Urteil des LAG Köln vom 05.12.2005

LArbG Köln: krasses missverhältnis, steigerung, mehrbelastung, anteil, eingriff, aktiven, zukunft, gegenleistung, datum, arbeitsgericht

Landesarbeitsgericht Köln, 11 Sa 1590/04
Datum:
05.12.2005
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
11.Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 Sa 1590/04
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Köln, 5 Ca 8968/04
Schlagworte:
Altersversorgung, Gesamtversorgung, Wegfall der Geschäftsgrundlage
Normen:
§ 313 BGB
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Mit einer Gesamtversorgungszusage übernimmt der Arbeitgeber grds.
das Risi-ko, dass sich in Zukunft die Berechnungsgrundlagen für die
Altersversorgung - insbesondere die Steigerung der
Sozialversicherungsrente - anders entwickelt, als es im Zeitpunkt der
Zusage absehbar war. Nach Abgabe eines solchen Ge-
samtversorgungsversprechens kann sich der Arbeitgeber deshalb nur in
kras-sen Ausnahmefällen auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage
berufen.
Tenor:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeits-gerichts
Köln vom 12.11.2004 – 5 Ca 8968/04 – wird kos-tenpflichtig
zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d :
1
Die Parteien streiten um die Höhe der vom Beklagten zu zahlenden Betriebsrente.
2
Der am 05.05.1940 geborene Kläger war seit dem 03.01.1973 bis zum 30.06.1999 bei
der Beklagten bzw. ihren Rechtsvorgängern beschäftigt. Seit dem Jahr 1999 erhält er
eine Betriebsrente von der Beklagten.
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Grundlage der betrieblichen Altersversorgung ist eine Betriebsvereinbarung vom
25.06.1976, geändert durch die Betriebsvereinbarungen vom 04.06.1993 und vom
17.11.1995. Es handelt sich um eine sogenannte Gesamtversorgung. Der
Ruhegehaltsanspruch beträgt nach zehnjähriger anrechnungsfähiger Dienstzeit 35 %
der ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge und steigt mit jedem weiteren Dienstjahr bis zum
Höchstsatz von 75 %. Auf den in dieser Weise berechneten Versorgungsbetrag wurde
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die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung angerechnet. Der nach der
Erstfestsetzung geschuldete monatliche Betrag wurde von der Beklagten jährlich
dynamisiert nach Maßgabe der ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge der Beamten des
Landes NRW gemäß LBO NW. Hieraus wurde für jeden Arbeitnehmer der Betrag der
Gesamtversorgung jährlich neu berechnet. Auf den dadurch berechneten
Gesamtversorgungsbetrag wurde der anrechnungsfähige Teil der aktuellen
Sozialversicherungsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung angerechnet. Seit
dem 01.04.2004 weicht die Beklagte von dieser Art der Dynamisierung ab mit dem Ziel,
die Entwicklung der zu zahlenden Betriebsrente von der Entwicklung der
Sozialversicherungsrente abzukoppeln. Der auf der Grundlage der
Gesamtrentenfortschreibung im Jahre 2003 für den jeweiligen Versorgungsempfänger
berechnete und von dem Beklagten geschuldete Versorgungsbetrag (Differenz
zwischen Gesamtversorgung und Sozialversicherungsrente zum Stichtag), wurde als
Nominalbetrag zugrunde gelegt und ab dem Jahre 2004 ausschließlich nach der
Maßgabe der LBO dynamisiert. Eine Berücksichtigung der Veränderungen der
Sozialversicherungsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfolgt seither für
den monatlichen Versorgungsbezug und die Sonderzuwendung nicht mehr. Die
Differenz zwischen beiden Berechnungsmethoden beträgt für den Kläger 14,44 EUR.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dass der einseitige Eingriff der Beklagten in die
Versorgungsansprüche aus Rechtsgründen nicht zulässig sei.
