Urteil des LAG Köln vom 12.05.2006

LArbG Köln: ware, begriff, gutachter, belastung, vergütung, arbeitsgericht, erfüllung, fahren, foto, bauhöhe

Landesarbeitsgericht Köln, 4 (12) Sa 69/06
Datum:
12.05.2006
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
4. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 (12) Sa 69/06
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Bonn, 5 Ca 195/05
Schlagworte:
Eingruppierung
Normen:
§ 2 Lohntarifvertrag des nordrheinwestfälischen Einzelhandels
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Zum Begriff der "körperlich schweren Arbeit" i. S. d. der
Einzelhandelstarifverträge;
hier: Kommissioniererin
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn
vom 23.11.2005 – 5 Ca 195/05 EU – abgeändert:
1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte der Klägerin seit dem
01.01.2004 Vergütung nach der Lohngruppe II Lohnstaffel b des
Lohntarifvertrages für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen zu
zahlen hat.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.172,00 € brutto nebst
Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
28.01.2005 zu zahlen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
1
Die Parteien streiten um die tarifgerechte Eingruppierung der Klägerin und um hieraus
folgende Differenzlohnansprüche.
2
Die Klägerin ist als Kommissioniererin im Verteilerzentrum der Beklagten in W
beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden der Manteltarifvertrag und der
Lohntarifvertrag des nordrhein-westfälischen Einzelhandels Anwendung. Dieser
Letztere lautet auszugsweise wie folgt:
3
§ 2 Lohnregelung
4
(1) Die gewerblichen Arbeitnehmer sind nach der von ihnen tatsächlich verrichteten
Tätigkeit in eine der nachstehenden Lohngruppen einzugliedern. Die in den
Lohngruppen aufgeführten Beispiele gelten als Richtbeispiele.
5
....................
6
Lohngruppe II
7
Arbeitskräfte für Tätigkeiten, die ohne handwerkliche Vor- und Ausbildung
ausgeführt werden, die aber
8
Lohnstaffel a) gewisse Fertigkeiten erfordern.
9
Beispiele:
10
.....................
11
Etikettierer, Auszeichner, Kommissionierer
12
.....................
13
Lohnstaffel b) in der Regel körperlich schweres Arbeiten erfordern
14
Beispiele:
15
Auszeichner, Kommissionierer
16
Die Klägerin erhält Lohn nach der Lohngruppe II Lohnstaffel a). Sie begehrt mit der
Klage Vergütung nach der Lohngruppe II Lohnstaffel b). Der Streit der Parteien geht
allein darum, ob die von der Klägerin ausgeübte Tätigkeit als in der Regel körperlich
schweres Arbeiten im Sinne des Tarifvertrages anzusehen ist.
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Die Klägerin machte mit Schreiben vom 22.06.2004 für den Zeitraum ab dem
01.01.2004 die Eingruppierung in Lohngruppe II Lohnstaffel b) geltend. Die Differenz
beträgt 181,00 € monatlich. Mit dem Zahlungsantrag begehrt die Klägerin diese
Differenz für das gesamte Jahr 2004 (12 x 181,00 € = 2.172,00 €).
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Die Aufgabe der Kommissioniererin im Verteilerzentrum W besteht aus der
Zusammenstellung einer Palette mit Artikeln, die eine Filiale bestellt. Die von den
Lieferanten gelieferten, auf Paletten gestapelten, in Kartons verpackten Waren stehen in
Kommissioniergängen, sortiert nach Lager-Artikel-Nummern. Die Klägerin trägt ein
sogenanntes Armterminal, welches auf dem Fotos Blatt 16 und 73 d. A. zu erkennen ist.
Dieses wiegt 320 g. Es gibt die Ware und die Menge für die jeweils zu packende
Europalette vor. Dabei zeigt es die jeweils nächsten drei Artikel mit Regal und Stellplatz
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an. Diese werden in einer sinnvollen Reihenfolge angezeigt, um unnötige Wege zu
vermeiden. Die Klägerin arbeitet Position für Position ab.
