zwischen den Parteien im Hinblick auf Nr. 2.1 S. 2, 2.2, 2.3, 2.4, 5.1 und
die Ausschließlichkeitsvereinbarung in Nr. 3.1 als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist,
kann für die Rechtswegfrage dahinstehen, da die arbeitnehmerähnliche Eigenschaft des
Klägers ausreicht, die gegeben ist.
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Der Kläger ist von der Beklagen wirtschaftlich abhängig. Er verdiente bei ihr ca.
140.000,00 DM im Jahr. Demgegenüber fallen die Verdienste aus den Live-Auftritten
des Klägers in den Jahren 1998 und 1999 mit 31.600,00 DM (1998) und 47.000,00 DM
(1999), die an den Kläger jeweils gedrittelt zur Auszahlung kamen, nicht entscheidend
ins Gewicht. Abgesehen davon sind ausweislich der von der Beklagten selbst
eingereichten Verdienstübersicht (Anlage B4 zum Schriftsatz vom 08.01.2001, Bl. 150 d.
A.) für das zeitnahe Jahr 2000 und erst Recht für 2001 keine Einnahmen des Klägers
aus Live-Auftritten belegt. Soweit der Kläger neben den Einkünften bei der Beklagten in
den Jahren 1999 bis 2001 jährlich ca. 30.000,00 DM an GVL-Tantiemen erhalten hat,
ändert dies nichts daran, dass die aus dem Vertrag mit der Beklagten fließende
Vergütung die entscheidende Existenzgrundlage darstellt. Außerdem handelt es sich
bei den Tantiemen um im Zusammenhang mit dem Künstlerexklusivvertrag der Parteien
stehende Entgelte für abgeleitete Nutzungsrechte durch die Gesellschaft für
Leistungsrechte (GVL).
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Soweit die Beklagte zu Recht darauf hinweist, dass der Kläger erstinstanzlich die
laufenden GVL-Einnahmen von jährlich ca. 30.000,00 DM nicht mitgeteilt und
insbesondere in seiner Prozesskostenhilfeerklärung nicht angegeben hat, so dass die
Aufhebung der Bewilligung nach § 124 Nr. 2 ZPO zu prüfen sei, bleibt dies dem
Arbeitsgericht vorbehalten.
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Der Kläger ist von der Beklagten nicht nur wirtschaftlich abhängig, sondern auch seiner
gesamten sozialen Stellung nach einem Arbeitnehmer vergleichbar sozial
schutzbedürftig. Der Kläger bezieht bei der Beklagten zwar ein vergleichsweise hohes
Einkommen. Dies schließt die Arbeitnehmerähnlichkeit aber nicht aus. Selbst
Arbeitnehmer, insbesondere leitende Angestellte, können hohe Einkünfte erzielen.
Vorliegend ist für die soziale Schutzbedürftigkeit die Abhängigkeit des Klägers von der
Beklagten ausschlaggebend. Soziale Schutzbedürftigkeit ist anzunehmen, wenn das
Maß der Abhängigkeit nach der Verkehrsanschauung einen solchen Grad erreicht, wie
er im Allgemeinen nur in einem Arbeitsverhältnis vorkommt und wenn die geleisteten
Dienste nach ihrer soziologischen Typik mit denen eines Arbeitnehmers vergleichbar
sind (BAG, Urteil vom 02.10.1990 - 4 AZR 106/90 - AP Nr. 1 zu § 12 a TVG). Hierfür
reicht einmaliges Tätigwerden nicht aus. Vorliegend war der Kläger seit 1995 für die
Beklagte im Rahmen eines sog. Künstler-Exklusiv-Vertrages tätig. Die Bindungen des
Klägers und die Bestimmungsrechte der Beklagten ergeben sich insbesondere aus Nr.
2 bis 6 des Vertrages. Nach Nr. 2.1 S. 2 hat sich der Kläger über den Mindestumfang der
zu produzierenden zwei Singles pro Vertragsjahr hinaus für zusätzliche Aufnahmen zur
Verfügung zu stellen, wenn dies die Beklagte verlangt. Nach Nr. 2.3 ist der Kläger
verpflichtet, auf Verlangen der Beklagten auch für die Produktion von Musikvideos zur
Verfügung zu stehen. Über die Auswahl der aufzunehmenden Titel entscheidet im
Streitfall nach Nr. 2.2 des Vertrages die Beklagte und nicht der Kläger. Können sich die
Parteien über die Wahl des Produzenten nicht einigen, hat die Beklagte nach 2.4 das
letzte Wort. Während der Laufzeit des Vertrages hat der Kläger der Beklagten für die
Produktion von Ton/Bild und Tonaufnahmen ausschließlich zur Verfügung zu stehen.
Eine Ausnahme von dieser Exklusivbindung stellen nach Nr. 3.1 S. 2 allein die
Aktivitäten des Klägers als Produzent im Auftrag und auf Rechnung Dritter dar, dies
auch nur mit der Einschränkung, dass die Aktivitäten die Interessen der Beklagten
bezüglich der einwandfreien Erfüllung des Vertrages nicht beeinträchtigen. Diese
Ausnahme hat für den Kläger kaum praktische Bedeutung, weil er nach seinen
substantiiert nicht angegriffenen Angaben weder über ein eigenes Studio verfügt noch
über die für eine Produktion in einem gemieteten Studio erforderlichen
Produktionskenntnisse. Die Beklagte trägt auch nicht vor, welchen Nutzen der Kläger
aus dieser Regelung für sich hätte ziehen können. Hinsichtlich der sog. soziologischen
Typik der geleisteten Dienste kann ein Berufssänger nicht nur arbeitnehmerähnliche
Person, sondern sogar Arbeitnehmer eines Tonproduzenten sein (LG Hamburg, a. a. O.,
LGZ 131).
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens ist der Wert der Hauptsache.
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Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel gegeben. Für die Zulassung einer
weiteren Beschwerde besteht kein gesetzlicher Grund, § 17 a Abs. 4 S. 4, 5 GVG.
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(Schroeder)
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