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Der Kläger hat beantragt,
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1. die Beklage zu verurteilen, an ihn 75,25 EUR brutto nebst 5 % Zinsen über
dem Basiszinssatz ab dem 14.09.2004 zu zahlen;
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2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn beginnend ab dem 01.09.2004 über die
bislang gezahlten monatlichen Versorgungsbezüge in Höhe von 1.177,46 EUR
hinaus weitere 14,44 EUR brutto monatlich, insgesamt also Versorgungsbezüge
in Höhe von 1.191,90 EUR brutto monatlich zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klagen abzuweisen.
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Die Beklagte hat sich auf den Standpunkt gestellt, sie sei unter dem Gesichtspunkt des
Wegfalls der Geschäftsgrundlage berechtigt gewesen, die bisherige
Gesamtrentenfortschreibung durch ein anderes Dynamisierungsverfahren zu ersetzen.
Die Sozialversicherungsrenten hätten sich in Folge rentenrechtlicher Änderungen
wesentlich langsamer erhöhten als die Beamtenbesoldung. Dadurch steige die
Betriebsrente schneller an als dies im Zeitpunkt der Erteilung der Versorgungszusagen
habe erwartet werden können. Dieser Trend werde durch das RV-Nachhaltigkeitsgesetz
noch wesentlich verstärkt. Die Belastung für das Unternehmen erhöhe sich dadurch in
einer Weise, die nicht zumutbar sei. Leistung und Gegenleistung stünden in keinem
ausgewogenen Verhältnis mehr. Überschlägig geschätzt könnten die
sozialversicherungsrechtlichen Änderungen, insbesondere durch das RV-
Nachhaltigkeitsgesetz, zu einer Erhöhung des Betriebsrentenbarwerts um 16 % führen.
Die Beklagte hat sich hierzu erstinstanzlich auf ein Gutachten der Dr. Dr. H aus dem
Monat November 2003 berufen, auf dessen Einzelheiten Bezug genommen wird. Die
Beklagte hat weiter die Ansicht vertreten, die Geschäftsgrundlage sei auch deshalb
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gestört, da dass Einkommen der aktiven Beschäftigten inzwischen wesentlich geringer
steige als die zu zahlenden Betriebsrenten. Die gesetzlichen Änderungen bei den
Sozialversicherungsrenten seien auch nicht vorhersehbar gewesen. Es sei ihm, dem
Beklagten, auch nicht zuzumuten abzuwarten, bis sich die Nachteile aus dem
fortschreitenden Auseinanderlaufen von Brutto-Besoldung und
Sozialversicherungsrenten voll realisierten.
Das Arbeitsgerichts Köln hat mit Urteil vom 12.11.2004 der Klage stattgegeben mit der
Begründung, aus den Darlegungen der Beklagten ergebe sich keine Störung der
Geschäftsgrundlage.
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Gegen das ihr am 29.11.2004 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 17.12.2004
Berufung eingelegt, die - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist – am
25.02.2004 begründet worden ist.
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Die Beklagte hält an ihrer Auffassung fest, dass der Eingriff in die Dynamisierung der
laufenden Betriebsrenten unter dem Gesichtspunkt des Wegfalls der
Geschäftsgrundlage gerechtfertigt sei. Aus den gesetzgeberischen Eingriffen in die
Sozialversicherungsrente resultiere eine Mehrbelastung, die zu einer Äquivalenzstörung
geführt habe: Das Verhältnis der Leistung der Kläger (Betriebstreue) zu der
Gegenleistung "Betriebsrente" sei nicht mehr gleichwertig. Der Beklagte beruft sich in
zweiter Instanz nunmehr auf ein Gutachten der Dr. Dr. H von Dezember 2004, auf
dessen Einzelheiten ebenfalls Bezug genommen wird. Aus dem Gutachten ergebe sich,
dass durch gesetzgeberische Eingriffe in die Sozialversicherungsrente, bezogen auf
den Personenkreis aller einschlägigen Betriebsrentenempfänger am Stichtag
31.12.2003, Mehrbelastungen in Höhe von 32,8 % entstanden seien. Aufgrund des
sozialversicherungsrechtlichen Ist-Zustands am 31.12.2003 sei sie um 32,8 % höher
belastet im Vergleich zu demjenigen Zustand, der sich am selben Stichtag ergeben
hätte, wenn die bei Erteilung der Versorgungszusage an die jeweiligen Betriebsrentner
gegebenen sozialversicherungsrechtlichen Rahmenbedingungen unverändert Bestand
gehabt hätten. Zusätzlich ergebe sich, wie dem Gutachten ebenfalls zu entnehmen sei,
für die Zeit ab Anfang 2004, auf die Zukunft hochgerechnet, eine zusätzliche
Mehrbelastung in Höhe von 11,5 %. Schließlich führe die sogenannte Nullrunde bei der
Sozialversicherungsrente im Jahre 2004 zu einer weiteren Belastung in Höhe von
1,74 %. Insgesamt ergebe sich somit eine Mehrbelastung im Umfang von 46,04 %.
