Urteil des LAG Köln vom 20.06.2008

LArbG Köln: unwirksamkeit der kündigung, anhörung, arbeitsgericht, verein, juristische person, techniker, auflösung, stellenbeschreibung, anerkennung, vergütung

Landesarbeitsgericht Köln, 4 Sa 242/08
Datum:
20.06.2008
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
4. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 Sa 242/08
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Aachen, 6 Ca 2478/07
Schlagworte:
Höhe der Abfindung
Normen:
§§ 9, 10, 14 Abs. 2 KSchG
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Bei einer Auflösung eines Arbeitsverhältnisses mit einem leitenden
Angestellten gemäß §§ 9, 10, 14 Abs. 2 KSchG ist entgegen einer in der
Literatur vertretenden Auffassung weder regelmäßig der Höchstbetrag
des § 10 KSchG noch (entgegen LAG Hamm 14.12.2000 – 8 Sa 1234/00
– LAGE § 9 KSchG Nr. 35) regelmäßig eine Abfindung in Höhe eines
Monatsverdienstes pro Beschäftigungsjahr festzusetzen.
Tenor:
Die Berufungen beider Parteien gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Aachen vom 08.11.2007 – 7 Ca 2478/07 – werden zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 30 % und der
Beklagte 70 % zu tragen.
Die Revision wird für die Klägerin zugelassen.
T a t b e s t a n d :
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Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer fristlosen, hilfsweise fristgerecht
ausgesprochenen Kündigung des Beklagten, um Entgeltansprüche aus
Annahmeverzug und über die Höhe der Abfindung aufgrund einer Auflösung des
Arbeitsverhältnisses gemäß § 14 Abs. 2 KSchG i. V. m. §§ 9, 10 KSchG.
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Die Klägerin war seit dem 01.06.1997 bei dem beklagten Verein zunächst als Leiterin
des Wohnstifts in der A in A zu einem monatlichen Bruttogehalt von 5.100,00 €
beschäftigt. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Klägerin aufgrund ihrer
Funktion und ihrer Vertretungsmacht für den Beklagten bei Einstellungen und
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Entlassungen zum Personenkreis des § 14 Abs. 2 KSchG gehört.
Nachdem der Beklagte Leistungen der Klägerin zu ihrem 10-jährigem Dienstjubiläum
am 01.06.2007 noch belobigt hatte (Bl. 4 d. A.), erhielt die Klägerin am 22.06.2007 drei
Abmahnungen (Bl. 22 – 27 d. A.). Mit Schreiben vom 30.06.2007 kündigte der Beklagte
das Arbeitsverhältnis fristlos bzw. fristgerecht zum 31.12.2007, weil die Klägerin am
frühen Morgen des 23.06.2007 gegen 6.00 Uhr von dem Küchenleiter dabei beobachtet
sein soll, wie sie am Kopiergerät im zentralen Eingangsbereich des Altenheims
stapelweise Papiere kopiert habe. Darin sah der beklagte Verein den Verdacht
begründet, dass die Klägerin wichtige Geschäftsunterlagen kopiert habe und die Kopien
mitgenommen habe.
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Während des erstinstanzlichen Verfahrens schob der Beklagte als Kündigungsgründe
folgende, nach seinem Vorbringen ihm erst nach der Kündigung bekannt gewordene
Gründe nach, wobei sich der Beklagte jeweils auf den dringenden Verdacht der
"Günstlingswirtschaft" beruft:
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Die Klägerin habe in ihrer Funktion als Heimleiterin drei ihr persönlich bekannte
Mitarbeiter zu überhöhten Vergütungen eingestellt, weil diese Mitarbeiter nach
Auffassung des Beklagten jeweils zu hoch eingruppiert seien. Die Klägerin habe
insoweit Günstlingswirtschaft betrieben. Unstreitig sind die beiden betreffenden
weiblichen Mitarbeiter Mitglieder des Chores J B , deren Mitglied auch die Klägerin ist,
während der betreffende männliche Mitarbeiter nach Vorbringen des Beklagten
ebenfalls Chormitglied war, nach Vorbringen der Klägerin indes nicht Mitglied, sondern
Techniker des Chores. Der Mitarbeiter J ist unstreitig als Hausmeister/Technischer
Leiter mit der Vergütungsgruppe V b Fallgruppe 10 BAT-KF eingestellt worden. Er ist
nach von dem Beklagten nicht bestrittener Darlegung der Klägerin staatlich geprüfter
Techniker. Die Einstellung erfolgte am 01.05.2001. Die Einstellung erfolgte nach
vorheriger Rücksprache mit der Vorstandsvorsitzenden Frau Dr. P . Nach Vorbringen
der Klägerin versprach man sich von seiner Einstellung erhebliche
Kosteneinsparungen, weil man dadurch nicht mehr ständig mit externen Handwerkern
arbeiten habe müssen. Auch die Wartungsverträge seien günstiger geworden, weil Herr
J als Haustechniker vieles selbst habe erledigen können. Schließlich seien Herr J zwei
Mitarbeiter unterstellt gewesen. Nach Vorbringen des Beklagten bezog sich die
Rücksprache mit der Vorstandsvorsitzenden nicht auf die Eingruppierung. Unstreitig
wurde erst 2005 eine zusätzliche Hausmeisterkraft eingestellt und später noch eine
weitere 1-Euro-Kraft.
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Der Beklagte verweist darauf, dass Hausmeister mit einer einschlägigen Ausbildung
nach Vergütungsgruppe IX, bei abgeschlossener einschlägiger Lehre nach
Vergütungsgruppe VIII eingruppiert würden. Dementsprechend sei – das ist unstreitig –
auch der frühere Hausmeister eingruppiert gewesen, wozu die Klägerin vorgetragen hat,
der Vorgänger sei nicht für Präzisionsarbeiten wie Herr J ausgebildet gewesen.
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Die Mitarbeiterin N wurde als Leiterin des gruppenübergreifenden Dienstes eingestellt.
Ausgeschrieben war die Stelle als "Leiterin des Sozialen Dienstes". Für diese Stelle
gibt es nach Darlegung des Beklagten keine zugeordnete Vergütungsgruppe im
Entgeltgruppenplan. Der Beklagte beruft sich darauf, dass Frau N unzutreffend als
Beschäftigungstherapeutin eingruppiert worden sei. Sie sei eine solche nicht, erst recht
nicht mit staatlicher Anerkennung. Frau N habe auch für ihre Stelle keine einschlägige
Ausbildung. Die Klägerin beruft sich darauf, dass sie dem Leiter des Referats für
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Altenarbeit des D W in D , Herrn K , Frau N vorgeschlagen habe und mit ausdrücklicher
Zustimmung der Vorstandsvorsitzenden eingestellt habe, wozu der Beklagte wiederum
vorträgt, die Rücksprache habe sich nicht auf die Eingruppierung bezogen. Wegen des
Lebenslaufes Frau N wird auf Blatt 143 d. A. Bezug genommen. Nach
unwidersprochenem Vortrag der Klägerin hat diese die Vorstandsvorsitzende in
Kenntnis gesetzt, dass sie mit Frau N in besagtem Chor singe und es sich insoweit um
eine persönliche Bekanntschaft handle.
Die Mitarbeiterin S , die aus den Niederlanden stammt, wurde ebenfalls nach
Rücksprache mit der Vorstandsvorsitzenden eingestellt. Sie ist eine in den
Niederlanden examinierte Altenpflegerin und verfügte über eine Zusatzausbildung als
"Aktiviteitenbegeleidster" für demenzkranke Menschen sowie eine langjährige
Berufserfahrung in den Niederlanden. Die Parteien streiten darüber, ob der Begriff des
"Aktiviteitenbegeleidster" dem deutschen Ergotherapeuten entspricht. Unstreitig hat
Frau S keine deutsche Ausbildung. Nach Vortrag der Klägerin zeichnet sich Frau S
durch ihre Erfahrungen in der gerontopsychiatrischen Pflege als kompetente und
engagierte Mitarbeiterin bei dem Aufbau und der Umsetzung des Pflege- und
Betreuungskonzeptes für demenzkranke Bewohner aus. Unstreitig erhielt Frau S in den
Niederlanden das gleiche Gehalt, wie es sich aus der für den Arbeitsvertrag
vereinbarten, für Ergotherapeuten vorgesehenen Vergütungsgruppe KR Va Fallgruppe
12 ergibt. Der Beklagte hält diese Eingruppierung für überhöht. Sie verweist darauf,
dass die Klägerin nach deutschem Recht keine Ergotherapeutin sei, da sie als solche
nicht in Deutschland anerkannt sei. Frau S sei auch nicht als Ergotherapeutin tätig.
