Urteil des LAG Köln vom 08.11.2010

LArbG Köln (kläger, fristlose kündigung, kündigung, arbeitsverhältnis, vertragsstrafe, treu und glauben, höhe, alkohol, arbeitgeber, arbeitnehmer)

Landesarbeitsgericht Köln, 2 Sa 612/10
Datum:
08.11.2010
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
2.Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 Sa 612/10
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Köln, 3 Ca 1611/09
Schlagworte:
Fristlose Kündigung, Gefahrguttransportfahrer, Alkohol
Normen:
§ 626 BGB
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Das Fahren eines Gefahrguttransporters mit mehr als 0 Promille
Blutalkohol kann eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. In die
Abwägung aufzunehmen ist das Maß der Gefährdung anderer
Verkehrsteilnehmer, die Möglichkeit einer zukünftigen effektiven
Kontrolle des Fahrers, insbesondere ob eine Verheimlichung und
Verharmlosung auf eine fehlende Einsicht schließen lassen sowie auch,
welche Auswirkungen die Weiterbeschäftigung auf die Arbeitsmoral im
gesamten Fahrerbereich hat.
Tenor:
Das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 25.11.2009 wird auf die
Berufung der Beklagten teilweise abgeändert:
Der Kläger wird verurteilt, an die Beklagte weitere 1.104,48 Euro nebst 5
Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz ab dem 17.09.2009 zu
zahlen.
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Die Revision wird für den Kläger zugelassen.
T a t b e s t a n d :
1
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung vom 12.02.2009,
um die Vergütungszahlung für den Monat Februar 2009, die Rückzahlung des
Weihnachtsgeldes aus dem Jahr 2008 und um die Zahlung einer Vertragsstrafe.
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Der Kläger, geboren am 06.03.1952, war bei der Beklagten am 01.11.1995 als
Berufskraftfahrer eingestellt worden. Als solcher führte er für die Beklagte
Gefahrguttransporte durch. Zusätzlich war er zum Gefahrengutbeauftragten bestellt
worden. Seine Berufsbezeichnung gibt der Kläger mit "Kraftverkehrsmeister" an.
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Der Kläger erhielt eine Grundvergütung von 2.208,96 €. Aufgrund von Zulagen und
Pauschalen bezog er eine monatliche Durchschnittsvergütung von 3.347,00 €. Der
Kläger ist zu 30 % erwerbsgemindert. Eine Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch
(Grad einer Behinderung von mindestens 50 %) war zum Kündigungszeitpunkt nicht
nachgewiesen. Unter dem 10.02.2009 erteilte der zur beabsichtigten Kündigung
angehörte Landschaftsverband Rheinland ein sogenanntes Negativattest.
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Durch arbeitsvertragliche Inbezugnahme ist die Anwendung des
Bezirksmanteltarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer im privaten
Güterverkehrsgewerbe Nordrhein-Westfalen in der jeweils gültigen Fassung vereinbart
worden. § 10 MTV regelt zur Jahressonderzahlung Folgendes:
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Die Jahressonderzahlung ist zurückzuzahlen, wenn das
Beschäftigungsverhältnis bis zum 31.03. des folgenden Kalenderjahres endet;
das gilt nicht, wenn das Arbeitsverhältnis aus betrieblich bedingten Gründen
durch den Arbeitgeber gekündigt worden ist.
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Im Arbeitsvertrag der Parteien findet sich unter § 10 c folgende Regelung zur
Rückzahlung einer Weihnachtsgratifikation:
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Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, die Weihnachtsgratifikation zurückzuzahlen,
wenn er vor dem 31.03. des der Auszahlung nachfolgenden Kalenderjahres
ausscheidet, es sei denn die Gratifikation beträgt nicht mehr als 200,00 DM oder
die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist vom Arbeitgeber durch Befristung
oder betriebsbedingte Kündigung veranlasst.
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Unter § 22 des Arbeitsvertrages ist folgende Vertragsstrafenregelung vereinbart:
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Für den Fall, dass der Arbeitnehmer seinen Dienst schuldhaft nicht zum
vereinbarten Termin antritt oder das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung der
Kündigungsfrist rechtswidrig vorzeitig beendet, hat er an den Arbeitgeber eine
Vertragsstrafe in Höhe eines durchschnittlichen Bruttomonatseinkommens zu
zahlen. Das Gleiche gilt, wenn der Arbeitnehmer wegen schuldhaft
vertragswidrigen Verhaltens fristlos entlassen wird oder wenn der Arbeitnehmer
gegen seine gesetzliche oder vertragliche Geheimhaltungsverpflichtung
verstößt.
10
Am Donnerstag, den 05.02.2009 nahm der Kläger gegen 06.05 Uhr die Arbeit auf. Er
übernahm einen LKW, mit dem er auf dem Gelände des B -W in L bei der Firma L
Natronlauge lud. Er kehrt gegen 09:00 Uhr mit dieser Ladung zum Betriebsgelände
zurück. Bei seiner Rückkehr registrierte der Fuhrparkmeister, der Zeuge A H , einen
Atemgeruch des Klägers, den er als Alkoholgeruch einordnete. Er zog daraufhin den
Zeugen P B (Fahrtrainer) hinzu, der denselben Geruch wahrnahm und ihn ebenfalls als
Alkoholgeruch einordnete. Darauf wurde der Kläger zu einem Personalgespräch in die
Personalabteilung gebeten, das der Personalleiter Herr F führte. Auch Herr F nahm
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wahr, dass die Atemluft des Klägers einen deutlich wahrnehmbaren Geruch hatte, den
er als Alkoholgeruch einordnete. An dem folgenden Personalgespräch nahmen sodann
der Kläger Herr H und Herr F teil.