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Die Beklagte meint, außerdem sei auch eine Zweckverfehlung der ursprünglichen
Versorgungszusage eingetreten, denn die gesetzlichen Eingriffe in das
Sozialversicherungsrecht hätten dazu geführt, dass die Brutto-Betriebsrente (Differenz
zwischen Gesamtversorgung und Sozialversicherungsrente) nunmehr weit stärker
steige als die Brutto-Vergütung der aktiven Mitarbeiter. Der Zweck der
Versorgungszusage sei geprägt gewesen von der Vorstellung, dass sich die Steigerung
der Bruttobelastung durch die Zahlung der Betriebsrenten im Gleichlauf bewege mit der
Steigerung der Bruttobelastung durch die Zahlung der Aktivenbezüge. Dieser Zweck sei
durch die sinkenden Sozialversicherungsrenten verfehlt.
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Der vorgenommene Eingriff in die Dynamisierung sei auch maßvoll und angemessen.
Er führe nicht zu einer Rentenminderung, sondern nur zu einem "weniger an Mehr".
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Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 12.11.2004 – 5 Ca 8968/04 -
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,
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die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
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Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil und erwidert mit Rechtsausführungen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen
wird auf die Berufungsbegründungsschrift, die Berufungsbeantwortungsschrift und auf
den Schriftsatz der Beklagten vom 08.08.2005 sowie deren Anlagen. Insbesondere wird
auf die vom Beklagten erstinstanzlich zur Akte gereichte Anlage B 10 (Bl. 120 ff d. A.)
Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG)
und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64
Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 Abs. 3 ZPO).
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II. Die Berufung der Beklagten konnte aber keinen Erfolg haben. Das Arbeitsgericht Köln
hat zu Recht entschieden, dass die Betriebsrente auch über den 01.04.2004 hinaus
nach der zuvor geltenden Dynamisierungsformel anzupassen ist. Der mit Wirkung zum
01.04.2004 erfolgte Eingriff des Beklagten in die laufenden
Gesamtversorgungsbetriebsrenten ist rechtswidrig. Die erkennende Kammer schließt
sich den ausführlichen und zutreffenden Erwägungen der 7. Kammer des
Landesarbeitsgerichts Köln im Urteil vom 03.08.2005 - 7 (9) Sa 1589/04 – an, die einen
gleich gelagerten Sachverhalt betrafen. Für den hier konkret zu entscheidenden Fall
werden die Erwägungen, auf denen die vorliegende Entscheidung beruht, wie folgt
zusammengefasst und teilweise vertieft.
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Die Beklagte kann sich nicht auf eine Störung der Geschäftsgrundlage berufen. Gemäß
§ 313 Abs. 1 BGB liegt eine solche Störung der Geschäftsgrundlage vor, wenn sich
Umstände, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind, nach Vertragsschluss
schwerwiegend verändert haben und die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem
Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten. So kann
die Änderung der Umstände zu einer Verfehlung des ursprünglichen Zwecks führen
oder zu einer gravierenden Störung des Austauschverhältnisses. Vorliegend kann sich
die Beklagte weder auf eine Zweckverfehlung noch auf eine Äquivalenzstörung berufen.
