Urteil des LAG Köln vom 02.11.2009

LArbG Köln (kläger, ordentliche kündigung, kündigung, arbeitnehmer, geschäftsleitung, abmahnung, genehmigung, höhe, mitarbeiter, verhalten)

Landesarbeitsgericht Köln, 5 Sa 625/09
Datum:
02.11.2009
Gericht:
Landesarbeitsgericht Köln
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 Sa 625/09
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Bonn, 6 Ca 2681/08
Schlagworte:
Unerlaubte Privatnutzung von Firmenfahrzeugen
Normen:
§ 1 Abs. 2 KSchG
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Eine verhaltensbedingte Kündigung ohne vorherige Abmahnung wegen
unerlaubter Privatnutzung eines Firmenfahrzeugs kommt nicht in
Betracht, wenn der Arbeitgeber zuvor solche Privatnutzung mehrfach
unbeanstandet geduldet hat.
Tenor:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Bonn vom 07.04.2009
– 6 Ca 2681/08 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
1
Die Parteien streiten um die Rechtmäßigkeit einer verhaltensbedingten Kündigung
sowie einen von der Beklagten in der Berufungsinstanz gestellten Auflösungsantrag.
2
Die Beklagte ist die eingetragene Genossenschaft M -E W . Der am 28.10.1969
geborene Kläger ist bei der Beklagten seit dem 01.07.1991 als Kraftfahrer tätig
(Arbeitsvertrag Bl. 23 f. d. A.). Sein Monatsverdienst betrug zuletzt ca. 2.600,00 € brutto.
Zusätzlich erhielt der Kläger auf der Basis einer Fahrtkostenerklärung vom 01.01.2002
(Bl. 27 d. A.) einen monatlichen steuerfreien Fahrtkostenzuschuss in Höhe von 192,40
€. In der Erklärung hieß es u. a.:
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"Ich versichere, dass mir für den Erwerb von Fahrkarten Kosten mindestens in
Höhe des Arbeitgeberzuschusses entstehen. Mir ist bekannt, dass ich meinem
Arbeitgeber schriftlich anzeigen muss, wenn meine Kosten für Fahrkarten
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geringer werden als der Zuschussbetrag."
Der Berechnung des Betrages von 192,40 € lagen Fahrpreisbescheinigungen über ein
Monatsticket vom Bahnhof B zur Niederlassung der Beklagten in B , -Straße in Höhe
von 54,40 € und eine Bescheinigung über eine Monatskarte der 2. Klasse von N nach B
-B in Höhe von 138,00 € (Bl. 28 und 29 d. A.) zugrunde.
5
Anlässlich eines Warenfehlbestandes beauftragte die Beklagte die Firma O S mit dem
Einbau eines GPS-Fahrzeugüberwachungssystems in verschiedene Fahrzeuge. Auch
in das vom Kläger benutzte Fahrzeug wurde ein solches System eingebaut. Die
Überwachung erfolgte ab Ende Mai 2008.
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Nach den Aufzeichnungen der Firma O S nutzte der Kläger den Firmen-Lkw in der
Woche vom 02. bis 06.06.2008 von montagabends bis einschließlich freitagmorgens für
die Fahrten nach Hause und zum Arbeitsplatz.
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Ferner ist unstreitig, dass der Kläger den Firmen-Lkw auch für eine Heimfahrt am
25.06.2008 genutzt hat.
8
Anfang August 2008 untersagte der Niederlassungsleiter der Beklagten in Bonn, Herr H
, dem Kläger definitiv die Nutzung des Firmen-Lkws für private Heimfahrten. Seither sind
keine privaten Heimfahrten des Klägers mit dem Firmen-Lkw festgestellt worden.
9
Mit Schreiben vom 08.10.2008 (Bl. 30 d. A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis
ordentlich zum 30.04.2009, weil der Kläger unter Verstoß gegen Abschnitt II Ziffer 9 f)
des Arbeitsvertrages, wonach Privatfahrten nur mit ausdrücklicher Genehmigung der
Geschäftsleitung gestattet seien, den Firmen-Lkw für private Heimfahrten genutzt habe.