Zum damaligen Zeitpunkt galt die Gefahrgutverordnung Straße und Eisenbahn
(GGVSE), nach deren § 9 Abs. 11 Nr. 18 die Fahrt mit einem Gefahrguttransporter unter
der Einwirkung von alkoholischen Getränken oder anderen die dienstliche Tätigkeit
beeinträchtigenden Mitteln verboten ist (0,0 Promillegrenze). Nach § 10 Nr. 15
Buchstabe o) ist die Zuwiderhandlung eine Ordnungswidrigkeit. Zudem gilt im Betrieb
der Beklagten aufgrund einer mitbestimmten Betriebsvereinbarung ein absolutes
Alkoholverbot, welches auf sämtlichen Arbeitsplätzen 0,0 Promille voraussetzt.
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Diese Regelung ist in einem Betriebshandbuch niedergelegt, welches dem Kläger im
Jahr 2005 ausgehändigt wurde. Zudem werden sämtliche Gefahrguttransportfahrer
jährlich hinsichtlich der Sicherheitsvorschriften, zu denen auch das absolute
Alkoholverbot gehört, geschult. Weiterhin gehört das Alkoholverbot zu den
Schulungsinhalten, die bei der Ausbildung zum Gefahrgutbeauftragten zwingend
vermittelt werden müssen.
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Der Kläger leugnete zunächst, Alkohol zu sich genommen zu haben. Er stimmte einer
Messung mit dem im Betrieb vorhandenen Alkoholtestgerät der Marke Dräger 7410 zu.
Dieses Gerät ist im Betrieb vorhanden, um stichprobenartige Überprüfungen zu
ermöglichen. Diese Stichproben werden aufgrund einer Betriebsvereinbarung vom
Betriebsrat durchgeführt. Dem Kläger wurde angeboten, ein Betriebsratsmitglied
hinzuzuziehen. Dies lehnte der Kläger ab.
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Mit Zustimmung des Klägers wurden sodann kurz hintereinander zwei Tests der
Atemluft durchgeführt. Der erste Test ergab einen Alkoholgehalt von 0,36 Promille, der
zweite Test einen Alkoholgehalt von 0,40 Promille. Der Kläger stellte dieses Ergebnis
nicht in Frage und rügte auch die Durchführung des Tests nicht.
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Er gab nunmehr an, bestimmte Substanzen zu sich genommen zu haben. Bei seiner
Befragung durch das Landesarbeitsgericht erklärte der Kläger, er habe am Vorabend
eine Portion Hustensaft der Marke Wick MediNait sowie fünf Tropfen Klosterfrau
Melissengeist auf Zucker zu sich genommen. Darüber hinaus 0,2 Liter warm gemachtes
alkoholfreies Bier. Die Beklagte behauptet, der Kläger habe sich bei diesem Gespräch
zunächst nur dahingehend eingelassen, er habe am Vorabend eine Flasche Bier
getrunken und morgens noch zu Hause eine Portion Erkältungssaft der Marke Wick
MediNait zu sich genommen. Erst bei der Anhörung durch den Betriebsrat habe er
angegeben, er habe weiterhin auch auf dem Gelände der Firma L eine Portion Wick
MediNait zu sich genommen sowie dort Klosterfrau Melissengeist konsumiert.
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Nach der Alkoholmessung wurde nunmehr durch die Arbeitgeberseite der
Betriebsratsvorsitzende hinzugezogen. Die Parteien einigten sich darauf, einen
Blutalkoholtest bei einem Arzt durchführen zu lassen. Streitig zwischen den Parteien ist,
ob der Kläger diesen Vorschlag machte oder ob dieser Vorschlag von Seiten der
Arbeitgeberseite kam, um dem Kläger Gelegenheit zu geben, die bisherigen Ergebnisse
zu wiederlegen. Das Personalgespräch endete um 09:45 Uhr. Der Kläger ging
gemeinsam mit dem Zeugen B zu seinem LKW, um seine Tasche dort herauszuholen.
Er stelle sie im Dispogebäude ab. Die Tasche enthielt auch das Portemonnaie des
Klägers.
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Die Beklagte behauptet, sie habe sodann versucht, einen Arzt oder ein Krankenhaus
ausfindig zu machen, welches einen verwertbaren Blutalkoholtest durchführen könne.
Um 10:19 Uhr bereits sei der Kläger nicht mehr auffindbar gewesen. Um 10:30 Uhr habe
die Videoaufzeichnungsanlage festgehalten, dass der Kläger das Betriebsgelände
verlassen habe. Der Kläger behauptet, er sei noch bis 11:20 Uhr auf dem
Betriebsgelände verblieben. Er habe es dann verlassen, ohne seine Tasche zu holen
und ohne sich abzumelden, weil er sich entschlossen habe, auf eigene Faust einen Arzt
zu suchen, der die Alkoholkontrolle durchführen könne. Dies sei aber im unmittelbaren
zeitlichen Anschluss nicht mehr möglich gewesen. Am Nachmittag desselben Tages
habe der von ihm aufgesuchte Arzt sodann eine Blutprobe entnommen, die 0,0 Promille
Alkohol ergeben habe. Er behauptet weiter, er habe noch um 10:00 Uhr einen anderen
Fahrer in sein Fahrzeug eingewiesen. Die Beklagte behauptet, der Kläger habe bereits
um 11:55 Uhr von zu Hause den Betriebsratsvorsitzenden angerufen und diesem erklärt,
er sei nach Hause gefahren, weil er sich gemobbt fühle.