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1. Die Beklagte hat als Zweck der Gesamtversorgungszusage den angestrebten
Gleichlauf genannt zwischen der Vergütungssteigerung bei den aktiven Beschäftigten
einerseits und der Betriebsrentenerhöhung bei den Versorgungsberechtigten
andererseits. Wie es dazu gekommen sein soll, dass dieser "Gleichlauf der
Steigerungsraten" zum zentralen Zweck eines Rentenversprechens wird, ergibt sich aus
den Darlegungen der Beklagten nicht. Regelmäßig ist der Zweck einer dynamisierten
Gesamtversorgungszusage gerade der, den Versorgungsempfängern den
Lebensstandard zu sichern, den sie als aktive Arbeitnehmer erworben haben (BAG
Urteil vom 28.07.1998 – 3 AZR 100/98 – AP Nr. zu § 1 BetrAVG Überversorgung),
indem eine feste Relation hergestellt wird zwischen der Gesamtrente
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(Sozialversicherungsrente + Betriebsrente) und den Bezügen der aktiv Beschäftigten.
Dazu gehört, dass Schwankungen der Sozialversicherungsrente durch die zu zahlende
Betriebsrente ausgeglichen werden. Solche Schwankungen können daher nicht zur
Verfehlung des Zwecks führen, sondern vielmehr zu seiner Erfüllung.
2. Auch eine Äquivalenzstörung ist nicht ersichtlich. Sie ergibt sich weder aus den
Darlegungen der Beklagten noch aus den vorgelegten Gutachten.
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a. Eine Anwendung des § 313 BGB wegen einer Äquivanlenzstörung scheidet
vorliegend schon dem Grunde nach aus, weil die Beklagte vertraglich gerade das Risiko
einer solchen Störung übernommen hat (vgl. BGH Urteil vom 16. Februar 2000 - XII ZR
279/97 - NJW 2000, 1714 ff unter II 3 der Gründe.; Palandt/Heinrichs, § 313 BGB
Rdnr. 15). Das Versprechen einer Gesamtversorgung ist nur dann sinnvoll, wenn die
Parteien von schwankenden Bezugsgrößen ausgehen. Tun sie dies nicht, ist kein
Grund ersichtlich, wieso nicht eine starre Steigerung der Betriebsrente vereinbart wurde,
die sowohl rechnerisch als auch ökonomisch einfacher zu handhaben gewesen wäre.
Mit ihrem Versorgungsversprechen hat die Beklagte zugesagt, die Lücke zwischen zwei
voneinander unabhängigen dynamischen Größen (Beamtenbesoldung /
Sozialversicherungsrente) zu schließen. Wird diese Lücke größer als ursprünglich
angenommen, verwirklicht sich das vertraglich abgesicherte Risiko (vgl. BAG Urteil vom
09.07.1985 - 3 AZR 546/82 - AP Nr. 6 zu § 1 BetrAVG Ablösung; Hanau/Preis, Der
Übergang von der Gesamtversorgung zu einer von der Sozialversicherung
abgekoppelten Betriebsrente, RdA 1988, 65, 83). Von einer gestörten
Geschäftsgrundlage kann dann keine Rede sein (BAG Urteil vom 22.02.2000, AP Nr. 13
zu § 1 BetrAVG Beamtenversorgung unter B IV 3 b der Gründe). Auch erhebliche
Kostensteigerungen führen in einem solchen Fall grundsätzlich nicht zur Anwendung
des § 313 BGB (OLG München, Urteil vom 22.09.1983 - 24 U 893/82 - DB 83, 2619;
Palandt/Heinrichs, § 313 BGB Rdnr. 15).