Sie bewegt sich dabei auf einem Flurförderfahrzeug von Palettenstellplatz zu
Palettenstellplatz, entnimmt von dort die Ware und legt sie auf die zu packende
Europalette, die sich auf dem Flurförderfahrzeug befindet.
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Die Paletten mit den zu packenden Waren stehen in Kommissioniergängen (Foto S. 24
des Sachverständigengutachtens). Die Gänge sind zwischen 2,60 m und 2,80 m breit,
der Mittelgang 3,40 m.
21
Die zu packenden Waren befinden sich in drei Greifebenen (Foto Bl. 11 des
Gutachtens), wovon die Ebene 1 eine untere Höhe von 14,5 cm und eine obere Höhe
von 180,5 cm hat. Die mittlere Greifhöhe befindet sich dort in 97,5 cm Höhe. Die Ebene
2 liegt zwischen 14,5 und 144,5 cm. Die mittlere Greifhöhe beträgt 80 cm. Die Ebene 3
befindet sich zwischen 170 und 288 cm. Die mittlere Greifhöhe beträgt 229 cm (siehe
Tabelle des Gutachters Bl. 12 des Gutachtens). Die darüber liegenden Ebenen dienen
der Bevorratung. Dorthin braucht die Klägerin nicht zu greifen. Für das Greifen der Ware
aus der mit der geringsten Bauhöhe versehenen Ebene 2 ist laut Gutachter eine leicht
gebeugte (für gangnah gelagerte Ware) oder eine stark nach vorn und nach untern
gebeugte Oberkörperhaltung (für die weiter hinten liegenden Waren) notwendig.
Ähnliches gilt auch für die Ebene 1. Bedingt durch die größere Bauhöhe dieser Ebene
kann die weiter hinten liegende Ware aber mit einem etwas weniger stark gebeugten
Oberkörper gegriffen werden. Zur Erleichterung der Kommissionierung setzt die
Beklagte Mitarbeiter ein, die die oberen Palettenstellplätze anfahren, um die Artikel auf
der oberen Ebene für die Kommissionierung nach vorn zu ziehen, damit der
Kommissionierer sie unmittelbar am vorderen Rand des Stellplatzes greifen kann.
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Nach Abschluss der Kommission wird die Palette grob mit Folie gesichert und zu einer
Verpackungsmaschine gefahren, dort abgesetzt und gänzlich mit Folie umwickelt. Damit
ist der Kommissioniervorgang beendet. Anschließend kommt über das Armterminal der
nächste Kommissionierauftrag dann, wenn die Klägerin die Fertigstellung des
Einzelauftrages bestätigt.
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Das Flurförderfahrzeug (Fotos Seiten 7, 11, 13, 14, 15 des
Sachverständigengutachtens) ist 2,43 m lang, 81 cm breit und verfügt eine Kletterhilfe
aus Stufen und Haltegerüst, wie sie auf den genannten Fotos zu erkennen ist. Die
Belegschaft gebraucht für diese Kletterhilfe die Bezeichnung "Geweih".
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Die Klägerin verrichtet ihre Tätigkeit stehend oder gehend, gebückt (s. o.) oder in
gestreckter Körperhaltung, wenn Waren aus der oberen Ebene zu entnehmen sind. Die
Parteien streiten darüber, ob die Klägerin auch sitzend auf dem Flurförderfahrzeug
fahren kann. Dazu ist unstreitig, dass auf dem Förderfahrzeug keine den
Sicherheitsvorschriften entsprechende Sitzgelegenheit vorhanden ist. Nach Behauptung
der Beklagten nutzen die Mitarbeiter gleichwohl die Kletterhilfe praktisch als
Sitzgelegenheit. Nach Vortrag der Klägerin ist die Kletterhilfe dazu völlig ungeeignet;
insbesondere könne durch ein solches Sitzen auf der Kletterhilfe keine Entlastung des
Bewegungsapparates und des Skelettsystems durch Ausruhen im Sitzen möglich sein.