Ausgeschrieben war die Stelle unstreitig als "Altenpflege/ ergotherapeutische
Ausrichtung in der Betreuung demenziell/ gerontopsychiatrisch erkrankter Bewohner".
Nach Vortrag des Beklagten gibt es für eine Stelle mit dieser Beschreibung keine
zugeordnete Vergütungsgruppe im Entgeltgruppenplan (Anlagen 1 und 2 zu § 10 BAT
KF).
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Der Beklagte hatte mit Schreiben vom 09.08.2007 die Klägerin zur Stellungnahme zur
Eingruppierung aufgefordert. Die Klägerin hat dieses Schreiben außergerichtlich nicht
beantwortet.
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Die Klägerin hat bestritten, dass sie Geschäftsunterlagen kopiert habe. Unberechtigt sei
auch der Vorwurf, sie habe Mitarbeiter zu hoch eingruppiert.
11
Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei jedoch nicht zumutbar, weil ihr von Seiten
des Arbeitgebers persönliches Missmanagement vorgeworden werde. Die Klägerin hat
dementsprechend erstinstanzlich einen eigenen Auflösungsantrag gestellt.
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Aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges verlangt die Klägerin für die Monate Juli
bis Oktober 2007 die vertraglich vereinbarte Vergütung in Höhe von jeweils 5.100,00 €
brutto abzüglich des auf die Bundesanstalt für Arbeit übergegangenen Betrages in Höhe
von 6.507,93 €.
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Die Klägerin hat beantragt,
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1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch
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die Kündigung vom 30.06.2007 nicht aufgelöst wurde;
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2. den beklagten Verein zu verurteilen, an die Klägerin 20.400,00 € brutto abzüglich
auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangener 6.507,93 € zu zahlen;
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3. das Arbeitsverhältnis der Parteien gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von
51.000,00 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz der EZB ab dem Tage der Auflösung zum 31.12.2007 aufzulösen.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Hilfsweise hat er beantragt,
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für den Fall der Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung vom 30.06.2007
das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das
Ermessen des Gerichts gestellt wird, die aber 25.500,00 € nebst Zinsen in Höhe
von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem Tage der Auflösung nicht
überschreiten sollte, zum 01.07.2007,
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hilfsweise zum 31.12.2007 aufzulösen.
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Das Arbeitsgericht hat der Klage hinsichtlich des Kündigungsschutzantrages und der
Annahmeverzugsansprüche stattgegeben und das Arbeitsverhältnis auf Antrag des
Beklagten zum 31.12.2007 gegen eine Abfindung in Höhe von 35.000,00 € aufgelöst.
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Gegen dieses ihr am 07.02.2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 14.02.2008
Berufung eingelegt und diese am 05.03.2008 begründet. Der Beklagte hat gegen das
ihm ebenfalls am 07.02.2008 zugestellte Urteil am 07.03.2008 Berufung eingelegt und
diese nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 30.04.2008 am 22.04.2008
begründet.
27
Die Klägerin begehrt mit ihrer Berufung eine Abfindung in Höhe des erstinstanzlichen
Antrages. Sie beruft sich dazu darauf, dass nach Rechtsprechung des LAG Hamm und
Literaturmeinung im Falle des § 14 Abs. 2 KSchG der geringere Bestandschutz über die
Höhe der Abfindung dahingehend zu kompensieren sei, dass pro Beschäftigungsjahr
ein Monatsverdienst anzusetzen sei.
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Der Beklagte begehrt zunächst weiterhin die Klageabweisung und hilfsweise die
Abfindung auf höchstens 12.750,00 € festzusetzen.
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Der Beklagte trägt nunmehr vor: Ob die Klägerin möglicherweise unerlaubt dienstliche
Unterlagen kopiert habe, solle nicht weiter erörtert werden. Die Meinung der ersten
Instanz bedürfe keines Kommentars.
30
Den Kündigungsgrund des dringenden Verdachtes, dass die Klägerin mit den ihr
persönlich bekannten Mitarbeitern eine deutlich überhöhte Vergütung zum Nachteil der
Beklagte verabredet und vereinbart habe und insoweit ein kollusives schädigendes
Zusammenwirken zwischen der Klägerin und den Mitarbeitern vorliege, werde weiter
verfolgt. Das erstinstanzliche Gericht gehe darauf nicht hinreichend ein.
31
Die Klägerin sei aufgrund der Stellenbeschreibung vom 05.01.2003 zu Tariftreue und
wirtschaftlichem Handeln verpflichtet. Die Klägerin habe sich auch, falls professionelle
Hilfe benötigt worden sei, mit einem D Anwaltsbüro, ab 2007 mit dem erstinstanzlich
Bevollmächtigten beraten können.
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Eine von dritter Seite auf Veranlassung des Beklagten durchgeführte Untersuchung
habe festgestellt, dass im Fall J bis zum 31.12.2007 ein Schaden in Höhe von 70.455,00
€, im Fall N von 41.869,20 € und im Fall S von 11.383,67 € entstanden sei. Bezüglich
des Mitarbeiters J sei der Schaden zwar gedeckelt worden, da man durch
Aufhebungsvergleich zum 31.12.2007 das Arbeitsverhältnis beendet habe. Bezüglich
der zwei weiteren Mitarbeiter liefen Rechtsstreitigkeiten nach durchgeführter
Änderungskündigung und korrigierender Rückgruppierung, die beim Arbeitsgerichts
Aachen anhängig seien. Der Beklagte nimmt insoweit auf die Schriftsätze in diesen
Verfahren Bezug.
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Aus dem Lebenslauf von Frau N ergebe sich, dass diese bislang keine Leitungs- und
Vorgesetztenfunktion ausgeübt habe und von ihrer Vorbildung nicht für die Stelle
geeignet gewesen sei. Bei Frau S folge aus dem Einstellungsbogen, dass dort zwar die
Berufsbezeichnung Ergotherapeutin eingetragen sei, jedoch die Rubrik "Anerkennung
des Pflegeexamens in Deutschland" durchgestrichen sei. Auch Frau S sei von der
Vergütungsgruppe Vc jedenfalls unerreichbar entfernt gewesen. Für den Mitarbeiter J
sei dessen Einstellung als technischer Leiter völlig überzogen und angesichts der
Größe des Beklagten nicht adäquat gewesen.
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Jedenfalls sei die vom Arbeitsgericht ausgeurteilte Abfindung zu hoch. Das Urteil
enthalte keine individuellen Parameter, welche die exakte Höhe des
Abfindungsbetrages verstehen ließen. Bei der Abfindungsbemessung hätte – so der
Beklagte – z. B. einfließen müssen, welche Verdienste sich die Klägerin um die
Einrichtung ausweislich der Jubiläumsurkunde erworben habe, andererseits aber auch
das "gerüttelte Maß" an Verschulden, das die Klägerin an den Auflösungswunsch des
Beklagten habe. Völlig vernachlässigt sei auch die wirtschaftliche Lage. Beim Beklagten
handelt es sich – das ist unstreitig – um einen gemeinnützigen Verein. Auch habe – so
der Beklagte – die Misswirtschaft der Klägerin ihn in eine gefährliche Schieflage
gebracht. Seine Kreditlinie sei auf das Äußerste erschöpft.
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Er, der Beklagte, meine auch, mit seinem erstinstanzlichen Auflösungsantrag noch
keine Festlegung hinsichtlich der berufungsrechtlichen Beschwer vorgenommen zu
haben. Angesichts dessen scheine eine Abfindung von 50 % der "Üblichkeit" als
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ermessensfehlerfrei.