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b. Tatsachen, die eine Ausnahme von dem vorgenannten Grundsatz rechtfertigen, sind
nicht ersichtlich. Solche kämen nur in Betracht, wenn durch Umstände außerhalb des
Einfluss- und Risikobereichs des Schuldners ein so krasses Missverhältnis zwischen
Leistung und Gegenleistung entsteht, dass ein Festhalten am unveränderten Vertrag
nicht mehr zumutbar ist (BGH Urteil vom 30.01.1956 - II ZR 168/54 - BB 56, 254;
Palandt/Heinrichs, § 313 BGB Rdnr. 39) und wenn dadurch die Sachlage der
wirtschaftlichen Unmöglichkeit im Sinne der früheren Zivilrechtsprechung nahe kommt
(Palandt/Heinrichs, a.a.O.). Solche Ausnahmefälle wurden z. B. angenommen bei einem
unvorhergesehenen Ansteigen der Herstellungskosten einer Ware auf das 15-fache,
bzw. um 60 % (Unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des Reichsgerichts:
Palandt/Heinrichs, § 313 BGB Rdnr. 39).
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Vorliegend ergibt sich aus den Darlegungen der Beklagten kein solches krasses
Missverhältnis.
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(1) Das vom Beklagten in der Berufungsinstanz vorgelegte Gutachten von Dezember
2004 ist nicht geeignet, eine derartige Äquivalenzstörung zu belegen, denn es
beschränkt sich auf die Betrachtung der Sozialversicherungsrente. Dies ist nach
Auffassung des Berufungsgerichts methodisch unzulässig. Die Beklagte möchte zwei
Situationen miteinander vergleichen, nämlich zum einen die tatsächliche Belastung, wie
sie sich im Jahre 2003 durch die Rentenverbindlichkeiten tatsächlich für sie darstellt,
und zweitens die Situation, die im Zeitpunkt der Versorgungszusage, spätestens bei
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Abschluss der letzten Betriebsvereinbarung, prognostizierbar war (= Basis der
Geschäftsgrundlage). Im zweiten Fall hat sie aber nicht die Lücke zwischen der
prognostizierten Sozialversicherungsrente und der prognostizierten Beamtenbesoldung
(als Bezugsgröße für die Gesamtversorgung) betrachtet, sondern die tatsächliche und
niedrigere Beamtenbesoldung zu Grunde gelegt. Dadurch erscheint der prognostizierte
Barwert deutlich geringer, als es im Zeitpunkt der Versorgungszusage absehbar
gewesen wäre, was den Wert des Gutachtens erheblich beschränkt.
(2) Das Gutachten hat aber auch deshalb wenig Aussagekraft, weil es die Entwicklung
der Betriebsrenten sämtlicher Rentner aller Gesellschaften betrachtet, die aus dem
ehemaligen T e.V. hervorgegangen sind. Aus den Darlegungen der Beklagten ergibt
sich aber weder, wie viele Rentner sie nach dem hier streitigen
Gesamtversorgungssystem zu versorgen hat, noch ob sich bei diesen konkreten
Rentnern das beschriebene Risiko verwirklicht.
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(3) Wenn mit der Beklagten von der Geschäftsgrundlage ausgegangen wird, dass sich
die Steigerung der Renten und der Beamtenbesoldung im Gleichklang bewegen, so ist
darin die Erwartung zu sehen, dass der Anteil der Betriebsrente an der
Gesamtversorgung im Großen und Ganzen gleich bleibt. Aus der von der Beklagten
selbst vorgelegten Anlage B 10 ergibt sich, dass sich diese Relation in den
vergangenen 30 Jahren eher zu Gunsten der Beklagten entwickelt hat, als zu ihren
Lasten: Im Jahre 1975 machte die Betriebsrente 28 % der Gesamtversorgung aus.