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Bei seiner Anhörung vor dem Landesarbeitsgericht hat der Kläger behauptet, er sei stark
erkältet gewesen. Die am 05.02.2009 ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
gibt als Krankheitsursache F 45.9, R 10.4, K 29.9 an. Hinter diesen Schlüsselzahlen
verbergen sich eine somatoforme Störung, Bauchschmerzen und eine Gastroduodenitis.
Das Vorliegen einer Erkältungskrankheit wurde nicht bescheinigt.
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In dem LKW des Klägers wurden zwei Flaschen Bitburger Pils gefunden. Hierzu trägt
der Kläger vor, diese habe er an einem der Vortage erhalten, da die transportierten
Chemikalien auch an Brauereien geliefert wurden. Hierzu hat die Beklagte erläutert,
dass die Natronlauge bei Brauereien zur Spülung der Abfüllanlagen benötigt wird. Am
09.02.2009 hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat zur fristlosen
Kündigung des Klägers an. Auf das Anhörungsschreiben (Bl. 23 d. A.) wird Bezug
genommen. Der Betriebsrat stimmte der Kündigung ausdrücklich am 11.02.2009 zu,
nachdem er ein Gespräch mit dem Kläger geführt hatte.
20
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis durch die hier streitgegenständliche
außerordentliche Kündigung vom 12.02.2009. Die Beklagte rechnete das
Arbeitsverhältnis für den Monat Februar 2009 durch Lohnabrechnung vom 26.03.2009
ab (Bl. 95 d. A.). Hierbei ergab sich ein Nettozahlungsbetrag zugunsten des Klägers von
1.270,92 €, welcher dem Kläger durch erstinstanzliches Urteil zugesprochen wurde. Die
Beklagte ist insoweit nicht in Berufung gegangen. Der Kläger verlangt gleichwohl für
den gesamten Monat die Vergütung in Höhe von 3.400,00 € brutto. Hinsichtlich der
Brutto-Netto-Differenz für die Zeit bis zum 12.02.2009 bestreitet er, dass die Beklagte die
Lohnsteuer- und Sozialversicherungsbeiträge abgeführt habe.
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Die Beklagte hat gegen die Lohnforderung des Klägers sowohl mit einer Vertragsstrafe
in Höhe von einem halben Bruttomonatsgehalt = 1.104,48 € und mit dem
Weihnachtsgeld in Höhe von 572,75 € aufgerechnet. Diese Aufrechnung hat der Kläger
nicht akzeptiert. Daraufhin hat die Beklagte Widerklage auf Rückzahlung des
Weihnachtsgeldes in Höhe von rechnerisch unstreitig 572,75 € und Zahlung der
Vertragsstrafe in Höhe von 1.104,48 € verlangt. Der Kläger vertritt die Ansicht, dass das
Vertragsstrafenversprechen unwirksam sei, da es sich um unzulässige AGB handele.
Die Rückzahlung des Weihnachtsgeldes sei nicht geschuldet, da das Arbeitsverhältnis
wie in der Hauptsache von ihm begehrt, fortbestehe.
22
Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage und den Weiterbeschäftigungsantrag
abgewiesen sowie den Kläger zur Rückzahlung des Weihnachtsgeldes nebst 5 %
Zinsen ab dem 17.09.2009 verurteilt. Die Bruttolohnklage für den gesamten Monat
Februar hat das Arbeitsgericht nur in Höhe des ausgerechneten Nettobetrages von
1.270,92 € zugesprochen. Im Übrigen hat es die Lohnklage abgewiesen. Im Hinblick auf
die geltend gemachte Vertragsstrafe hat es die Widerklage der Beklagten abgewiesen
mit der Begründung, da die Kündigungsschutzklage noch nicht rechtskräftig
entschieden sei, könne nicht festgestellt werden, ob der Tatbestand der Vertragsstrafe
bereits erfüllt sei.
23
Der Kläger verfolgt mit seiner Berufung folgende Anträge:
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1. Unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln vom 25.11.2009 – 3
Ca 1611/09 – wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die
fristlose Kündigung vom 12.02.2009 sein Ende gefunden hat, sondern zu den
Konditionen des geschlossenen Arbeitsvertrages aus dem Monat November
1995 unverändert fortbesteht.
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2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigem Abschluss
des Rechtsstreits als Berufskraftfahrer weiter zu beschäftigen.
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3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger weitere 3.400,00 € brutto abzüglich
titulierter netto 1.270,72 zuzüglich 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der
Europäischen Zentralbank seit dem 01.03.2009 zu bezahlen.
27
4. die Widerklage insgesamt abzuweisen.
28
Die Beklagte beantragt,
29
die Berufung des Klägers zurückzuweisen sowie, das Urteil des Arbeitsgerichts
Köln vom 25.11.2009 – 3 Ca 1611/09 – abzuändern und den Kläger zu
verurteilen, an sie weitere 1.104,48 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 17.09.2009 zu zahlen.
