Urteil des LAG Köln vom 27.01.2006

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Landesarbeitsgericht Köln, 4 Sa 942/05
Datum:
27.01.2006
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
4. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 Sa 942/05
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Köln, 1 Ca 50/05
Schlagworte:
Vereinigung von Betriebskrankenkassen, Fortgeltung kollektiver
Regelungen
Normen:
§§ 150, 144 SGB V, §§ 3, 4 TVG
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Weitergeltung eines Haustarifvertrages bei Vereinigung von
Betriebskrankenkassen.
Tenor:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln
vom 23.05.2005 – 1 Ca 50/05 – wird auf Kosten der Beklagten
zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
1
Die Parteien streiten um Entgeltbestandteile. Der Streit geht im Wesentlichen darum, ob
sich das Arbeitsverhältnis der Klägerin – weiterhin – nach dem am 21.12.1998 zwischen
der I Bezirksleitung N - und der Betriebskrankenkasse des C abgeschlossenen
Anerkennungstarifvertrag richtet, der auf die Tarifverträge der Metallindustrie des
Tarifgebietes N , auf ergänzende Abmachungen und Veränderungen verweist, oder ob
es sich – wie die Beklagte es meint – ab dem 01.10.2004 nach dem BAT richte.
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Das Arbeitsverhältnis der Klägerin bestand zunächst mit der Betriebskrankenkasse B .
Diese vereinigte sich mit der Betriebskrankenkasse C zu der Betriebskrankenkasse C
und B . Das Arbeitsverhältnis der Klägerin ging auf diese über. Zum 01.10.2003
vereinigte sich die Betriebskrankenkasse C und B mit der Gemeinsamen
Betriebskrankenkasse in K zu der jetzigen Beklagten, auf die das Arbeitsverhältnis der
Klägerin wiederum überging.
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Wegen des übrigen erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien und der erstinstanzlich
4
gestellten Anträge wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des
angefochtenen Urteils (mit Ausnahme des 3. Absatzes) Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben. Gegen dieses ihr am
16.06.2005 zugestellte erstinstanzliche Urteil vom 23.05.2005 hat die Beklagte am
06.07.2005 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der
Berufungsbegründungsfrist bis zum 16.09.2005 am 16.09.2005 begründet.
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Die Beklagte meint zunächst, das Arbeitsgericht habe übersehen, dass sie, die
Beklagte, und die Klägerin im September 2003 eine individualrechtliche Vereinbarung
abgeschlossen hätten, nach welcher sich die Klägerin mit der Anwendung des BAT
einverstanden erklärt habe. Die Beklagte habe die Klägerin und alle anderen
betroffenen Arbeitnehmer im Vorfeld des Betriebsübergangs darauf hingewiesen, dass
der Übergang des Arbeitsverhältnisses davon abhänge, dass für alle Beschäftigten die
Regelung des BAT gelte. Hierzu verweist sie auf ihren erstinstanzlichen Vortrag,
wonach die Klägerin in mehreren Betriebsversammlungen und in Einzelgesprächen
darauf hingewiesen worden sei, dass eine Fortführung des Arbeitsverhältnisses nur
unter der Bedingung erfolgen könne, dass nach Ablauf der Veränderungssperre
einheitlich für alle Arbeitnehmer der BAT Anwendung findet.
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Die Beklagte meint ferner, sie habe eine Änderungskündigung ausgesprochen und zwar
"in Gestalt des Personalüberleitungsvertrages vom 08.09.2003". Dieser sei als
Kündigung des alten Arbeitsverhältnisses und gleichzeitig als Angebot zu dem neuen
Arbeitsverhältnis unter den Bedingungen des BAT zu verstehen. Dies werde auch aus
der Dienstvereinbarung vom 04.05.2004 deutlich.
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Schließlich meint sie, eine entsprechende Willenserklärung (Anwendung des BAT) sei
auch dadurch konkludent abgegeben, dass einerseits der Arbeitgeber seine
Arbeitnehmer insgesamt nach dem Tarifvertrag behandle und andererseits der
Arbeitnehmer die tariflichen Leistungen unwidersprochen entgegen nehme. Dazu beruft
sie sich auf die Rechsprechung des Bundesarbeitsgericht.
