Urteil des LAG Köln vom 04.11.1999

LArbG Köln: fristlose kündigung, ordentliche kündigung, wichtiger grund, nummer, kündigungsfrist, anschlussberufung, interessenabwägung, kennzeichnung, gespräch, telefonapparat

Landesarbeitsgericht Köln, 6 Sa 493/99
Datum:
04.11.1999
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
6. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 Sa 493/99
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Köln, 5 Ca 7576/98
Schlagworte:
Privattelefonate; Interessenabwägung; wichtiger Grund;
Normen:
§§ 626 BGB, 1 KSchG
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
1. Führt der Arbeitnehmer private Telefonate von seinem dienstlichen
Telefonapparat ohne die betrieblich vorgesehene Kennzeichnung und
getrennte Abrechnung, so stellt dieses treuwidrige Verhalten an sich
einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB dar.
2. Im Rahmen der umfassenden Interessenabwägung kann sich aber
ergeben, dass dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung bis zum
Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar ist (im Streitfall:
Wirksamkeit der hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung eines 17
Jahre bestehenden Arbeitsverhältnisses).
Tenor:
1. Die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung der
Beklagten gegen das am 08.01.1999 verkündete Urteil des
Arbeitsgerichts Köln - 5 Ca 7576/98 - werden zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger zu
2/3 und der Beklagten zu 1/3 auferlegt.
T a t b e s t a n d
1
Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer fristlosen Kündigung der
Beklagten vom 27.08.1999 (Kopie Bl. 7 d.A.), die hilfsweise fristgerecht zum 31.03.1999
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ausgesprochen wurde.
Der Kläger war seit dem 01.08.1981 als sog. EDV-Operator beschäftigt, und zwar
zunächst bei der ehemaligen mitverklagten Muttergesellschaft, der ursprünglichen
Beklagten zu 2); nach einer Ausgliederung mit Übernahme des Arbeitsverhältnisses bei
der nunmehr allein noch in Anspruch genommenen Beklagten.
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Im Juli 1998 fand zwischen dem Kläger und seinen Vorgesetzten ein Personalgespräch
statt, in dem es unter anderem um das Führen von privaten Telefonaten ging. Dem
Kläger wurde im Anschluss an dieses Gespräch ein Ermahnungsschreiben übergeben,
in welchem ihm das Führen von Privatgesprächen während der Arbeitszeit untersagt
wurde. Unstreitig telefonierte der Kläger nach diesem Gespräch noch dreimal zu
privaten Zwecken.
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Am 14.08.1998 erlangte der Geschäftsführer der Beklagten, Herr P , von den
Vorkommnissen Kenntnis.
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Mit Schreiben vom 27.08.1998 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos,
hilfsweise fristgerecht zum 31.03.1999. Sie führte als Begründung an, der Kläger habe
in den Monaten Mai bis Juli 1998 von seinem Dienstapparat aus insgesamt 80
Privatgespräche geführt, die er über die dienstliche Ziffer 0 als Dienstgespräch
ausgewiesen habe. Hinzu komme, dass der Kläger trotz zweimaliger Abmahnung
wegen Verspätung sowohl am 28.07.1998 als auch am 29.07.1998 zu spät zum
Schichtbeginn erschienen sei.
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Der bei der Beklagten bestehende Gesamtbetriebsrat wurde unter dem 20.08.1998 unter
Angabe der Kündigungsgründe angehört. Er stimmte unter dem 26.08.1998 der
fristgerechten Kündigung zu und erhob gegen die fristlose Kündigung Bedenken.
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Der Kläger hat die Ansicht vertreten, er habe durch sein Verhalten weder Anlass zur
fristlosen noch zur fristgerechten Kündigung gegeben. Zwar habe er von seinem
Dienstapparat aus private Telefonate getätigt. Diese seien jedoch, nachdem er sich bei
seinem Vorgesetzten, dem Zeugen K , vergeblich um die Zuteilung einer PIN-Nummer
zur Eingabe bei privaten Telefonaten bemüht habe, durch eine Absprache mit diesem
genehmigt worden.
