Urteil des LAG Köln vom 10.10.2002

LArbG Köln: arbeitsgericht, beendigung, versetzung, erwerbsunfähigkeit, schule, rente, vergütung, verzicht, fürsorgepflicht, zustand

Landesarbeitsgericht Köln, 6 Sa 337/02
Datum:
10.10.2002
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
6. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 Sa 337/02
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Köln, 8 Ca 9451/01
Schlagworte:
Erwerbsunfähigkeit; Rente; Verdienstausfallschaden
Normen:
§§ 254, 611 BGB
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Es verstößt gegen die Schadensabwendungspflicht des § 254 Abs. 2
BGB, zunächst unter Verzicht auf naheliegende Rechtspositionen einen
Schaden eintreten zu lassen, um ihn anschließend ersetzt zu verlangen
(hier: Verdienstausfallschaden eines infolge Erwerbsunfähigkeit in
Rente gegangenen Lehrers).
Tenor:
1. Die Berufung des Klägers gegen das am 27.11.2001 verkündete Urteil
des Arbeitsgerichts Köln - 8 Ca 9451/01 - wird zurückgewiesen. 2. Der
Kläger trägt die Kosten der Berufung. 3. Die Revision wird nicht
zugelassen. 4. Der Streitwert beträgt unverändert 39.505,62 EUR.
Entscheidungsgründe
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1. Die Parteien streiten über eine Schadensersatzpflicht des beklagten Landes
wegen Verletzung der arbeitgeberseitigen Fürsorgepflicht bei der Beendigung des
Arbeitsverhältnisses, die durch Bewilligung einer Erwerbsunfähigkeitsrente nach §
59 Abs. 1 BAT zum 31.05.2001 eintrat. Von der erneuten Darstellung des
Sachverhalts wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO a. F. abgesehen.
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Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 27.11.2001 abgewiesen und zur
Begründung im Wesentlichen ausgeführt, eine Fürsorgepflichtverletzung des beklagten
Landes sei nicht feststellbar. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 72 ff. d. A. Bezug
genommen.
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1. Die Berufung des Klägers ist zwar zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2
ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66
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Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 518, 519 ZPO a. F.).
1. In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg.
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Die Klage ist unbegründet, wie das Arbeitsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt hat.
Der Kläger hat die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruches wegen
Fürsorgepflichtverletzung auch mit seiner Berufung nicht schlüssig dargelegt. Im
Einzelnen gilt Folgendes:
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Das beklagte Land ist nicht verpflichtet, dem Kläger die Differenz zwischen den
monatlichen Rentenleistungen und einer hypothetischen monatlichen Vergütung, die er
bei Fortführung des Arbeitsverhältnisses erhalten hätte, zu zahlen. Das beklagte Land
ist auch nicht verpflichtet, den aus der krankheitsbedingten Beendigung des mit dem
Kläger früher bestandenen Arbeitsverhältnisses in Zukunft entstehenden
Erwerbsschaden zu ersetzen.
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Die Haftung wegen einer Nebenpflichtverletzung setzt voraus, dass der eingetretene
Schaden durch ein schuldhaftes Verhalten des Vertragspartners verursacht worden ist.
Es ist bereits zweifelhaft, ob dem beklagten Land eine Verletzung der Fürsorgepflicht
vorgeworfen werden kann. Das Arbeitsgericht hat dies mit Hinweis darauf verneint, der
Kläger habe keine Versetzung an eine andere Schule beanspruchen können. Es hat
dabei vor allem auch darauf abgestellt, dass der Kläger sich nie auf eine bestimmte
Ausschreibung einer anderen Lehrerstelle beworben habe.
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Demgegenüber hat der Kläger mit seiner Berufung vorgetragen, er habe mit Schreiben
vom 22.10.1999 (Kopie Blatt 105 d. A.) ausdrücklich die Versetzung an eine andere
Schule im Regierungsbezirk K gewünscht und auch später noch mehrfach auf eine
solche Versetzung gedrängt. Dies kann indessen ebenso dahinstehen wie die Frage, ob
dem Kläger überhaupt der geltend gemachte Schaden entstanden ist, er also bei
fortbestehendem Arbeitsverhältnis an sich noch dienstfähig gewesen wäre und
Anspruch auf die entsprechende Vergütung gehabt hätte.