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Des weiteren meint die Beklagte, die Klägerin könne unter der Anwendung des § 613 a
Abs. 1 S. 2 BGB nicht verlangen, dass die Beklagte auch die zum 01.03.2004
vorgesehene Tariflohnerhöhung um 2,2 % an die Klägerin weitergebe. Denn
nachträgliche Veränderungen des Tarifvertrages könnten sich auf die übergegangenen
Arbeitsverhältnisse nicht mehr auswirken.
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Schließlich beruft sie sich erneut auf unzulässige Rechtsausübung und Verwirkung. Sie
habe unter Beweis gestellt, dass die Klägerin Gleittage in Anspruch genommen habe,
die als Ausgleich für geleistete Mehrarbeit "Bestandteil des BAT und der diesen
ergänzenden Betriebsvereinbarungen" seien. Die Klägerin habe auch aktiv diese
Vorteile gefordert und erhalten, wenn sie die "Korrekturanträge Zeiterfassung" ausgefüllt
habe und in Urlaubsanträgen statt Erholungsurlaub Gleitzeitausgleich verlangt habe.
Schließlich seien von ihr auch Zeitgutschriften für Betriebsausflug und Weiberfastnacht
beansprucht worden, obschon diese nie Bestandteil des "Tarifvertrages Metallindustrie
N und der seinerzeit für diesen geltenden Betriebsvereinbarungen" gewesen seien.
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Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 23.05.2005, Az.: 1 Ca 50/05 – teilweise –
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abzuändern und die Klage – vollständig – abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
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Die Klägerin verteidigt zunächst das erstinstanzliche Urteil. Sie weist darüber hinaus
darauf hin, dass nach ihrer Ansicht § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB nicht einschlägig sei. Der
frühere Haustarifvertrag gelte vielmehr kollektivrechtlich fort. Es liege eine konguente
Tarifbindung weiterhin vor. Die Klägerin sei – was unstreitig ist – Mitglied der I und in
Bezug auf den BAT nicht tarifgebunden. Die Dienstvereinbarung
"Personalüberleitungsvertrag und die Dienstvereinbarung vom 04./12.05.2004 könne
den Haustarifvertrag nicht wegen der Sperrwirkung des § 70 Abs. 1 LPVG nicht ablösen.
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Die Bindung an den Haustarifvertrag bestehe aufgrund der Fusion weiter. Die
Verschmelzung der Gemeinsamen Betriebskrankenkasse K und der B führe – wie
ähnlich vom BAG im Urteil vom 24.06.1998 entschieden – zur kollektiven Fortgeltung,
da es sich um eine Gesamtrechtsnachfolge handle.
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Darüber hinaus enthalte der Firmentarifvertrag die Regelung, dass auch alle neu
abgeschlossenen Gehaltstarifverträge der Metallverarbeitungsindustrie für die
Arbeitnehmer, für die der Firmentarifvertrag Geltung habe, Anwendung finden sollten.
Dieses ergebe sich schon aus § 3 des Firmentarifvertrages mit der Formulierung "Die in
Bezug genommenen Tarifverträge gelten in der jeweils gültigen Fassung mit dem
jeweils gültigen Rechtsstatus". Damit beinhalte auch ein – gemäß § 613 a Abs. 1 S. 2
BGB zustande gekommener – statischer Bestandsschutz des Firmentarifvertrages, dass
künftig neu abgeschlossene Gehaltstarifverträge der metallverarbeitenden Industrie auf
das Arbeitsverhältnis Anwendung fänden. Eine Änderung könne nur dadurch erreicht
werden, dass seitens der Beklagten dieser Firmentarifvertrag gekündigt werde. Das
habe die Beklagte auch ansatzweise offenbar erkannt. Nur so sei es zu erklären, dass
sie die von ihr mit dem Personalrat geschlossene Dienstvereinbarung zur Geltung des
BAT von einem Geschäftsführer der I , der allerdings – was schon erstinstanzlichen
unstreitig war – nicht bevollmächtigt war, Tarifverträge abzuschließen, mit habe
unterzeichnen lassen.
