Urteil des LAG Köln vom 29.04.2010

LArbG Köln (klage auf zahlung, arbeitsverhältnis, juristische person, richtlinie, abgeltung, eugh, arbeitnehmer, kopie, urlaub, arbeitsunfähigkeit)

Landesarbeitsgericht Köln, 6 Sa 103/10
Datum:
29.04.2010
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
6. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 Sa 103/10
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Aachen, 4 Ca 4567/08
Schlagworte:
Urlaub; Abgeltung; Arbeitsunfähigkeit; Ruhen des Arbeitsverhältnisses
Normen:
§ 7 Abs. 4 BUrlG; §§ 26, 33 TV-L§ 7 Abs. 4 BUrlG; §§ 26, 33 TV-L
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
1. Ein ruhendes Arbeitsverhältnis generiert keinen Urlaub.
2. Daher verstößt eine tarifliche Kürzungsregelung, die den
Erholungsurlaub des Arbeitnehmers für die Zeit des Ruhens nach dem
sog. Zwölftelungsprinzip kürzt (hier: § 26 Abs. 2 TV-L) auch nicht gegen
Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG in der Auslegung, die er durch die
Rechtsprechung des EuGH ("Schulz-Hoff") erfahren hat.
Tenor:
1. Die Berufung der Klägerin gegen das am 22.12.2009 verkündete
Urteil des Arbeitsgerichts Aachen
– 4 Ca 4567/08 – wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung.
3. Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d
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Die Parteien streiten über eine Urlaubsabgeltung für die Zeit des ruhenden
Arbeitsverhältnisses.
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Die Klägerin war von 1974 zunächst zur Ausbildung und ab 1977 bis 31.12.2008 bei der
Beklagten als Krankenschwester beschäftigt. Hierüber verhält sich ein
Einstellungsschreiben vom 29.02.1977 (Kopie Bl. 139 d. A.), wonach auf das
Arbeitsverhältnis der BAT und die diesen ergänzenden oder ändernden Tarifverträge in
der jeweils geltenden Fassung Anwendung finden.
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Seit Oktober 2006 war die Klägerin krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Mit Bescheid
22.06.2007 (Kopie Bl. 38 ff. d. A.) wurde ihr eine Rente wegen voller Erwerbsminderung
für die Zeit vom 01.05.2007 bis zum 31.12.2008 bewilligt.
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Durch Teilvergleich vom 08.12.2009 (Bl. 84 f. d. A.) einigten sich die Parteien auf die
Zahlung einer Urlaubabgeltung für die Zeit bis zum 30.04.2007 in Höhe von 4.540,90 €
brutto.
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Durch Urteil vom 22.12.2009 hat das Arbeitsgericht die weitergehende Klage auf
Zahlung von weiteren 5.464,05 € brutto Urlaubsabgeltung für die Zeit bis zur
Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt,
während des ruhenden Arbeitsverhältnisses entstünden nach § 26 Abs. 2 c TVöD keine
Urlaubsansprüche, sodass auch keine Abgeltung in Betracht komme. Die Regelung
verstoße auch nicht gegen europarechtliche Grundsätze.
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Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihre Urlaubsabgeltungsansprüche für die Zeit
des Bezugs der befristeten Erwerbsminderungsrente weiter. Sie meint zunächst, das
Ruhen des Arbeitsverhältnisses sei gemäß dem Schreiben der Beklagten vom
29.06.2007 (Kopie Bl. 13 d. A.) erst zum 01.07.2007 eingetreten, sodass jedenfalls eine
Abgeltung des Urlaubs für die Zeit vom 01.05.2007 bis zum 30.06.2007 vorzunehmen
sei. Im Übrigen
das Urteil des EuGH vom 20.01.2009 (C-350/06 "Schulz-Hoff") und das anschließende
Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 24.03.2009 (9 AZR 983/07) auch auf die
vorliegende Fallkonstellation anzuwenden seien. Entscheidend sei, dass sie, die
Klägerin, unverschuldet ihren Urlaub nicht mehr habe nehmen können, weil ihre
Erkrankung zu einer vollen Erwerbsminderung geführt habe.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Aachen vom
22.12.2009 – 4 Ca 4567/08 – zu verurteilen, an sie 5.464,05 € brutto nebst
Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
02.02.2009 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie ist der Ansicht, der bereits entschiedene Fall des Urlaubsanspruchs bei Krankheit
des Arbeitnehmers sei mit dem ruhenden Arbeitsverhältnis nicht vergleichbar. Durch
das Ruhen entfielen die beiderseitigen Hauptleistungspflichten. Diese Änderung sei
durch den Antrag auf Erwerbsminderungsrente bewusst von der Arbeitnehmerin
herbeigeführt worden. Es liege – anders als im Fall der Arbeitsunfähigkeit – keine
Leistungsstörung vor. Sinn und Zweck des Ruhens sei vielmehr, dass keine
Arbeitsleistung mehr erbracht werde. Gegen die Wirksamkeit des § 26 Abs. 2 c TVöD
bestünden daher keine Bedenken. Vergleichbare Regelungen seien vielfach in
Tarifverträgen, aber auch im Gesetz, z. B. in § 17 BEEG, enthalten.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes haben die Parteien auf
die von ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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I. Die Berufung der Klägerin ist zwar zulässig, war sie statthaft (§ 64 Abs. 1, 2
ArbGG) und frist– sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66
Abs. 1, 64 Abs. 6 S.1 ArbGG, 519, 520 ZPO).