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Pro Schicht werden nach Vortrag der Klägerin 6 – 8 , nach Vortrag der Beklagten 9
Europaletten gepackt.
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Die zu kommissionierenden Artikel/Kartons haben ein Gewicht zwischen 120 g und 13
kg. Die Beklagte hat in der Zeit vom 01.12.2004 bis zum 31.01.2005 eine Erhebung
getätigt, deren Ergebnisse zwischen den Parteien unstreitig sind. Danach haben ca. 70
% der kommissionierten Artikel/Kartons ein Gewicht bis zu 3 kg. Mehr als 90 % der
Artikel wiegen weniger als 6 kg. 2,69 % haben ein Gewicht zwischen 10 und 13 kg. Die
Beklagte hat weiter ermittelt, dass das durchschnittliche Gewicht, das ein Mitarbeiter in
einer 7,5–stündigen Vollschicht zu heben hat, 3014,2 kg beträgt. Die Zahl der
sogenannten "Greifeinheiten" pro Kommissionierer und Schicht beträgt durchschnittlich
1080.
27
Die Klägerin arbeitet in einer solchen 7,5 Stundenschicht. Ihr stehen insgesamt 45
Minuten als Pause zur Verfügung, die sie frei verteilen kann, von denen sie jedoch
mindestens 15 Minuten ununterbrochen zurücklegen muss.
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Die Parteien streiten hinsichtlich der Frage, unter welchem Zeitdruck die Klägerin steht.
Die Beklagte trägt dazu vor, sie gehe bei ihren Planungen von zwei Greifeinheiten pro
Minute aus und betont, dass die Klägerin den Umfang ihrer Arbeit selbst entscheide. Die
Klägerin betont den Arbeitsdruck und beruft sich darauf – was als solches unstreitig ist –
dass in den bei der Beklagten bestehenden Gruppen von 50 – 70
Kommissioniererinnen und Kommissionierern pro Gruppe eine Gruppenleiterin
zuständig ist, die dafür verantwortlich ist, dass die Gruppenleistung erbracht wird. Die
Gruppenleistung wird von der Beklagten je Kommissioniergruppe ermittelt. Erbringen
Kommissionierer nicht die durchschnittliche Gruppenleistung, so erfolgt ein
sogenanntes Bedarfsgespräch mit dem Gruppenleiter. In diesem Bedarfsgespräch wird
die Ursache für die unterdurchschnittliche Leistung erfragt. Es kommt auch zu
Ermahnungen. Die Klägerin bezieht sich ferner auf eine bereits erfolgte Abmahnung
einer Kollegin. Die Beklagte trägt dazu vor, sie versuche in diesen Gesprächen nur die
Ursachen für das Absinken der Leistung zu erforschen, um betriebliche Ursachen
auszuschließen. Konsequenzen würden nur dann ergriffen, wenn eine
"Leistungsverweigerung" deutlich werde, etwa dann, wenn ein Mitarbeiter nicht erklären
könne, warum seine Arbeitsleistung ohne ersichtlichen äußeren Grund auf weniger als
die Hälfte seiner eigenen oder der Gruppenleistung abgesunken sei.
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Die Klägerin hat beantragt,
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festzustellen, dass die Klägerin ab dem 01.01.2004 in der Lohngruppe II,
Lohnstaffel b des Lohntarifvertrages für den Einzelhandel in Nordrhein-
Westfalen eingruppiert ist;
31
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.172,00 € brutto nebst 5 %
Zinsen über dem Zinssatz der Europäischen Zentralbank seit
Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
33
Das Arbeitsgericht hat Beweis durch einen Sachverständigen erhoben. Wegen der
Einzelheiten des Sachverständigengutachtens vom 04.08.2005 wird auf Blatt 68 ff. d. A.
Bezug genommen.
34
Das Arbeitsgericht hat – dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens folgend – die
35
Klage abgewiesen.
Gegen dieses ihr am 28.12.2005 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 19.12.2005
Berufung eingelegt und diese am 21.02.2006 begründet.
