Urteil des LAG Köln vom 28.04.2005

LArbG Köln: unwirksamkeit der kündigung, abfindung, masseschuld, tarifvertrag, beschränkung, arbeitsgericht, arbeitsbedingungen, gegenleistung, abweisung, form

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Vorinstanz:
Schlagworte:
Normen:
Sachgebiet:
Leitsätze:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Landesarbeitsgericht Köln, 5 Sa 1409/04
28.04.2005
Landesarbeitsgericht Köln
5. Kammer
Urteil
5 Sa 1409/04
Arbeitsgericht Bonn, 4 Ca 395/04
Abfindung, Masseverbindlichkeit
§ 55 InsO
Arbeitsrecht
Abfindungsforderungen, die auf einem vor Insolvenzeröffnung
abgeschlossenen Tarifvertrag beruhen und durch eine Kündigung des
Insolvenzverwalters ausgelöst werden, sind keine Masseforderungen i. S.
vom § 55 Abs. 1 InsO
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn
vom 22.09.2004 – 4 Ca 395/04 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d :
Die Klägerin war seit dem 01.04.1997 bei der Insolvenzschuldnerin bzw. deren
Rechtsvorgängerin als Mediengestalterin zu einem monatlichen Bruttogehalt von zuletzt
insgesamt 3.011,59 € durchschnittlich beschäftigt. Über das Vermögen der
Insolvenzschuldnerin wurde am 01.01.2004 das Insolvenzverfahren eröffnet, der Beklagte
zu 1) wurde zum Insolvenzverwalter bestimmt.
Im Betrieb der Insolvenzschuldnerin galt der Tarifvertrag für die Arbeit der Bundesdruckerei
GmbH (TV Arb BDr) in dessen Anlage 2 zu § 31 und der § 8 "Abfindung" vereinbart worden
war, dass Arbeiter, die infolge einer Rationalisierungsmaßnahme auf Veranlassung der
Bundesdruckerei im gegenseitigen Einvernehmen oder aufgrund einer Kündigung durch
die Bundesdruckerei aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden, eine Abfindung erhalten, die
bei einer Betriebszugehörigkeit von ...
...mehr als 7 Jahren das Vierfache
...des zuletzt vor dem Ausscheiden zustehenden Lohnes beträgt (vgl. Bl. 130, 130R GA).
Zum 01.01.2004 wurde der Betrieb der Insolvenzschuldnerin aufgrund einer Vereinbarung
zwischen dem Beklagten zu 1) und der Beklagten zu 2) von der Beklagten zu 2)
übernommen, wobei das Erwerberkonzept vorsah, dass 40 der 80 Arbeitnehmer
weiterbeschäftigt werden sollten. In einem Interessenausgleich wurde das
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Erwerberkonzept der Beklagten zu 2) dargelegt, ferner sind darin Namenslisten enthalten,
aus diesen ergibt sich, dass die Klägerin nicht von der Beklagten weiterbeschäftigt wird.
Ferner wurde ein Sozialplan abgeschlossen, der im Rahmen des § 123 InsO Abfindungen
für die zu kündigenden Arbeitnehmer vorsieht. Der Klägerin wurde vom Beklagten zu 1) mit
Schreiben vom 29.03.2004 zum 30.06.2004 unter Freistellung bis zum Ablauf der
Kündigungsfrist und Fortzahlung der Vergütung gekündigt.
Die Klägerin hat sich mit der im April bei Gericht eingegangenen Klage zunächst gegen die
Kündigung gewendet, Weiterbeschäftigung und Wiedereinstellung begehrt und restliche
Vergütungszahlungen eingeklagt. Ferner hat sie die Auffassung vertreten, dass ihr für den
Fall der Wirksamkeit der Kündigung eine Abfindung in Höhe des vierfachen Grundlohnes
entsprechend den im Betrieb der Insolvenzschuldnerin geltenden Tarifvertrag als
Masseverbindlichkeit zusteht. Der Abfindungsanspruch sei durch Kündigung des
Beklagten zu 1), mithin durch eine Handlung des Insolvenzverwalters im Sinne des § 55
InsO begründet worden.