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Die Klägerin habe sich auch nicht mit der Geltung des BAT einverstanden erklärt. Die
Beklagte habe eine solche individualvertragliche Regelung auch nicht substantiiert mit
ihrem Hinweis auf eine Vielzahl von Einzelgesprächen und Informationsveranstaltungen
behauptet. Es lägen nicht zwei übereinstimmende Willenserklärungen vor. Die Klägerin
habe lediglich die Erklärung unterzeichnet, die lautete: "Mit dem Übergang eines
Beschäftigungsverhältnisses auf die gemeinsame Betriebskrankenkasse K bin ich
einverstanden".
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Schließlich habe die Klägerin auch zu keinem Zeitpunkt irgendwelche Ansprüche aus
dem BAT geltend gemacht oder entgegen genommen. Die von der Beklagten
angesprochenen Regelung zum Freizeitausgleich, Zeitgutschriften für Betriebsurlaub
und Weiberfastnacht o. a. habe mit dem BAT nicht das Geringste zu tun. Ebenso wie der
BAT regle auch der Manteltarifvertrag für die Angestellten der Metallindustrie N , dass
die Mehrarbeit durch bezahlte Freistellung von der Arbeitszeit ausgeglichen werde. Die
Klägerin gehe davon aus, dass insoweit eine Gleitzeitdienstvereinbarung existiere.
Jedenfalls regle der BAT weder für den Heiligabend noch für Silvester noch für
Weiberfastnacht eine Freistellung.
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Wegen des übrigen Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen diesen
gewechselten Schriftsätze Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen
Verhandlung waren.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die zulässige, form- und fristgerecht eingelegt und begründete Berufung der Beklagten
hatte in der Sache keinen Erfolg.
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Die Ansprüche der Klägerin ergeben sich schon aus der unmittelbaren, normativen
Geltung (§ 4 Abs. 1 TVG) des vor der Vereinigung zu der Beklagten für die
Arbeitgeberkörperschaft der Klägerin geltenden Haustarifvertrages, der eine
dynamische Verweisung auf das Tarifwerk der Metallindustrie enthält. Für die
Auffangregelung des § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB ist in diesem Falle kein Raum (vgl. BAG,
24.06.1998 – 4 AZR 208/97 – AP Nr. 1 zu § 20 UmwG). Es liegt weiterhin beiderseitige
Tarifbindung im Sinne des § 3 Abs. 1 TVG vor.
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1. Die Klägerin ist unstreitig Mitglied der I , die diesen Tarifvertrag abgeschlossen hat.
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2. Auch die Beklagte ist tarifgebunden.
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Der Tarifvertrag ist ursprünglich abgeschlossen worden mit der Rechtsvorgängerin der
Rechtsvorgängerin der Beklagten. Diese hat sich mit der Betriebskrankenkasse B zu der
Betriebskrankenkasse C vereinigt. Diese wiederum hat sich mit der Beklagten vereinigt.
Daraus folgt eine Gesamtrechtsnachfolge zunächst der Rechtsvorgängerin der
Beklagten und schließlich der Beklagten in Bezug auf die Betriebskrankenkasse C und
damit auch die Fortgeltung des Anerkennungstarifvertrages gegenüber der Beklagten.
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Die Vereinigung von Betriebskrankenkassen ist in § 51 SGB V geregelt. Die Folgen der
Vereinigung ergeben sich aus § 150 Abs. 2 SGB V. Danach ist § 144 Abs. 2 bis 4 SGB
V entsprechend anwendbar. § 144 SGB V regelt die freiwillige Vereinigung von
Ortskrankenkassen.
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§ 144 Abs. 4 S. 2 lautet: "Die neue Krankenkasse tritt in die Rechte und Pflichten der
bisherigen Krankenkassen ein". Diese Regelung entspricht § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG
und enthält die Anordnung einer Gesamtrechtsnachfolge.
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Zu der Verschmelzung im Wege der Neugründung hat das Bundesarbeitsgericht im
Urteil vom 24.06.1998 (a. a. O.) entschieden, dass bei der Verschmelzung ein
Firmentarifvertrag wegen der vom Gesetz angeordneten Gesamtrechtsnachfolge
uneingeschränkt auf den neu gegründeten Rechtsträger übergeht. Der Tarifvertrag wirkt
dann kollektiv fort. Der übernehmende Rechtsträger rückt aufgrund der in § 20 Abs. 1 Nr.
