Urteil des LAG Köln vom 03.07.2006

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Landesarbeitsgericht Köln, 2 Sa 99/06
Datum:
03.07.2006
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 Sa 99/06
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Köln, 4 Ca 8222/05
Schlagworte:
Nachweis der Arbeitsvertragsbedingungen; Verfall
Normen:
§ 2 Abs. 1 NachweisG
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Wie BAG vom 05.11.2003 5 AZR 6767/02
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln
vom 24.11.2005 – 4 Ca 8222/05 – wird auf deren Kosten
zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
1
Die Parteien streiten im Berufungsverfahren nur noch darum, ob die rechnerisch und
sachlich nicht angegriffene Ansprüche der Klägerin verfallen sind.
2
Die Klägerin unterzeichnete am 05.10.2001 einen Arbeitsvertrag für Reinigungskräfte.
Danach sollte das Arbeitsverhältnis vom 01.10.2001 bis 30.11.2001 befristet sein. Es
war ein Stundenlohn von 15,15 DM vereinbart. Einsatzort war das M . Die Beklagte hat
hierzu eine Kopie des Vertrages zur Akte gereicht, auf deren Rückseite Allgemeine
Geschäftsbedingungen aufgedruckt sind. Der Klägerin wurde unstreitig nur die
Vorderseite des Vertrages ausgehändigt. Das Original des Arbeitsvertrages konnte von
den beklagten Prozessbevollmächtigten nicht vorgelegt werden, obwohl ein
entsprechender Beweis angeboten worden war. Die Beklagte behauptet hierzu,
sämtliche Arbeitsverträge sähen so aus, wie die zur Akte gereichte Kopie des
Arbeitsvertrages der Klägerin.
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In Ziffer 15 der eng bedruckten Rückseite heißt es:
4
Im Übrigen gelten die Vorschriften der Tarifverträge für das
Gebäudereinigungshandwerk und soweit gegeben die Betriebsvereinbarungen.
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Bereits ab dem 15.11.2001 wurde die Klägerin als kaufmännische Angestellte im Büro
der Beklagten beschäftigt. Diese Tätigkeiten wurden im Monat November 2001 mit
einem erhöhten Stundensatz von 16,80 DM pro Stunde vergütet. Ab Dezember 2001
erhielt die Klägerin ein Festgehalt, welches bis März 2003 1.280,00 € brutto betrug.
Zusätzlich zu diesen kaufmännischen Tätigkeiten war die Klägerin im Einzelfall auch
noch als Reinigungskraft in der M eingesetzt. Der letzte Einsatz für diese Tätigkeiten
erfolgte im Oktober 2002.
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Unter dem 21.10.2002 erteilte die Beklagte der Klägerin eine Bescheinigung, nach der
sie ab dem 01.10.2001 als kaufmännische Angestellte beschäftigt ist, das
Angestelltenverhältnis unbefristet und zur Zeit ungekündigt ist.
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Im März 2003 erkrankte die Klägerin. Die Arbeitsunfähigkeit dauerte bis einschließlich
07.07.2003 an. Am 08.07.2003 bot die Klägerin ihre Tätigkeit im Büro der Beklagten an.
Diese forderte die Klägerin jedoch auf, als Reinigerin in der M anzutreten und verwies
sie der Büroräume.
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In einem am 08.12.2004 vor dem Landesarbeitsgericht entschiedenen Rechtsstreit
wurde der Klägerin Annahmeverzugslohn bis einschließlich November 2003
zugesprochen. Die Anwendbarkeit von Verfallfristen oder eines Tarifvertrages spielte
dabei keine Rolle. Im vorliegenden Verfahren, welches die Klägerin am 02.09.2005
beim Arbeitsgericht einreichte, verlangt die Klägerin weiteren Annahmeverzugslohn für
die Monate Dezember 2003 bis März 2004 sowie Schadensersatz nach § 628 Abs. 2
BGB in Höhe von einer Bruttomonatsvergütung.
9
Der Tarifvertrag für die Angestellten im Gebäudereinigungshandwerk N vom 08.02.1996
regelt zu Ausschlussfristen unter § 16 Folgendes:
10
Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit
dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb
von 2 Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei
schriftlich erhoben werden.
11
Lehnt eine Gegenpartei den Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb
von 2 Wochen nach der Geltendmachung des Anspruchs, so verfällt dieser,
wenn er nicht innerhalb von 2 Monaten nach der Ablehnung oder dem
Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird.