Der Beklagte beantragt,
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unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Aachen – 7 Ca 2478/07 – vom
08. November 2007 die Klage kostenpflichtig abzuweisen,
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hilfsweise,
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das Arbeitsverhältnis der Klägerin gegen Zahlung einer Abfindung zum
31.12.2007 aufzulösen, die 12.750,00 € brutto zzgl. Zinsen nicht überschreitet,
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sowie die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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das angefochtene Urteil teilweise abzuändern und den beklagten Verein zu
verurteilen, an die Klägerin eine weitere Abfindung in Höhe von 16.000,00 €
brutto zuzüglich 5 % über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 01.01.2008 zu
zahlen,
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und im Übrigen die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
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Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil, soweit sie nicht eine Abänderung
begehrt.
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Soweit der Beklagte auf "eine Stellenbeschreibung vom 05.01.2003" hinweise, so
übersehe sie, dass diese in einer betrieblichen Planungsphase 2003 erstellt worden sei,
als man darüber nachgedacht habe, das Heim in der Rechtsform einer GmbH zu
betreiben. Dafür seien vorsorglich die neuen Aufgaben der Klägerin als mögliche
Geschäftsführerin skizziert worden. Zu einer solchen Umwandlung – das ist unstreitig –
sei es jedoch nicht gekommen. Stattdessen sei zum 01.01.2006 ein neuer Dienstvertrag
abgeschlossen worden – was als solches unstreitig ist. Dort heißt es ausdrücklich, dass
damit vorherige Vereinbarungen einvernehmlich entfielen.
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"Infam" sei die Behauptung des Beklagten, die Klägerin habe bewusst überhöhte
Eingruppierungen vorgenommen. Befreundet sei sie, die Klägerin, mit keiner dieser
Personen gewesen. Sie habe sie lediglich im Laufe ihrer Zugehörigkeit zu dem Chor
kennengelernt.
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Sie, die Klägerin habe sich auch für die Stelle einer Leiterin im Bereich des Sozialen
Dienstes zunächst an Frau K gewandt, die diese Stelle kommissarisch wahrgenommen
habe. Frau K habe jedoch – das ist unstreitig – die Stelle aus familiären Gründen nicht
übernehmen wollen. Erst danach sei ihr, der Klägerin, Frau N eingefallen. Da sie jedoch
nicht gewusst habe, ob die zu besetzende Stelle unbedingt mit einer Person mit
akademischen Abschluss zu besetzen gewesen sei, habe sie mit dem Referatsleiter K
beim D W R in D telefoniert, von dem sie die Auskunft erhalten habe, dass eine
akademische Qualifikation nicht erforderlich sei. Erst daraufhin habe sie Frau N der
Vorsitzenden des Beklagten vorgeschlagen. Frau Dr. P sei dabei auch – das ist
unstreitig – in Kenntnis gesetzt worden, dass die Klägerin und Frau N zusammen im
Chor sängen und es sich daher um eine persönliche Bekanntschaft handele. Da es für
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die Stelle keine zugeordnete Vergütungsgruppe im Entgeltgruppenplan gegeben habe,
und sie, die Klägerin, keine Spezialistin für Eingruppierungsfragen schwieriger Art sei,
habe sie sich an der Eingruppierung der Vorgängerin gerichtet, die als
Steuerfachgehilfin auch nicht die Qualifikation habe, die nunmehr der beklagte Verein
fordere. Dazu ist in der mündliche Verhandlung vor der erkennenden Kammer unstreitig
geworden, dass die Klägerin damit Frau K anspricht, die zuletzt die Stelle der Leiterin
Soziale Dienste kommissarisch wahrnahm und in Vergütungsgruppe Vc eingruppiert
war.
Zu Frau S trägt die Klägerin vor: Vor dem Umzug in den Neubau auf der A habe man
von Seiten des beklagten Vereins – das ist unstreitig – den Entschluss gefasst, eine
Spezialabteilung für Demenzkranke aufzubauen. Sie habe Frau Dr. P auch gesagt, dass
sie jemanden aus dem Chor kenne, der möglicherweise Interesse an der Stelle habe.
Frau S habe damals – das ist unstreitig – in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis in
den Niederlanden gestanden. Da die Ausbildung in den Niederlanden auf dem Gebiet
des "Aktiviteitenbegeleidsters" umfangreicher und besser sei als in Deutschland auf
dem Gebiet der Ergotherapeutin sei die Klägerin der Auffassung gewesen, etwas
Besseres für das Heim nicht finden zu können. Schließlich sei Frau S Frau Dr. P noch
vorgestellt worden. Da Frau S sich in ungekündigter Stellung befunden habe und sich
finanziell nicht habe verschlechtern wollen, habe sie zur Bedingung gemacht, dass sie
finanziell nicht schlechter gestellt werde. Aus diesem Grunde sei es zu der Einstellung
mit dem entsprechenden Gehalt gekommen. Die Eingruppierung sei dementsprechend
nicht nur deklaratorisch sondern Vertragsgrundlage geworden.
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Schließlich sei Frau S nachdem ihr auf Veranlassung von Frau Dr. P gekündigt worden
sei, weil sie, Frau S , es für unhygienisch gehalten habe, dass Frau Dr. P während der
Essenszeit mit ihrem Hund in den Speisesaal der Demenzkranken gekommen sei. Frau
Dr. P habe aber nach kurzer Zeit eingesehen, mit dieser Kündigung einen Fehler
gemacht zu haben und deshalb Frau S selbst erneut in Kenntnis der gesamten
Vertragsgrundlagen eingestellt. Bei der Gelegenheit sei auch die Probezeit von Frau S
verkürzt worden.
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Mit Herrn J sei sie, die Klägerin, nur oberflächlich über dessen Beschäftigung als
Techniker bei Auftritten des besagten Chores bekannt gewesen. Auch dieser habe sich
bei Frau Dr. P persönlich vorgestellt, seine Gehaltsvorstellungen geäußert, die auch von
Frau Dr. P abgesegnet worden seien.
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Wegen des übrigen Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen diesen
gewechselten Schriftsätze Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen
Verhandlung waren.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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A. Die zulässige, form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des
Beklagten hatte hinsichtlich des Tenors zu 1. und 3. des erstinstanzlichen Urteils, d. h.
hinsichtlich der Unwirksamkeit der Kündigung als fristloser und als fristgerechter sowie
der Verurteilung zur Zahlung des Arbeitsentgelts keinen Erfolg.
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I. Hinsichtlich des ursprünglichen Kündigungsgrundes, d. h. des Verdachtes,
Geschäftsunterlagen kopiert und mit nach Hause genommen zu haben, greift der
Beklagte das erstinstanzliche Urteil in der Berufungsbegründung nicht an.
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Mit dem erstinstanzlichen Urteil ist davon auszugehen, dass insoweit jedenfalls ein
dringender Verdacht, dass die Klägerin Kopien von Geschäftsunterlagen mit nach
Hause genommen habe, selbst dann nicht begründet ist, wenn sie an den zwei von dem
Beklagten genannten Tagen vom Küchenleiter V beobachtet sein sollte, in größerem
Umfang Kopien gefertigt zu haben. Dabei ist zunächst darauf hinzuweisen, dass es als
solches nicht im Mindesten ein Vertragsverstoß wäre, wenn die Klägerin als
Heimleiterin Geschäftsunterlagen kopierte. Dafür, dass sie diese Geschäftsunterlagen
zweckentfremden wollte, gibt es nicht genügend Anhaltspunkte, die einen dringenden
Verdacht rechtfertigen könnten. Insofern hat das Arbeitsgericht Recht, dass es sich
lediglich um eine Vermutung handelt.
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II. Zweitinstanzlich beruft sich der Beklagte auch nur noch auf den nachgeschobenen
Kündigungsgrund des dringenden Verdachtes eines kollusiven schädigenden
Zusammenwirkens der Klägerin mit den drei Mitarbeiterin J , N und S , wobei der
Beklagte von dem Vorwurf eines "Günstlingssystems" spricht.
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Für schädigend hält der Beklagte das Tun der Klägerin offensichtlich deshalb, weil der
Beklagte der Klägerin vorwirft, die drei Mitarbeiter zu hoch eingruppiert zu haben, weil
die beiden Mitarbeiterinnen mit der Klägerin zusammen im Chor singen und die
Klägerin Herrn J jedenfalls als Techniker des Chores kennengelernt hat.