10
Gegen diese Kündigung hat der Kläger fristgerecht Kündigungsschutzklage erhoben
und sich hinsichtlich der Nutzung des Firmen-Lkws auf die Genehmigung durch den
Niederlassungsleiter H berufen. Im Übrigen hätten auch andere Arbeitnehmer
regelmäßig ihre Firmenfahrzeuge für Heimfahrten genutzt.
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Die Beklagte hat sich zur Rechtfertigung der Kündigung darauf berufen, es liege
hinsichtlich der Privatnutzung in der Zeit vom 02. Bis 06.06.2008 ein Betrug gemäß §
263 StGB vor. Eine generelle Genehmigung zur Nutzung habe nicht vorgelegen. Im
Rahmen der Sachverhaltsermittlung sei dem Vorstand der Geschäftsführung mitgeteilt
worden, dass Betriebsfahrzeuge nur ausnahmsweise und in Einzelfällen von Fahrern
genutzt werden durften, wenn tatsächlich einmal eine Kundenadresse am Ende der
Tour in unmittelbarer Nähe der Privatanschrift des Fahrers gelegen habe (Schriftsatz der
Beklagtenseite vom 06.04.2009, Seite 10/Bl. 84 d. A.).
12
Durch Urteil vom 07.04.2009 hat das Arbeitsgericht antragsgemäß festgestellt, dass das
Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 08.10.2008 nicht
aufgelöst worden ist. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht darauf abgestellt, dass die
Beklagte nicht in Abrede gestellt habe, dass der Niederlassungsleiter H im Einzelfall die
Nutzung des Firmenwagens für Heimfahrten gestattet habe. Angesichts dessen sei ein
Vertragsverstoß nicht so schwerwiegend, als dass er ohne Abmahnung zu einer
Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen könne. Die Nutzung des Firmenfahrzeuges
bei gleichzeitigem Bezug des Fahrtkostenzuschusses berechtige ebenfalls nicht zu
einer Kündigung ohne Abmahnung. Auch insoweit sei zunächst eine Abmahnung
13
notwendig gewesen.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte form- und fristgerecht Berufung einlegen und
begründen lassen.
14
Unrichtig sei bereits die Annahme des Arbeitsgerichts, dass der Fahrtkostenzuschuss
pauschal gezahlt werde und sowohl für Aufwendungen für öffentliche Verkehrsmittel als
auch für Fahrten mit dem privaten PKW gelte. Der Kläger habe durch die Privatnutzung
in der Zeit vom 02.06. bis 06.06.2008 einen Betrug zu Lasten der Beklagten begangen.
Keineswegs habe der Niederlassungsleiter H eine generelle Erlaubnis dergestalt
gegeben, dass das Firmenfahrzeug gelegentlich für Heimfahrten benutzt werden dürfe.
Allerdings habe der Niederlassungsleiter H auf Befragen durch die Beklagte nicht
ausschließen können, dass er in den letzten Jahren nicht das eine oder andere Mal dem
Kläger im Einzelfall erlaubt hätte, das Fahrzeug privat zu nutzen. Der Kläger habe
jedoch nicht von einer im Einzelfall erteilten Erlaubnis für eine private Fahrt darauf
schließen können, dass er generell das Firmenfahrzeug privat nutzen dürfe und
zusätzlich einen Fahrtkostenzuschuss für öffentliche Verkehrsmittel weiter beziehen
dürfe.
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Die Privatnutzung des Firmen-LKW für Heimfahrten habe der Kläger dadurch
verschleiert, dass er an einigen Tagen sein Privatfahrzeug für Heimfahrten genutzt
habe. Es habe auch keine Verpflichtung des Arbeitgebers gegeben, bei allen
Mitarbeitern nachzufragen, ob ihre Erklärung (Fahrtkostenerklärung) auf Dauer richtig
sei. Falsch sei desweiteren, wenn der Kläger behauptet, der Geschäftsführung und/oder
Niederlassungsleitung sei nicht verborgen geblieben, wie der einzelne Arbeitnehmer
die Arbeitsstätte erreiche und verlasse.