30
Der Kläger führt zu seiner Berufung aus, er sei arbeitsvertraglich nicht als
Gefahrgutfahrer, sondern lediglich als Kraftfahrer eingestellt worden. Das
Alkoholmessgerät sei defekt. Die Beweisverwertung sei nicht zulässig. Der
wahrgenommene Alkoholgeruch könne von anderen Gerüchen herrühren und belege
ebenfalls keinen Alkoholkonsum. Die Beklagte habe nicht überlegt, ob sie ihn auf einen
anderen Arbeitsplatz habe beschäftigen können. Der Betriebsrat sei nicht
ordnungsgemäß angehört worden. Unter Berücksichtigung der sogenannten Emmely–
Entscheidung handele es sich um steuerbares Verhalten, weshalb eine Abmahnung
vorrangig gewesen sei.
31
Bei seiner Anhörung durch das Landesarbeitsgericht hat der Kläger zudem angegeben,
er habe bis zum Prozess nicht gewusst, in welchem Maße sich Alkohol im Blut abbaut.
Er habe sich hierüber noch nie Gedanken gemacht. Die Vertragsstrafenregelung sei
unwirksam, da sie zu unbestimmt sei.
32
Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Sie führt desweiteren an, dass im
vorliegenden Fall die fristlose Kündigung auch generalpräventive Zwecke verfolge.
33
Sollte der Kläger trotz der aus Sicht der Beklagten nachgewiesenen Alkoholfahrt im
Betrieb verbleiben, so habe dies auf die gesamte Gruppe der Gefahrguttransportfahrer
Auswirkungen. Dies sei das Signal, dass die 0,0 Promillegrenze eben nicht absolut
einzuhalten sei, sondern jeder Fahrer doch dann wohl eine "Freifahrt" habe. Zudem sei
zu berücksichtigen, dass bei einem Nichtdurchgreifen gegenüber dem Kläger der
Auftraggeber den Auftrag entziehen könne, da dieser dann das Vertrauen in die
Beklagte verliere. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes
wird gemäß § 313 ZPO auf den Akteninhalt Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
34
Beide Berufungen waren zulässig und fristgerecht eingelegt. Die Berufung des Klägers
war zurückzuweisen. Auf die Berufung der Beklagten war dieser die begehrte
Vertragsstrafe zuzusprechen.
35
Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung vom 12.02.2009
außerordentlich und ohne Einhaltung einer Frist beendet worden. Kündigungsgründe im
Sinne des § 626 Abs. 1 BGB, die es der Beklagten unzumutbar machen, die
Kündigungsfrist, die vorliegend bis zum 31.07.2009 gelaufen wäre, einzuhalten.
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Der Beurteilung des Kündigungssachverhalts legt das Landesarbeitsgericht dabei
zugrunde, dass der Kläger zumindest bei der Fahrt vom Betriebsgelände der B -W zum
Betriebssitz der Beklagten einen Gefahrguttransporter, der mit Natronlauge beladen war,
gefahren ist, obwohl er einen Blutalkoholspiegel von mehr als 0,0 Promille, nämlich
einen solchen zwischen 0,3 und 0,4 Promille aufwies. Zu dieser Überzeugung gelangt
das Gericht aufgrund folgender Indizien:
37
a) Drei Mitarbeiter der Beklagten haben in der Atemluft des Klägers einen
Alkoholgeruch wahrgenommen. Der Beklagten ist es insoweit nicht zuzumuten, näher
zu substantiieren, wie denn Alkohol im Atem rieche. Die nähere Beschreibung des
Geruchs ist ebenso wenig möglich, wie Rosenduft oder angebrannte Milch beschrieben
werden kann. Gleichwohl weiß jeder, der diese Gerüche einmal wahrgenommen hat,
welche spezifische Wahrnehmung sich hinter der Umschreibung "Du riechst nach
Alkohol" verbirgt. Die Wahrnehmung erfolgte durch drei unabhängig voneinander
agierende Personen. Der Kläger hat nicht darauf bestanden, weitere Personen
hinzuzuziehen, die die Geruchswahrnehmung hätten widerlegen können, obwohl ihm
dies angeboten wurde. Er hat sich auch gegen diese Wahrnehmung, die ihm gegenüber
geäußert wurde, nicht verteidigt, indem er angegeben hat, was denn statt des Alkohols
die drei Mitarbeiter hätten riechen können oder sollen. Der angeführte "Odolgeruch"
riecht gerade nicht gleich dem Atemalkoholgeruch. Zudem hat der Kläger weder
vorgetragen, mit Odol gespült zu haben (wann, wo, wie oft), noch würde sich ein solcher
Geruch über die Dauer einer Dreiviertelstunde, die das Personalgespräch insgesamt in
Anspruch nahm, erhalten.