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Um eine ordentliche oder außerordentliche Kündigung begründen zu können, müsste
sich der dringende Verdacht auch darauf beziehen, dass der Klägerin bewusst war, den
Beklagten zu schädigen. Ein solches Bewusstsein wäre nur dann gegeben, wenn der
Klägerin bewusst war, für die von den drei Mitarbeitern besetzen Personen entweder
diese drei Mitarbeiter oder andere zu günstigeren Bedingungen anstellen zu können
oder aber ihr bewusst war, dass sie in keinem Falle eine Anstellung vornehmen durfte,
wenn die vereinbarte Vergütung nicht der Eingruppierung nach BAT-KF entspräche.
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Eine Verdachtskündigung kommt nur in Betracht, wenn dringende, auf objektiven
Tatsachen beruhende schwerwiegende Verdachtsmomente vorliegen und diese
geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnis erforderliche Vertrauen bei
einem verständigen und gerecht abwägenden Arbeitnehmer zu zerstören (vgl. hierzu
und zum Folgenden z. B. BAG, 29.11.2007 – 7 AZR 724/06). Dabei sind an die
Darlegung und Qualität der schwerwiegenden Verdachtsmomente besonders strenge
Anforderungen zu stellen, weil bei einer Verdachtskündigung immer die Gefahr besteht,
dass ein "Unschuldiger" betroffen ist (BAG a. a. O.). Der notwendige, schwerwiegende
Verdacht muss sich aus den Umständen ergeben, bzw. objektiv durch Tatsachen
begründet sein. Er muss ferner dringend sein, d. h. bei einer kritischen Prüfung muss
einer auf Beweisanzeichen (Indizien) gestützte große Wahrscheinlichkeit für die
erhebliche Pflichtverletzung (Tat) gerade dieses Arbeitnehmers bestehen. Bloße auf
mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen
dementsprechend zur Rechtsfertigung eines dringenden Tatverdachtes nicht aus (BAG
a. a. O.).
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Darüber hinaus ist Voraussetzung einer Verdachtskündigung die Anhörung des
Arbeitnehmer im Zuge der gebotenen Aufklärung des Sachverhalts. Die Anhörung muss
sich auf einen konkretisierten Sachverhalt beziehen. Nur dann hat der Arbeitnehmer
überhaupt die Möglichkeit, sich zum Verdachtsvorwurf und den ihn tragenden
Verdachtsmomenten substantiiert zu äußern. Der Arbeitgeber muss alle wesentlichen
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Umstände angeben, aus denen er den Verdacht ableitet (BAG 26.09.2002 – 2 AZR
424/01).
Das Bundesarbeitsgericht hat im Urteil vom 13.09.1995 ( 2 AZR 587/94) offen gelassen,
ob bei einer sog. nachgeschobenen Verdachtskündigung – wie sie im vorliegenden Fall
vorliegt – auch noch eine Anhörung des Arbeitnehmers erforderlich ist, bevor der
Kündigungsgrund nachgeschoben wird. Dieses hat das hessische Landesarbeitsgericht
im Urteil vom 10.07.2006 (– 19/3 Sa 1353/05 – juris) zu Recht bejaht. Zwar ist es richtig,
dass der Arbeitnehmer bei einer Anhörung zu nachgeschobenen Kündigungsgründen
nicht mehr auf den Entschluss des Arbeitgebers im Hinblick auf eine bereits
ausgesprochene Kündigung Einfluss nehmen kann. Die Anhörung des Arbeitnehmers
kann aber auch bei nachgeschobenen Gründen zur weiteren Aufklärung des
Sachverhalts beitragen und den Arbeitgeber bspw. zu weiteren Nachforschungen
veranlassen. Die Anhörung des Arbeitnehmers hat insoweit einen ähnlichen Einfluss
wie die vom Bundesarbeitsgericht für nachgeschobene Kündigungsgründe ausdrücklich
geforderte Anhörung des Betriebsrats vor dem prozessualen Einbringen der
nachgeschobenen Kündigungsgründe (vgl. dazu BAG 11.04.1985 – 2 AZR 339/84 – AP
Nr. 39 zu § 102 BetrVG 1972; BAG 04.06.1997 – 2 AZR 362/96). Auch die Anhörung
des Betriebsrats kann bei nachgeschobenen Kündigungsgründen die Kündigung selbst
nicht mehr beeinflussen, wohl aber, ob und in welcher Weise der Arbeitgeber die
nachträglich herausgefundenen Verdachtsmomente in den Kündigungsschutzprozess
einbringt.
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1. Nach diesen Maßgaben kann der Vorwurf der "Günstlingswirtschaft" in dem oben
bezeichneten Sinne als Verdacht des kollusiven schädigenden Verhaltens schon
deshalb nicht die Kündigung als nachgeschobener Kündigungsgrund begründen, weil
der Beklagte die Klägerin nicht ausreichend zu diesem Verdacht angehört hat.
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Wenn nach der oben dargestellten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die
Anhörung dazu dient, dass der Arbeitnehmer sich zu dem Verdachtsvorwurf substantiiert
äußern kann und der Arbeitgeber alle relevanten Umstände angeben muss, aus denen
er den Verdacht ableitet, so setzt das zumindest voraus, dass der Arbeitgeber dem
Arbeitnehmer den Verdacht nennt, auf den er die Kündigung stützen will. Das
"Anhörungsschreiben" des Beklagten vom 09.08.2007 an die Klägerin lautet wie folgt:
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"Sehr geehrte Frau S ,
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wir vertreten bekanntlich die rechtlichen Interessen des E . F für A e. V..
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Dort waren sie als Heimleiterin beschäftigt. In Ihrer Funktion als Heimleiterin
haben Sie Herrn A J als Hausmeister eingestellt und den Arbeitsvertrag mit
Herrn J für unsere Mandantschaft abgeschlossen. Dabei nahmen Sie eine
Eingruppierung des Hausmeisters in die Vergütungsgruppe Vb BAT/KF vor.
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Wir bitten Sie um Stellungnahme zu folgenden Fragen:
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Ist es richtig, dass Herr J Mitglied in einem Chor des Herrn J B ist?
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Aus welchem Grunde wurde die Eingruppierung in die Vergütungsgruppe Vb für
einen Hausmeister vorgenommen?
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Bei Ihrer Tätigkeit als Heimleiterin für unsere Mandantin stellte Sie darüber
hinaus Frau J N mit Arbeitsvertrag vom 11.10.2002 ein. Hierzu bitten wir um
Mitteilung, ob es zutreffend ist, dass auch Frau N Mitglied des Chors J B ist.
Sodann bitten wir um Mitteilung, welche Qualifikation Frau N mitbrachte, um
eine Tätigkeit im sozialen Dienst ausüben zu können.
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Sie stellten mit Arbeitsvertrag vom 17.03.2006 Frau M S als Ergotherapeutin ein.
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Auch hierzu bitten wir um Mitteilung, ob es richtig ist, dass Frau S ebenfalls
Mitglied des oben angeführten Chors ist. Zudem stellt sich die Frage, warum
Frau S nach BAT KR Va eingruppiert wurde.
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Wir bitten darum, die vorstehenden Fragen hierhin bis abschließend zum
15.08.2007 zu beantworten."
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In diesem Schreiben der Prozessbevollmächtigten des Beklagten wird überhaupt kein
konkreter Verdacht geäußert. Es werden lediglich Fragen gestellt. Für die Klägerin ist
aus diesen Fragen heraus nicht ausreichend erkennbar, welchen Verdacht der Beklagte
hegt und dass der Beklagte erwägt, diesen Verdacht zum Anlass einer Kündigung zu
nehmen.
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2. Unabhängig davon aber kann die Kammer auch nicht zu der Überzeugung gelangen,
dass ein ausreichender schwerwiegender Verdacht im Sinne der oben zitierten
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts dafür vorliegt, dass die Klägerin vorsätzlich
aufgrund der Chormitgliedschaft bzw. der Chornähe der drei genannten Mitarbeiter
diesen eine überhöhte Vergütung gewährt hat und damit bewusst den Beklagten
geschädigt hat.