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Hilfsweise sei das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen.
Insoweit beruft sich die Beklagte auf die in ihrem Schriftsatz vom 30.10.2009 (Bl. 191 f.
d. A.) aufgeführten Gründe, die sich im Wesentlichen auf das Verhalten des Klägers im
Prozess stützen. So habe der Kläger in seinem Schriftsatz vom 21.08.2009 der
Geschäftsführung der Beklagten einen versuchten Prozessbetrug unterstellt,
Geschäftsleitung und Niederlassungsleiter als blind beschimpft und den Vortrag der
Beklagten als "außerordentlich abenteuerlich" und "reinen Humbug" bezeichnet.
17
Die Beklagte beantragt,
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unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Bonn vom 07.04.2009 – 6 Ca
2681/08 –
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1. die Klage abzuweisen,
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2. hilfsweise das Arbeitsverhältnis zum 30.04.2009 gegen Zahlung einer
angemessenen Abfindung aufzulösen, die den Betrag in Höhe von 23.389,56 €
brutto nicht übersteigen solle.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung insgesamt kostenpflichtig zurückzuweisen.
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Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Der Fahrtkostenzuschuss sei jahrelang
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pauschal und ohne Nachweise gezahlt worden. Meistens hätten er wie auch andere
Mitarbeiter morgens die Arbeitsstelle mit eigenem Pkw angefahren und abends mit dem
eigenen PKW den Arbeitsplatz auch wieder verlassen. Davon hätten
Niederlassungsleiter und auch Geschäftsleitung Kenntnis gehabt und dennoch
monatlich den Fahrtkostenzuschuss ausgezahlt, obwohl die Beklagte in diesem
Zusammenhang glauben machen wolle, der Fahrtkostenzuschuss sei nur gegen
Vorlage des Nachweises der Kosten öffentlicher Verkehrsmittel auszuzahlen gewesen.
So blind könnten weder Niederlassungsleiter noch Geschäftsleiter der Beklagten
gewesen sein, wie dies nunmehr behauptet werde. Tatsächlich sei dem Kläger die
Nutzung des Firmen-LKWs für Heimfahrten nicht nur durch den Niederlassungsleiter H ,
sondern darüber hinaus auch durch die Geschäftsleitung im Jahre 2001 anlässlich des
Kaufs der Firma F A in M in der damaligen Zeit gestattet gewesen. Vor diesem
Hintergrund erscheine der Vortrag der Beklagten, der Niederlassungsleiter H sei von der
regelmäßigen Nutzung des Firmenfahrzeuges überrascht worden, außerordentlich
abenteuerlich. Tatsächlich sei es so gewesen, dass sämtliche Fahrer der Beklagten der
Niederlassung B die Firmen-LKWs mehr oder weniger regelmäßig Heimfahrten genutzt
hätten. Davon habe die Beklagte auch anlässlich verschiedener besonderer Vorfälle
Kenntnis erhalten, beispielsweise durch den Unfall, den der Mitarbeiter M Anfang des
Jahres 2008 in der Nähe seines Wohnortes L verursacht habe sowie anlässlich des
Bußgeldverfahrens gegen den Mitarbeiter D S , der den Firmen-LKW anlässlich einer
privaten Heimfahrt falsch geparkt habe. Unrichtig sei der Vortrag der Beklagten, wonach
keine Überstunden angefallen seien. Tatsächlich seien Überstunden angefallen und
abgerechnet worden (Aufstellungen Bl. 164 ff. d. A.). Er habe mit dem
Niederlassungsleiter H eine mündliche Abrede dahingehend getroffen, je nach Tour und
Arbeitszeit mit dem Firmenfahrzeug nach Hause zu fahren und dafür jeweils eine halbe
Stunde von seinen Überstunden abzuziehen.
Der Auflösungsantrag sei nicht begründet. Die Berufung sei vielmehr insgesamt
zurückzuweisen.