38
b) Der Kläger hat der Messung des Atemalkohols durch das im Betrieb vorhandene
Messgerät zugestimmt. Er hat anlässlich der Messung nicht gerügt, dass hier bestimmte
Messfehler aufgetreten sein sollen. Er hat nicht veranlasst, dass einer der Zeugen eine
Vergleichsmessung bei sich selber durchführt. Die bloße Behauptung, das Messgerät
sei defekt, ist deshalb als Schutzbehauptung zu werten. Das vom Kläger zitierte Urteil,
welches im Übrigen nicht vom Kammergericht, sondern vom Landgericht Freiburg,
kleine Strafkammer, am 21.09.2009 erlassen wurde (Az richtig: 9 Ns 550 Js 11375/09, 9
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Ns 550 Js 11375/09 – AK 92/09) besagt, dass die Messungen mit dem Dräger
Alkoholtestgerät nur dann nicht verwertet werden dürfen, wenn die getestete Person vor
der Durchführung des Tests nicht auf die Freiwilligkeit der Teilnahme hingewiesen
worden war. Im Gegenzug ergibt sich aus dem Urteil erst recht die Bestätigung, dass
Alkoholtests, die mit Zustimmung der getesteten Person durchgeführt werden, sehr wohl
als Beweismittel verwertet werden können. Nachvollziehbare Anhaltspunkte, weshalb
der Messwert fehlerhaft sein soll, hat der Kläger unmittelbar im Rahmen der Messung,
aber auch im Laufe des Prozesses nicht dargestellt. Damit liegt eine verwertbare
Messung vor, die einen Blutalkoholspiegel zwischen 0,34 bis 0,4 Promille ergeben hat.
c) Der Kläger hat sich ohne auszustempeln aus dem Betrieb entfernt. Er hat niemanden
über sein Verlassen des Betriebes informiert. Er hat sogar seine Tasche mit seinem
Portemonnaie, welche er zuvor gemeinsam mit einem anderen Mitarbeiter aus dem
LKW geholt hatte, in der Disposition liegen gelassen. Unabhängig von der Frage, wann
genau der Kläger das Betriebsgelände verlassen hat, ist die Einlassung des Klägers, er
habe dies getan, um beweisen zu können, dass er keinen Blutalkoholgehalt habe,
ebenfalls als Schutzbehauptung zu werten. Wenn der Kläger darum besorgt war,
Beweis dafür anzutreten, dass er keinesfalls alkoholisiert einen Gefahrguttransporter
geführt hat, hätte nichts näher gelegen, als die Mitarbeiter der Beklagten zu informieren
und mit diesen gemeinsam sofort seinen Hausarzt aufzusuchen. Das heimliche
Verlassen des Betriebes unter Zurücklassen der Tasche samt Portemonnaie, das
Lautlosstellen des Handys bzw. nicht beantworten von Handyanrufen, die fehlende
Kontaktaufnahme mit den Vorgesetzten und die Tatsache, dass der Kläger nicht einmal
die Stempelkarte bedient hat, sprechen indiziell dafür, dass der Kläger beabsichtigte,
sich einer Blutalkoholuntersuchung zu entziehen.
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d) Das Gericht glaubt auch nicht den Angaben des Klägers zu den von ihm
konsumierten alkoholischen Getränken. So hat der Kläger in der Verhandlung vor dem
Landesarbeitsgericht geäußert, er habe am Abend zuvor eine 0,2 Liter fassende
Bierflasche alkoholfreies Bier getrunken. Auf die Frage während des
Personalgesprächs, ob er Alkohol getrunken habe, hat er angegeben, er habe am
Abend zuvor eine Flasche Bier getrunken. Diese Antwort durfte die Beklagte durchaus
so auffassen, als habe es sich um alkoholhaltiges Bier gehandelt, denn ansonsten hätte
der Kläger von sich aus auch zum damaligen Zeitpunkt bereits hinzugesetzt, dass das
Bier alkoholfrei gewesen sei. Auch die behauptete starke Erkältung ist durch die
ärztliche Bescheinigung nicht nachgewiesen. Der Arzt hat sich die Mühe gemacht, drei
verschiedene Krankheitsursachen auf der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu
vermerken, nämlich somatoforme Störung, Bauchschmerzen und Gastroduodenitis. Eine
daneben vorliegende extrem starke Erkältungskrankheit, die den Kläger gezwungen
haben will, am Vorabend noch Wick MediNait zu sich zu nehmen, wäre sicherlich am
Nachmittag noch nicht abgeklungen gewesen und deshalb ebenfalls auf der
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vermerkt worden. Auch die verschiedenen Angaben
zum Zeitpunkt der Getränke/Medikamenteneinnahme lassen Zweifel an der Richtigkeit
des klägerischen Vortrags zu. Hinzu kommt die Behauptung des Klägers, er habe sich
noch nie darüber Gedanken gemacht, in welchem Maße sich Alkohol abbaue und wie
ein Restalkoholspiegel berechnet werden könne. Der Kläger ist nicht nur jährlich als
Gefahrguttransportfahrer geschult worden und von der Beklagten durch Hinweise auf
die Gefahr eines Restalkoholpegels aufmerksam gemacht worden. Der Kläger ist auch
als Gefahrgutbeauftragter geprüft worden und hat damit im Betrieb selber die Aufgabe,
die Umsetzung der Verordnung über die Beförderung gefährlicher Güter zu überwachen,
sowie auch für Schulungen und Information der anderen Kraftfahrer zu sorgen. Die
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Einlassungen des Klägers zu seinem Alkoholkonsum sind deshalb für die Kammer nicht
glaubhaft.
Ausgehend von dem Sachverhalt, dass der Kläger bei der Rückfahrt vom B -
Betriebsgelände zur Beklagten einen Gefahrguttransporter, beladen mit Natronlauge,
mit einem zwischen 0,3 und 0,4 Promille liegenden Blutalkoholpegel gefahren ist, ist
dieser Grund so schwerwiegend, dass das Arbeitsverhältnis nicht bis zum Ablauf der
Kündigungsfrist fortgesetzt werden musste und dass auch eine Abmahnung nicht
erforderlich war.