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a. Es kann zunächst nicht festgestellt werden, dass die Klägerin verpflichtet war, stets
strikt nach dem Vergütungsgruppenplan zum BAT-KF einzugruppieren. Der Beklagte
beruft sich insoweit auf die Stellenbeschreibung für die Klägerin zum 05.01.2003 (Bl.
132 ff. d. A.).
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Die Klägerin hat die Verbindlichkeit dieser Stellenbeschreibung bestritten. Bei dem von
dem Beklagten eingereichten Exemplar fällt auf, dass dies zwar von der Klägerin
unterschrieben ist, nicht aber, obwohl deren Unterschrift vorgesehen ist, von der
Vorstandsvorsitzenden. Der Beklagte hat auch nichts Näheres dazu vorgetragen, wie
diese Stellenbeschreibung für die Klägerin verbindlich gemacht worden ist. Schon aus
diesem Grunde kann die Verbindlichkeit der dort aufgeführten Aufgaben für die Klägerin
im Sinne einer Weisung des Vorstandes oder eines sonstigen die Klägerin bindenden
Regelwerkes nicht festgestellt werden.
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Davon abgesehen aber enthält die Stellenbeschreibung auch nicht die inhaltliche
Vorgabe, stets strikt nach dem BAT-KF einzugruppieren und keine gegebenenfalls
übertariflichen oder außertariflichen Vergütungen zu vereinbaren. Die
Stellenbeschreibung enthält unter den Überschriften "bewohnerbezogene Aufgaben",
"personalbezogene Aufgaben" und "betriebsbezogene Aufgaben" zahlreiche Aufgaben
für die Stelleninhaberin. U. a. heißt es dort unter personalbezogenen Aufgaben:
"Beachtung arbeitsrechtlicher Richtlinien und tarifvertraglicher Vereinbarungen".
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Tarifvertragliche Vereinbarungen – wobei dahinstehen kann, ob der BAT-KF darunter
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fällt – gelten grundsätzlich zwingend nur zugunsten der Arbeitnehmer. Wenn eine
personalbezogene Aufgabe lautet, tarifliche Vereinbarungen zu beachten, dann
bedeutet dieses, dass nicht in gesetzlich unzulässiger Weise vom Tarifrecht
abgewichen werden darf. Vereinbarungen zugunsten der Arbeitnehmer sind jedoch
grundsätzlich möglich, wie sich bereits aus § 4 Abs. 3 TVG ergibt. Gerade bei der
Unterordnung der Aufgabe unter "personalbezogene Aufgaben" lässt sich der Aufgabe
"Beachtung der vertraglichen Vereinbarung" nicht entnehmen, dass die Klägerin gerade
bei der Eingruppierung nicht zugunsten der Arbeitnehmer von den
Eingruppierungsvorschriften abweichen durfte.
Eine sonstige Weisung oder die Klägerin bindende Normierung dieser Pflicht hat der
Beklagte nicht vorgetragen.
81
b. Zudem hat die Beklagte durch Bezugnahme auf ihre in den
Rückgruppierungsprozessen eingereichten Schriftsätze selbst vorgetragen, dass für die
Tätigkeiten der beiden betreffenden Mitarbeiterinnen unmittelbar einschlägige tarifliche
Entgeltgruppen gar nicht vorhanden waren.
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c. Für die Eingruppierung der einzelnen Mitarbeiter gilt Folgendes:
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aa) Herr J wurde in die Berufsgruppe der Techniker in Fallgruppe 6 eingruppiert
(Mitarbeiter der Fallgruppe 5 nach 6-jähriger Tätigkeit in dieser Fallgruppe, wobei in
Fallgruppe 5 "staatlich geprüfte Techniker mit entsprechender Tätigkeit, die
überwiegend selbstständig tätig sind" aufgeführt sind). Die Beklagte hat nicht
vorgetragen, dass herr Johnen nicht über eine staatliche Prüfung als Techniker verfüge.
Nach dem Arbeitsvertrag war er als "Hausmeister/Technischer Leiter" angestellt. Es war
danach offensichtlich eine leitende Funktion beabsichtigt, die nach unstreitigem Vortrag
des Beklagten allerdings im Jahre 2001 noch nicht gegeben war, sondern erst nach
späterer Unterstellung von zwei weiteren Personen.
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Die Klägerin hat – ohne dass der Beklagte dieses unter Antritt von Gegenbeweis
bestritten hätte – vorgetragen, man habe sich von der Einstellung Herrn J erhebliche
Kosteneinsparungen versprochen, weil man dadurch nicht mehr ständig mit externen
Handwerkern hätte arbeiten müssen und Herr J als Haustechniker vieles selbst habe
erledigen können.
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Nach unwidersprochenem Vortrag der Klägerin oblagen Herrn J des Weiteren folgende
Aufgabengebiete:
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- Eigenständige sicherheitstechnische Betreuung des Heims und der
Außenanlage einschließlich der Gewährleistung der ordnungsgemäßen
Funktionsfähigkeit der technischen Anlagen
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Betreuung und regelmäßige Kontrollen der zentralen Brandmelde- und
Kommunikationsanlagen
Sicherheits- und Brandschutzverantwortlichkeit für das Heim
Betreuung und Koordination von Einsätzen durch Fremdfirmen im Bereich
Gebäudetechnik
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Technische Vorbereitung und Abwicklung von Veranstaltungen
Koordination und Aufsicht der Restmängelbearbeitung innerhalb des Neubaus
Kontrolle, Überwachung, Betreuung und Bedienung der Aufzüge, Computer,
Telefonanlagen, Rufanlagen, Elektroanlagen, Funkanlagen, Klingelanlagen,
Schlüsselverwaltung, TV/Video, Drucker/Kopierer etc.
Einhaltung und Überwachung der Unfallverhütungsvorschriften,
Arbeitsschutzverordnung, Brandschutzverordnung, Hausordnung,
Sicherheitsbeauftragten
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Schließlich erhält Herr J nicht – wie der Beklagte erstinstanzlich vorgetragen hat -
ausweislich der Juli Abrechnung "satte 3000,00 € netto", sondern nur 1.984,18 €, wovon
durch ZVK-Umlage, vermögensbildende Leistung und Sachbezug Essen noch weitere
Beträge abgezogen werden, so dass ein Auszahlungsbetrag von 1.790,87 € verbleibt.
90
Wenn die Klägerin mit einer entsprechenden Eingruppierung den damit angesichts des
Mangels technisch versierter Mitarbeiter am Arbeitsmarkt nicht als überzogen
anzusehenden Gehaltsvorstellungen Herrn J entgegen gekommen ist, und nicht – dies
ist anscheinend die Vorstellung des Beklagten – ihn nach BAT IX als schlichten
Hausmeister eingruppiert hat, so lassen sich aus dem Eingruppierungsvorgang als
solchem keine nennenswerten Indizien dafür gewinnen, dass die Klägerin Herrn J
bewusst ein im oben genannten Sinne überhöhtes Gehalt hat zukommen lassen.
91
Es ist auch nicht ersichtlich, warum die Klägerin allein aufgrund der Tatsache, dass sie
Herrn J darüber kennengelernt hat, dass dieser technische Leistungen für den Chor
erbrachte, in dem auch die Klägerin sang, in kollusivem Zusammenwirken zulasten des
Beklagten ungerechtfertigt begünstigt haben sollte. Die Klägerin hat unwidersprochen
vorgetragen, dass sie mit keiner der genannten drei Personen befreundet gewesen sei.
Allein eine gemeinsame Chormitgliedschaft oder Bekanntschaft aus dem
Zusammenhang eines Chores sind typischerweise kein Anlass, eine Person bewusst
zum Schaden eines Arbeitgebers zu bevorzugen.