Die Klägerin hat beantragt,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der klägerischen Partei durch die schriftliche
Kündigung der beklagten Partei zu Ziff. 1 vom 29.03.2004, zugegangen am 30.03.2004,
zum 30.06.2004 nicht aufgelöst worden ist;
2. festzustellen, dass zwischen der Klägerin und der beklagten Partei zu Ziff. 2 zu den
bisherigen Arbeitsbedingungen ein Arbeitsverhältnis besteht;
3. die beklagte Partei zu Ziff. 2 zu verurteilen, die klägerische Partei zu den bisherige
Arbeitsbedingungen als Mediengestalterin weiterzubeschäftigen;
4. hilfsweise die beklagte Partei zu Ziff. 2 zu verurteilen, die Klägerin zu den bisherigen
Arbeitsbedingungen als Mediengestalterin zum 01.05.2004 wieder einzustellen und zu
beschäftigen und in den Abschluss eines Arbeitsvertrages zu den bisherigen Bedingungen
des Arbeitsverhältnisses zum Beklagten zu Ziff. 1 einzuwilligen;
5. die beklagte Partei zu Ziff. 1 zu verurteilen, an die Klägerin 45,70 € (brutto) zzgl. 5 % Zinsen
über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2004 zu zahlen;
6. die beklagte Partei zu Ziff. 1 zu verurteilen, an die Klägerin 82,02 € (brutto) zzgl. 5 % Zinsen
über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2003 zu zahlen;
7. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an die Klägerin insgesamt 325,17 €
(brutto) zzgl. 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 108,39 € seit dem
01.06.2003 sowie zzgl. 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 108,39 €
seit dem 01.07.2003 zu zahlen;
8. hilfsweise für den Fall der Abweisung der Anträge zu 1, 3 und 4 den Beklagten zu Ziff. 1 zu
verurteilen, an die Klägerin 1.416,96 € (brutto) zzgl. 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz
seit dem 01.07.2004 zu zahlen;
9. hilfsweise für den Fall der Abweisung der Anträge 1, 3 und 4 den Beklagten zu Ziff. 1 zu
verurteilen, an die Klägerin als Abfindung ohne die Beschränkung des § 123 InsO als
Masseschuld einen Betrag von 4 x 2.833,96 € (brutto) zzgl. 5 % Zinsen über dem
Basiszinssatz seit dem 01.07.2004 zu zahlen.
Die Beklagte hat unter Anerkennung der Anträge zu Ziff. 5 und 6 sowie des hilfsweise
gestellten Antrags zu Ziff. 8 beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen und insbesondere auch den
geltend gemachten Abfindungsanspruch der Klägerin nicht zuerkannt mit der Begründung,
es handele sich um eine einfache Insolvenzforderung, die vor Eröffnung des
Insolvenzverfahrens begründet worden ist. Hiergegen richtet sich – soweit für das
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Berufungsverfahren noch von Interesse – die Berufung der Klägerin. Die Klägerin hat die
ursprünglich auch auf Weiterverfolgung der Anträge auf Feststellung und Wiedereinstellung
gerichtete Berufung im Termin vom 28.04.2005 zurückgenommen und zuletzt beantragt,
den Beklagten zu Ziff. 1 zu verurteilen, der Klägerin eine Abfindung ohne die
Beschränkung des § 123 InsO als Masseschuld in Höhe von 11.335,84 € (brutto) zzgl. 5 %
Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2004 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten
Schriftsätze sowie auf den sonstigen Akteninhalt ergänzend Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die nach dem Beschwerdewert an sich statthafte Berufung der Klägerin ist in gesetzlicher
Form und Frist eingelegt und begründet worden, sie ist damit zulässig. Sie hat jedoch in der
Sache keinen Erfolg.
Nach der Berufungsrücknahme der Klägerin hinsichtlich der ursprünglich verfolgten
Anträge auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung, Weiterbeschäftigung und
Wiedereinstellung steht fest, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 30.06.2004
aufgrund fristgerechter Kündigung des Beklagten zu 1) beendet worden ist. Es geht daher
nur noch um die Frage, ob der Klägerin der tarifvertragliche Abfindungsanspruch als
Masseforderung ohne die Beschränkung des § 123 InsO zusteht oder ob dieser Anspruch
lediglich eine einfache Konkursforderung darstellt, die als solche zur Konkurstabelle
anzumelden ist. Das Berufungsgericht folgt der letzteren Auffassung in Übereinstimmung
mit der angefochtenen Entscheidung und begründet dies mit folgenden Überlegungen:
1.
Gem. § 55 Abs. 1 Ziff. 1 InsO sind u. a. Masseverbindlichkeiten die Verbindlichkeiten, die "
durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung,
Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten
des Insolvenzverfahrens zu gehören", ferner nach Ziff. 2 Verbindlichkeiten "aus
gegenseitigen Verträgen, soweit deren Erfüllung zur Insolvenzmasse verlangt wird oder für
die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss".