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Die Parteien setzen sich in der Berufungsbegründung und der Berufungserwiderung
sowie den nachfolgenden Schriftsätzen im Wesentlichen mit dem
Sachverständigengutachten auseinander. Insoweit wird auf die Schriftsätze Bezug
genommen.
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Die Parteien streiten ferner darüber, ob in den Momenten, in denen die Klägerin auf dem
Flurförderfahrzeug fährt, wegen des dabei erforderlichen Konzentrationsgrades schwere
körperliche Arbeit vorliege. Auch insoweit wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug
genommen.
38
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 23.11.2005 – 5 Ca
195/05 – abzuändern und
39
1. festzustellen, dass der Klägerin seit dem 01.01.2004 Vergütung nach der
Lohngruppe II Lohnstaffel b des Lohntarifvertrages für den Einzelhandel in
Nordrhein-Westfalen zu zahlen ist.
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2. Die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.172,00 € brutto nebst 5
Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechthängigkeit zu zahlen.
42
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Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Wegen des übrigen Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen diesen
gewechselten Schriftsätze Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen
Verhandlung waren.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die zulässige, form- und fristgerecht eingelegt und begründete Berufung der Klägerin
hat in der Sache Erfolg.
48
I. Das Bundesarbeitsgericht hat in dem Beschluss vom 27.09.2000 (10 ABR 48/99) den
Stand der Rechtsprechung zum Begriff der "körperlich schweren Arbeit" im Sinne der
Lohntarifverträge des Einzelhandels zusammengefasst: Es hat dabei darauf
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hingewiesen, dass eine "schwere" im Sinne einer mühsamen, anstrengenden, harten
und ermüdenden Arbeit nach der früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
lediglich nach der reinen Muskelbeanspruchung zu beurteilen war und dass nach der
späteren Rechtsprechung (insbesondere BAG 27.04.1988 – 4 AZR 407/88 – ) auch alle
sonstigen Umstände zu berücksichtigen sind, die auf den Menschen belastend
einwirken und zu körperlichen Reaktionen führen können. Es hat indes ebenso auf die
Entscheidung vom 07.11.1990 (4 AZR 67/90) Bezug genommen, in der das
Bundesarbeitsgericht es hat ausreichen lassen, dass eine Tätigkeit schon nach dem
Ausmaß der festgestellten Muskelbeanspruchung als körperlich schwere Arbeit
anzusehen sein kann. Auch in der Entscheidung vom 27.09.2000 hat das
Bundesarbeitsgericht im Wesentlichen auf die Muskelbeanspruchung abgestellt.
Danach ist zunächst festzuhalten, dass die körperlich schwere Arbeit auch allein
aufgrund der erforderlichen Muskelbeanspruchung festgestellt werden kann und dass
nicht notwendig noch weitere körperliche Faktoren hinzukommen müssen. Zusätzlich
hat das Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung vom 27.09.2000 als wesentliche
Belastungsfaktoren die einzunehmende Arbeitshaltung und die Tatsache
herangezogen, dass die Arbeit im Gehen und Stehen auszuführen war und ein
Ausruhen im Sitzen nicht möglich war.
Unter Hinweis auf die Entscheidung vom 29.07.1992, in der das Bundesarbeitsgericht
schon nach dem Ausmaß der festgestellten Muskelbeanspruchung eine körperlich
schwere Arbeit in einem Fall angenommen hatte, in dem Gewichte zwischen 2 kg und
17 kg, von denen Gebinde mit einem Gewicht von über 8 kg überwogen und insgesamt
8 – 10 Zentner arbeitstäglich – allerdings mit Hilfe von Rollcontainern – zu bewegen
waren, hat das Bundesarbeitsgericht in dem Beschluss vom 27.09.2000 hervorgehoben,
dass die in jener Entscheidung genannten Gewichte und Bewegungen nicht bedeuten,
dass andere Gewichte oder Belastungen nicht zur Erfüllung der Merkmale der körperlich
schweren Arbeit führen können.