92
bb. Die Arbeitnehmerin Frau N , die wie die Klägerin ebenfalls Mitglied des Chores ist,
wurde "als Leiterin des gruppenübergreifenden Dienstes" eingestellt und in
Vergütungsgruppe Vc nach der Gruppe "Beschäftigungstherapeutin Fallgruppe 7"
eingruppiert. In Fallgruppe 7 sind "Beschäftigungstherapeuten mit staatlicher
Anerkennung oder entsprechender Tätigkeit nach 6-monatiger Berufsausübung und
erlangter staatlicher Anerkennung eingruppiert, die überwiegend schwierige Aufgaben
erfüllen". Frau N hat keine Beschäftigungstherapeutenausbildung. Der Beklagte hat
aber nicht vorgetragen, wie eine "Leiterin des gruppenübergreifenden Dienstes" sonst
richtig hätte eingruppiert werden müssen. Der Beklagte trägt nicht einmal die genauen
Aufgaben einer Leiterin des gruppenübergreifenden Dienstes vor. Es kann nicht
festgestellt werden, dass für deren Aufgaben die aus der Vergütungsgruppe Vc folgende
Vergütung nach Marktgesichtspunkten inadäquat wäre.
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Mangels irgendwelcher substantiierter Darlegungen zu den Aufgaben einer "Leiterin
des gruppenübergreifenden Dienstes" kann auch nicht festgestellt werden, dass Frau N
dazu gänzlich ungeeignet wäre und insbesondere, dass ein schwerwiegender Verdacht
dahingehend besteht, dass die Klägerin dies bei der Einstellung erkannt hätte.
94
Frau N hat zwar keine einschlägige Ausbildung, sondern nur eine solche als
Arzthelferin. Sie hatte jedoch über eine Reihe von Jahren Logopädie, Soziologie und
Kunsttherapie studiert – wenn auch jeweils ohne Abschluss. Sie verfügte darüber
hinaus über eine langjährige Berufserfahrung in verschiedenen Tätigkeiten.
95
Da der Beklagte die genauen Anforderungen an eine Leiterin des
gruppenübergreifenden Dienstes nicht vorträgt, kann schon aus diesem Grund nicht
festgestellt werden, ob eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehe, dass die Klägerin
erkennen musste, dass Frau N ungeeignet sei.
96
Schließlich trägt der Beklagte auch zur Arbeitsleistung Frau N nichts Substantiiertes vor.
Die Klägerin hat vorgetragen, sie habe sich von Anfang an auf dieser Stelle bewährt und
es habe niemanden gegeben, der ihre Qualifikation jemals angezweifelt hätte. Erstmalig
im Schriftsatz vom 12.06.2008 trägt der Beklagte vor, dass sie nun "ohne den
schützenden Filter der Klägerin" habe feststellen müssen, dass Frau N mit ihrer Aufgabe
völlig überfordert sei. Irgendetwas Substantiiertes wird dazu indes nicht vorgetragen.
97
Insgesamt reichen die Indizien für die Annahme nicht aus, dass die Klägerin mit großer
Wahrscheinlichkeit bewusst erkannt hätte, dass Frau N für die Stelle nicht geeignet sei
und dass die ihr gezahlte Vergütung nach Vc für die Stelle nicht adäquat sei.
98
cc. Frau S schließlich ist examinierte Altenpflegerin und hat eine niederländische
Qualifikation als Aktiviteitenbegeleidster für demenzkranke Menschen. Sie verfügt ferner
über langjährige Berufserfahrung in den Niederlanden.
99
Es kann für die zutreffende Eingruppierung dahinstehen, ob der Aktiviteitenbegeleidster
einem deutschen Ergotherapeuten gleichsteht. Unstreitig war Frau S in Deutschland
nicht als Ergotherapeutin anerkannt. Frau S ist indes auch nicht als Ergotherapeutin
eingruppiert worden, sondern ausweislich des Arbeitsvertrages in Vergütungsgruppe
KR Fallgruppe 12. Dort sind Altenpflegerinnen der Vergütungsgruppe V Fallgruppe 21
nach 4-jähriger Bewährung in dieser Fallgruppe eingruppiert. In Vergütungsgruppe KR
V sind Altenpflegerinnen mit staatlicher Anerkennung/Abschlussprüfung mit
entsprechender Tätigkeit nach 3-jähriger Tätigkeit in Vergütungsgruppe KR IV
Fallgruppe 5 eingruppiert. In KR IV Fallgruppe 5 eingruppiert sind Altenpflegerinnen mit
staatlicher Anerkennung/Abschlussprüfung mit entsprechender Tätigkeit.
100
Angesichts der unstreitigen langjährigen Berufserfahrung von Frau S lässt sich nicht mit
großer Wahrscheinlichkeit feststellen, dass die Klägerin subjektiv davon ausgehen
musste, dass ein Vergütungsgruppe KR V entsprechendes Gehalt für Frau S inadäquat
war. Frau S war – das ist unstreitig – eine jedenfalls in Holland examinierte
Altenpflegerin mit mehrjähriger Berufserfahrung und hatte eine 4-jährige
Zusatzqualifikation als Aktiviteitenbegeleidster absolviert. Außerdem ist unstreitig, dass
sich Frau S in ungekündigter Stellung in den Niederlanden befand und sich finanziell
nicht verschlechtern wollte, was sie zur Bedingung machte. Wenn die Klägerin deshalb
eine Vergütungsgruppe vereinbarte, die dem Gehalt entsprach, so kann nicht mit großer
Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass die Klägerin überzeugt war, dass sie Frau
S oder eine nach der subjektiven Einschätzung der Klägerin gleich Qualifizierte zu
einem günstigeren Gehalt hätte einstellen können. Dazu ist weiterhin unstreitig, dass die
Einstellung im Zusammenhang mit dem Entschluss des beklagten Vereins erfolgte, eine
Spezialabteilung für Demenzkranke aufzubauen. Der Beklagte hat auch nichts
101
Substantiiertes zu dem Vortrag der Klägerin entgegnet, durch ihre Erfahrungen in der
gerontropsychiatischen Pflege habe sich Frau S als kompetente und engagierte
Mitarbeiterin für den Aufbau und die Umsetzung des Pflege- und Betreuungskonzeptes
für demenzkranke Bewohner ausgezeichnet.
Der erstmalige Vortrag des Beklagten im Schriftsatz vom 12.06.2008, es bestehe ein
hohes Maß an Unzufriedenheit mit den Leistungen der Mitarbeiterinnen, nachdem die
Klägerin nicht mehr ihre schützende Hand über diese halte, ist wiederum gänzlich
unsubstantiiert und kann die subjektive Überzeugung der Klägerin von der besonderen
Eignung der Mitarbeiterin zum Zeitpunkt der Einstellung nicht widerlegen.
102
B. Für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses und die Höhe der Abfindung gilt
Folgendes:
103
I. Der Beklagte hat ihren Auflösungsantrag erst- wie zweitinstanzlich auf § 14 Abs. 2
KSchG gestützt.
104
Die Klägerin hat erstinstanzlich einen eigenen Auflösungsantrag gestellt, den sie nur auf
§ 9 Abs. 1 KSchG stützen konnte.
105
Das Arbeitsgericht hat auf den Antrag des Beklagten hin das Arbeitsverhältnis aufgelöst.
Über den Antrag der Klägerin hat es nicht entschieden. Es hat ihm weder stattgegeben
noch ersichtlich abgewiesen. Weder der Tenor noch die Entscheidungsgründe befassen
sich mit dem eigenen Auflösungsantrag der Klägerin, der indes im Tatbestand
wiedergegeben ist. Damit wurde der Antrag i. S. d. § 321 ZPO übergangen. Die Klägerin
hat jedoch keinen Antrag auf Ergänzung des Urteils gestellt.
106
Zweitinstanzlich stellt sie nicht mehr einen eigenen Antrag das Arbeitsverhältnis
aufzulösen, sondern nur den Antrag, an sie eine höhere Abfindung zu zahlen als das
erstinstanzliche Urteil ihr zuerkannt hat. Auch ausweislich ihrer Berufungsbegründung
argumentiert sie ausschließlich mit § 14 Abs. 2, also im Rahmen des Auflösungsantrags
des Beklagten.
107
II. Dass die Klägerin zum Personenkreis des § 14 Abs. 2 KSchG gehört, ist zwischen
den Parteien unstreitig.