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II. In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg.
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Das Arbeitsgericht hat die Klage auf eine weitergehende Urlaubsabgeltung für die Zeit
des ruhenden Arbeitsverhältnisses im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Ein nach § 7
Abs. 4 BUrlG abgeltungsfähiger Urlaubsanspruch ist in dem ruhenden Arbeitsverhältnis
nach Maßgabe der §§ 26 Abs. 2 c, 33 Abs. 2 S. 6 TV-L nicht entstanden. Der
Wirksamkeit dieser Regelung stehen Artikel 7 der Richtlinie 2003/88/EG und die dazu
ergangene Rechtsprechung des EuGH nicht entgegen. Im Einzelnen gilt folgendes:
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1. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet jedenfalls kraft arbeitsvertraglicher
Inbezugnahme nach der Ablösung des BAT der diesen ersetzende TV-L
Anwendung. Nach dem Schreiben der Beklagten vom 29.06.2007 (Kopie Bl. 13 d.
A.) kann davon ausgegangen werden, dass die Beklagte in den Geltungsbereich
des TV-L und nicht des TVöD fällt. Sie selbst wendet ihn auf das Arbeitsverhältnis
als Nachfolgeregelung des BAT an.
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2. Nach § 26 Abs. 2 c TV-L vermindert sich die Dauer des Erholungsurlaubs
einschließlich eines etwaigen tariflichen Zusatzurlaubs für jeden Kalendermonat
um 1/12, wenn das Arbeitsverhältnis ruht. Dieser Fall tritt nach § 33 Abs. 2 S. 6 TV-
L unter anderem dann ein, wenn nach dem Bescheid des
Rentenversicherungsträgers eine Rente auf Zeit gewährt wird. Das
Arbeitsverhältnis ruht für den Bewilligungszeitraum. Das war hier gemäß dem
Rentenbescheid vom 22.06.2007 der Zeitraum vom 01.05.2007 bis zum
31.12.2008.
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Die Rechtsfolge des Ruhens ergibt sich unmittelbar aufgrund der tariflichen Regelung
bei Vorliegen der entsprechenden tatbestandlichen Voraussetzungen. Einer
besonderen Willenserklärung seitens des Arbeitgebers bedarf es nicht. Auf den
unzutreffenden Hinweis der Beklagten im Schreiben vom 29.06.2007, das
Arbeitsverhältnis ruhe "daher" für die Zeit vom 01.07.2007 bis zum 31.12.2008, kommt
es insoweit nicht an. Ihm lässt sich insbesondere keine Zusage dahin entnehmen, man
wolle das Ruhen des Arbeitsverhältnisses abweichend vom Tarifvertrag erst ab dem
01.07.2007 beginnen lassen. Ein Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst muss
grundsätzlich davon ausgehen, dass ihm der Arbeitgeber nur die Leistungen gewähren
will, zu denen er rechtlich verpflichtet ist (vgl. nur BAG vom 14.01.2004 – 10 AZR
251/03, juris, m.w.N.). Die ausdrückliche Zitierung des § 33 Abs. 2 TV-L durch die
Beklagte lässt erkennen, dass sie lediglich den Tarifvertrag anwenden wollte. Wenn sie
dabei irrtümlich ein falsches Datum für den Beginn des Ruhenszeitraums nannte, so ist
dies unschädlich, weil sich die zutreffende Rechtsfolge ohne weiteres aus dem
Tarifvertrag ergab.
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3. Die tarifliche Regelung kollidiert jedenfalls in dem hier vorliegenden Fall, dass das
Ruhen in der ersten Jahreshälfte eintritt, auch nicht mit der gesetzlichen Regelung
des § 5 Abs. 1 BurlG. Daher kann dahinstehen, ob sich aus dieser Vorschrift
Grenzen für tarifliche Urlaubskürzungen ergeben (vgl. zu dieser Problematik
Sponer/Steinherr, TVöD/TV-L – Gesamtkommentar, § 26 TV-L Rz. 170 mit
Hinweis auf BAG vom 24.10.1989 – 8 AZR 253/88; Fieberg, NZA 2009, 929, 933).