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Es hat in diesem Beschluss vom 27.09.2000 betont, dass aufgrund der in dem
Tarifvertrag gegebenen Regelbeispiele an das Ausmaß der körperlich schweren Arbeit
hinsichtlich der muskelmäßigen Belastung keine hohen Anforderungen zu stellen seien.
Wenn die Tarifparteien das Merkmal der in der Regel erforderlichen körperlich schweren
Arbeit durch Beispiel konkretisierten, so spreche dies für ihren Willen, diese Beispiele
auch als Auslegungskriterien heranzuziehen.
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Was schließlich den Begriff "in der Regel" anbelangt, so betont das
Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung vom 27.09.2000 im Anschluss an das Urteil
vom 29.07.1992, dass es ausreicht, dass die körperlich belastende Tätigkeit nicht nur
vorübergehend vorkommt und dass es nicht darauf ankommt, dass die schwere
körperliche Arbeit im Verhältnis zur Gesamtarbeitszeit überwiegend erbracht wird. Auch
dazu verweist das Bundesarbeitsgericht wieder auf die Tätigkeitsbeispiele wie
Beifahrer, Elektrokarrenfahrer, Pförtner und Tankstellengehilfen. Auch dort sei es nicht
typisch, dass arbeitszeitlich überwiegend eine schwere körperliche Arbeit verlangt
werde. Kennzeichnend sei eher, dass schwere körperliche Arbeit üblicherweise
regelmäßig wiederkehrend möglich sei. In concreto hat das Bundesarbeitsgericht
ausreichen lassen, dass die schwere körperliche Arbeit in jeder Schicht wieder auftrete
und damit regelmäßig und nicht nur gelegentlich gegeben sei. Damit werde sie "in der
Regel" im Sinne der Lohngruppe geleistet.
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II. Nach diesen Maßgaben ist im vorliegenden Fall festzustellen, dass die Tätigkeit der
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Klägerin in der Regel körperlich schwere Arbeiten erfordert.
Zu dem Sachverständigengutachten ist insoweit zunächst festzuhalten, dass – wie den
Parteien bekannt ist – nicht der Sachverständige, sondern das Gericht über den
Rechtsbegriff und die Subsumtion der Tatsachen zu entscheiden hat. Das
Sachverständigengutachten – dieses kritisiert die Klägerin zu Recht – subsumiert im
Übrigen trotz der Wiedergabe der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in
Kernpunkten nicht unter diese Rechtsprechung. Es setzt sich über weite Teile mit
Fragen des Arbeitsschutzes auseinander, was für die Frage, ob körperlich schwere
Arbeit vorliegt, irrelevant ist. Wenn auch den wertenden Schlussfolgerungen des
Gutachtens im Ergebnis nicht gefolgt werden kann, so geben doch die tatsächlichen
Feststellungen hilfreiche Anhaltpunkte zur Entscheidung des Falles.
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1. Das Gutachten geht von einem Durchschnittsgewicht pro Packeinheit von 2,76 kg und
dem Gewicht des Handterminals von 0,32 kg mithin einem Gesamtdurchschnittsgewicht
pro Greifeinheit von 3,08 kg aus. Nach dem Beklagtenvorbringen ist von einem noch
leicht höheren Durchschnittsgewicht, nämlich von ca. 3,3 kg auszugehen. Dieses ergibt
sich schon aus folgender Rechnung: Nach den unstreitigen Angaben der Beklagten ist
von 1.080 durchschnittlichen Greifeinheiten täglich auszugehen. Nach ihren Angaben
beträgt das durchschnittliche Gesamtgewicht, dass ein Mitarbeiter in einer Vollschicht zu
heben hat, 3014,2 kg. Danach ergibt sich pro Greifeinheit ein durchschnittliches
Warengewicht von 2,97 kg. Dem ist das Gewicht des Armterminals hinzuzurechnen.
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Nach Auffassung der Kammer spricht eine solche Belastung angesichts der vom
Bundesarbeitsgericht postulierten nicht zu hohen Anforderungen an den Begriff der
schweren körperlichen Arbeit für sich genommen jedenfalls dann schon für die Erfüllung
dieses Merkmals, wenn – wie im vorliegenden Fall – pro Tag über 1000 Greifvorgänge,
d. h. Hebe- und Tragevorgänge von den Regalen zur Palette, anfallen.