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Der Kläger hat beantragt,
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festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Ar-
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beitsverhältnis weder durch die fristlose noch durch die frist-
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gerechte Kündigung vom 27.08.1998 beendet worden ist.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Widerklagend hat sie beantragt,
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den Kläger zu verurteilen, an sie DM 1.010,88 nebst 4 % Zinsen
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seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Der Kläger hat beantragt,
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die Widerklage abzuweisen.
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Die Beklagte hat behauptet, dass sie grundsätzlich keine Einwände gegen das Führen
von Privatgesprächen in vertretbarem Umfang erheben würde. Aus diesem Grunde
habe sie den Mitarbeitern, unter anderem auch dem Kläger, die Möglichkeit eröffnet,
private Telefonate durch Eingabe der Vorwahl "980" als solche zu kennzeichnen. Durch
die separate Erfassung seien diese dann mit den jeweils folgenden
Gehaltsabrechnungen verrechnet worden. Dadurch, dass der Kläger diese ihm
bekannte Möglichkeit nicht genutzt habe, sei ihr ein Schaden in Höhe von DM 340,--
entstanden.
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Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage durch Urteil vom 08.01.1999
teilweise stattgegeben und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung
vom 27.08.1998 nicht vor dem 31.03.1999 beendet worden ist. Die weitergehende
Klage und Widerklage hat es abgewiesen. Wegen seiner Entscheidungsgründe wird auf
Bl. 73 ff d.A. Bezug genommen.
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Gegen das ihm am 30.03.1999 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat der Kläger am
20.04.1999 Berufung eingelegt, die am 19.05.1999 begründet worden ist. Die Beklagte,
der das Urteil am 27.03.1999 zugestellt worden ist, hat am 05.05.1999
Anschlussberufung eingelegt und diese Anschlussberufung am 02.06.1999 begründet.
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Der Kläger behauptet nunmehr, private Telefonate seien allein durch die Vorwahl "980"
nicht möglich. Es müsse vielmehr zusätzlich die individuelle PIN-Nummer eingegeben
werden, um ein Freizeichen zu erhalten. Diese sei dem Kläger jedoch nicht bekannt
gewesen.
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Der Kläger beantragt,
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unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils des Arbeits-
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gerichts Köln vom 08.01.1999 - 5 Ca 7576/98 - festzustellen,
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dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhält-
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nis auch nicht durch die ordentliche Kündigung vom 27.08.1998
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mit Wirkung zum 31.03.1999 aufgelöst wurde.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung des Klägers zurückzuweisen,
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ferner im Rahmen der Anschlussberufung das Urteil des Ar-
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beitsgerichts Köln vom 08.01.1999 - 5 Ca 7576/98 - abzuändern
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und die Klage insgesamt abzuweisen sowie - widerklagend -
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den Kläger zu verurteilen, an sie DM 1.010,88 nebst 4 % Zinsen
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seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Der Kläger beantragt,
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die Anschlussberufung zurückzuweisen.
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Die Beklagte ist der Ansicht, das Verhalten des Klägers rechtfertige die von ihr am
27.08.1998 ausgesprochene fristlose Kündigung in vollem Umfange, da das
weisungswidrige Führen privater Telefonate als Vertrauensbruch einen wichtigen Grund
i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB darstelle. Es sei ihr auch nicht zuzumuten, das Telefonverhalten
des Klägers regelmäßig auf die Eingabe der Nummer "980" hin zu überprüfen.
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Da das Vertragsverhältnis somit schon mit Ablauf des 27.08.1998 beendet gewesen sei,
habe der Kläger die für den Monat August überzahlte Vergütung in Höhe von DM
1.010,88 zurückzuzahlen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes haben die Parteien auf
die von ihnen in beiden Rechtszügen überreichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug
genommen.