1 UmwG angeordneten Gesamtrechtsnachfolge in den mit dem übertragenden
Rechtsträger geschlossenen Firmentarifvertrag ein. Nach dieser Entscheidung des
Bundesarbeitsgerichts ändert auch § 324 UmwG nichts an diese Rechtsfolge. Wenn
dieser anordnet, dass § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB unberührt bleibt, so bedeutet das nur
eine Auffangregelung im Falle der Umwandlung für den Fall, dass der Tarifvertrag nicht
kollektiv-rechtlich für den neuen Unternehmensträger gilt, was in der Regel Verbands-
oder Flächentarifverträge betrifft (BAG, a. a. O.).
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§ 144 Abs. 4 S. 2 SGB V enthält ohnehin keine dem § 324 UmwG entsprechende
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Einschränkung. Er enthält aber wie § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG die Anordnung einer
Gesamtrechtsnachfolge, die auch für kollektives Arbeitsrecht, insbesondere für
Tarifverträge gilt (BVerwG 25.06.2003 – 6 G 1/03 – AP Nr. 84 zu § 75 BPersVG). Das
Bundesverwaltungsgericht hat dieses für § 168 a Abs. 1 S. 3 SGB V entschieden, der
die Vereinigung von Ersatzkassen regelt und wie § 150 SGB V eine Verweisung auf §
144 Abs. 4 S. 2 SGB V enthält. Von der durch § 144 Abs. 4 S. 2 SGB V angeordneten
Gesamtrechtsnachfolge und Kontinuität sind nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte
auch die Beschäftigungsverhältnisse erfasst, die auf die neue Kasse übergehen
(BVerwG a. a. O. m. Hinweis auf BTDrucksache 11/2237 S. 209). Der Gesetzgeber
wollte einen weiten Anwendungsbereich der Vorschrift. In dem zitierten
Gesetzesmaterial wird sie als "generelle Nachfolgeklausel" bezeichnet. Das
Bundesverwaltungsgericht verweist zur Fortgeltung eines Firmentarifvertrages
ausdrücklich auf die bereits zitierte Entscheidung des BAG vom 24.06.1998.
Danach ist die Beklagte in die Vertragsstellung ihrer Rechtsvorgänger hinsichtlich des
Firmentarifvertrages eingetreten und es liegt entsprechend der zitierten Entscheidung
des Bundesarbeitsgerichts vom 24.06.1998 kongruente Tarifbindung vor. Der
Anerkennungstarifvertrag und damit die von ihm in Bezug genommenen Tarifverträge
der Metallindustrie gelten aufgrund Tarifbindung gemäß § 3 Abs. 1 TVG mit
unmittelbarer Wirkung nach § 4 Abs. 1 TVG zwischen den Parteien weiter.
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3. Daran änderte auch der Beitritt der Beklagten zum kommunalen A mit dem
01.10.2003 nichts. Es trat zwar Tarifbindung der Beklagten in Bezug auf den BAT und
den diesen ergänzenden Tarifverträgen ein. Die Klägerin ist jedoch nicht Mitglied einer
der den BAT abschließenden Gewerkschaften. Dieses ist unstreitig. Es liegt mithin
keine kongruente Tarifgebundenheit vor.
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4. Selbst wenn aber – was hier dahinstehen kann - auch eine entsprechende
Tarifbindung der Klägerin vorläge, ginge der Firmentarifvertrag nach dem
Spezialitätsgrundsatz vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist
Tarifkonkurrenz nach dem Prinzip der Tarifeinheit dahingehend zu lösen, dass nur der
speziellere Tarifvertrag zur Anwendung kommt. Das ist der Tarifvertrag, der dem Betrieb
örtlich, betrieblich, fachlich und persönlich am nächsten steht. Firmentarifverträge stellen
gegenüber Verbandstarifverträgen stets die speziellere Regelung dar (BAG 23.03..2005
– 4 AZR 203/04 - ).