25
Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zwischen den Parteien
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
27
Die zulässige, insbesondere statthafte und form- und fristgerecht eingelegte und
begründete Berufung ist in der Sache nicht begründet. Die ausgesprochene Kündigung
ist rechtswidrig. Auch der Auflösungsantrag der Beklagten hatte keinen Erfolg, so dass
die Klage insgesamt abgewiesen und die Berufung kostenpflichtig zurückgewiesen
werden musste.
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1. Zutreffend hat das Arbeitsgericht herausgearbeitet, dass ein ausreichender
verhaltensbedingter Kündigungsgrund gemäß § 1 Abs. 2 KSchG nicht vorliegt und die
Kündigung daher rechtsunwirksam ist.
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Auf die diesbezüglichen Ausführungen des Arbeitsgerichts wird Bezug genommen.
Ergänzend und im Hinblick auf das Vorbringen der Beklagten in der Berufungsinstanz
ist folgendes festzuhalten.
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a. Ein Betrug oder ein Betrugsversuch gemäß § 263 StGB, der an sich einen
ausreichenden verhaltensbedingten Kündigungsgrund im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG
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darstellen würde, kann die Beklagte dem Kläger nicht vorwerfen.
Hiervon könnte nur dann ausgegangen werden, wenn der Kläger die Beklagte über die
tatsächlich ihm entstandenen Fahrtkosten in einzelnen Monaten getäuscht hätte. Davon
kann nicht ausgegangen werden.
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aa. Nach der schriftlichen Fahrtkostenerklärung des Klägers (Bl. 27 d. A.) vom
01.01.2002 war der Fahrtkostenzuschuss bestimmt für den Erwerb von Fahrkarten für
Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Diese in
jener Erklärung zum Ausdruck kommende Koppelung an die Benutzung öffentlicher
Verkehrsmittel ist jedoch angesichts der über 6jährigen Praxis seit 2002 nicht
aufrechterhalten worden. Denn unstreitig ist, dass die im Jahre 2002 erfolgte
Berechnung anhand der damaligen Monatskartenbeträge (Bl. 28 und 29 d. A.) zu keiner
Zeit aktualisiert worden ist. Bereits dies spricht gegen eine verkehrsmittelabhängige
Fahrtkostenbezuschussung. Denn wäre eine solche strikte Koppelung gewollt gewesen,
hätte angesichts der vielfältigen Preissteigerungen im öffentlichen Personenverkehr
eine regelmäßige Anpassung erfolgen müssen. Es wäre dann auch naheliegend
gewesen, die Vorlage jeweils aktueller Fahrkarten zu verlangen. Demgegenüber hat die
Beklagte den Fahrtkostenzuschuss auch dann bezahlt, wenn die Arbeitnehmer der
Beklagten statt mit öffentlichen Verkehrsmitteln mit ihrem privaten PKW den Arbeitsplatz
aufsuchten. Dementsprechend hat der Geschäftsführer der Beklagten in der mündlichen
Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht am 02.11.2009 auch erklärt, es sei unter
normalen Umständen nicht zu beanstanden gewesen, wenn Arbeitnehmer den
Fahrtkostenzuschuss in Anspruch genommen hätten und an jedem Tag mit dem Privat-
PKW zur Arbeit gekommen wären. Daran wird deutlich, dass der Fahrtkostenzuschuss
unabhängig von der Wahl des Verkehrsmittels gezahlt worden ist und die damaligen
Kosten öffentlicher Verkehrsmittel lediglich als Obergrenze für den Betrag des
Fahrtkostenzuschusses verstanden worden sind.
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Dies wird auch unterstrichen durch den Vortrag der Beklagtenseite, der Kläger habe die
Fahrtnutzung des Firmen-LKWs dadurch verschleiert, dass er an einigen Tagen sein
Privatfahrzeug für Heimfahrten benutzt habe. Daran wird deutlich, dass der Beklagten
die Nutzung des Privat-PKW für Heimfahrten durchaus bekannt war und sie dies allein
nicht zum Anlass genommen hätte, den Fahrtkostenzuschuss zu streichen oder zu
kürzen oder gar ein solches Verhalten als kündigungsrelevantes Verhalten zu werten.