Dieser Anteil sank – insbesondere Dank der nur mäßigen Steigerung der
Beamtenbesoldung – auf 18 % im Jahre 1995. Im Jahre 2003 war der Anteil - wegen der
sinkenden Sozialversicherungsrente – wieder gestiegen auf knapp 21 %, erreichte aber
bei weitem noch nicht den Anteil von 28 % aus de 70er Jahren. Diese 28 % an der
Gesamtversorgung finden sich in der Prognose der Beklagten (Anlage B 10) erst im Jahr
2018, um schließlich im letzten prognostizierten Jahr, dem Jahr 2029 auf 33 % zu
steigen. Nur am Rande ist bei dem Jahr 2029 zu beachten, dass bei realistischer
Betrachtung nur wenige der Versorgungsempfänger, die fast alle vor 1940 geboren sind,
dieses Datum erleben werden, was die drohende zusätzliche Belastung der Beklagten
in weit milderem Licht erscheinen lässt. Die Steigerung des Anteils der Betriebsrente an
der Gesamtversorgung von den 28 % der 70er Jahre zu den 33%, die für einen Zeitpunkt
sechzig Jahre später prognostiziert wurden, macht ihrerseits 15 % aus.
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c. Selbst wenn der Beklagten - trotz des Vorgesagten - darin gefolgt wird, ein "krasses
Missverhältnis" anzunehmen, so scheidet die Anwendung des § 313 BGB dennoch aus,
da Gesetzesänderungen auf dem Gebiet des Sozialversicherungsrechts, welche für die
Zukunft die Höhe der Sozialversicherungsrente beeinflussen können, im Zeitpunkt der
Erteilung der Versorgungszusagen, insbesondere im Zeitpunkt der erstmaligen
ausdrücklichen Regelung der Gesamtrentenfortschreibung in der Betriebsvereinbarung
vom Juni 1993, keineswegs gänzlich unvorhersehbar waren (vgl. Hanau/Preis, Der
Übergang von der Gesamtversorgung zu einer von der Sozialversicherung
abgekoppelten Betriebsrente, RdA 1988, 65, 66 ff). Zwar ist grundsätzlich anerkannt,
dass im Einzelfall auch eine gänzlich unvorhersehbare gravierende Änderung der
Gesetzeslage zu einem Wegfall der Geschäftsgrundlage führen kann (BAG, Beschluss
vom 23.09.1997 - 3 ABR 85/96 - AP Nr. 26 zu § 1 BetrAVG Ablösung), aber auch hier ist
wieder zu beachten, dass gerade durch das Versprechen einer Gesamtversorgung
dieses Risiko übernommen wird und der Versprechende grundsätzlich davon
auszugehen, hat, dass sich das Recht der gesetzlichen Sozialversicherung ändern kann
(Blomeyer/Otto, BetrAVG, Rn. 468).
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d. Nichts anderes kann aus der Entscheidung des BAG vom 23.9.1997 (- 3 ABR 85/96 -
AP Nr. 26 zu § 1 BetrAVG Ablösung) hergeleitet werden. Dort ging es um eine bereits
eingetretene Mehrbelastung in Höhe von 63 %, die vom BAG als nicht mehr zumutbar
betrachtet wurde. Werden die Zahlen der Beklagten als richtig unterstellt, so erreicht ihre
real eingetretene Mehrbelastung mit 32, 8 % gerade die Hälfte des dortigen Wertes.
Außerdem ging es bei dem vom BAG entschiedenen Fall um einen Fall der
Überversorgung. Von einer solchen ist hier nicht die Rede.
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Nach alledem war die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
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III. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO. Im Hinblick auf § 72 Abs. 2 Ziffer 1
ArbGG war die Revision zuzulassen.
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R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
39
Gegen dieses Urteil kann von
40
R E V I S I O N
41
eingelegt werden.
42
Die Revision muss
43
innerhalb einer Notfrist* von einem Monat
44
schriftlich beim
45
Bundesarbeitsgericht
46
Hugo-Preuß-Platz 1
47
99084 Erfurt
48
Fax: (0361) 2636 - 2000
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eingelegt werden.
50
Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils,
spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
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Die Revisionsschrift muss von einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen
Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
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* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
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(Dr. Fabricius) (Franke) (Bauer)
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