Urteil des LAG Köln vom 19.05.2004

LArbG Köln: betriebsrat, arbeitsgericht, zahl, nichtigkeit, anfechtbarkeit, aufwand, kostenfreiheit, mitbestimmung, kündigungsschutz, ermessen

Landesarbeitsgericht Köln, 10 Ta 79/04
Datum:
19.05.2004
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
10 Ta 79/04
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Köln, 3 BV 99/02
Schlagworte:
Streitwert, Beschlussverfahren, Wahlanfechtung
Normen:
§§ 8 II BRAGO, 9, 19 BetrVG
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Bei der Wertfestsetzung im Wahlanfechtungsverfahren kann als
Ausgangswert bei einem einköpfigen Betriebsrat von Hilfswert (4.000
EUR) ausgegangen werden, der bei mehrköpfigen Betriebsräten für jede
weitere Staffel des § 9 BetrVG um den halben Ausgangswert, das heißt
um 2.000 EUR zu erhöhen ist.
Tenor:
Auf die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten D& Kollegen wird
der Streitwertbeschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 27.05.2003 - 3 BV
99/02 - abgeändert:
Der Gegenstandswert wird auf 10.000,00 EUR festgesetzt.
Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Beschwerdeführer
zu 5/6 auferlegt.
Beschwerdewert: 800,00 EUR
G r ü n d e
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I.
Nichtigkeit, hilfsweise die Unwirksamkeit der im Betrieb der Arbeitgeberin am
28.04.2002 stattgefundenen Betriebsratswahl festzustellen. Das Arbeitsgericht hat durch
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Beschluss vom 12.03.2003 die Nichtigkeit der Betriebsratswahl festgestellt. Die vom
Betriebsrat zunächst beim LAG eingelegte Beschwerde wurde von ihm später
zurückgenommen. Auf Antrag der Rechtsanwälte der Antragsteller hat das
Arbeitsgericht den Gegenstandswert durch Beschluss vom 27.05.2003 auf 8.000,00
EUR festgesetzt. Gegen den am 17.06.2003 zugegangenen Beschluss haben die
Prozessbevollmächtigten der Antragsteller am 20.06.2003 Beschwerde eingelegt mit
dem Antrag, den Gegenstandswert auf 20.000,00 EUR festzusetzen. Das Arbeitsgericht
hat der Beschwerde durch Beschluss vom 16.02.2004 nicht abgeholfen und die Sache
dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
begründet. Der Gegenstandswert ist gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 BRAGO auf 10.000,00
EUR festzusetzen.
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1. Es handelt sich um eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit, deren
Gegenstandswert nach § 8 Abs. 2 Satz 2 BRAGO nach billigem Ermessen zu
bestimmen ist. Bei nicht genügenden tatsächlichen Anhaltspunkten für eine Schätzung
ist der Gegenstandswert auf 4.000,00 EUR, nach Lage des Falles auch niedriger oder
höher anzusetzen. Dabei ist insbesondere abzustellen auf die Bedeutung der Sache für
die Beteiligten und auf Umfang und Schwierigkeit des Falles.
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2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Wert des Verfahrens auf 10.000,00
EUR festzusetzen. Im Streit war die Nichtigkeit, hilfsweise Anfechtbarkeit einer
Betriebsratswahl. Der Gegenstandswert einer solchen Streitigkeit wird maßgeblich
durch die Größe des Betriebes und die Zahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder
beeinflusst. Für die einzelnen Betriebsratsmitglieder ergibt sich die Bedeutung aus dem
besonderen Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 KSchG. Für den Betrieb geht es um
die Frage, ob eine Mitbestimmung in personellen, sozialen und wirtschaftlichen
Angelegenheiten gegeben ist. Für den Arbeitgeber bedeutet eine Neuwahl des
Betriebsrats finanzieller Aufwand. Der finanzielle Aufwand steigt ebenfalls mit der Zahl
der zu wählenden Betriebsratsmitglieder (vgl. nur §§ 37, 40 BetrVG).