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Dass der Fahrtkostenzuschuss verkehrsmittelunabhängig und zudem pauschal gezahlt
worden ist, wird schließlich daran deutlich, dass die Parteien übereinstimmend in der
mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht am 02.11.2009 erklärt haben,
dass der Fahrtkostenzuschuss auch während Urlaubs- und Krankheitszeiten
durchgezahlt worden sei.
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bb. Aus der Fahrtkostenerklärung vom 01.01.2002 könnte daher nur dann ein
kündigungsrelevanter Täuschungsversuch hergeleitet werden, wenn der Kläger seine
Pflicht verletzt hätte, anzuzeigen, dass die Kosten geringer waren als der
Zuschussbetrag. Soweit der Kläger tatsächlich Monatskarten erworben hatte, wären die
Kosten aber nicht dadurch geringer geworden, dass der Kläger an einzelnen oder
mehreren Tagen im Monat den Firmen-LKW für Heimfahrten genutzt hätte, denn die
Kosten einer erworbenen Monatskarte reduzieren sich nicht dadurch, dass sie nur in
geringerem Umfang tatsächlich in Anspruch genommen wird.
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Geht man hingegen davon aus, dass der Kläger keine Fahrkarten für öffentliche
Verkehrsmittel erworben hatte, könnte von niedrigeren Kosten als den
Fahrtkostenzuschuss in Höhe von 192,40 € nur dann ausgegangen werden, wenn die
Kosten für die Benutzung des Privat-PKW unter diesem Betrag gelegen hätten. Geht
man mit der Beklagten von einer Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte von
55 Kilometern aus und berücksichtigt als Kosten der Privatnutzung den steuerlichen
Pauschalsatz von 0,30 € pro Kilometer, so ergeben sich Kosten pro Heimfahrt in Höhe
von 16,50 €. Der Wert des Fahrtkostenzuschusses wird damit bereits durch die Nutzung
des Privat-PKW zu Heimfahrten an 12 Tagen im Monat erreicht.
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Aus dem Vortrag der Beklagten lässt sich nicht entnehmen, dass und gegebenenfalls in
welchem Monat der Kläger an weniger als 12 Arbeitstagen seinen Privat-PKW benutzt
hätte. Denn einerseits ist unstreitig, dass der Kläger in jedem Monat zumindest auch
seinen privaten PKW zu Heimfahrten benutzt hat. Die Beklagte geht insoweit davon aus,
dass dies zur Verschleierung der Nutzung des Firmen-LKW geschehen sei.
Andererseits sind als konkret feststehende Tage der Privatnutzung des Firmen-LKW nur
insgesamt sechs Tage im Juni 2008 unstreitig, nämlich die Zeit vom 02. Bis 06.06.2008
sowie der 25.06.2008.
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Dabei kann in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben, ob die Erkenntnisse aus
der Überwachung, die aus dem heimlichen Einbau von GPS-Geräten resultierten,
überhaupt verwertbar waren, oder ob insoweit einer Verwertung datenschutzrelevante
Persönlichkeitsrechte oder die Verletzung von Mitbestimmungsrechten
entgegenstanden ( siehe hierzu BAG 29.6.2004 – 1 ABR 21/03, NZA 2004, 1278; BAG
26.8.2008 – 1 ABR 21/07, DB 2008, 2144; BAG 27.3.2003 – 2 AZR 51/02, NZA 2003,
1193).
39
Denn über die wenigen durch die Überwachung ermittelten Tage sind weitere konkrete
Tage weder dezidiert vorgetragen noch ersichtlich. Zwar mag die Beklagte vermuten,
dass der Kläger in der Mehrzahl der Tage den Firmen-LKW und nur in der Minderzahl
der Tage den Privat-PKW zu Heimfahrten genutzt hat. Eine konkrete
Tatsachengrundlage hierfür besteht jedoch nicht. Unergiebig ist in diesem
Zusammenhang, wenn die Beklagte den Zeugen H als Zeugen dafür benennt, dass der
Kläger jedenfalls seit Anfang 2008 das betriebseigene Fahrzeug für Heimfahrten in der
Zeit von montags bis freitags benutzt habe, denn unstreitig hat der Zeuge H mit der
Überwachung des Klägers erst ab Ende Mai 2008 begonnen und kann daher für die Zeit
davor keine Angaben machen. Wäre hingegen ein solches Verhalten dem
Niederlassungsleiter oder der stellvertretenden Niederlassungsleiterin Frau R seit
Anfang des Jahres 2008 bekannt gewesen, könnte schon nicht von einer Täuschung
gesprochen werden, weil dann von Duldung und Billigung ausgegangen werden
müsste.