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Die Klägerin hält diese Ausschlussfristen nicht für anwendbar, da die Geltung des
Tarifvertrages nicht wirksam vereinbart worden sei. Sie habe keine Kenntnis von der
Anwendbarkeit irgendwelcher Tarifverträge gehabt. Die Versäumung der Verfallfristen
sei jedenfalls dadurch kausal veranlasst, dass die Beklagte ihren Verpflichtungen aus
dem Nachweisgesetz nicht nachgekommen ist.
13
Das Arbeitsgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Hiergegen wendet sich die
Beklagte unter Berufung auf die Verfallfrist. Die Anwendbarkeit des Tarifvertrages sei
der Klägerin deshalb bekannt gewesen, weil sie auf der Vorderseite des
Arbeitsvertrages unterzeichnet hat, dass sie die umseitigen Vertragsbedingungen in
allen Punkten gelesen, verstanden und anerkannt habe. Auch bei Änderung der
Tätigkeit sollten die Allgemeinen Geschäftsbedingungen weiter Geltung haben.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird gemäß § 313
14
ZPO auf den Akteninhalt Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
15
Die zulässige und fristgerechte Berufung ist nicht begründet. Dabei kann zunächst
dahinstehen, ob das von der Klägerin unterzeichnete Arbeitsvertragsexemplar
überhaupt auf der Rückseite die nunmehr vorgelegten Allgemeinen
Geschäftsbedingungen der Beklagten enthielt, oder ob, was auch denkbar ist, die
Klägerin auf der Kopie eines Formulars unterzeichnete, welches nur die Vorderseite des
Vertrages enthielt. Hierfür könnte sprechen, dass der Klägerin selbst auch nur diese
Vorderseite in weiterer Kopie ausgehändigt wurde. Die insoweit beweisbelastete
Beklagte hat das Original nicht vorlegen können, obwohl der dementsprechende
Beweis bereits erstinstanzlich angeboten worden war und die Klägerin noch im
Berufungsverfahren die Existenz eines Arbeitsvertrages einschließlich bedruckter
Rückseite bestritten hat. Eine Vertagung zur Beischaffung der Originalurkunde war
jedoch nicht erforderlich, da letztlich ohne Änderung im Ergebnis unterstellt werden
kann, die Klägerin habe bei der Unterzeichnung ein mit Vorder- und Rückseite
bedrucktes Vertragsmuster unterschrieben.
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Auch kann dahin gestellt bleiben, ob durch die Aushändigung nur einer Kopie der
Vorderseite des Vertrages das Verhalten der Beklagten als konkludente
Willenserklärung dahingehend aufgefasst werden kann, dass von der Einbeziehung der
rückseitig abgedruckten Allgemeinen Geschäftsbedingungen abgesehen werden sollte.
Bei der Auslegung des Verhaltens der Beklagten ist ausgehend vom Empfängerhorizont
der Arbeitnehmerin zu berücksichtigen, dass bei Aushändigung eines
Vertragsexemplars an den Arbeitnehmer grundsätzlich davon ausgegangen werden
kann, dass dieser vollständig über alle zwischen den Parteien gültigen Vereinbarungen
informiert werden soll. Wird ein Teil des Vertragstextes nicht überreicht, so kann dies
auch den Eindruck hervorrufen, der Arbeitgeber wolle den Vertrag nur mit den in dem
überreichten Vertragsteil enthaltenen Vereinbarungen in Kraft setzen. Auch hier kann
eine Entscheidung jedoch dahinstehen.
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Es kann auch dahinstehen, ob die Allgemeinen Geschäftsbedingungen, deren
anfängliche Geltung einmal unterstellt, nach der Änderung der Tätigkeitsinhalte und
nach dem Ablauf der Befristung noch fortgelten sollten. Gegen eine solche Fortgeltung
könnte sprechen, dass der befristete Vertrag in erheblichem Maße umgestaltet wurde.
Sowohl die Inhalte der Tätigkeit änderten sich erheblich als auch die Vergütungshöhe
und die Zahlungsweise der Vergütung. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die
inhaltliche Änderung bereits während der Geltung des befristeten Vertrages
durchgeführt wurde, ohne dass Erklärungen über den Fortbestand der Allgemeinen
Geschäftsbedingungen abgegeben wurden. Die weiteren Inhalte der Allgemeinen
Geschäftsbedingungen wie beispielsweise die Regelungen zur Urlaubsgewährung und
zum Verhalten bei Erkrankung behielten auch trotz der Änderung der Arbeitsinhalte ihre
Bedeutung. Da zu dem der für Reinigungstätigkeiten allgemein verbindliche
Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer des Reinigungshandwerks durch
die Änderungen der Tätigkeit der Klägerin nicht mehr anwendbar war, wäre das
Arbeitsverhältnis ohne Inbezugnahme der übrigen Tarifverträge und ohne Geltung der
Allgemeinen Geschäftsbedingungen in wesentlichen Punkten ungeregelt gewesen.