Im vorliegenden Fall ist die Verpflichtung zur Zahlung einer Abfindung aus einem vor
Insolvenzeröffnung abgeschlossenen Tarifvertrag keine Forderung aus einem
gegenseitigen Vertrag, die für die Zeit nach Insolvenzeröffnung zu erfolgen hat. Denn deren
Gewährungung erfolgt, wie sich schon aus der Differenzierung der Abfindungshöhe nach
der Dauer der Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers ergibt, nicht als Gegenleistung für
die
vom Arbeitnehmer nach Insolvenzeröffnung geleisteten Dienste. Die Rechtsprechung zur
Einordnung von Ansprüchen des Arbeitnehmers auf nach Eröffnung des
Konkursverfahrens fällige Ansprüche aus Annahmeverzug (BAG AP-Nr. 9 zu § 60 KO) oder
auf die Einordnung von Ansprüchen aus einem Altersteilzeitvertrag, soweit sie sich auf
Zeiträume nach Insolvenzeröffnung beziehen (LAG Düsseldorf, Urt. v. 17.09.2003 – 4 (8)
Sa 686/03 -) ist daher auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar.
Es handelt sich aber auch nicht um einen durch eine Handlung des Konkursverwalters
begründeten Anspruch, auch wenn der vor Insolvenz begründete Anspruch erst durch die
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vom Konkursverwalter ausgesprochene Kündigung ausgelöst worden ist. Der vorliegende
Fall ist zwar nicht vergleichbar mit dem der Entscheidung des LAG Düsseldorf vom
30.08.1978 zugrundeliegenden Sachverhalt, in dem der Anspruch des Klägers bereits
durch eine vor Eröffnung des Konkursverfahrens ausgesprochene Kündigung der
Gemeinschuldnerin ausgelöst worden war (vgl. LAG Düsseldorf Beschl. v. 30.08.1978 - 6
(7) Sa 312/78 = DB 1979, S. 216). Es handelt sich jedoch um einen tariflichen oder
einzelvertraglichen Anspruch, der bereits vor Verfahrenseröffnung begründet wurde und
daher als zum Zeitpunkt der Eröffnung bedingte entstandener Anspruch nicht zu einer
Masseschuld werden kann (überwiegende Meinung, vgl. Kuhn/Uhlenbruck, § 59 InsO Rdn.
12; MK/ Hefermehl § 55 InsO, Rdn. 181; Gottwald/Heinze, InsO, 2. Aufl., § 105, Rdn. 38,
39).
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist der vorliegende Fall mit den Fällen, in denen das
Verhalten des Insolvenzverwalters Ansprüche auf Nachteilsausgleich nach § 113 BetrVG
auslöst (vgl. BAG v. 11.12.2001 – 9 AZR 459/00 = AP-Nr. 1 zu § 209 InsO; BAG v.
22.07.2003 – 1 AZR 541/02 = AP-Nr. 42 zu § 113 BetrVG 1972) nicht gleichzustellen. Denn
der Forderungsgrund und die Höhe der Forderung ergeben sich hier nicht aus der
Handlung des Konkursverwalters, sondern aus einer bereits vor Konkurseröffnung
vorliegenden Vereinbarung und Verpflichtung. Das Arbeitsgericht hat insoweit zutreffend
darauf hingewiesen, dass eine Einordnung der vertraglich oder tarifvertraglich begründeten
Abfindungsforderung als Masseschuld dem Äquivalenzprinzip widersprechen würde,
welches der Bestimmung des § 55 zugrunde liegt. Danach besteht ein Anspruch auf
bevorzugte Befriedigung des Insolvenzgläubigers nur dann, wenn eine Gegenleistung in
die Masse fließt. Die "Beendigung" des Arbeitsverhältnisses durch eine vom Arbeitnehmer
akzeptierte Kündigung ist keine Gegenleistung in diesem Sinne, wie schon aus der
Begrenzung der Abfindungsansprüche für den Fall der Beendigung des
Arbeitsverhältnisses in § 123 InsO folgt.
Die Berufung musste nach alledem mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückgewiesen
werden.
RECHTSMITTELBELEHRUNG
Gegen dieses Urteil kann
R E V I S I O N
eingelegt werden.
Die Revision muss
innerhalb einer Notfrist* von einem Monat
schriftlich beim
Bundesarbeitsgericht
Hugo-Preuß-Platz 1
99084 Erfurt
Fax: (0361) 2636 - 2000
eingelegt werden.
Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils,
spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
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Die Revisionsschrift muss von einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen
Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
(Rietschel) (Knörrchen) (Kroll)