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4. Die tarifliche Kürzungsregelung verstößt schließlich nicht gegen Artikel 7 der
Richtlinie 2003/88/EG in der Auslegung, die er durch die Rechtsprechung des
EUGH in der Entscheidung vom 20.01.2009 (C – 350/06 und C 520/06 "Schulz-
Hoff", EZA EG – Vertrag 1999 RL 2003/88 Nr. 1) erfahren hat. Artikel 7 Abs. 1 der
Richtlinie steht einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten
entgegen, nach denen der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub bei Ablauf des
Bezugszeitraums und/oder eines im nationalen Recht festgelegten
Übertragungszeitraums auch dann erlischt, wenn der Arbeitnehmer während des
gesamten Bezugszeitraums oder eines Teils davon krankgeschrieben war und
seine Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses fortbestand,
weshalb er seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht ausüben konnte.
Artikel 7 Abs. 2 der Richtlinie verbietet auch Rechtsvorschriften, nach denen für
nicht genommenen Jahresurlaub am Ende des Arbeitsverhältnisses keine
finanzielle Vergütung gezahlt wird, wenn der Arbeitnehmer während des
gesamten Bezugszeitraums und/oder Übertragungszeitraums oder eines Teils
davon krankgeschrieben bzw. im Krankheitsurlaub war und deshalb seinen
Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht ausüben konnte. In Anwendung dieser
Grundsätze ist § 7 Abs. 3 und Abs. 4 BUrlG richtlinienkonform so zu interpretieren,
dass gesetzliche Urlaubsabgeltungsansprüche nicht erlöschen, wenn
Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des
Übertragungszeitraums erkrankt und deswegen arbeitsunfähig sind (BAG vom
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24.03.2009 – 9 AZR 983/07, juris, Rz. 59).
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Hier geht es jedoch nicht um das Erlöschen von Urlaubs- bzw.
Urlaubsabgeltungsansprüchen im Fall längerfristiger Erkrankung, sondern um das
Nichtentstehen von Urlaubsansprüchen im Fall des Ruhens eines Arbeitsverhältnisses.
Zwischen beiden Fallgestaltungen besteht ein erheblicher Unterschied: Während die
krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis
unberührt lässt und eine Leistungsstörung bewirkt, wird das Arbeitsverhältnis beim
Ruhen inhaltlich umgestaltet und besteht nur mehr als Rahmen unter Suspendierung
der beiderseitigen Hauptleistungspflichten fort. Es ist gerade der Zweck des
umgestalteten Vertrages - bei der Erwerbsminderungsrente sogar auf Antrag des
Arbeitnehmers -, dass keine Arbeit geleistet wird. Sind aber Arbeitsleistung und
Vergütung von vorneherein ausgeschlossen, so fehlt es an einem Austauschverhältnis,
aus dem Urlaubsansprüche erwachsen können. Ein ruhendes Arbeitsverhältnis
generiert keinen Urlaub (vgl. Fieberg, NZA 2009, 929, 935). Dieser Grundsatz hat auch
in den spezialgesetzlichen Kürzungsregelungen des § 4 Abs. 1 ArbPlSchG und § 17
Abs. 1 BEEG seinen besonderen Ausdruck gefunden. Mit Rücksicht darauf kann auch
einer tariflichen Regelung wie der des § 26 Abs. 2 c TV-L, die grundsätzlich die
Unabhängigkeit des Urlaubsanspruchs von der Arbeitsleistung berücksichtigt und nur
für die Zeit des Ruhens nach dem Zwölftelungsprinzip kürzt, die Wirksamkeit nicht
versagt werden. Sie erfasst zulässigerweise auch den gesetzlichen Urlaubsanspruch
(zutreffend Fieberg, NZA 2009, 929, 935).
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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IV. Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung
der Rechtssache zuzulassen.
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RECHTSMITTELBELEHRUNG
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Gegen dieses Urteil kann von
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R E V I S I O N
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eingelegt werden.
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Die Revision muss
innerhalb einer Notfrist* von einem Monat
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Bundesarbeitsgericht
39
Hugo-Preuß-Platz 1
40
99084 Erfurt
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Fax: 0361 2636 2000
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eingelegt werden.
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Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils,
spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
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Die Revisionsschrift
muss
Bevollmächtigte
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1. Rechtsanwälte,
2. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse
solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder
Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
3. juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer
der in Nr. 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person
ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder dieser
Organisation oder eines anderen Verbandes oder Zusammenschlusses mit
vergleichbarer Ausrichtung entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die
Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
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In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Revisionsschrift
unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.
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Eine Partei die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
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* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
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Dr. Kalb Elsen Pelzer
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