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Da weder für den Monat Juni 2008 noch für einen anderen Monat konkret dargetan
werden konnte, dass geringere Fahrtkosten entstanden sind als 192,40 €, scheidet eine
Kündigung wegen betrügerischem Verhaltens schon aus diesem Grunde aus.
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b. Zutreffend hat das Arbeitsgericht desweiteren festgestellt, dass die unerlaubte
Privatnutzung ohne Abmahnung keine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigt. Vom
Umfang her ist lediglich die unerlaubte Privatnutzung an sechs Tagen im Juni (02. bis
06.06.2008 und 25.06.2008) unstreitig. Unstreitig ist auf der anderen Seite, dass
jedenfalls in einzelnen Fällen die Privatnutzung des Firmen-LKW für Heimfahrten
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gestattet war. Wenn auch die Beklagte vehement bestritten hat, dass es eine generelle
Genehmigung gegeben habe, hat sie andererseits eingeräumt, dass der
Niederlassungsleiter H nicht habe ausschließen können, dass er das eine oder andere
Mal die Privatnutzung erlaubt habe (Schriftsatz der Beklagtenseite vom 21.07.2009,
Seite 5/Bl. 135). Unstreitig ist zudem, dass auch andere Fahrer der Beklagten –
zumindest in Einzelfällen – die Erlaubnis für private Heimfahrten erhielten.
Insbesondere ist unstreitig, dass der Mitarbeiter M einen Unfall mit seinem Firmen-LKW
in der Nähe seines Wohnsitzes in L hatte und der Mitarbeiter S wegen Falschparkens
des Firmen-LKW in der Nähe seines Wohnortes mit einem Bußgeldverfahren belangt
wurde. Diesbezüglich hat die Beklagte nicht substantiiert zu bestreiten vermocht, dass
es sich hierbei jeweils um Privatfahrten der Mitarbeiter handelte. Zu einem
substantiierten Bestreiten hätte gehört, dass die Beklagte anhand der
Geschäftsunterlagen der dort ansässigen Kunden konkret dargelegt hätte, dass an
jenen Tagen dort betriebliche Auslieferungsvorgänge stattgefunden hätten.
Entscheidend kommt schließlich hinzu, dass der Geschäftsführer der Beklagten in der
mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht am 02.11.2009 erklärt hat, es
könne durchaus sein, dass der Niederlassungsleiter Herr H mit
Einzelfallgenehmigungen bezüglich der Privatfahrten mit Firmen-LKW großzügiger
gewesen sei, als dies eigentlich sinnvoll gewesen wäre. Dem entspricht es auch, dass
die Beklagte vorgetragen hat, dass der Niederlassungsleiter H , nachdem die
Untersuchungsergebnisse der Firma O der Geschäftsleitung bekannt wurden, auf
Anweisung der Geschäftsleitung Privatfahrten untersagt hat.
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Angesichts dieser Verfahrensweise der Vergangenheit, die jedenfalls durchaus im
Einzelfall die Genehmigung von Privatfahrten mit dem Firmen-LKW vorsah, konnte eine
übermäßige Nutzung des Firmen-LKW für Privatfahrten erst nach entsprechender und
erfolgloser Abmahnung zu einer verhaltensbedingten Kündigung führen.
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Denn grundsätzlich setzt eine verhaltensbedingte Kündigung eine Abmahnung voraus.