42
Das Maß der konkreten arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung ist erheblich. Dies beruht
darauf, dass anders als im sogenannten Fall E nicht nur eine Gefährdung für
gegebenenfalls anvertraute Vermögenswerte des Arbeitgebers bestand, sondern dass
der Kläger durch die Alkoholfahrt auch Leben und Gesundheit von möglicherweise
mehren bis mehreren hundert Personen gefährdet hat. Bereits bei einem Grad von 0,3
Promille tritt eine leichte Verminderung der Sehleistung ein, Aufmerksamkeit,
Konzentration, Kritik- und Urteilsfähigkeit sowie Reaktionsvermögen lassen nach. Die
Risikobereitschaft steigt an. Berücksichtigt man, dass die gesetzgeberische
Reglementierung von Gefahrguttransporten auf einer Abwägung der verschiedenen
betroffenen Grundrechte beruht, so ergibt sich, dass auf der einen Seite die
unternehmerische Freiheit, Gefahrgüter zu transportieren bzw. die unternehmerische
Notwendigkeit, Gefahrgüter verwenden zu müssen, um bestimmte Produkte herstellen
zu können, in Beziehung gesetzt werden muss zu Leben und Gesundheit von
unbeteiligten Bürgern, die durch den Transport von gefährlichen Gütern verletzt oder
getötet werden könnten. Hinzu kommen denkbare Umweltschäden bei einem nicht
sachgerechten Gefahrguttransport. Der Gesetzgeber hat deshalb besonders enge und
strenge Voraussetzungen geschaffen, um die Gefahren des Transports möglichst gering
zu halten. Nur unter Einhaltung dieser engen Vorschriften ist es vertretbar, unbeteiligte
Bürger den Gefahren auszusetzen, die mit dem Transport gefährlicher Güter verbunden
sind. Anders als bei einem abhanden gekommenen Pfandbon ist eine kleine
Unaufmerksamkeit eines Gefahrguttransportfahrers, möglicherweise fehlende 30
Zentimeter Bremsweg ausreichend bzw. in der Lage, einen riesigen Schaden entstehen
zu lassen. Hierdurch werden in der Regel unbeteiligte Personen Gefahren ausgesetzt,
für die der Arbeitgeber als Halter des Gefahrguttransporters haftet. Die Einhaltung des
Alkoholverbots stellt deshalb eine bedeutsame Vertragspflicht dar, deren Verletzung
schwer wiegt.
43
Weiterhin bei der Gewichtung des Kündigungsgrundes ist zu berücksichtigen, dass
gerade die vorliegende Vertragspflichtverletzung, nämlich mit Blutalkohol einen
Gefahrguttransport durchgeführt zu haben, regelmäßig nur schwer feststellbar ist.
Vertragspflichten, die nach ihrer Art durch den Arbeitgeber nur schlecht zu kontrollieren
sind, setzen deshalb zunächst einen erheblichen Vertrauensvorschuss durch den
Arbeitgeber voraus. Dieses Vertrauen ist durch die durchgeführte Alkoholfahrt erheblich
entwertet worden. Denn dem Arbeitgeber ist es letztlich nicht möglich, für jede Stunde
oder Sekunde, die der Kläger in Zukunft einen Gefahrguttransporter führen würde, sicher
zu sagen, dass der Kläger alkoholfrei fährt, dass also die Vertragspflicht tatsächlich
eingehalten wird. Je schwieriger der Vertragsverstoß in der Zukunft zu kontrollieren ist
und je heimlicher der Verstoß vorgenommen wird, desto eher kann gesagt werden, dass
ein objektiver vernünftiger und sozial agierender Arbeitgeber kein Vertrauen mehr in den
Arbeitnehmer haben muss. Vorliegend müsste die Beklagte den Kläger für den Lauf der
Kündigungsfrist mindestens zwei- bis dreimal am Tag einer Atemalkoholkontrolle
44
unterziehen, um sicherzugehen, dass der Kläger nicht alkoholisiert fährt. Das Interesse
der Beklagten an der größtmöglichen Sicherheit, keinen Fahrer mit Blutalkoholgehalt
auf einem LKW sitzen zu haben, ist deshalb nach Ansicht der Kammer ein berechtigtes
erhebliches Interesse, welches der Kläger verletzt hat.
Auch unter Berücksichtigung der in der Vergangenheit abgeleisteten Arbeit, bei der der
Kläger jedenfalls nicht wegen Alkoholkonsums aufgefallen war, ergibt sich, dass die
Vertragsverletzung so schwerwiegend ist und dass die Interessen der Allgemeinheit,
Risiken im Zusammenhang mit dem Gefahrguttransport möglichst zu minimieren,
vorrangig sind vor dem Bestandsinteresse des Klägers im Hinblick auf sein
Arbeitsverhältnis.