108
Die auf den Hilfsantrag des Beklagten hin erfolgte Auflösung des Arbeitsverhältnisses
durch das Arbeitsgericht als solche hat die Klägerin mit der Berufung auch nicht
angegriffen. Der Streit geht allein um die Höhe der Abfindung:
109
Die Klägerin hält die Abfindung von 35.000,00 € für zu niedrig und begehrt eine
Abfindung in Höhe von 51.000,00 €. Sie beruft sich im Wesentlichen darauf, dass nach
Auffassung des LAG Hamm (Urteil vom 14.12.2000, LAGE § 9 KSchG § 35) im Falle
des § 14 Abs. 2 KSchG regelmäßig ein Monatsverdienst pro Beschäftigungsjahr
anzusetzen sei. Damit solle der geringere Bestandsschutz über die Höhe der Abfindung
kompensiert werden. Die Klägerin meint, dieses sei allgemeine Auffassung.
110
Der Beklagte, die erstinstanzlich hilfsweise die Auflösung gegen eine Abfindung
begehrt hatte, die 25.500,00 € nicht überschreiten sollte, begehrt sie zweitinstanzlich
eine Abänderung dahingehend, dass die Abfindung 12.750,00 € brutto nicht
überschreitet. Sie meint, das Arbeitsgericht habe nicht deutlich gemacht, warum es von
111
der "Regelabfindung", die der Beklagte mit 25.500,00 € ansetzt, erheblich zu Lasten des
Beklagten abgewichen sei.
Nach Auffassung des Beklagten hätte z. B. einfließen müssen, welche Verdienste sich
die Klägerin um die Einrichtung des Beklagten ausweislich der Jubiläumsurkunde
erworben hat, andererseits aber auch das nach seiner Auffassung "gerüttelte Maß an
Verschulden", das die Klägerin an dem Auflösungswunsch des Beklagten trage, wobei
sich der Beklagte darauf beruft, dass zu berücksichtigen sei, wenn der Arbeitnehmer
durch pflichtwidriges Verhalten den Kündigungssachverhalt herbeigeführt habe.
Darüber hinaus sei seine wirtschaftliche Lage zu berücksichtigen. Der Beklagte verweist
darauf – was als solches unstreitig ist – dass es sich bei ihm um einen gemeinnützigen
Verein handelt. Auch habe die "Misswirtschaft" der Klägerin den Beklagten in eine
gefährliche Schieflage gebracht. Dies gelte auch und vor allem für die Kosten der
überhöhten Eingruppierung.
112
III. Die Kammer folgt im Ergebnis auch hinsichtlich der Höhe der Abfindung dem
Arbeitsgericht.
113
1. Die Kammer teilt nicht die Auffassung des LAG Hamm (14.12.2000 – 8 Sa 1234/00 –
LAGE § 9 KSchG Nr. 35), wonach im Falle des § 14 Abs. 2 KSchG regelmäßig die
Festsetzung einer Abfindung in Höhe von einem Monatsverdienst je Beschäftigungsjahr
angemessen ist. Noch weiter gehend als das LAG Hamm will ein Teil der Literatur
(APS/Biebel, 3. Aufl., § 14 Rn. 30; Popp DB 1993, 736) – in der Regel offenbar ohne
Berücksichtigung der Beschäftigungsdauer – gar den Höchstbetrag der Abfindung nach
§ 10 Abs. 1 oder 2 KSchG als angemessen ansehen.
114
Demgegenüber will die wohl h. M. (vgl. KR/Rost § 14 KschG Rn. 41 m. w. N.) zwar dem
geringeren Bestandsschutz des leitenden Angestellten bei der Höhe der Abfindung
Rechnung tragen, verneint aber eine Regelhaftigkeit dahingehend, dass stets die
höchstmögliche Abfindungssumme festzusetzen sei. Rost meint, im Rahmen der
Ermessensentscheidung sei die Festsetzung einer Abfindungssumme im oberen
Bereich i. d. R. nicht zu beanstanden.
115
Das LAG Hamm hat ausdrücklich entschieden, dass zwar die Angemessenheit der
Abfindung auch bei Fehlen von Auflösungsgründen nicht ohne Berücksichtigung der
Dauer der Betriebszugehörigkeit bestimmt werden könne, dass aber andererseits bei
einem Auflösungsantrag, der auf § 14 Abs. 2 KSchG und nicht auf § 9 KSchG gestützt
ist, regelmäßig innerhalb des "üblichen" Abfindungsrahmens von einem halben bis zu
einem Bruttomonatsverdienst pro Beschäftigungsjahr die Obergrenze zu wählen sei.
Nur so könne der aus § 14 Abs. 2 KSchG folgenden Schwächung des gesetzlichen
Kündigungsschutzes begegnet werden.
116
Die erkennende Kammer kann keine gesetzlichen Anhaltspunkte für eine solche
Regelhaftigkeit erkennen. § 14 Abs. 2 S. 2 KSchG modifiziert lediglich § 9 Abs. 1 S. 2
KSchG und diesen auch nur hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen. Weder § 9
Abs. 1 S. 1 ("Zahlung auf angemessene Abfindung") noch § 10 KSchG werden in der
Vorschrift genannt.
117
Eine irgendwie geartete, von diesen Vorschriften abweichende Regelhaftigkeit der
Abfindung lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen.
118
Kann die Kammer mithin diesem vom LAG Hamm aufgestellten Grundsatz nicht folgen,
so teilt die Kammer jedoch die Auffassung, dass der Schwächung des gesetzlichen
Kündigungsschutzes als einem von zahlreichen weiteren Kriterien im Rahmen der
"Angemessenheit" der Abfindung Rechnung zu tragen ist.
119
2. Danach gilt im Einzelnen Folgendes:
120
a. Die Kammer geht davon aus, dass zunächst die Dauer des Arbeitsverhältnisses das
wesentliche Kriterium der Höhe der Abfindung ist. Sie schlägt sich auch nieder in allen
in der Praxis "üblichen" Abfindungsformeln. Wenn die Höhe der Abfindung überhaupt
berechenbar und differenzierbar sein soll, muss an dieses Kriterium angeknüpft werden.
Es erscheint gegenüber dem Lebensalter auch als das "diskriminierungsfreiere"
Kriterium.
121
Dabei kann als erste Annäherung die weit verbreitete Formel eines halben
Bruttomonatsverdienstes pro Beschäftigungsjahr zugrunde gelegt werden (vgl.
ABS/Biebel KSchG Rn. 7).
122
Die Kammer hält diese Formel aus folgenden Gründen als Regelformel für
angemessen: § 10 Abs. 1 KSchG, der im vorliegenden Fall Anwendung findet, lässt eine
Abfindung nur bis zu 12 Monatsverdiensten zu. Er gilt – wie sich aus § 10 Abs. 2 KSchG
ergibt – auch bei langjährigen Beschäftigungsverhältnissen für Arbeitnehmer, die das
50. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Bis zum 50. Lebensjahr können indes
typischerweise Beschäftigungsjahre liegen, die ca. das Doppelte der in § 10 Abs. 1
KSchG genannten Zahl "12" erreichen. Wollte man etwa ein Monatsgehalt pro
Beschäftigungsjahr als Regelsatz zugrunde legen, so wäre bei einer Beschäftigungszeit
von 12 Jahren bereits der Höchstrahmen des § 10 Abs. 1 ausgeschöpft. Um die an die
Beschäftigungsdauer anknüpfenden notwendigen Differenzierungen vorzunehmen,
erscheint das halbe Monatsgehalt pro Beschäftigungsjahr damit als angezeigt.
123
Die Klägerin war vom 01.06.1997 bis zum 31.12.2007 beschäftigt. Bei einem
Bruttomonatseinkommen von 5.100,00 € ergibt diese Zeit unter Zugrundelegung eines
halben Monatsgehaltes pro Beschäftigungsjahr einen Betrag von rund 27.000,00 €
(5.100,00 x (7/12 + 10) = 26.987,50).
124
b. Zu berücksichtigen ist nach herrschender Auffassung auch das Lebensalter (vgl. z. B.
APS/Biebel a. a. O. Rn. 22; KR/Spilger § 10 KSchG, Rn. 49 - jeweils m. w. N.). Das
Verbot der Altersdiskriminierung steht dem nicht entgegen, da mit dem zunehmenden
Lebensalter typischerweise auch die Vermittlungsfähigkeit eines Arbeitnehmers sinkt.
Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass gerade im Bereich von Führungskräften,
zu denen die Klägerin zählte, die Vermittlungsfähigkeit mit dem 50. Lebensjahr
typischerweise nicht so eingeschränkt ist, wie bei Berufen geringerer Qualifikation.
Gleichwohl erscheint es angemessen, zu berücksichtigen, dass die Klägerin die auch
im Gesetz (§ 10 KSchG) für relevant gehaltene Altersgrenze der Vollendung des 50.
Lebensjahres zum Beendigungszeitpunkt erreicht hat. Dieses Kriterium spricht mithin für
eine gewisse Erhöhung der Abfindung.
125
c. Wie bereits gesagt, spricht ebenfalls für eine Erhöhung der Abfindung, dass der
Bestandsschutz der Klägerin aufgrund von § 14 Abs. 2 KSchG gemindert war und sie
trotz der Unwirksamkeit und Sozialwidrigkeit der Kündigung ihren Bestandsschutz nicht
durchsetzen konnte.
126
d. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vom 20.06.2008 erklärt, noch kein
neues Arbeitsverhältnis gefunden zu haben. Sie hat dieses jedoch mit dem Hinweis
ergänzt, dass sie ein Studium aufgenommen habe. Die Kammer berücksichtigt die
Frage des Auffindens eines neuen Arbeitsverhältnisses bei der Bemessung der
Abfindung nicht (vgl. auch BAG, 26.08.1976, AP BGB § 626 Nr. 68). Denn die jeweilige
Lage auf dem Arbeitsmarkt und insbesondere ein besonderes Engagement des
Arbeitnehmers bei der Suche nach einer neuen Stelle darf dem Arbeitgeber nicht zum
Vorteil gereichen. Umgekehrt können zahlreiche individuelle Entscheidungen und
Eigenschaften das Auffinden eines Arbeitsverhältnisses entscheiden, die nichts mit dem
beendeten Arbeitsverhältnis zu tun haben.
127
e. Indes können jedenfalls Unterhaltspflichten nach ganz herrschender Auffassung bei
der Bemessung der Abfindung berücksichtigt werden (vgl. APS/Biebel a. a. O. Rn. 24 m.
w. N.). Die Klägerin hat keine Unterhaltspflichten.
128
f. Als weiterer Bemessungsfaktor kommt nach der Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts das "Maß der Sozialwidrigkeit der Kündigung in Betracht" (vgl.
BAG 15.02.1973 AP KSchG 1969, § 9 Nr. 2). In der Literatur wird zu Recht darauf
hingewiesen, dass das Gesetz eine graduelle Abstufung der Sozialwidrigkeit nicht kennt
und dieses Kriterium deshalb schwer fassbar sei (KR/Spilger § 10 KSchG Rn. 56;
APS/Biebel § 10 KSchG Rn. 28). Daraus wird die Konsequenz gezogen, dass eine
höhere Abfindung regelmäßig dann gerechtfertigt ist, wenn der Arbeitgeber die
Kündigungsgründe "an den Haaren herbeigezogen" hat und die Kündigung
offensichtlich sozialwidrig ist, dagegen wird eine Herabsetzung gerechtfertigt, wenn der
Arbeitnehmer durch erhebliches pflichtwidriges Verhalten die Kündigung veranlasst hat.
129
Die Kammer hat Zweifel, ob dieses Kriterium im vorliegenden Fall überhaupt
berücksichtigt werden kann. Sie hält die Ausführungen des LAG Hamm (a. a. O.) für
überzeugend, dass der Arbeitgeber die Wahl hat, ob er seinen Auflösungsantrag auf §
14 Abs. 2 KSchG oder auf § 9 KSchG stützt und deshalb selbst wählen kann, ob er ein
"Auflösungsverschulden", welches er selbst in den von ihm angeführten
Kündigungsgründen sieht, zu Auflösungsgründen erhebt und damit auch in die
Bemessung der Abfindung mit einfließen lässt. Diese Frage kann jedoch dahinstehen.
Die Kündigung erscheint der Kammer – wegen der Auffälligkeit der Beschäftigung von
drei Personen, die der Klägerin aus dem Bereich des J B Chores bekannt waren, zwar
nicht als "an den Haaren" herbeigezogen und offensichtlich sozialwidrig. Umgekehrt
aber ließ sich – wie oben dargestellt – ein erhebliches pflichtwidriges Verhalten der
Klägerin insoweit nicht feststellen.
130
g. Zu berücksichtigen ist auch die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers.
131
Der Beklagte spricht von einer gefährlichen Schieflage. Die Kreditlinien seien auf das
Äußerste erschöpft. Dazu bezieht er sich auf ein Schreiben seines Wirtschaftsprüfers
und Steuerberaters (Bl. 263 d. A.). Dort heißt es: "Ihr Haus befindet sich damit in der
Situation, die Ihnen z. Z. noch eingeräumten Kreditlinien nahezu vollständig in Anspruch
nehmen zu müssen. Wir sehen daher diese Kreditlinie nachhaltig als weitgehend
erschöpft an."
132
Es fehlt jedoch jegliche Darlegung zu der sonstigen Vermögenslage des Beklagten. Die
"gefährliche Schieflage" ist in keiner Weise substanttiert. Insbesondere kann nicht
133
festgestellt werden, dass dem Beklagten durch die Abfindungszahlung eine Insolvenz
drohte.
Zu berücksichtigen ist indes, dass es sich bei dem Beklagten um einen gemeinnützigen
Verein handelt. Dieser ist grundsätzlich nicht in der Lage, Gewinne zu erwirtschaften,
die ihm ein Polster oder die Hinnahme von größeren Verlusten erlaubten.
134
h. Insgesamt ergibt sich damit Folgendes: Aufgrund des Lebensalters der Klägerin und
als Kompensation für den geminderten Bestandsschutz ließe sich bei der Neutralität der
übrigen Kriterien – bis auf die Gemeinnützigkeit des Beklagten – eine Erhöhung der
Abfindung auf ein volles Monatsgehalt pro Beschäftigungsjahr vertreten. Wegen der
Gemeinnützigkeit des Beklagten indes ist die Kammer der Auffassung, dass im
vorliegenden Fall eine Abfindung von etwa 2/3 eines vollen Monatsgehaltes für ein
Beschäftigungsjahr gerechtfertigt ist. Damit erscheint der auch schon vom Arbeitsgericht
gefundene Abfindungsbetrag als angemessen.
135
C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO. Dabei hat die Kammer das
Obsiegen der Klägerin im Kündigungsschutzantrag und das Ergebnis des Streits um die
Höhe des Abfindungsbetrages in der von den Parteien vorgegebenen Spannweite des
Streites berücksichtigt.
136
D. Die Kammer hat nur für die Klägerin die Revision zugelassen, da das LAG Hamm in
dem zitierten Urteil einen abstrakten Rechtssatz aufgestellt hat, von dem die Kammer
abweicht und diese Abweichung zu Lasten der Klägerin bei der Höhe der Abfindung
geht. Im Übrigen war ein Zulassungsgrund nicht zu erkennen.
137
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g :
138
Gegen dieses Urteil kann von
139
R E V I S I O N
140
eingelegt werden.
141
Die Revision muss
innerhalb einer Notfrist* von einem Monat
142
Bundesarbeitsgericht
143
Hugo-Preuß-Platz 1
144
99084 Erfurt
145
Fax: 0361 2636 2000
146
eingelegt werden.
147
Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils,
spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
148
Die Revisionsschrift
muss
149
Bevollmächtigte
1. Rechtsanwälte,
2. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse
solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder
Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
3. juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer
der in Nr. 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person
ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder dieser
Organisation oder eines anderen Verbandes oder Zusammenschlusses mit
vergleichbarer Ausrichtung entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die
Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
150
151
In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Revisionsschrift
unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.
152
Eine Partei die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
153
* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
154
Dr. Backhaus Der ehrenamtliche Richter Bongard
155
Rolf Müller ist wegen eines Kurauf-
156
enthaltes an der Unterschrift gehindert.
157