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Das Berufungsgericht hat Beweis erhoben aufgrund des Beschlusses vom 05.08.1999
durch Vernehmung der Zeugen M und K . Wegen des Ergebnisses des Beweisthemas
wird auf die Sitzungsniederschrift vom 05.08.1999, wegen des Ergebnisses der
Beweisaufnahme auf die Sitzungsniederschrift vom 04.11.1999 verwiesen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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1. Die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung der Beklagten sind
zulässig, weil sie statthaft (§§ 64 Abs. 1, 2 und 6 S. 1 ArbGG, 521 ZPO) und frist-
sowie formgerecht eingelegt und begründet worden sind (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6
S. 1 ArbGG, 518, 519, 521, 522, 522 a ZPO).
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1. In der Sache haben die Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg.
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Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis zutreffend erkannt, dass die fristlose Kündigung der
Beklagten vom 27.08.1998 nach § 626 Abs. 1 BGB rechtsunwirksam ist, wohingegen
sich die fristgerechte Kündigung des Arbeitsverhältnisses vom gleichen Tag zum
31.03.1999 gemäß § 1 Abs. 1 KSchG als sozial gerechtfertigt erweist. Im Einzelnen gilt
Folgendes:
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1. Grundsätzlich kann ein Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist
gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden
unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der
Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum
Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Der Prüfungsmaßstab ist
dabei zweistufig: Erst wenn der Sachverhalt ohne die Umstände des Einzelfalles
an sich geeignet ist, einen Kündigungsgrund zu bilden, kommt es zu einer
umfassenden Abwägung der einzelnen Interessen (vgl. BAG vom 17.05.1984 EzA
§ 626 BGB n.F. Nr. 90; 02.03.1989 EzA § 626 BGB n.F. Nr. 118;
Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis,
7. Aufl., Rn. 453).
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1. Der vorliegende Sachverhalt stellt für sich genommen einen wichtigen Grund im
Sinne des § 626 Abs. 1 BGB dar, weil Straftaten gegenüber dem Arbeitgeber,
insbesondere Diebstähle und sonstige Vermögensdelikte zum Nachteil des
Arbeitgebers, in der Regel geeignet sind, eine außerordentliche Kündigung zu
rechtfertigen (vgl. KR-Fischermeier, 5. Aufl., § 626 BGB Rn. 445;
Stahlhacke/Preis/Vossen, Rn. 562 f). In diesem Zusammenhang ist anerkannt,
dass auch ein Arbeitnehmer, der über die betriebliche Fernsprechanlage auf
Kosten des Arbeitgebers umfangreiche private Telefongespräche geführt hat,
fristlos entlassen werden kann, wenn der Arbeitgeber solche Gespräche
ausdrücklich untersagt hat (vgl. LAG Düsseldorf vom 14.02.1963 BB 1963, 732;
LAG Köln vom 02.07.1998 LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr.
66 m.w.N.). Es ist unstreitig, dass der Kläger auf Kosten der Beklagten private
Telefonate geführt hat, indem er seine Privatgespräche nicht über die Vorwahl
"980" gekennzeichnet, sondern als Dienstgespräche ausgewiesen hat. Die
Beklagte ist dadurch in ihrem Vermögen geschädigt worden. Auf den Umfang des
Schadens kommt es dabei nicht an. Entscheidend ist vielmehr, dass das
Vertrauen des Arbeitgebers in die Redlichkeit des Arbeitnehmers erschüttert ist
(vgl. BAG vom 17.05.1984 EzA § 626 BGB n.F. Nr. 90).
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Der Kläger hat mit diesem Verhalten auch in subjektiv vorwerfbarer Weise seine
arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt. Er kann sich nicht damit entschuldigen, dass er
nicht im Besitz einer individuellen PIN-Nummer gewesen ist, die nach seinem Vortrag
zusammen mit der Vorwahl "980" notwendig gewesen wäre, um private Telefonate als
solche zu kennzeichnen. Auch sein angebliches Bemühen um eine solche PIN-Nummer
kann ihn nicht entlasten.