45
Vorliegend kam auch die Erteilung einer Abmahnung aus diesen Gründen nicht in
Betracht. Zum einen mag man durchaus annehmen, dass der Kläger nunmehr sagen
wird, dass ihm eine Alkoholfahrt in Zukunft nicht mehr unterlaufen wird. Auch wird er
erklären, er werde auf Restalkohol und alkoholenthaltende Medikamente stärker achten
und habe die Problematik nunmehr erkannt. Gleichwohl muss die Beklagte das Risiko,
dass der Kläger vielleicht trotz dieser Erkenntnis erneut ein Fahrzeug mit Alkohol führen
wird, nicht auf sich nehmen. Gerade Alkohol führt zu einer Herabsetzung der
Hemmschwelle. Der Kläger mag in nüchternem Zustand durchaus eingesehen haben,
welches seine Vertragspflichten sind und wie sie zu erfüllen sind. Dass er sich nach
Alkoholgenuss und bei einem gegebenenfalls noch vorhandenen Restalkoholpegel
gleichwohl gerade wegen dieses Zustandes noch einmal falsch entscheiden wird,
erscheint trotzdem nicht ausgeschlossen. Selbst wenn diese Gefahr gering wäre, so ist
der denkbare Schaden aber so extrem hoch, dass die Beklagte auch nicht verpflichtet
ist, eine solche geringe Gefahr für die Zukunft weiter zu tolerieren und darauf zu
vertrauen, dass nichts passiert.
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Zudem hat das Landesarbeitsgericht auch erwogen, ob hinsichtlich einer Alkoholfahrt,
die nur zu einer Abmahnung führt, die Auswirkung auf die Gruppe der anderen Fahrer
zumindest im Sinne eines betriebsbedingten Kündigungsgrundes berücksichtigt werden
muss. Ergibt sich bei dem Kläger, dass dessen Arbeitsverhältnis fortgesetzt werden
müsste, so könnte die Beklagte im Betrieb zumindest bei langjährig beschäftigen
Fahrern die 0,0 Promillegrenze nicht durchhalten. Jeder der anderen Fahrer könnte
damit kalkulieren, dass zunächst eine geringe Alkoholmenge, solange nichts passiert,
wenigstens einmal toleriert werden muss. Das Interesse der Beklagten, eine solche
Vorstellung bei den anderen Fahrern nicht entstehen zu lassen, ist nach Ansicht der
Kammer durchaus erwägenswert und zu Lasten des Klägers zu berücksichtigen. Die
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses des Klägers würde einen gruppendynamischen
Effekt haben, der dem Ziel der Beklagten, Alkoholfahrten auszuschließen,
entgegenwirkt.
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Nicht tragfähig erscheint dagegen die Befürchtung, die Beklagte werde ihren Kunden
verlieren. Wenn alle deutschen Gerichte nach denselben Maßstäben entscheiden, also
kein Anbieter von Gefahrtransporten mehr garantieren kann, dass Fahrer eingesetzt, die
ihres Wissens nach noch nie alkoholisiert einen Gefahrguttransporter gefahren sind,
macht es für die Auftraggeber keinen Sinn, das Transportunternehmen zu wechseln,
denn im Rahmen des in Deutschland geltenden Kündigungsschutzes könnte dann kein
Unternehmen eine solche größtmögliche Alkoholfreiheit garantieren.
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Das Gericht hat in der Abwägung durchaus berücksichtigt, dass aufgrund des im
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Lebenslauf zukünftig sichtbaren ungeraden Beendigungsdatums für die weitere
Berufstätigkeit des Klägers eine erhebliche Beeinträchtigung gegeben sein wird.
Gleichwohl führt auch dieser Punkt in der Abwägung nicht dazu, dass die Gefahren, die
der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses für die Allgemeinheit mit sich bringt und für die
der Arbeitgeber letztlich Verantwortung trägt und die Haftung übernimmt, gegenüber
einem auch nur auf die Dauer der fünfmonatigen Kündigungsfrist fortbestehenden
Arbeitsverhältnis zurück treten.
Die Kündigung ist auch nicht deswegen unwirksam, weil die Betriebsratsanhörung nicht
korrekt gewesen wäre. Das dem Betriebsrat vorgelegte Anhörungsschreiben gibt aus
Sicht der Arbeitgeberin den von ihr ermittelten Sachverhalt wieder. Der Kläger wurde
darüber hinaus vom Betriebsrat vor der Kündigung angehört. Er hatte dabei
Gelegenheit, alle Entlastungsmomente vorzutragen. Der Betriebsrat hat solche nicht
gesehen, sondern der Kündigung zugestimmt.
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Damit war sowohl der Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers abzuweisen, als
auch die vom Kläger begehrte Vergütung für die Zeit nach dem 12.02.2009. Hinsichtlich
der Bruttovergütung, d. h. der Steuern- und Sozialversicherungsbeiträge auf den dem
Kläger zugesprochenen Nettobetrag, folgt das Landesarbeitsgericht den Ausführungen
der ersten Instanz, wonach keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die
Arbeitgeberseite Steuern- oder Sozialversicherungsbeiträge nicht ordnungsgemäß
abgeführt hat. Der Kläger hat nicht dargelegt, dass er hierzu überhaupt Erkundigungen
eingeholt hat.
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Der Kläger ist auch zu Recht zur Rückzahlung des Weihnachtsgeldes verurteilt worden.
Das Arbeitsverhältnis hat durch die am 12.02.2009 zugegangene fristlose Kündigung
geendet. Die tariflichen Voraussetzungen für die Rückzahlung des Weihnachtsgeldes
sind gegeben. Die Höhe dieser Zahlung ist unstreitig. Die Verzinsung ist aus dem
Gesichtspunkt des Verzuges geschuldet. Durch die Aufrechnungserklärung hat die
Beklagte die Rückzahlung geltend gemacht. Die zweite Stufe der tariflichen Verfallfrist
musste die Beklagte erst dann einhalten, als der Kläger durch Erhebung der
Zahlungsklage zum Ausdruck gebracht hat, dass er mit der Aufrechnung nicht
einverstanden ist und diese nicht akzeptiert.