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5. Der "Personalüberleitungsvertrag", der zwischen der Beklagten, ihrer
Rechtsvorgängerin und den beiden Personalräten abgeschlossen wurde, konnte nichts
an der unmittelbaren Tarifgeltung des Firmentarifvertrages ändern. Zwar ist dort
geregelt: "Für die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer finden
die geltenden bzw. die diesen ergänzenden und ersetzenden Tarifverträge des
Bundesangestellten-Tarif-Vertrages im Bereich der Vereinigung der Kommunalen A (V
), jeweils abgeschlossen zwischen der V , dem Kommunalen A und der Gewerkschaft v ,
in ihrer jeweiligen Fassung Anwendung". Eine solche Regelung kann aber schon
wegen der zwingenden Wirkung des Haustarifvertrages gemäß § 4 Abs. 1 TVG und der
Tatsache, dass der Haustarifvertrag abweichende Abmachungen im Sinne des § 4 Abs.
3 TVG nicht zulässt, an der Wirkung des Haustarifvertrages nicht ändern.
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Davon abgesehen ist die Bestimmung unwirksam. Sie enthält nämlich Regelungen über
"Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind
oder üblicherweise geregelt werden". Diese können weder Gegenstand einer
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Betriebsvereinbarung (§ 77 Abs. 3 BetrVG) noch einer Dienstvereinbarung (§ 70 Abs. 1
LPVG) sein. Die Tarifsperre ergibt sich schon aus dem Beitritt der Beklagten zum
Kommunalen A . Aus § 77 Abs. 3 BetrVG und dem diesen entsprechenden Regelungen
der Personalvertretungsgesetze folgt, dass auch eine Betriebsvereinbarung, die bloß
den für den Betrieb geltenden Tarifvertrag inhaltlich mit der Folge übernimmt, dass er
auf Außenseiter oder anders organisierte Arbeitnehmer erstreckt werden soll,
unzulässig ist (vgl. Fitting u.a. § 77 BetrVG Rn. 87). Die Sperrwirkung ergibt sich darüber
hinaus aus dem Firmentarifvertrag, der gerade für die übernommenen Betriebe der
Beklagten gilt (vgl. BAG 22.03.2005 – 1 ABR 64/03 - ).
6. Wegen der dargestellten zwingenden Wirkung des Firmentarifvertrages kommt es
letztlich nicht darauf an, ob die Klägerin durch Einzelvertrag mit der Beklagten die
Geltung des BAT vereinbart hat.
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Nur ergänzend wird aber darauf hingewiesen, dass die Kammer die Auslegung des
Arbeitsgerichts für zutreffend hält.
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Aus dem Zusammenhang des Anschreibens der Erklärung der Klägerin und dem
beigefügten Personalüberleitungsvertrag ergibt sich, dass die Klägerin gar nicht um eine
Willenserklärung bezüglich der künftigen Geltung des BAT gebeten wurde. Der
Personalüberleitungsvertrag wurde lediglich zur Kenntnis gegeben. Er enthält eine
normative Regelung, die ersichtlich aus sich heraus gelten soll und zu der nicht die
Zustimmung der Mitarbeiter erbeten wird. Dementsprechend heißt es in dem Schreiben
der Beklagten vom 10.09.2003 auch nur:
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"Der Personalübergang ist nach § 147 Abs. 2 SGB V von ihrer Zustimmung
abhängig. Sie müssen deshalb die beigefügte Erklärung ausfüllen und sollten
diese schnellstmöglich dem Vorstand zusenden."
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Insoweit hat das Arbeitsgericht zu Recht entschieden, dass die Klägerin jedenfalls durch
die schriftliche Erklärung eine Willenserklärung hinsichtlich der zukünftigen Geltung des
BAT nicht abgegeben hat.
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7. Offensichtlich unrichtig ist die Auffassung der Beklagten, der
Personalüberleitungsvertrag enthalte eine Änderungskündigung. Eine
Änderungskündigung ist die Kündigung des Arbeitsverhältnisses verbunden mit einem
neuen Angebot. Der Personalüberleitungsvertrag enthält offensichtlich weder eine
Kündigung (die im übrigen nicht in Schriftform der Klägerin zugegangen wäre - § 623
BGB) noch ein Angebot eines Arbeitsverhältnisses unter neuen Bedingungen (s. o.).
