Urteil des LAG Köln vom 26.04.2007

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Landesarbeitsgericht Köln, 6 Sa 208/07
Datum:
26.04.2007
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
6. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 Sa 208/07
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Köln, 15 (16) Ca 4693/04
Schlagworte:
Arbeitszeit; Tarifvertrag; Günstigkeitsprinzip
Normen:
§§ 3, 4 TVG
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Die vom Tarifvertrag abweichende Vereinbarung einer angemessen
vergüteten länge-ren Arbeitszeit im Arbeitsvertrag kann im Einzelfall
nach Maßgabe des Günstigkeits-prinzips zulässig sein.
Tenor:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das am 26.10.2006 verkündete
Urteil des Arbeitsgerichts Köln
– 15 (16) Ca 4693/04 – wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
1
Die Parteien streiten vor allem über die Frage, ob für den Kläger die arbeitsvertraglich
vereinbarte Wochenarbeitszeit von 37 Stunden oder die seit dem 01.01.2004 gemäß § 2
MTV-Zeitarbeit tariflich vorgesehene 35-Stunden-Woche gilt.
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In dem Arbeitsvertrag vom 10.07.1989 mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten heißt es
in § 4:
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"Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit beträgt im Durchschnitt 37 Stunden.
Die Lage der Arbeitszeit wird von der Firma festgelegt. Der Mitarbeiter
verpflichtet sich, im Rahmen der gesetzlichen Arbeitszeitregelung von der Firma
angeordnete, über die regelmäßige Arbeitszeit hinausgehende Arbeitsstunden
sowie Schicht- und Samstagsarbeit zu leisten.
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Mehrarbeitzuschläge werden ab der 40. Wochenarbeitsstunde gewährt."
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Der Kläger ist Mitglied der IG Metall, die Beklagte ist Mitglied des Bundesverbandes
Zeitarbeit Personal-Dienstleistungen e.V. (BZA). Beide Organisationen sind Parteien
des zum 01.01.2004 in Kraft getretenen MTV-Zeitarbeit, der in § 2 bestimmt:
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"
Dauer der Arbeitszeit/Vollzeitarbeit:
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Die individuelle regelmäßige monatliche Arbeitszeit beträgt 151,67 Stunden;
diese entspricht einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 35
Stunden. Diese muss im Durchschnitt von 12 Kalendermonaten nach Maßgabe
des § 4 erreicht werden.
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In den Fällen, in denen ein Mitarbeiter dauerhaft in ein Unternehmen mit
längerer Arbeitszeitdauer überlassen wird, können die Arbeitsvertragsparteien
eine entsprechend längere Arbeitszeit (max. 40 Stunden/Woche) vereinbaren.
Die Vergütung wird in diesem Fall entsprechend angepasst.
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Die individuelle regelmäßige jährliche Arbeitszeit ergibt sich aus der
monatlichen Arbeitszeit gemäß Satz 1 multipliziert mit 12."
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Seit Februar 2004 zahlte die Beklagte nur noch 151,67 Stunden à 10,06 € pro Monat
aus und führte ein Arbeitszeitkonto für den Kläger.
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Mit Urteil vom 26.10.2006 hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass die individuelle
regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit des Klägers 37 Stunden beträgt, und die Beklagte
zur Zahlung von Entgeltdifferenzen für die Monate Februar bis Oktober 2004 verurteilt.
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die im Arbeitsvertrag vereinbarte
Arbeitszeit von 37 Stunden pro Woche sei weiterhin maßgeblich, weil der Tarifvertrag
die Abweichung durch Individualvertrag zulasse. Im Übrigen sei die arbeitsvertragliche
Regelung günstiger im Sinne des § 4 Abs. 3 TVG. Wegen der Einzelheiten der
Begründung wird auf Blatt 191 ff. d. A. Bezug genommen.
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Die Beklagte hat gegen das am 21.12.2006 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts am
19.01.2007 Berufung eingelegt, die sie am 20.02.2007 begründet hat. Sie meint, bei der
arbeitsvertraglichen Arbeitszeit handele es sich um eine so genannte günstigkeits-
neutrale Regelung, so dass der Tarifvertrag vorgehe.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 26.10.2006 – 15 (16) Ca 4693/04 –
abzuändern und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes haben die Parteien auf
die von ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
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I. Die Berufung der Beklagten ist zwar zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2
ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1,
64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 520 ZPO).
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II. In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg.
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Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht in dem mit der Berufung angefochtenen
Umfang stattgegeben. Die hiergegen vorgebrachten Einwände der Beklagten
rechtfertigen keine Abänderung. Im Einzelnen gilt Folgendes:
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1. Der Kläger kann grundsätzlich eine Beschäftigung und Vergütung nach Maßgabe der
im Arbeitsvertrag vereinbarten Arbeitszeit von wöchentlich 37 Stunden verlangen. Daran
hat sich durch die tarifliche Arbeitszeitregelung in § 2 MTV-Zeitarbeit nichts geändert.
Der Tarifvertrag findet zwar gemäß den §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG kraft
Tarifgebundenheit der Arbeitsvertragsparteien auf das Arbeitsverhältnis Anwendung.
Das führt aber nicht zur Unwirksamkeit der abweichenden arbeitsvertraglichen
Arbeitszeitvereinbarung aus dem Jahre 1989.