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Der für die Telefontechnik bei der Beklagten zuständige Zeuge M hat demgegenüber
nämlich bestätigt, dass die Mitarbeiter, denen ein Telefonapparat persönlich
zugeschlüsselt worden ist - bei dem Kläger geschah dies im April 1998 -, allein mit der
Eingabe der Vorwahl "980" ein Privatgespräch führen und es damit auch als ein solches
kennzeichnen können. Die sogenannte PIN-Nummer hat nach Darstellung des Zeugen
den Zweck, dass bei einer Mehrfachbenutzung von Telefonapparaten als zusätzliche
Kennung ein Privatgespräch einwandfrei von dem jeweiligen Nutzer identifiziert werden
könne. Im Übrigen diene sie dem Abschließen und Freigeben des Apparates. Da das
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Telefon jedoch zunächst freigeschaltet sei, könne ohne weiteres nach Eingabe der
Vorwahl "980" privat telefoniert werden.
Auch wenn zugunsten des Klägers unterstellt würde, dass er das Informationsschreiben
der Beklagten über das Führen privater Telefonate einschließlich einer individuellen
PIN-Nummer niemals erhalten habe, kann dies sein vertragswidriges Verhalten nicht
rechtfertigen.
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Der Kläger hat es trotz des Personalgespräches vom 21.07.1998 und der anschließend
noch schriftlich gefassten Ermahnung der Beklagten nicht unterlassen, private
Telefonate vom Arbeitsplatz aus ohne entsprechende Kennzeichnung zu führen. Wie
sich aus der Gebührendatenauswertung für den Monat Juli 1998 ergibt (Kopie Bl. 43
d.A.), hat er nach dem 21.07.1998 noch dreimal von seinem Arbeitsplatz aus privat
telefoniert. Auch wenn die Beklagte grundsätzlich das Führen von Privatgesprächen
während der Dienstzeit in angemessenem Umfang gestattet, so ist es in dem
Personalgespräch zwischen den Parteien aufgrund der Beschwerden von Kollegen
über die ausschweifende Praxis des Klägers zu einer Sonderregelung gekommen.
Danach war es dem Kläger ab sofort untersagt, telefonische Privatgespräche während
der Arbeitszeit zu führen. In Einzelfällen sollte er sich bei Anwesenheit des
Vorgesetzten eine entsprechende Erlaubnis einholen können. Dazu ist es - wiederum
entgegen der Behauptung des Klägers - in der Folgezeit nach der Erinnerung des
Zeugen K nicht gekommen.
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Der Kläger kann sich wegen seiner umfangreichen Privattelefonate zuvor auch nicht auf
eine besondere Absprache mit seinem unmittelbaren Vorgesetzten, dem Zeugen K ,
berufen. Dieser hat die vom Kläger behauptete Verrechnungsabrede als schlicht unwahr
bezeichnet. Er bestreitet ausdrücklich, mit dem Kläger eine Sonderabsprache getroffen
zu haben, wonach die Kosten der Privattelefonate mit Nacht- bzw.
Überstundenzuschlägen hätten verrechnet werden sollen. Damit ist diese Einlassung
des Klägers als reine Schutzbehauptung entlarvt. Für eine Verrechnungsabrede
bestand auch objektiv keine Veranlassung, weil der Kläger - auch ohne PIN-Nummer -
seine Privatgespräche auf dem ihm zugeschlüsselten Telefonapparat kennzeichnen
konnte. Notfalls hätte er auf das Führen von Privatgesprächen von seinem
Dienstapparat ganz verzichten müssen.
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Durch das vertragswidrige Verhalten des Klägers ist das Vertrauensverhältnis zwischen
den Arbeitsvertragsparteien nachhaltig und endgültig zerstört worden. Das
Fehlverhalten wirkt sich, selbst wenn man eine Wiederholungsgefahr verneinen würde,
auch künftig weiter belastend auf das Arbeitsverhältnis aus. Mit Rücksicht darauf war
entgegen der Auffassung des Klägers eine Abmahnung nicht erforderlich. So soll es bei
Pflichtverletzungen, die zu einer Störung im Vertrauensbereich des Arbeitgebers führen,
grundsätzlich keiner Abmahnung vor Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung
bedürfen (vgl. BAG vom 30.06.1983 EzA § 1 KSchG Tendenzbetrieb Nr. 14).