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In der Rechtsprechung besteht daher weitgehend Einigkeit, dass die Zahl der
Betriebsratsmitglieder bei der Wertfestsetzung zu berücksichtigen ist. Dabei wird in der
Regel vom einfachen oder 1,5-fachen Hilfswert des § 8 Abs. 2 Satz 2 BRAGO für einen
einköpfigen Betriebsrat ausgegangen und dieser Wert beim mehrköpfigen Betriebsrat je
nach Zahl der Betriebsratsmitglieder erhöht, wobei das Ausmaß der Anhebung je
Betriebsratsmitglied in der Rechtsprechung umstritten ist. So gehen das LAG
Rheinland-Pfalz (NZA-RR 1992, 667) und das LAG Berlin (NZA-RR 1992, 327) bei
einem einköpfigen Betriebsrat vom anderthalbfachen Hilfswert aus, den sie für jedes
weitere Betriebsratsmitglied um den halben Hilfswert erhöhen. Das LAG Hamm geht in
seiner Entscheidung vom 09.03.2001 (LAGE § 8 BRAGO Nr. 48 a) für einen einköpfigen
Betriebsrat vom anderthalbfachen Hilfswert des § 8 Abs. 2 BRAGO aus und erhöht ihn
für jede weitere Staffel des § 9 BetrVG jeweils um den einfachen Hilfswert, das heißt für
jedes weitere Betriebsratsmitglied um den halben Hilfswert. Das LAG Köln hat in
seinem Beschluss vom 20.10.1997 (NZA-RR 1998, 275) ausgehend vom Hilfswert
diesen um jeweils 1/4 für jedes weitere Betriebsratsmitglied erhöht.
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Im Ausgangspunkt erscheint es gerechtfertigt, den weiten Streitwertrahmen des § 8 Abs.
2 BRAGO im Interesse gleichförmiger Rechtsanwendung nach Fallgruppen zu
typisieren und sich bei Streitigkeiten über die Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von
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Betriebsratswahlen aus den bereits genannten Gründen an der Zahl der
Betriebsratsmitglieder zu orientieren. Für einen einköpfigen Betriebsrat ist vom Hilfswert,
das heißt von 4.000,00 EUR auszugehen, der für jede weitere Staffel des § 9 BetrVG um
den halben Ausgangswert, das heißt um 2.000,00 EUR zu erhöhen ist. Sodann sind
Umfang und Schwierigkeit des konkreten Falles in die Wertbemessung einzubeziehen,
die zu einer Abweichung vom vorstehend ermittelten Wertansatz führen können. Der
Streitfall wies keine besonderen Schwierigkeiten auf. Nichtigkeits- und
Anfechtungsgründe waren zwar bestritten. Dies ist aber der Regelfall. Letztlich wurde
die Sache von dem erstinstanzlich unterlegenen Beteiligten, dem gewählten Betriebsrat,
im Beschwerdeverfahren auch nicht weiter verfolgt; die Beschwerde wurde
zurückgenommen.
Auch unter Berücksichtigung des dem Arbeitsgericht zustehenden Ermessens konnte es
nicht bei dem von ihm festgesetzten Wert von 8.000,00 EUR bleiben, weil die
Festsetzung nicht frei von Ermessensfehlern war. Im Nichtabhilfebeschluss hat das
Arbeitsgericht deutlich gemacht, dass es nicht nachvollziehen könne, weshalb der Wert
höher anzusetzen sei, wenn der Betriebsrat "nun aus 3,5 oder 7 Mitgliedern besteht".
Die Kammer vermag auch nicht die Auffassung im angefochtenen Beschluss zu teilen,
wonach es eine Rolle spiele, dass der siebenköpfige Betriebsrat überwiegend Teilzeit-
und nicht Vollzeitkräfte vertrete.
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3. Die Kosten- bzw. Gebührenpflicht für die Beschwerde ergibt sich aus der
entsprechenden Anwendung der §§ 92, 97 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit dem
Gebührenverzeichnis. Der Beschwerdeführer ist mit 5/6 seiner Beschwerde unterlegen.
Der Gebührenpflicht steht die Kostenfreiheit für betriebsverfassungsrechtliche
Beschlussverfahren nicht entgegen. Sie umfasst nicht das Beschwerdeverfahren im
Zusammenhang mit der Streitwertfestsetzung für den Rechtsanwalt nach § 10 Abs. 3
BRAGO. In diesem Nebenverfahren werden keine betriebsverfassungsrechtlichen
Ansprüche, sondern eigenständige Ansprüche des Verfahrensbevollmächtigten verfolgt.
Diese haben ihren Ursprung allein in der BRAGO bzw. den Kostenbestimmungen.
Wenn der vom Beteiligten beauftragte Rechtsanwalt erfolglos Beschwerde gegen die
Festsetzung des Werts für die anwaltliche Tätigkeit einlegt, betrifft es nicht die
betriebsverfassungsrechtliche Stellung des Beteiligten, sondern allein die
gebührenrechtliche Stellung des Rechtsanwalts, so dass ihn die Kostentragungspflicht
für das Beschwerdeverfahren trifft. Gebührenfrei ist nach § 10 Abs. 2 Satz 4 BRAGO
lediglich das Antragsverfahren. § 10 Abs. 3 BRAGO, der die Beschwerde betrifft, hat
keine dem § 25 Abs. 4 GKG entsprechende Regelung, wonach auch das Verfahren über
die Beschwerde gebührenfrei ist.
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4. Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf § 3 ZPO.
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Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel nicht gegeben.
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(Schroeder)
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