Wegen des Verstoßes gegen zwingendes Tarifrecht wäre eine entsprechende
Änderungskündigung ohnehin unwirksam.
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8. Die Beklagte kann sich auch auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (z.
B. 11.06.1975 – 5 AZR 206/74 - ) nicht berufen, nach der dann, wenn der Arbeitgeber
seine Arbeitnehmer über eine längere Zeit insgesamt nach einem Tarifvertrag behandelt
und die Arbeitnehmer die tariflichen Leistungen unwidersprochen entgegen nehmen,
dieses als Vereinbarung des Tarifvertrages ausgelegt werden kann. Denn die
Regelungen des Anerkennungstarifvertrages gelten zwischen den Parteien aufgrund
beiderseitiger Tarifbindung normativ und zwingend. Sie können nicht abbedungen
werden (s. o.).
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9. Die Ansprüche der Klägerin sind auch nicht verwirkt. Dieses ergibt sich schon daraus,
dass gemäß § 4 Abs. 4 S. 2 TVG die Verwirkung von tariflichen Rechten gesetzlich
ausgeschlossen ist.
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Davon abgesehen aber ist es nicht richtig, wenn die Beklagte behauptet, die Klägerin
habe Leistungen nach dem BAT "bewusst gefordert". Denn weder die Gleittage, noch
die freien Tage für Betriebsausflug, Silvester, Heilig Abend und Weiberfastnacht sind
Gegenstand einer Regelung im BAT. Der BAT enthält lediglich – wie auch der
Manteltarifvertrag für die Metallindustrie die Möglichkeit, dass Überstunden durch
Arbeitsbefreiung ausgeglichen werden. Sofern bei der Beklagten eine
dementsprechende Dienstvereinbarung besteht, ist diese offensichtlich nicht Bestandteil
des Tarifwerkes des BAT. Sie gilt für die Klägerin unabhängig davon, ob der BAT
Anwendung findet.
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Davon abgesehen liegt der Tatbestand der Verwirkung schon deshalb nicht vor, weil die
Klägerin durch Entgegennahme entsprechender Leistungen kein schutzwürdiges
Vertrauen bei der Beklagten erwirkt hat, sie werde sich nicht auf Leistungen nach den
Metalltarifverträgen berufen. Die Klägerin hat nämlich bereits am 15.06.2004 ihre
Rechte aus dem Tarifwerk der Metallindustrie geltend gemacht, hat dieses mit
Schreiben vom 10.11.2004 wiederholt und präzisiert. Für die Beklagte konnte zu keinem
Zeitpunkt der Eindruck entstehen, die Klägerin sei mit der Anwendung des BAT
einverstanden.
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10. Die Beklagte hat die Höhe der Klageforderungen zweitinstanzlich – bis auf die
Frage der Konsequenzen des § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB, auf die es, wie dargestellt, nicht
ankommt – nicht bestritten. Insoweit wird auf das erstinstanzliche Urteil Bezug
genommen. Da die Klägerin Berufung oder Anschlussberufung nicht eingelegt hat, kann
dahinstehen, ob die vom Arbeitsgericht teilweise berücksichtigte Aufrechnung der
Beklagten mit einer Rückforderung wegen des Zuschusses zur Direktversicherung
tatsächlich die Klageforderung reduzieren konnte.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO
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Die Kammer hat die Revision nicht zugelassen, da die Entscheidung höchstrichterlicher
Rechtsprechung entspricht.
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RECHTSMITTELBELEHRUNG
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Gegen dieses Urteil ist für mangels ausdrücklicher Zulassung die Revision nicht
statthaft, § 72 Abs. 1 ArbGG. Wegen der Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision
selbständig durch Beschwerde beim
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Bundesarbeitsgericht
50
Hugo-Preuß-Platz 1
51
99084 Erfurt
52
Fax: (0361) 2636 - 2000
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anzufechten wird auf die Anforderungen des § 72 a ArbGG verwiesen.
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Dr. Backhaus Modemann Göbel
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