Dies gilt auch im Vertrauensbereich, wenn es sich um ein steuerbares Verhalten des
Arbeitsnehmers handelt und eine Wiederherstellung des Vertrauens erwartet werden
kann oder der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Verhalten
sei nicht vertragswidrig oder werde vom Arbeitgeber nicht als erhebliches, den Bestand
des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Verhalten angesehen (siehe BAG Urteil vom
04.06.1997 – 2 AZR 526/96 – NZA 1997, Seite 1281; BAG Urteil vom 09.01.1986 – NZA
1986, Seite 467).
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Angesichts der zumindest in Einzelfällen erfolgten Genehmigung von privaten
Heimfahrten mit dem Firmen-LKW kann jedenfalls nicht davon ausgegangen werden,
dass der Kläger durch die Privatnutzung des Firmen-LKW an insgesamt sechs
nachgewiesenen Tagen im Juni 2008 damit rechnen musste, allein hier durch den
Bestand seines Arbeitsverhältnisses zu gefährden.
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Die weitere Entwicklung seit der definitiven Untersagung der Privatnutzung durch den
Niederlassungsleiter H Anfang 2008 belegt zudem, dass eine solche Abmahnung auch
Erfolg gehabt hätte. Denn die Beklagte hat für die Zeit August 2008 keinen einzigen
konkreten Verstoß des Klägers gegen die von ihr ausgesprochene Anweisung dartun
können. Damit muss davon ausgegangen werden, dass der Kläger sich seit dieser
Anweisung an das Verbot der Privatnutzung in vollem Umfang gehalten hat.
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c. Aus den genannten Gründen ist die ausgesprochene verhaltensbedingte Kündigung
daher rechtswidrig und konnte das Arbeitsverhältnis nicht auflösen.
48
2. Auch der hilfsweise gestellte Auflösungsantrag ist unbegründet.
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Er ist bereits unschlüssig.
50
a. Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG setzt ein Auflösungsantrag voraus, dass Gründe
vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen
Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Diese Voraussetzung des § 9 Abs.
1 Satz 2 KSchG liegt bereits nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten nicht vor.
51
b. Anders als die Beklagte meint, lassen sich dem klägerischen Vortrag insbesondere
dem Schriftsatz vom 21.08.2009 keine ehrverletzenden Äußerungen entnehmen, die
einen Auflösungsantrag rechtfertigen könnten. So ist es bereits unrichtig, wenn die
Beklagte behauptet, der Kläger habe Geschäftsleitung und Niederlassungsleiter in
seinem Schriftsatz vom 21.08.2009 auf Seite 2 als blind bezeichnet. Tatsächlich hat der
Kläger vortragen lassen, dass der den Arbeitnehmern gewährte monatliche
Fahrtkostenzuschuss ausgezahlt worden sei, obwohl diese mit eigenem PKW zur Arbeit
erschienen seien. Im Weiteren hat der Kläger vortragen lassen, so blind könnten weder
Niederlassungsleiter noch Geschäftsleiter der Beklagten gewesen sein, wie dies
nunmehr vorliegend behauptet werde. Damit hat der Kläger nur pointiert vorgetragen,
dass den Verantwortlichen der Beklagtenseite nicht entgangen sein konnte, dass
Arbeitnehmer mit ihren privaten PKW zur Arbeitsstelle fuhren und gleichwohl
Fahrtkostenzuschuss erhielten. Dass dies richtig war, hat sich im Prozessverlauf
ohnehin ergeben, weil unstreitig geworden ist, dass die Beklagte den
Fahrtkostenzuschuss auch denn gezahlt hat, wenn die Arbeitnehmer statt mit
öffentlichen Verkehrsmitteln mit ihrem privaten PKW die Arbeitsstelle aufsuchten. Dies
ist auch durch den weiteren Vortrag der Beklagtenseite bestätigt worden, wonach der
Kläger durch gelegentliche Benutzung seines Privat-PKW die Benutzung des Firmen-
LKW für Heimfahrten verschleiert haben soll. Daraus folgt, dass die Verantwortlichen
der Beklagten sehr wohl wussten, dass die Arbeitnehmer ihre Privat-PKW zum
Aufsuchen der Arbeitsstätte benutzten und dass dies der Gewährung des
Fahrtkostenzuschusses nicht entgegenstand.