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2. Erst Recht gelangt man angesichts des vom Bundesarbeitsgericht bestimmten
Merkmals "in der Regel" dazu, dass die Tätigkeit der Klägerin "in der Regel" schwere
körperliche Arbeit erfordert, wenn man nicht nur das Durchschnittsgewicht sondern die
Verteilung der Gewichte berücksichtigt. Nach Vortrag der Beklagten handelte es sich zu
ca. 70 % um Gewichte bis zu 3 kg, zu mehr als 90 % um Gewichte bis zu 6 kg.
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Während im Durchschnitt über die gesamte 7,5–stündige Schicht etwa alle 25
Sekunden ein Greifvorgang anfällt (60 x 60 x 7,5 : 1080), fällt etwa alle 83 Sekunden ein
Greifvorgang an, der Gewichte von mehr als 3 kg betrifft. Diese Zeitfrequenz für solche
schwereren Gewichte ergibt sich aus folgender Rechnung: 60 x 60 x 7,5 = 27000
Sekunden pro Schicht. 30 % von 1080 = 324 entsprechende Greifvorgänge. 27000
geteilt durch 324 = 83 Sekunden.
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Auch das Heben und Tragen von Gewichten über 6 kg fällt "in der Regel" an. Etwa 10 %
der Greifvorgänge betreffen nach Beklagtenvorbringen solche Gewichte. Das sind etwa
108 Greifvorgänge pro Schicht und durchschnittlich einer alle 250 Sekunden.
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Schließlich ist das Merkmal "in der Regel" auch noch bei erheblichen Gewichten von 10
– 13 kg erfüllt. Nach Angaben der Beklagten handelt es sich bei den bewegten Artikeln
zu 2,69 % um solche Artikel zwischen 10 und 13 kg. 2,69 % von 1080 sind ca. 30
(29,052). Damit fallen pro Tag 30 Hebe- und Tragevorgänge mit dieser
Gewichtsbelastung von 10 – 13 kg an. Bei durchschnittlicher Verteilung ergäbe sich ein
60
solcher Vorgang alle 15 Minuten.
3. Zusätzlich ist wegen der durch die Körperhaltung gegebenen erheblichen
körperlichen Beanspruchung in der Regel von schwerer körperlicher Arbeit
auszugehen. Dazu hat der Sachverständige dargelegt, dass auch bei kleinen Lasten
eine ungünstige Körperhaltung eine erhebliche Belastung darstellen kann, weil
erhebliche Teile des eigenen Körpergewichts bei ungünstigen Körperhaltungen
mitzubewegen sind. Der Sachverständige hat aufgrund der von ihm gefertigten
Videoaufnahme hinsichtlich der Greifvorgänge festgestellt, dass ca. 25 % der
Greifvorgänge mit einer anhand der Leitmerkmalmethode festzustellenden
Haltungswichtung von mehr als 2 zu belegen sind. Dabei handelt es sich – wie aus der
Tabelle Seite 16 des Gutachtens hervorgeht – um Greifen in tiefgebückter Haltung, um
Greifen in gestreckter Haltung, um Ablegen in tiefgebückter Haltung und – selten – um
Ablegen in gestreckter Haltung sowie – ebenfalls selten – um Sortiervorgänge auf der
Europalette in tiefgebückter Haltung. Alle diese Vorgänge hat der Sachverständige mit
einer Haltungswichtung von 4 nach der Leitmerkmalmethode belegt. Ausweislich der
Anlage zu dem Gutachten stellt die Ziffer 4 die zweithöchste Kategorie der
Haltungswichtung dar. Sie gilt für tiefes Beugen oder weites Vorneigen, geringe
Vorneigung mit gleichzeitigen Verdrehen des Oberkörpers, Last körperfern und über
Schulterhöhe. Der Sachverständige kommt zu der Feststellung, dass für alle
Einzelvorgänge, die mit einer Wichtung von mehr als 2 bewertet werden, von einer
hohen körperlichen Beanspruchung durch die Körperhaltung ausgegangen werden
muss.
