Urteil des LAG Köln vom 02.05.2005

LArbG Köln: gruppenbildung, maschine, fehlerhaftigkeit, insolvenz, betriebsrat, einfluss, arbeitsgericht, unternehmen, sanierungsbedürftigkeit, umstrukturierung

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Vorinstanz:
Schlagworte:
Normen:
Sachgebiet:
Leitsätze:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Landesarbeitsgericht Köln, 2 (10) Sa 1527/04
02.05.2005
Landesarbeitsgericht Köln
2. Kammer
Urteil
2 (10) Sa 1527/04
Arbeitsgericht Köln, 13 (11) Ca 9933/03
Sozialauswahl, Insolvenz, Namensliste
§ 125 InsO, § 1 KSchG
Arbeitsrecht
Die grobe Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl mit Namensliste nach §
125 InsO ist als Prüfungsmaßstab auch bei der Bildung der
Vergleichsgruppen anzuwenden (BAG
- 2 AZR 368/02 -). Eine grob fehlerhafte Sozialauswahl liegt nicht vor,
wenn die Gruppenbildung berücksichtigt, dass eine Umsetzung,
Neuschulung und Neueinarbeitung weitgehend vermieden wird. Damit
sind Mitarbeiter, die in der Vergangenheit eine Maschine noch nie
bedient haben, nicht mit Mitarbeitern vergleichbar, die schon an dieser
Maschine gearbeitet haben.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln
vom 22.06.2004 – 13 (11) Ca 9933/03 – abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
Auf die Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird gemäß §§ 69 Abs. 2
ArbGG Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage zugesprochen, da es die Sozialauswahl nach § 125 InsO
gegenüber dem Mitarbeiter B für grob fehlerhaft hält. Mit der Berufung vertieft der Beklagte
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seinen Vortrag, der Mitarbeiter B sei nicht mit dem Kläger vergleichbar, da der Kläger nicht
in vollem Umfange dieselben Tätigkeiten wie der Mitarbeiter B verrichtet habe. Letzterer sei
gegenüber dem TÜV als zeichnungsberechtigter Mitarbeiter benannt. Unstreitig könne der
Mitarbeiter B aber nicht schweißen. Der Schwerpunkt der Tätigkeiten des Klägers liege im
Durchführen von einfachen Schweißarbeiten im Edelstahlbereich. Die Kenntnisse des
Mitarbeiters B seien darüber hinaus auf alle Kesseltypen bezogen und damit vielfältiger.
Hierauf hat der Kläger erwidert, tatsächlich seien seine Kenntnisse höher und seine
Tätigkeiten hochwertiger. Dies sei auch dadurch belegt, dass er in Vergütungsgruppe VI,
der Mitarbeiter B nur in Vergütungsgruppe V eingruppiert sei und er 20,00 € Stundenlohn
erhalte, während der Mitarbeiter B nur 15,00 € verdiene. Zu seiner höherwertigen Tätigkeit
habe er den Mitarbeiter B voll umfänglich einschließlich der Abnahmeprüfung während
dessen Urlaubs- und Erkrankungszeiten vertreten.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 22.06.2004 – 13 (11) Ca 9933/03 –
abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die zulässige und im übrigen fristgerechte Berufung ist begründet und führt zur
Abänderung des Urteils.
Die Kündigung ist nach § 125 InsO, der vorliegend anwendbar ist, i.V. mit § 1 KSchG sozial
gerechtfertigt. Das Gericht legt dabei die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aus
der Entscheidung vom 28.08.2003 – 2 AZR 368/02 – zugrunde. Danach reduziert die
gesetzliche Regelung des § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO den Umfang der gerichtlichen
Überprüfung einer vom Insolvenzverwalter erklärten betriebsbedingten Kündigung mit
Namensliste. Mit der Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle auf grobe Fehler wird
zugleich der Prüfungsmaßstab gesenkt. Der Beurteilungsspielraum des Arbeitgebers bei
der sozialen Auswahl wird zugunsten einer vom Insolvenzverwalter und Betriebsrat
vereinbarten betrieblichen Gesamtlösung erweitert. Dabei bezieht sich der
Prüfungsmaßstab der groben Fehlerhaftigkeit nicht nur auf die sozialen Indikatoren und
deren Gewichtung selbst. Vielmehr wird die gesamte Sozialauswahl, insbesondere auch
die Bildung der auswahlrelevanten Gruppen, von den Gerichten für Arbeitssachen nur auf
grobe Fehler überprüft.
Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung gebieten eine weite Anwendung des
eingeschränkten Prüfungsmaßstabs bei der Sozialauswahl. § 125 InsO dient der
Sanierung insolventer Unternehmen. Gerade der vorliegende Fall zeigt, dass das
Überleben eines nur eingeschränkt fortführbaren Betriebs davon abhängt, dass die
notwendige Umstrukturierung im Bereich der Personalbesetzung zügig durchgeführt
werden kann und Rechtssicherheit bietet. Deshalb wird im Insolvenzfall der individuelle
Kündigungsschutz aus § 1 des KSchG zugunsten einer kollektivrechtlichen
Regelungsbefugnis der Betriebsparteien eingeschränkt. Den Arbeitnehmern, die durch
Ausübung ihres Wahlrechts Einfluss auf die Besetzung des Betriebsrats haben, wird
zugemutet, sich einer übereinstimmenden Einschätzung von Betriebsrat und
Insolvenzverwalter hinsichtlich der Richtigkeit der Sozialauswahl und auch hinsichtlich der
auswahlrelevanten Gruppen zu unterwerfen. Der Insolvenzverwalter soll nicht in eine Fülle
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von langwierigen und schwerkalkulierbaren Kündigungsschutzprozesse gezogen werden.