Ausnahmen kommen nur dann in Betracht, wenn der Arbeitnehmer annehmen durfte,
sein Verhalten sei nicht vertragswidrig bzw. der Arbeitgeber werde es zumindest nicht
als ein erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Fehlverhalten
ansehen (vgl. BAG vom 30.06.1983 aaO; BAG vom 05.11.1992 EzA § 626 BGB n.F. Nr.
143; BAG vom 14.02.1996 EzA § 626 BGB n.F. Nr. 160; BAG vom 04.06.1997 AP Nr.
137 zu § 626 BGB; LAG Köln vom 02.07.1998 LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte
Kündigung Nr. 66). Der Kläger konnte vorliegend nicht annehmen, dass sein Verhalten
noch gebilligt werden würde. Das Ergebnis des Personalgesprächs war jedenfalls
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eindeutig. Weitere Privattelefonate während der Arbeitszeit wurden ihm ausdrücklich
untersagt, verbunden mit einem Erlaubnisvorbehalt im Einzelfall. Die Tatsache, dass der
Kläger auch im Anschluss an dieses Gespräch private Telefonate ohne entsprechende
Erlaubnis führte, begründete die Prognose, dass er sich auch in Zukunft nicht
vertragsgemäß verhalten werde.
1. Die fristlose Kündigung ist allerdings, auch wenn ein wichtiger Grund an sich
vorliegt, rechtsunwirksam, weil bei Berücksichtigung aller Umstände des
Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber bis zum Ablauf der
Kündigungsfrist am 31.03.1999 zumutbar war.
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Im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB wird, ausgehend vom Wortlaut der Norm, eine
umfassende Interessenabwägung unter Einbeziehung aller vernünftigerweise in
Betracht zu ziehenden Umstände des Einzelfalles verlangt (ständige Rechtsprechung
seit BAG vom 09.12.1954 AP Nr. 1 zu § 123 GewO; vgl. KR-Fischermeier § 626 BGB
Rn. 236). Dazu werden regelmäßig insbesondere Gesichtspunkte wie Lebensalter,
Dauer der Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers und die
wirtschaftliche Lage des Unternehmens gezählt (vgl. BAG vom 22.02.1980 EzA § 1
KSchG Krankheit Nr. 5). Zu beachten sind stets auch die Art, Schwere und die Folgen
der dem Gekündigten vorgeworfenen Handlungen (BAG vom 141.02.1978 EzA Art. 9
GG Arbeitskampf Nr. 22).
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Die Beschäftigung des Klägers bis zum 31.03.1999 war für die Beklagte unter
Abwägung der beiderseitigen Interessen zumutbar. Dies gilt vor allem mit Rücksicht auf
die lange Betriebszugehörigkeit des Klägers sowie auf die Möglichkeit der Beklagten,
das Fehlverhalten des Klägers während der verbleibenden Kündigungsfrist zu
unterbinden. Der Kläger war bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin seit 1981
beschäftigt. Er war zum Zeitpunkt der Kündigung mithin 17 Jahre lang in dem
Unternehmen tätig. Diese lange Betriebszugehörigkeit auf der einen Seite und der
relativ geringe Vermögensschaden auf der anderen Seite lassen das Interesse der
Beklagten an einer fristlosen Kündigung zurücktreten.
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Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass der Beklagten im Falle der
Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum 31.03.1999 weitere Vermögensschäden
durch erneutes privates Telefonieren seitens des Klägers gedroht hätten. Die Gefahr
eines erneuten Fehlverhaltens hätte sich technisch durch ein Absperren des
Telefonapparates für ausgehende Amtsgespräche leicht beseitigen lassen. Die
Beklagte besaß nach einem Vortrag die technischen Möglichkeiten, solche Maßnahmen
zu ergreifen. Ihr wären diese Gegenmaßnahmen auch ohne großen Aufwand zumutbar
gewesen. Eine erneute Vermögensschädigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist am
31.03.1999 hätte sich damit nahezu vollständig ausschließen lassen.