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Es kann nämlich nicht festgestellt werden, dass die tariflich vorgesehene
Wochenarbeitszeit als Höchstarbeitszeit gedacht und normiert ist. Bereits das
Arbeitsgericht hat insoweit zutreffend darauf hingewiesen, dass den
Arbeitsvertragsparteien nach § 2 Abs. 2 MTV-Zeitarbeit eine Abweichungsmöglichkeit
bis zu einer Arbeitszeitdauer von 40 Stunden/Woche eingeräumt ist, und zwar in den
Fällen, in denen ein Mitarbeiter dauerhaft in ein Unternehmen mit längerer Arbeitszeit
überlassen wird. Die Vergütung muss in diesem Fall entsprechend angepasst werden.
Da der Kläger in dem Entleiherbetrieb regelmäßig mehr als 151,67 Stunden gearbeitet
hat, wie beispielhaft die Stundennachweise aus März und April 2004 belegen (Kopien
Blatt 47 ff. d. A.), waren die Arbeitsvertragsparteien nach dem MTV nicht daran
gehindert, eine längere wöchentliche und damit auch monatliche Arbeitszeit zu
vereinbaren. Da über den Zeitpunkt der abweichenden Vereinbarung nichts gesagt ist,
kann davon ausgegangen werden, dass der MTV-Zeitarbeit auch frühere abweichende
Regelungen in den Arbeitsverträgen zulassen wollte. Die Beklagte muss sich daher
weiterhin an der arbeitsvertraglich vereinbarten Arbeitszeit von 37 Stunden/Woche
festhalten lassen.
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Selbst wenn die besonderen Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 MTV-Zeitarbeit nicht
gegeben wären und man die tarifliche Regelarbeitszeit als Vorgabe einer
Höchstarbeitszeit von 35 Stunden/Woche verstehen würde, so bliebe die
arbeitsvertragliche Abweichung zulässig, weil sie nach § 4 Abs. 3 TVG für den
Arbeitnehmer günstiger ist. Ob die einzelvertragliche Verlängerung der
Wochenarbeitszeit abweichend vom Tarifvertrag nach dem Günstigkeitsprinzip oder
sogar unabhängig davon wirksam ist, wird in der Rechtsliteratur unterschiedlich beurteilt
(vgl. Wiedemann/Wank, TVG, 7. Auflage, § 4 Rz. 479 ff. m. w. N.). Jedenfalls dann,
wenn der Arbeitnehmer wie im Streitfall länger arbeiten und entsprechend mehr
verdienen möchte, kommt es zum Konflikt zwischen dessen
Berufungsausübungsfreiheit nach Artikel 12 GG und der in Artikel 9 Abs. 3 GG
gewährleisteten Tarifautonomie, die eine Regelungsmacht der Tarifparteien auch
hinsichtlich von Arbeitszeitverkürzungen unter beschäftigungspolitischen Aspekten
beinhaltet (vgl. Wiedemann/Wank, Rz. 484). Die widerstreitenden Grundrechte sind im
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Wege praktischer Konkordanz so zum Ausgleich zu bringen, dass die geschützten
Rechtspositionen möglichst weitgehend wirksam werden (vgl. BVerfG, 30.07.2003 – 1
BVR 792/03 -, NJW 2003, 2815). Mit Rücksicht darauf kann der freiwilligen
Arbeitnehmerentscheidung hier der Vorrang eingeräumt und die Vereinbarung
angemessen vergüteter längerer Arbeitszeit als günstiger gewertet werden (vgl. ebenso
HWK/Henssler, 2. Auflage, § 4 TVG Rz. 31). Die Arbeit ist nämlich für den einzelnen
Arbeitnehmer von zentraler Bedeutung. Sie dient dem Lebensunterhalt und der
Selbstverwirklichung. Dabei kommt es auch auf die Dauer der Arbeitszeit entscheidend
an (vgl. Wiedemann/Wank, Rz. 497). Der Kläger hat sich ausdrücklich auf diese Aspekte
berufen und auf die große Bedeutung der höheren Vergütung bei längerer Arbeitszeit für
die Sicherung des Lebensstandards für sich und seine Familie hingewiesen. Dies muss
bei der Abwägung letztlich den Ausschlag geben und rechtfertigt die Annahme der
Günstigkeit.
2. Das Arbeitsgericht hat die Entgeltdifferenzen im Rahmen der vom Kläger gestellten
Anträge (§ 308 ZPO) zutreffend zuerkannt. Das Vorbringen des Klägers war entgegen
der Auffassung der Beklagten jedenfalls bis zu einer monatlichen Stundenzahl von
160,33 und der sich gegenüber 151,67 Stunden ergebenden Differenzvergütung von
87,11 € pro Monat schlüssig. Insoweit bestand eine Verpflichtung der Beklagten
jedenfalls aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges nach § 615 BGB.
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Zu einer etwa fehlenden Leistungsbereitschaft des Klägers bezüglich der geltend
gemachten "Bereitschaftsdienste" hat die Beklagte nicht konkret vorgetragen. Da sie
hierfür darlegungs- und beweispflichtig war, geht dies zu ihren Lasten.
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III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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IV. Die Revision war nicht gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen, weil die Entscheidung
auf den besonderen Umständen des Einzelfalles beruht.
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Rechtsmittelbelehrung
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Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben. Wegen der Möglichkeit der
Nichtzulassungsbeschwerde wird auf § 72 a ArbGG verwiesen.
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(Dr. Kalb) (Hilbert-Hesse) (Knoth)
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