Durch den Einfluss des Betriebsrats wird deshalb im Insolvenzfall regelmäßig eine
ausreichende Gewichtung der sozialen Komponenten herbeigeführt. Die Richtigkeit der
Namensliste kann deshalb nur in Ausnahmefällen in Frage gestellt werden. Diese
Ausnahmefälle darzustellen und zu beweisen ist nach dem Willen des Gesetzgebers
Aufgabe des Arbeitnehmers.
Grobfehlerhaft in diesem Sinne ist damit eine soziale Auswahl, wenn ein schwerer Fehler
vorliegt und der Interessenausgleich jede Ausgewogenheit vermissen lässt.
Im vorliegenden Fall lässt sich feststellen, dass die Betriebsparteien bei der Festlegung der
Namensliste und der Überprüfung, welche Maschinen zukünftig von welchen Mitarbeitern
bedient werden, davon ausgegangen sind, dass die Mitarbeiter, die bereits an einer
Maschine gearbeitet haben und deshalb einen geringeren Schulungsbedarf haben, ihren
Arbeitsplatz behalten können. Dabei haben die Betriebsparteien auch die individuelle
persönliche Schulungsfähigkeit bewertet und bei der Gruppenbildung berücksichtigt.
Diese Gruppenbildung hält auch das Landesarbeitsgericht für (soeben noch) nicht grob
fehlerhaft. Denn es ist zuzugeben, dass im Falle der zügigen Sanierungsbedürftigkeit eine
Umsetzung und Neuschulung von Mitarbeitern den Sanierungserfolg gefährden oder
vernichten kann. Eine Gruppenbildung nach dem Merkmal, ob ein Mitarbeiter eine
Maschine in der Vergangenheit bereits bedient hat und deshalb ein geringerer
Schulungsbedarf anfällt und die Arbeit reibungslos fortgesetzt werden kann, erscheint
deshalb nicht grob fehlerhaft.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze und insbesondere des klägerischen Vortrags,
wonach er höherqualifiziert und in einer höheren Vergütungsgruppe eingruppiert ist als der
Mitarbeiter B ist die seitens der Betriebsparteien getroffene Auswahl jedenfalls nicht grob
fehlerhaft im Sinne des § 125 InsO. Denn zum einen ist zu berücksichtigen, dass nach
ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ein Verdrängungswettbewerb nach
unten nicht stattfinden soll. Dies bedeutet, dass höherqualifizierte Mitarbeiter sozial weniger
schutzwürdige Mitarbeiter aus geringeren Vergütungsgruppen nicht verdrängen. Da der
Arbeitsplatz des Mitarbeiters B nach dem Vortrag des Klägers zum einen geringer bewertet
und vergütet ist, zum anderen in der derzeitigen Struktur keine Schweißerkenntnisse
voraussetzt, sondern mit der Überprüfungstätigkeit voll ausgelastet ist, war schon eine
Vergleichbarkeit nach den Maßstäben des § 1 KSchG nicht gegeben. Hinzukommt, dass
nach den oben dargestellten Grundsätzen bezüglich der Sozialauswahl mit Namensliste in
der Insolvenz die Betriebsparteien berücksichtigt haben, dass der Mitarbeiter B auf diesem
Arbeitsplatz bereits eingesetzt war und gegenüber dem TÜV als prüfungsberechtigter
Mitarbeiter angegeben war. Dieses Vertrauen hat sich der Kläger bei der Beklagten bislang
nicht erarbeitet. Dem entspricht auch, dass in Zeiten des Urlaubs des Mitarbeiters B
letztlich das Abnahmeprotokoll auch nach dem Vortrag des Klägers vom Meister H
unterzeichnet werden musste und nicht vom Kläger selbst unterzeichnet wurde. Damit steht
fest, dass die Gemeinschuldnerin jedenfalls bis zur Neustrukturierung dem Kläger diese
letztlich Verantwortung für die Produkte nicht übertragen hat und übertragen wollte. Hierzu
kann sie, da es sich um einen grundsätzlich durch den Arbeitgeber eigenständig
festzulegenden Bereich der Unternehmensstruktur handelt auch nicht im Rahmen des
Insolvenz- oder Kündigungschutzverfahrens gezwungen werden. Der Kläger hatte damit
was den Vertrauensbereich der Abnahmeberechtigung anging nicht dieselbe Ebene
erreicht wie der Mitarbeiter B . Auch insoweit ist deshalb nicht von einer groben
Fehlerhaftigkeit hinsichtlich der gebildeten Vergleichsgruppen auszugehen.
Dementsprechend war die Kostenentscheidung nach § 91 ZPO abzuändern. Die Revision
wurde nicht zugelassen, da die Entscheidung im Wesentlichen auf der
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Einzelfallbeurteilung beruht.
(Olesch) (Müller) (Becker)