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1. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses ist
dagegen rechtswirksam, weil sie sozial nicht ungerechtfertigt ist (§ 1 Abs. 1
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KSchG). Sie ist durch Gründe, die im Verhalten des Klägers liegen, bedingt (§ 1
Abs. 2 KSchG). Im Unterschied zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem
Grund müssen die verhaltensbedingten Gründe nicht so schwerwiegend sein, das
sie für den Arbeitgeber die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses bis zum Ende der Kündigungsfrist begründen. Es genügen
vielmehr solche verhaltensbedingten Umstände, die bei verständiger Würdigung
in Abwägung der Interessen der Vertragsparteien und des Betriebes die
Kündigung als billigenswert und angemessen erscheinen lassen (vgl. BAG EzA §
1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 10). Dabei ist ein objektiver Maßstab
anzuwenden. Als verhaltensbedingter Kündigungsgrund kommt daher nur ein
solcher Umstand in Betracht, der einen ruhig und verständig urteilenden
Arbeitgeber zur Kündigung bestimmen kann.
Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist die fristgerechte Kündigung gerechtfertigt, weil der
Beklagten eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses wegen des wiederholten
Fehlverhaltens des Klägers nicht mehr zumutbar war. Der Kläger hat sich trotz
ausdrücklicher Untersagung der Beklagten nicht an deren Anweisung gehalten, sondern
weiterhin auf Kosten der Beklagten private Telefonate geführt und diese nicht als solche
gekennzeichnet. Auch ist über die Kosten der Privatgespräche, die vor dem
Personalgespräch geführt wurden, keine Verrechnungsabrede zwischen dem Kläger
und dem unmittelbaren Vorgesetzten, dem Zeugen K getroffen worden. Der Kläger hat
auf diese Weise wiederholt und bewusst das Vermögen der Beklagten beschädigt. Dass
sein Verhalten sogar an sich geeignet war, einen wichtigen Grund im Sinne des § 626
Abs. 1 BGB zu bilden, ist bereits oben unter II 1 a dargelegt worden.
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Da der Kläger sich auch nach dem Personalgespräch uneinsichtig zeigte, konnte er mit
weiterer Schonung durch die Beklagte nicht mehr rechnen. Es handelte sich
keineswegs um ein belangloses Fehlverhalten, wie der Kläger offensichtlich bis zuletzt
angenommen hat. Der Beklagten war daher ein Festhalten an dem Arbeitsverhältnis auf
Dauer nicht mehr zuzumuten. Der Kläger hat sich die Kündigung des
Arbeitsverhältnisses wegen seiner Uneinsichtigkeit in Bezug auf die korrekte
Kennzeichnung privater Telefonate vielmehr selbst zuzuschreiben. Auch seine
Betriebszugehörigkeit von 17 Jahren vermag die Interessenabwägung - anders als bei
der außerordentlichen Kündigung - nicht entscheidend zu seinen Gunsten zu
beeinflussen. Denn seine Pflichtverletzungen im Vertrauensbereich wiegen schwer und
rechtfertigen nur ausnahmsweise keine fristlose Kündigung. Der Beklagten war eine
Fortsetzung des dauerhaft belasteten Arbeitsverhältnisses mit der Gefahr weiterer
Schädigungen durch den Kläger nicht zumutbar. Bei einer Gesamtabwägung der
widerstreitenden Interessen muss dem Interesse der Beklagten an einer Beendigung
des Arbeitsverhältnisses Vorrang vor dem Bestandsschutzinteresse des Klägers
eingeräumt werden.
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1. Da das Arbeitsverhältnis nicht vor dem 31.03.1999 beendet worden ist, steht dem
Kläger auch die vollständige vertragliche Vergütung für den Monat August 1998
zu. Der widerklagend geltend gemachte Rückforderungsanspruch der Beklagten
ist daher unbegründet.
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1. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 92 Abs. 1, 97
Abs. 1 ZPO.
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1. Die Revision war nicht gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen. Insbesondere hatte
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, weil die Entscheidung auf den
besonderen Umständen des Einzelfalles beruht.
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R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
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Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben. Wegen der Möglichkeit der
Nichtzulassungsbeschwerde wird auf § 72 a ArbGG verwiesen.
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(Dr. Kalb) (Breuer) (Petri)
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