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Überträgt man die bei der Beobachtung festgestellte Prozentzahl von 25 derjenigen
Greifvorgänge, die von einer solch hohen körperlichen Beanspruchung gekennzeichnet
sind, auf die von der Beklagten vorgetragene Durchschnittszahl von 1080
Greifvorgängen pro Schicht, so sind 270 Greifvorgänge von einer solch hohen
körperlichen Beanspruchung aufgrund der Haltung gekennzeichnet. Bezogen auf die
Zeitverteilung fallen solche Vorgänge alle durchschnittlich 100 Sekunden an (27000 :
270).
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Die Beurteilung des Sachverständigen, dass mit einem Anteil von 25 % an der
Gesamtzahl der Greifvorgänge belegt sei, dass diese Tätigkeiten zwar nicht nur
gelegentlich anfielen, aber auch nicht häufig wiederkehrten (Seite 19 des Gutachtens),
womit der Gutachter offensichtlich diese Vorgänge nach der Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts als nicht regelmäßig anfallend kennzeichnen will, ist angesichts
der Definition des Begriffes "in der Regel" durch die Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts indes offensichtlich verfehlt. Ein Vorgang, der nicht nur einmal
pro Schicht, sondern 270 mal pro Schicht anfällt, ist offensichtlich häufig wiederkehrend
und fällt damit "in der Regel" an.
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4. Ohne dass es für die Entscheidung nach dem zuvor Gesagten noch darauf ankäme,
spricht weiter für regelmäßiges körperlich schweres Arbeiten, dass es sich um eine
reine Steh- und Gehtätigkeit handelt. Warum der Gutachter dieses bei der
Haltungswichtung ausdrücklich nicht berücksichtigt (Seite 19 des Gutachtens), ist unter
dem Gesichtspunkt des körperlich schweren Arbeitens ebenfalls nicht nachvollziehbar.
Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass das Bundesarbeitsgericht in der
Entscheidung vom 27.09.2000 auch dieser Tatsache Bedeutung zumisst.
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Die Tätigkeit der Klägerin vollzieht sich über die gesamte 7,5 Stundenschicht jedenfalls
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nahezu ausschließlich im Gehen oder Stehen, wobei zu einem erheblichen Teil
gebückte Haltungen und gestreckte Haltungen gegeben sind.
Soweit die Beklagte vorträgt, die Kommissioniererinnen nutzten die Kletterhilfe, dass
sogenannte "Geweih", beim Fahren des Flurförderfahrzeuges als Sitzgelegenheit, räumt
sie gleichzeitig ein, dass unter Sicherheitsgesichtspunkten dieses nicht zulässig sei.
Jedenfalls kann angesichts der Konstruktion der Kletterhilfe, wie sie aufgrund der
Fotografien sichtbar ist, nicht davon ausgegangen werden, dass – dazu noch während
des Fahrens des Flurförderungsgerätes - auf der Kletterhilfe ein Sitzen möglich wäre,
welches zu körperlicher Entspannung führen könnte.
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5. Auch aus der von der Beklagten verlangten "Gesamtschau" ist nach dem
Vorgesagten die Tätigkeit der Klägerin, in der in hoher Frequenz körperlich stark
belastende Hebevorgänge und Körperhaltungen anfallen, als "in der Regel körperlich
schweres Arbeiten" anzusehen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
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Die Kammer hat die Revision nicht zugelassen, da in den zitierten Entscheidungen des
Bundesarbeitsgerichts alle grundsätzlichen Fragen, die zur Entscheidung des
vorliegenden Rechtsstreits erheblich sind, geklärt sind.
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RECHTSMITTELBELEHRUNG
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Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben. Wegen der Möglichkeit der
Nichtzulassungsbeschwerde wird auf § 72 a ArbGG verwiesen.
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(Dr. Backhaus) (Bechtold-Bönders) (Dederichs)
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