Letzteres spricht dafür, dass grundsätzlich die Parteien bei Änderung der
arbeitsvertraglichen Hauptpflichten von Reinigungstätigkeiten auf kaufmännische
Tätigkeit die restlichen vertraglichen Abmachungen beibehalten wollten.
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Es kann auch dahinstehen, ob die der Klägerin am 21.10.2002 erteilte Bescheinigung
als Angebot auf Änderung und Aufhebung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen zum
Arbeitsvertrag angesehen werden kann. Denn auch wenn man zu dem Ergebnis
gelangt, dass dieses Schriftstück keine Willenserklärung, sondern lediglich eine erneute
partielle Bestätigung des Ist-Zustandes darstellt, war die vorliegende Klage nicht wegen
Versäumung der Ausschlussfristen aus § 16 des Rahmentarifvertrages für Angestellte
im Gebäudereinigungshandwerk N vom 08.02.1996 abzuweisen.
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Denn der Klägerin steht ein Schadensersatzanspruch in Höhe der zugesprochenen
Beträge wegen Verletzung der Nachweispflicht aus § 2 Abs. 1 S. 1 Nachweisgesetz zu.
Die Beklagte war nach § 2 Abs. 1 S. 1 Nachweisgesetz verpflichtet, die wesentlichen
Vertragsbedingungen schriftlich niederzulegen, die Niederschrift zu unterzeichnen und
der Klägerin auszuhändigen. Die Nachweispflicht bestand dabei unabhängig von der zu
Beginn des Arbeitsverhältnisses aus § 5 Abs. 4 TVG wegen der
Allgemeinverbindlichkeit des Rahmentarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer
bestehenden Tarifgeltung kraft Allgemeinverbindlichkeit. Zum Zeitpunkt der
Klageerhebung im vorliegenden Verfahren war die Beklagte immer noch im Verzug mit
der Erteilung des Nachweises.
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Gemäß §§ 280, 286, 249 BGB muss die Beklagte die Klägerin so stellen, als wären die
Vergütungsansprüche und der weitere Anspruch aus § 628 BGB nicht aufgrund der
Verfallfristen untergegangen.
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Ein solcher Schadensersatzanspruch ist vom Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung
vom 05.11.2003 – 5 AZR 676/02 – bereits anerkannt worden. Er ist dann begründet,
wenn ein Arbeitsentgeltanspruch wegen der Versäumung der Ausschlussfrist erloschen
ist und bei gesetzmäßigem Nachweis seitens des Arbeitgebers nicht untergegangen
wäre. Dabei wird zu Gunsten des Arbeitnehmers vermutet, dass er sich bei
ordnungsgemäßen Nachweis der Arbeitsvertragsbedingungen rechtzeitig um die
Geltendmachung und die Anhängigmachung seiner Ansprüche bemüht hätte. Für eine
abweichende Beurteilung ist der Schädiger, das ist hier die Beklagte, darlegungs- und
beweispflichtig. Sie wurde auf diese Bundesarbeitsgerichtsentscheidung rechtzeitig
hingewiesen. Gleichwohl konnte sie nicht darlegen, dass der Klägerin die Geltung des
Tarifvertrages bekannt war, bevor die Beklagte dieses in das vorliegende Verfahren
eingeführt hat. Insbesondere war auch die Geltung eines Tarifvertrages und das
mögliche Eingreifen von Ausschlussfristen in dem vorherigen Prozess um die
Annahmeverzugsansprüche zwischen den Parteien nicht thematisiert worden.
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Damit verbleibt es dabei, dass die Klägerin allein wegen des fehlenden Nachweises
und der damit fehlenden Möglichkeit, im Zeitpunkt des Ablaufes der Verfallfristen deren
Anwendbarkeit auf das Vertragsverhältnis festzustellen, gehindert war, ihre Ansprüche
rechtzeitig geltend zu machen. Der fehlende Nachweis der Arbeitsvertragsbedingungen
war kausal für den Verfall der Forderung und führt damit gleichzeitig zum Entstehen des
zugesprochenen Schadensersatzanspruches.
23
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Revision wurde mangels
allgemeiner Bedeutung des Rechtsstreits nicht zugelassen.
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(Olesch) (Zerlett) (Mingers)
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