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Der Kläger muss sich jedenfalls ein erhebliches Mitverschulden im Hinblick auf eine
mögliche Schadensabwendung vorhalten lassen, das nach Maßgabe des § 254 Abs. 2
BGB eine Haftung des beklagten Landes ausschließt. Der Schaden des Klägers ist -
wenn überhaupt - infolge seiner Verrentung eingetreten. Kausal dafür war wiederum der
von ihm selbst gestellte Rentenantrag, wovon das beklagte Land am 27.10.2000
Mitteilung erhielt. Vorausgegangen war ein Schreiben des beklagten Landes vom
20.10.2000, in dem es unter anderem heißt:
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"Nach aktueller Aussage des für sie zuständigen Amtsarztes haben damit die
krankheitsbedingten Fehlzeiten ein Ausmaß erreicht, das implizit von einer
Dienstunfähigkeit auszugehen ist. Die Frage, ob inzwischen Berufs- oder
Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist, ist vom zuständigen Rentenversicherungsträger zu
entscheiden.
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Ich fordere Sie daher auf, einen Rentenantrag bei dem für Sie zuständigen
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Rentenversicherungsträger zu stellen.
Sollte mir ein Nachweis über Ihre Antragstellung nicht bis zum 10.11.2000 (Eingang bei
der Bezirksregierung) vorliegen, so behalte ich mir weitere rechtliche Schritte vor.
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Gemäß § 59 BAT tritt an die Stelle des Gutachtens des Bescheides des gesetzlichen
Rentenversicherungsträgers das Gutachten eines Amtsarztes, unter anderem wenn der
Angestellte den Rentenantrag schuldhaft verzögert. Das Arbeitsverhältnis endet in
diesem Fall mit Ablauf des Monats, in dem dem Angestellten das Gutachten bekannt
gegeben worden ist."
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Mit diesen Hinweisen hatte das beklagte Land dem Kläger zutreffend die nach der
damaligen Lage in Betracht kommenden Möglichkeiten erläutert. Der Kläger war
keineswegs gezwungen, einen Rentenantrag zu stellen. Er hätte genauso gut einen
arbeitsvertraglichen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung, etwa auch
verbunden mit einem Versetzungsantrag, geltend machen und bei Ablehnung
gerichtlich verfolgen können. Indem er dies unterließ, verstieß er nachhaltig gegen seine
Schadensabwendungspflicht. Denn in einem Beschäftigungs- bzw. Versetzungsprozess
vor Eintritt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses hätten notwendigerweise alle die
tatsächlichen und rechtlichen Aspekte geklärt werden müssen, auf die sich der Kläger
zur Begründung der Schadenshaftung nunmehr beruft.
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Es geht nicht an, zunächst unter Verzicht auf naheliegende Rechtspositionen einen
Schaden eintreten zu lassen, um ihn anschließend vom angeblichen Schädiger ersetzt
zu verlangen. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass der Nichtgebrauch von
Rechtsbehelfen gegen § 254 Abs. 2 BGB verstoßen kann, soweit hinreichende
Erfolgsaussichten bestehen (vgl. nur BGH NJW RR 1991, 1459; Palandt/Heinrichs,
BGB, 61. Auflage, § 254 Rz. 42 m. w. N.). Eben das war hier der Fall: Durch eine frühere
Rechtsverfolgung wäre abschließend geklärt worden, ob der Kläger dienst- und
versetzungsfähig gewesen wäre oder nicht. Bei einer weiter gegebenen Dienstfähigkeit
hätte er seine vollen Bezüge etwa auch unter dem Aspekt des Annahmeverzuges
beanspruchen können. Ein Verdienstausfallschaden wäre dann nicht eingetreten.
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Der Kläger kann auch nicht mit dem Einwand durchdringen, er sei seinerzeit massiv
unter Druck gesetzt worden, den Rentenantrag zu stellen; zudem habe er sich in "einem
Zustand äußerster Verzweiflung" befunden und daher auf Grund seiner Erkrankung
"alles regelrecht willenlos über sich ergehen" lassen. Der Kläger widerlegt sich selbst,
indem er an anderer Stelle ausführt, er habe schon im Herbst 1999 den Rat des von ihm
benannten Zeugen E eingeholt, der türkischer Rechtsanwalt sei. Man habe sich aus
Anlass eines Schreibens der Bezirksregierung vom 19.10.1999 über die berufliche
Problematik des Klägers unterhalten. Vor diesem Hintergrund, also der gegebenen
Beratungsmöglichkeit, ist völlig unverständlich, dass der Kläger die gebotenen
rechtlichen Schritte noch in dem bestehenden Arbeitsverhältnis nicht unternahm. Er hat
darauf auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht keine
nachvollziehbare Antwort geben können. Nach alledem hat der Kläger die etwa
eingetretene Schädigung selbst zu vertreten.
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1. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 3, 97 Abs. 1 ZPO.
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1. Die Revision war nicht gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen. Insbesondere hatte
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, weil die Entscheidung auf den
besonderen Umständen des Einzelfalls beruht.
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Rechtsmittelbelehrung
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Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben. Auf die Möglichkeit der
Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 72 a ArbGG wird hingewiesen.
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(Dr. Kalb) (Daverkausen) (Völkner)
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