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Auf die Berufung der Beklagten war das erstinstanzliche Urteil abzuändern, soweit der
Anspruch auf die geltend gemachte Vertragsstrafe von einem halben Grundgehalt
abgewiesen wurde. Hinsichtlich der grundsätzlichen Zulässigkeit von
Vertragsstrafenabreden in allgemeinen Geschäftsbedingungen des Arbeitsvertrages
wird auf die bekannte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, insbesondere vom
18.12.2008 – 8 AZR 81/08 -, 28.05.2009 – 8 AZR 896/07 – und 21.04.2005 – 8 AZR
425/04 – verwiesen. Vorliegend scheitert der Vertragsstrafenanspruch nicht am
Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. In der Entscheidung vom 28.05.2009
hat das Bundesarbeitsgericht ausgeführt, dass der Verwender von allgemeinen
Geschäftsbedingungen den Grundsätzen von Treu und Glauben gemäß verpflichtet ist,
Rechte und Pflichten der Vertragspartner möglichst klar und durchschaubar
darzustellen.
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Die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Vertragsregeln müssen so genau
beschrieben werden, dass für den Verwender keine ungerechtfertigten
Beurteilungsspielräume entstehen. Eine Klausel verletzt das Bestimmtheitsgebot des §
307 Abs. 1 Satz 2 BGB, wenn sie im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Zumutbaren
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vermeidbare Unklarheiten und Spielräume enthält. Dabei ist nicht auf den flüchtigen
Betrachter, sondern auf den aufmerksamen und sorgfältigen Teilnehmer am
Wirtschaftsverkehr abzustellen. Die Klausel, nach der eine Vertragsstrafe in Höhe von
einem Bruttomonatseinkommen zu zahlen ist, wenn der Arbeitnehmer wegen eines
schuldhaft vertragswidrigen Verhaltens fristlos entlassen wird, ist nicht unklar. Eine
andere Formulierung, die dazu führt, dass in allen Fällen einer berechtigten fristlosen
Kündigung, die eine erhebliche schwere Vertragsverletzung voraussetzt, eine
Vertragsstrafe geleistet wird, ist ohne einen Aufzählungskatalog, der letztlich den
Arbeitsvertrag nur unklarer und unlesbarer machen würde, nicht möglich. Es kann auch
von einem normalen Arbeitnehmer erwartet werden, dass er sich zutreffende Gedanken
darüber macht, welche Vertragsverletzungen so schwer sind, dass sie die fristlose
Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen. Denn hiernach muss er ohnehin
sein Verhalten ausrichten, um den Vertrag ordnungsgemäß zu erfüllen.
Die Vereinbarung einer Vertragsstrafe für den Fall, dass eine fristlose Kündigung
berechtigterweise das Arbeitsverhältnis beendet, ist auch nicht unangemessen. Denn
gerade dieser Fall beinhaltet für den Arbeitgeber die Problematik, dass ein
Arbeitnehmer die Vertragspflichten so schwerwiegend missachtet hat, dass
berechtigterweise eine Fortführung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zumutbar ist.
Letztendlich arbeitet der Gesetzgeber mit einer vergleichbaren Generalklausel, ohne
dass dies als unangemessen angesehen werden könnte. Auch hinsichtlich der Höhe
der vereinbarten und der tatsächlich geltend gemachten Vertragsstrafe bestehen keine
Bedenken. Die Kündigungsfrist des Klägers beträgt fünf Monate, während die geltend
gemachte Vertragsstrafe ein halbes Grundgehalt umfasst. Durch die Entscheidung der
erkennenden Kammer im Kündigungsrechtsstreit steht auch fest, dass die
Voraussetzungen des Vertragsstrafenanspruchs erfüllt sind.
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Die Kostenentscheidung folgt hinsichtlich des Berufungsurteils aus § 97 Abs. 1.
Hinsichtlich des erstinstanzlichen Urteils auf § 91 i. V. m. 92 Abs. 2 ZPO. Das Obsiegen
des Klägers mit dem Zeugnisanspruch und der Nettovergütung stellen im Verhältnis zu
den gesamt anfallenden Kosten ein lediglich geringfügiges Obsiegen dar.
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Die Revision wurde zugelassen, da der Rechtsstreit von allgemeiner Bedeutung ist.
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Rechtsmittelbelehrung
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Gegen dieses Urteil kann von
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R E V I S I O N
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eingelegt werden.
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Für die beklagte Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
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Die Revision muss
innerhalb einer Notfrist* von einem Monat
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Bundesarbeitsgericht
64
Hugo-Preuß-Platz 1
65
99084 Erfurt
66
99084 Erfurt
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Fax: 0361 2636 2000
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eingelegt werden.
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Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils,
spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
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Die Revisionsschrift
muss
Bevollmächtigte
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1. Rechtsanwälte,
2. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse
solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder
Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
3. Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer
der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische
Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser
Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse
mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung
durchführt und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
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In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Revisionsschrift
unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.
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Eine Partei die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
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* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
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Olesch Engels Keil
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