52
Nicht als Auflösungsgrund herangezogen werden kann desweiteren der Vortrag der
Klägerseite, in Anbetracht der Seitens der Geschäftsleitung persönlich erteilten
Genehmigung für die Nutzung des Firmen-LKW zu privaten Heimfahrten, scheine das
bisherige generelle Bestreiten einer solchen Genehmigung auch unter dem
Gesichtspunkt des versuchten Prozessbetrugs relevant. Aus der Formulierung
"scheine…relevant zu sein" folgt bereits, dass der Vorwurf des Prozessbetruges nicht
konkret erhoben wird, sondern lediglich ein entsprechender Verdacht angedeutet wird.
Angesichts des Umstandes, dass jedenfalls in Einzelfällen solche Genehmigungen zur
privaten Heimfahrt erteilt wurden und die Geschäftsleitung ohnehin zu dem Ergebnis
kam, dass die bisherige Genehmigungspraxis des Niederlassungsleiters H zu
großzügig gewesen sein könnte, war die Andeutung eines solchen Verdachts nicht
fernliegend. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass der
Vortrag der Klägerseite erfolgte, nachdem die Beklagte ihrerseits dem Kläger in ihren
Schriftsätzen Betrug gemäß § 263 StGB vorgeworfen. Diese Betrugsvorwürfe hatten
sich aus den oben dargestellten Gründen als unzutreffend herausgestellt. Sie haben
aber eine Schärfe in die gerichtliche Auseinandersetzung im Berufungsverfahren
53
hineingetragen, vor deren Hintergrund der Vortrag der Klägerseite nicht als
unangemessen angesehen werden kann. Vor diesem Hintergrund lassen sich auch die
Wertungen im Schriftsatz der Klägerseite vom 21.08.2009, der Beklagtenvortrag sei
"außerordentlich abenteuerlich" und "reiner Humbug" nicht beanstanden.
Unrichtig ist schließlich, wenn die Beklagte dem Kläger unterstellt, er habe behauptet,
die Beklagte stifte die Mitarbeiter zu Ordnungswidrigkeiten und Straftaten an, durch die
Anweisung, Lenkzeiten zu überschreiten und/oder keine Pausen einzuhalten. Aus dem
Schriftsatz der Klägerseite vom 21.08.2009 lässt sich nur der Vorwurf entnehmen, dass
die Beklagte die Anweisung erteilt habe, den Tachographen bei Standzeiten auf Pause
zu stellen, unabhängig davon, ob Beladungsvorgänge anfielen oder tatsächlich eine
Pausenzeit gegeben war. Hieraus allein kann noch nicht der Vorwurf konstruiert
werden, der Kläger den Vorwurf erhoben, die Beklagte habe die Anweisung erteilt,
ständig die vorgeschriebenen Lenkzeiten zu überschreiten. Im Übrigen hat es die
Beklagte diesbezüglich versäumt, im Einzelnen für die vom Kläger konkret benannten
Fahrer zumindest beispielhaft darzutun, dass die Lenk- und Ruhezeiten unter
Berücksichtigung von geschuldeten Ladetätigkeiten tatsächlich eingehalten worden
sind. Insgesamt sind bereits nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten hinreichende
Auflösungsgründe gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG, nicht gegeben.
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3. Aus den genannten Gründen ergab sich, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die
ordentliche Kündigung noch durch den gestellten Auflösungsantrag aufgelöst werden
konnte, sondern ungekündigt fortbesteht.
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Die Berufung der Beklagten war daher mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO
zurückzuweisen.
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Die Revision konnte nicht zugelassen werden, da die Rechtssache keine
rechtsgrundsätzliche Bedeutung hatte und auch kein Fall von Divergenz vorlag.
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Rechtsmittelbelehrung
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Gegen dieses Urteil ist kein weiteres Rechtsmittel gegeben. Hinsichtlich einer
Nichtzulassungsbeschwerde wird auf die in § 72 a ArbGG genannten Voraussetzungen
Bezug genommen.
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Dr. Griese Lucks Spielberg
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